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Perry Rhodan 2853: Im falschen Babylon - Perry Rhodan-Zyklus 'Die Jenzeitigen Lande'

Oliver Fröhlich

 

Verlag Perry Rhodan digital, 2016

ISBN 9783845328522 , 64 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR


 

1.


Die Stimme von nirgendwo

 

Das Licht erlischt, und Ruhe kehrt ein. Die Anspannung ist fast körperlich zu greifen. Sie fühlt sich an wie in einem Theater, kurz bevor sich der Vorhang hebt und die Schauspieler die Bühne betreten.

Ein menschlicher Vergleich, gewiss, und dennoch ein naheliegender für jemanden wie dich. Dass du seit Langem keinen Kontakt mehr zu Menschen hattest, ändert daran nichts.

Soweit das möglich ist, erfasst die Anspannung auch dich. Blitzschnell überprüfst du die wichtigsten Parameter, dann bist du bereit – bereit für ein Spiel mit ungewissem Ausgang.

Still jetzt! Es beginnt.

 

*

 

Das Gefühl, den Verstand zu verlieren, überfiel mich ohne Vorwarnung an einem sonnigen Morgen. Ich saß auf einem Felsblock am Ufer des Flusses, starrte auf das träge dahinfließende Wasser, lauschte dem Zwitschern der Vögel, dem leisen Rauschen der Palmen im sanften Wind – und wusste plötzlich nicht mehr, wo ich war.

Für schrecklich lange Augenblicke herrschte völlige Leere in meinem Geist. Ich fühlte mich wie ein Neugeborenes ohne Vergangenheit, ohne bewusste Erinnerung.

Mit einem nur unvollständig unterdrückten Laut des Entsetzens sprang ich auf, drehte mich langsam einmal, zweimal um mich selbst und sog die Eindrücke auf wie trockener Ackerboden das Wasser.

Alles war so fremd.

Alles war so vertraut.

Der breite Strom, der sich unweit von mir durch das Land wälzte. Darauf vereinzelte Boote und Einbäume. Ein rundes, an einen großen Korb erinnerndes Gefährt schwamm am Ufer entlang, gesteuert von einem stehenden Mann mit einem langen Stakruder. Für mehr Personen bot es keinen Platz. Kuffe, glaubte ich mich an den Namen dieser Bootsart zu erinnern, war mir aber alles andere als sicher.

Mein Herz hämmerte so laut, dass ich das Pochen bis in die Ohren spürte. Tränen der Erregung stiegen mir in die Augen.

Wo war ich?

Und vor allem: Wer war ich?

Ich sah Kanäle von dem Fluss abzweigen und gesäumt von hoch aufgeworfenen Uferdämmen die Kornfelder und Palmenhaine durchqueren.

Männer führten Esel über die gewölbten Brücken, die Packkörbe beladen mit Fischen oder Obst. Sie strebten einer Stadt zu, deren gewaltige Mauern sich gute fünfhundert Meter flussaufwärts zum Schutz der Häuser und Tempel erhoben.

Ich stutzte. Meter? Die Maßeinheit kam mir falsch vor. Woher kannte ich sie?

Die Stadt liegt dreieinhalb Stadien entfernt, korrigierte ich mich. Sofort fühlte ich, wie mich dieser vertraute Begriff, der Anflug einer Erinnerung, beruhigte. Ich blinzelte die Tränen weg.

In meiner Nähe zog ein Fischer seinen Einbaum ans Ufer. Er hob zwei Weidenkörbe heraus, die vor mächtigen Karpfen beinahe überquollen. Als er mich bemerkte, lächelte er und winkte mir zu.

Unsicher winkte auch ich – und mit einem Mal kehrte die Erinnerung zurück. Nicht langsam wie ein stetiger Strom, sondern in einem einzigen Schwall.

Ich taumelte, wandte mich von dem Fischer ab und musste mich an dem Felsblock abstützen, um einen Sturz zu verhindern.

Der Fluss hieß Euphrat, die Stadt Babylon. Wir schrieben das zehnte Regierungsjahr von König Nebukadnezar II., dem Sohn von Nabopolassar, verheiratet mit Amyitis, Tochter des Mederkönigs Astyages. Wie hatte ich all das vergessen können?

Die Welt drehte sich um mich. Ich keuchte.

Während ich mich langsam aufrichtete, entdeckte ich zwischen zwei Baumstämmen im Palmenhain einen Mann. Ein schwarzes Gewand verhüllte seine Gestalt. Unter der weit nach vorne gezogenen Kapuze lugten zwei weiße Haarsträhnen hervor. Obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte, kam er mir bekannt vor.

Er reckte mir einen Arm entgegen. Dieser vordergründig einladenden Geste haftete aber zugleich etwas Verzweifeltes an.

Unwillkürlich wollte ich mich auf den Weg machen, die vierzig oder fünfzig Schritte überbrücken und ihn fragen, was mit mir geschah. Ich konnte mir all das nicht erklären und hatte den Eindruck, dass der Fremde die Antwort wusste.

Da legte sich mir von hinten eine Hand auf die Schulter. Erschrocken schrie ich auf, schüttelte sie ab und fuhr herum.

Vor mir stand der Fischer. Aus großen Augen sah er mich an. Er wirkte beunruhigt. Oder gar ängstlich wegen meiner heftigen Reaktion?

Er wich einen Schritt zurück. »Ist alles in Ordnung?«

Ich schwieg und sah erneut zum Palmenhain. Der Schwarzgewandete war verschwunden. Ein unwirkliches Gefühl des Verlusts durchfuhr mich, verblasste aber genauso schnell, wie es gekommen war.

»Geht es dir gut?«, fragte der Fischer, nun hörbar besorgt.

Sehe ich so aus?, wollte ich ihn anbrüllen. Wie würdest du dich fühlen, wenn du plötzlich nicht mehr wüsstest, wo und wer du bist? Wenn du glaubtest, dass die Welt, die dich umgibt, nicht deine eigene ist, du aber zugleich wüsstest, wie albern, ja, wie wahnsinnig dieser Gedanke ist?

Stattdessen zwang ich mich zu einem Lächeln. Erstens konnte der Fischer nichts für meinen zeitweiligen Gedächtnisverlust, zweitens war dieser Augenblick, so beunruhigend er trotz seiner Kürze gewesen sein mochte, bereits wieder Vergangenheit und drittens – das Wichtigste von allem! – durfte niemand davon erfahren. Nicht auszudenken, wie die Hohepriesterin auf so eine Nachricht reagieren würde.

Da musste ich nur an Sanikkabe denken, Babylons ehemaligen Obersten Ankläger. Wie aus dem Nichts tauchte seine Geschichte in meinem Gedächtnis auf. Es fühlte sich merkwürdig an. Nicht wie die Erinnerung an etwas Erlebtes, Gehörtes oder Gesehenes, nicht organisch gewachsen, sondern als wäre sie gerade erst in mir entstanden.

Noch so ein wahnsinniger Gedanke!, Wenn ich nicht wie Sanikkabe enden wollte, musste ich dagegen ankämpfen.

Stets hatte der Oberste Ankläger ein Leben im Dienste des Gerichts geführt, gottgefällig und strebsam – bis seine Frau Nadirjana erkrankte. Aussatz! Ein Leiden, das üblicherweise den sofortigen Ausschluss aus der menschlichen Gesellschaft und somit eine Verbannung aus der Stadt zur Folge hatte. Nicht so bei Nadirjana.

In ihrem Fall hatte die Hohepriesterin Yenna La-Arhani verfügt, dass Sanikkabes Gemahlin ihr Leben auf dem Opfertisch lassen musste. Als Gabe für den Stadtgott Marduk, um ihn gnädig zu stimmen, auf dass er Babylon vor dem Spinnenregen verschonen möge.

Ein Verlust, an dem Sanikkabe zerbrochen war – und der ihn schließlich das Leben gekostet hatte.

Ich selbst hatte dabei eine maßgebliche Rolle gespielt.

Nein, wenn ich nicht wollte, dass ich dem Obersten Ankläger auf den Opfertisch folgte, durfte niemand von meinem Zustand erfahren.

»Geht es dir gut?«, fragte der Fischer noch einmal.

»Alles bestens, Ellil-malik«, antwortete ich betont frohgemut. »Ich war nur in Gedanken wegen eines Falls, bei dem ich die Anklage vertreten werde.«

Eine glatte Lüge, denn bis auf ein paar kleinere Rechtsstreitigkeiten wegen Unterhaltsleistungen oder der Wirksamkeit von Schenkungen lag nichts Dringendes an.

Ellil-malik betrachtete mich misstrauisch. Er schien mir die Geschichte nicht abzunehmen. Wer konnte es ihm verdenken?

Ich lächelte ein wenig breiter und deutete auf die Körbe neben seinem Einbaum. »Ein beachtlicher Fang. Du wirst einen guten Preis auf dem Mark erzielen.«

Die Skepsis wich aus dem Gesicht des Fischers. »Ja, nicht wahr? Ich glaube, das liegt daran, dass es ungewöhnlich warm für den Šabatu ist. Das bringt die Karpfen durcheinander. Ich hatte den Eindruck, sie sprängen mir ganz von selbst in den Korb.«

Tatsächlich herrschte im Šabatu, dem vorletzten Monat des Jahres, üblicherweise starker Winterfrost. Aber der noch immer drohende Spinnenregen hatte das Wetter offenbar so fest im Griff, dass der Winter in diesem Jahr ausfiel.

Mir sollte es recht sein. Immerhin hoffte ich, zum Ersten des nächsten Monats das Amt des Obersten Anklägers übernehmen zu können. Und wem war an einer Amtseinführungszeremonie bei klirrendem Frost gelegen?

Ich stockte, als ich etwas bemerkte: Mir fiel der Name des zwölften Monats nicht mehr ein. Waren die Erinnerungen doch nur unvollständig zurückgekehrt? Hitze wallte in mir hoch.

»Das mag wohl sein«, sagte ich, um die erneut aufkeimende Unsicherheit zu überspielen. »Ich glaube, dieses Wetter und die Gefahr eines Spinnenregens machen uns allen ein bisschen zu schaffen.« Ich räusperte mich. »Aber nun genug über das Wetter geschwatzt«, sagte ich, bevor die Unterhaltung in noch größere Belanglosigkeiten abdriftete. »Ich muss in die Stadt. Um diese Zeit gibt es auf dem Markt die besten Stücke. Vielleicht sehen wir uns dort.«

Wir verabschiedeten uns, und Ellil-malik trottete zurück zu seinem Einbaum.

Ich rückte das Tuch über meinem Linnengewand zurecht und ging auf die Stadtmauer zu. Der Geruch des jungen Tages ließ mich ein wenig zur Ruhe kommen.

Ja, ich hatte für einen Augenblick das Gedächtnis verloren, ja, mir waren sonderbare Gedanken durch den Kopf gegangen, aber deshalb durfte ich mich nicht verrückt machen. Vielleicht lag es wirklich nur an dem ungewöhnlichen Wetter. Und solange ich nicht wie Ellil-maliks Karpfen freiwillig in den Weidenkorb eines Häschers sprang, war alles bestens.

 

*

 

Ich ließ den Fischer, den Palmenhain und das Gefühl, dass etwas nicht mit mir stimmte, hinter mir. Wie hatte ich ernsthaft denken können, dass diese Welt nicht meine war? Der Geruch des Grases, das Kitzeln der Halme auf der Haut, wo die Sandalen...