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Exzellente Pflege von Menschen mit Demenz entwickeln

Caroline Baker

 

Verlag Hogrefe AG, 2016

ISBN 9783456755472 , 208 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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25,99 EUR

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1. Person-zentrierte Pflege in der Praxis


In diesem Kapitel zeige ich, wie person-zentrierte Pflege in der Praxis funktioniert. Viele Mitarbeitende in der Pflege sind skeptisch und meinen, person-zentrierte Pflege sei sehr zeitaufwändig und erfordere mehr Personal als die herkömmliche Pflege. Doch bei korrekter Durchführung ist genau das Gegenteil der Fall, weil wir mit den Bewohnern arbeiten und nicht gegen sie. Der Begriff «person-zentrierte Pflege» erscheint in vielen Zielsetzungen und Strategien, aber es ist wichtig zu wissen, was er wirklich bedeutet und wie sich die Pflege verändert, wenn wir uns an die Vorgaben halten.

Der Begriff «person-zentrierte Pflege» wird häufig verwendet. Er erscheint in Zielsetzungen, Publikationen der Regierung und Merkblättern und hat den etablierten Begriff «individualisierte Pflege» anscheinend ersetzt. Die Folge davon ist, dass die Mitarbeitenden häufig nicht wissen, welche der vielen unterschiedlichen Interpretationen der person-zentrierten Pflege richtig ist und wie dieser Ansatz in die Praxis umgesetzt werden kann.

In diesem Buch erscheinen durchgängig Beispiele, die zeigen, wie die person-zentrierte Pflege in der Praxis implementiert wird. Sie ist komplex weil sie viele Facetten hat, die sicherstellen, dass alles berücksichtigt und wenig dem Zufall überlassen wird.

Person-zentrierte Pflege ist der einzige Weg, der nach vorne führt – Rückschritte gibt es nicht – und es gibt Belege dafür, wie überzeugend die Ergebnisse sein können: Bewohner, denen es gut geht und die sich gut betreut fühlen, nach Möglichkeit über ihr Schicksal selbst entscheiden können und die nicht, wie andere Bewohner, ängstlich, verletzlich und einsam sind.

1.1 Die ersten Jahre


Interessanterweise wusste man bereits 1967, dass ältere Menschen nicht angemessen gepflegt wurden und dass man dies ändern musste. Rolph (1967) berichtete von entsetzlichen Zuständen und Misshandlungen, aber er wusste auch, was zu tun war und suchte, geleitet von der Idee der «Absicherung», nach einer Institution, um Menschen vor körperlichen Beschwerden, emotionalem Missbrauch und Deprivation zu schützen.

Ich bin mir nicht sicher, ob es ganz klar war, was person-zentrierte Pflege eigentlich bedeutete, bevor man sie auf ganzer Linie praktizierte. Als ich in den 1980er-Jahren Pflegeassistentin war, erkannte ich, dass einige Dinge, die ich sah und die ich tun musste, absolut nicht person-zentriert waren. Aber als ich Zweifel daran äußerte, merkte ich, was man von mir erwartete: die durch und durch aufgabenorientierte Routine zu akzeptieren, wenn ich nicht als langsam oder faul gelten wollte. Auf der arbeitsintensiven Station ging es hauptsächlich darum, die Patienten sauber, beschwerdefrei und satt zu halten und darauf zu achten, dass sich keine Druckgeschwüre bildeten. Patienten waren eben Patienten, die wegen ihrer kraftraubenden Demenz Betreuung rund um die Uhr benötigten.

Dabei waren die meisten Pflegenden durchaus am Wohl ihrer Patienten interessiert, aber da eine Pflegeperson acht hochgradig pflegebedürftige Patienten zu betreuen hatte, gab es kaum eine andere Möglichkeit, als die Routine strikt einzuhalten. Leider war die Routine oft Anlass für Streitereien mit den Patienten, die rechtzeitig gewaschen und angekleidet sein mussten. Das bedeutete für die Patienten (und Pflegenden) oft Erschöpfung und Stress. Hatten die Patienten ihre eigenen Kleidungsstücke nicht parat, wurde Ersatz aus dem «Bestand der Station» beschafft, der meistens nicht richtig passte.

Auch die Mahlzeiten waren ähnlich chaotisch, da zwei Patienten von einer Pflegeperson abwechselnd Essen angereicht wurde. Anschließend ging es zur Toilette, wo die Patienten sich in ihren Rollstühlen anstellten und warteten, bis sie an die Reihe kamen. Getränke wurden auf einem Wagen gebracht, ein großer Becher mit Tee oder Milchkaffee. Jeder bekam Zucker und Milch, außer die Diabetiker und Diabetikerinnen.

Gebadet wurde, wenn der Patient an der Reihe war (gewöhnlich sieben Tage nach dem letzten Bad). Das Ganze dauerte ca. acht Minuten – eher ein «Desinfektionsbad für Schafe» als ein angenehmes, entspannendes Badeerlebnis – aber wir wussten: Die Patienten waren sauber, ihre Haare gewaschen und ihre Nägel ordentlich geschnitten.

Die nächtliche Routine war davon bestimmt, wie viele Patienten die Nachtschicht am Morgen aus dem Bett bekommen hatte; wir brachten dann die gleiche Anzahl von Patienten ins Bett. Die übrigen Patienten wurden gewaschen und in ihr Nachtzeug gesteckt, weil wir wussten, dass die Nachtschicht weniger Ressourcen hatte und unter Zeitdruck stand.

Nachts wurde jeder kontrolliert, mindestens alle zwei Stunden. Bettlaken wurden zurückgezogen oder die Hände unter die Bettdecke gesteckt, um zu prüfen, ob die Patienten inkontinent waren. Wenn ja, wurden sie sauber gemacht und wieder eingepackt.

Das war Minimalpflege – eine Pflege, die dafür sorgt, dass alle satt und sauber sind.

1.2 Angriffe vonseiten der Medien


Trotz der minimalistischen Pflege in diesen ersten Jahren war die Mehrheit der Pflegenden am Wohl ihrer Patienten interessiert. Es war nicht Mangel an gutem Willen, sondern der Faktor Zeit, der weitere Maßnahmen, wie psychologische oder soziale Interventionen, verhinderte.

2011 offenbarte eine Dokumentation die Zustände in Winterbourne View (DH, 2012), die so grausam waren, dass integre Betreuer und ausgebildete Pflegepersonen im ganzen Vereinigten Königreich sich vor Scham wanden, den Fernseher anschrien und ihre Taschentücher hervorholten. Fixierung war hier die erste Intervention der Wahl und nicht das letzte Mittel und zudem diente sie gelegentlich auch der Belustigung des Personals.

Es war widerwärtig, tief verwurzelt und ein Teil der Kultur – einer Kultur, die wachsen und sich entwickeln konnte und anscheinend für die Mitarbeitenden zur «Norm» geworden war. Die Leiter der Abteilung waren zwar nicht direkt an den Misshandlungen beteiligt, hatten aber die Augen davor verschlossen und waren somit genauso mitschuldig wie die Mitarbeitenden, die die zu Betreuenden misshandelt hatten.

Die Öffentlichkeit war entsetzt und manche waren überzeugt, dass diese Art von «Pflege» sehr verbreitet sei und Praktiken dieser Art nur dann geschehen könnten, wenn sie toleriert seien. Auch externe Kontrolleure hatten nichts bemerkt und viele Menschen fragten sich, wie man solche Praktiken zulassen konnte.

Die ganze Pflegeindustrie wurde von den Medien, der Öffentlichkeit und den Kontrolleuren attackiert, die alles dafür tun wollten, dass solche Praktiken sich nicht weiter verbreiteten – war dies nicht die Zeit der person-zentrierten Ansätze?

Kurze Zeit später erschien der Francis-Bericht (Francis, 2013), demzufolge ein lokales Krankenhaus nach zahlreichen Beschwerden von Angehörigen gründlich unter die Lupe genommen wurde. Hier ging es nicht um Fixierung und Misshandlung, sondern darum, dass schlechte Pflegestandards und mangelhafte Kommunikation zwischen relevanten Behörden toleriert und damit für die Patienten zu einem Risiko wurde.

Kein Wunder, dass die Öffentlichkeit Bedenken hat, ihre Angehörigen den Einrichtungen im Gesundheitswesen anzuvertrauen, aber es gibt auch gute Pflegeheime (und Krankenhäuser), die wirklich einen person-zentrierten Ansatz praktizieren und für die Bewohner und Bewohnerinnen (bzw. Patienten und Patientinnen) nur das Allerbeste wollen; und wie dies erreicht werden kann, werden die folgenden Kapitel hoffentlich zeigen.

1.3 Der Beginn der person-zentrierten Pflege


Nach der Gründung des NHS und der Einführung des Community Care Act (1990) Anfang der 1990er-Jahre, wurden die großen Einrichtungen, in denen Menschen mit psychischen Problemen behandelt wurden geschlossen und die Patienten in gemeindenahen Settings (community settings) untergebracht. Keine kahle Wände, lange Flure und Linoleumböden mehr; stattdessen kleinere Abteilungen, mit Teppichboden ausgelegte Flure, Dekor und Bilder sowie gemütlich ausgestattete Einzelschlafzimmer. Einige Organisationen schafften sogar die traditionelle Dienstkleidung ab, um den Eindruck einer Institution noch weiter zu mindern. Dank der gemütlichen Ausstattung der neuen Umgebung wirkten die Heime nicht mehr wie große Institutionen und die Mitarbeitenden konnten die Erfahrung machen, dass die Pflege auch auf völlig andere Art durchführbar war. Es war für sie wohl nicht so leicht einzusehen, dass ihr Arbeitsplatz das Zuhause der Bewohner und Bewohnerinnen war.

Doch erst nachdem wir an der University of Bradford einen Kurs in Dementia Care MappingTM (University of Bradford, 2005) absolviert hatten, wurde uns klar, was die person-zentrierte Pflege für Menschen mit Demenz bedeutet.

Einer der Kursleiter war Tom Kitwood, ein äußerst überzeugender Mann. Sein Rollenspiel, bei dem es um das Einfühlen in Menschen mit Demenz ging, war unglaublich, seine Erkenntnisse beeindruckend. Das Thema damals (unser Kurs beschäftigte sich gerade mit der 6. Auflage) war die Reduzierung der bösartigen (malignen) Sozialpsychologie (Kitwood, 1997) – Dinge, die wir, meist ohne es zu wollen, anderen antun oder sagen (oder die wir nicht tun bzw. nicht sagen) und die einen großen Einfluss auf die von uns betreuten Menschen haben können.

Manche Kursteilnehmer weinten zu Hause, weil sie über Situationen nachdachten, in denen sie Patienten unabsichtlich bevormundet oder wie Kinder behandelt hatten, obwohl sie glaubten, ihnen zu helfen. Sie wollten die...