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Das Café zwischen Himmel und Erde

Max Lucado

 

Verlag Francke-Buch, 2016

ISBN 9783868278101 , 279 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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13,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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Kapitel 1

Schon mit einer einzigen Tasse Kaffee konnte Chelsea Chambers die Welt erobern. Jetzt war es sechs Uhr morgens und sie hatte bereits mehrere Tassen getrunken. Vier, um genau zu sein. Dieser Tag schrie aber auch förmlich danach, denn heute eröffnete sie das Café ihrer Familie wieder. Das idyllische zweistöckige Gebäude lag in einem der ältesten Stadtviertel von San Antonio, dem King William District. Seit vielen Jahrzehnten empfing das altehrwürdige Haus hier seine Stammkundschaft. Während knapp zwei Kilometer entfernt die Wolkenkratzer wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, hatte sich der King William District seinen historischen Charme bewahren können. Alte, schindelgedeckte Häuser mit Dachgauben und schönen, hölzernen Eingangsterrassen, die von Pekannussbäumen flankiert wurden, standen im Schatten von dreißigstöckigen Bankgebäuden und Hotels.

Hier, in dieser Umgebung, war Chelsea aufgewachsen. Im Jahr 1968, gerade rechtzeitig zur Weltausstellung „Hemisfair“ in San Antonio, hatte ihre Großmutter Sophia das Erdgeschoss ihres viktorianischen Hauses in ein Café umgewandelt. Der Zusammenfluss der verschiedensten kulturellen Einflüsse in den beiden Amerikas war damals das Thema der Ausstellung gewesen und Sophia Grayson hatte die Türen ihres Cafés für die Gäste aus aller Welt geöffnet. Sogar Lady Bird Johnson, die Frau des damaligen Präsidenten Lyndon B. Johnson, hatte dem Café einen Besuch abgestattet – so war es Chelsea von ihrer stolzen Großmutter immer wieder erzählt worden. „Die First Lady hat genau da auf diesem Sofa gesessen und einen Cappuccino getrunken!“

Chelsea warf einen Blick auf das antike Queen-Anne-Sofa mit Blumenmuster, das nach all den Jahren immer noch an seinem Platz stand. Jede Nische, jeder Quadratmeter des Cafés war voller Erinnerungen. Nachdem Chelseas Großmutter Sophia gestorben war, hatte ihre Mutter Virginia das Erbe fortgeführt. Ganz im Sinne der Gastfreundschaft ihrer Mutter hatte sie ihren Gästen eine heiße, tröstende Tasse Kaffee sowie ein Stück Kuchen serviert und ihnen das eine oder andere Mal auch ein ermutigendes Gebet angeboten.

Nun war es an Chelsea, diese Tradition fortzuführen. Ihre Mutter hatte testamentarisch verfügt, dass Chelsea die 110 Quadratmeter große Wohnung im Obergeschoss bewohnen und das Café im Erdgeschoss wieder eröffnen sollte. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Die Leute waren immer in Eile und die Cafés trendy und durchgestylt. Die antiken Lampen, weichen Sofas, zierlichen Teetische und Holzböden in Chelseas Café hatten so gar nichts gemein mit den modern eingerichteten, angesagten Barista-Bars. Dennoch hoffte Chelsea, dass sich die früheren Stammkunden erneut vom Charme der „guten alten Zeit“ verzaubern ließen.

Die antike Standuhr in der Ecke schlug 6:30 Uhr. Chelsea schob ihre Gedanken beiseite und sah sich noch einmal prüfend um. Auf einer großen Schiefertafel standen in ihrer schönsten Handschrift die Angebote des Tages und die gläserne Theke offenbarte einen Blick auf Chelseas ganzen Stolz: Croissants und Cupcakes, nach geheimen Familienrezepten selbst gebacken. Die blauen Schwingtüren hinter der Theke verbargen eine blitzsaubere Küche, die sie an diesem Morgen bestimmt zehnmal geputzt hatte. Nun gab es nichts mehr zu tun.

Chelsea schloss die Eingangstür auf und schaltete das Retro-Neonschild im Fenster ein. „Hiermit ist das Higher Grounds Café offiziell wieder eröffnet!“, verkündete sie stolz. Der Name des Cafés, „Higher Grounds“, war gleichzeitig Programm – jeder Kunde sollte das Café in gehobener Stimmung verlassen. Chelsea, die den Namen beibehalten hatte, konnte nur hoffen, dass sie diesem Anspruch auch gerecht werden würde.

„Ist das nicht alles furchtbar aufregend?“, fragte sie ihren einzigen Angestellten. Tim nickte und zupfte an seinem sorgfältig nach oben gezwirbelten Schnauzbart. Das war weder besonders hygienisch noch wirkte es auch nur irgendwie begeistert. Vom Lebenslauf her war Tim der perfekte Mitarbeiter für Chelseas Café. Nach Abschluss seines Studiums an der Universität von Texas war er nach Rom gegangen und hatte dort gelernt, wie man einen ordentlichen Espresso zubereitet. Er sprach Italienisch und Spanisch und bezeichnete sich selbst als Frühaufsteher. Insgeheim fragte sich Chelsea jedoch, wie Tims Laune wohl um die Mittagszeit aussehen würde.

„Das ist ein historischer Moment!“, sagte sie in der Hoffnung, Tim wenigstens eine etwas enthusiastischere Reaktion entlocken zu können. Doch vergebens: Tims Gesichtsausdruck blieb unverändert. Allerdings trug er diese gequälte, ernste Miene fast immer zur Schau. Chelsea beschloss deshalb, sich davon nicht den Tag verderben zu lassen.

Der zwölfjährige Hancock polterte die Stufen aus dem Obergeschoss hinunter. Er trug ein viel zu großes Football-Shirt der „Dallas Cowboys“, auf dem der Name seines Lieblingsspielers, Chambers, stand. Er sah sich im Café um. „Wann öffnest du?“

„Wir haben geöffnet“, erwiderte Chelsea.

„Ja … aber … wo sind die Gäste?“ Hancock verstand es vorzüglich, Chelsea an sich selbst zweifeln zu lassen.

„Die werden schon noch kommen“, gab sie zur Antwort. „Wo ist deine Schwester?“

Genau in diesem Moment kam Emily die Stufen heruntergerannt, ein sechsjähriges Ebenbild ihrer Mutter. Doch während Chelsea unauffällige Kleidung bevorzugte, liebte Emily alles, was glitzerte. Ihre rosafarbenen Riemchen-Ballerinas, mit Glitter besetzt, waren der offensichtliche Beweis dafür.

„Hancock hat mir beim Anziehen geholfen“, verkündete sie stolz.

Chelsea bewunderte Emilys bunt zusammengewürfeltes Outfit, das von Streifen bis hin zu Pailletten so ziemlich alles abdeckte, und musste lächeln.

Die Chelsea, die sie noch gestern gewesen war, hätte ihre Kinder dazu gezwungen sich umzuziehen, bevor sie so gekleidet zur Schule gingen. Doch die neue Chelsea drückte ihren Kindern zum Frühstück Schokoladenmuffins in die Hand und zog eine Spur von Krümeln und Glitter nach sich, während sie die beiden zum Bus brachte.

* * *

„Ich hoffe, du kannst den Ansturm alleine bewältigen“, rief sie Tim beim Hinausgehen zu. Tim hielt als Antwort den Daumen in die Höhe.

Während Chelsea mit Hancock und Emily zum Bus eilte, fröstelte sie in der kalten Januarluft. Doch der Himmel zeigte sich in einem strahlenden Blau.

„Komm, lass uns deine Jacke zumachen“, sagte Chelsea und zog am Reißverschluss von Emilys Jacke. Dabei warf sie einen Blick auf die Eingangstür des Cafés und das schindelgedeckte Dach mit den pittoresken Gaubenfenstern.

Weinreben rankten sich entlang der Veranda, auf der zwei hölzerne Schaukelstühle standen. Der englische Rasen im Vorgarten wurde durch einen schmalen Fußweg in zwei Hälften geteilt. Wäre da nicht das „Higher Grounds Café“-Neonschild gewesen, hätte man das Gebäude für ein ganz normales, altes Wohnhaus halten können.

Es ist kaum zu glauben, dass das alles mir gehört. So viele Erinnerungen sind mit diesen Gemäuern verknüpft.

Doch mit jeder viktorianischen Häuserzeile, an der sie vorbeikamen, und jedem renovierten Haus im Kolonialstil, das sie passierten, erschien Chelsea ihr Familienerbe weniger einzigartig. Mit einem Mal kamen ihr unzählige Ideen, was sie an ihrem Haus noch verbessern müsste:

Neue Schaukelstühle für die Veranda kaufen

Fenster putzen

Blumen pflanzen … nein … erst mal lernen, Blumen zu pflanzen

* * *

„Du musst nicht mit uns hier an der Haltestelle warten“, riss Hancocks Stimme sie aus ihren Gedanken. Da kam der gelbe Schulbus bereits in Sicht. „Wir gehen diesen Weg doch schon seit zwei Monaten.“

Einen Moment lang sah Chelsea ganz deutlich die Züge von Hancocks Vater im Gesicht ihres Jungen – hohe Wangenknochen, große Augen, so blau wie der Himmel von Texas, blonde Haare und eine schmale, fast zarte Nase.

Ich hoffe nur, dass er nicht auch seine wilde Seite geerbt hat.

„Du hast recht, Hancock. Nach der Schule könnt ihr ja alleine vom Bus zurück nach Hause laufen, okay?“

Chelsea drehte sich zu Emily, die vor Aufregung ganz aus dem Häuschen war. „Hast du deine Lunchbox?“

„Si, madre“, erwiderte Emily fröhlich und klopfte auf ihren Rucksack. An ihrer neuen Schule lernte sie Spanisch und Emily liebte es, die erlernten Wörter direkt auszuprobieren.

Chelsea umarmte sie gerührt und wollte auch Hancock zum Abschied drücken, als sie den panischen Blick in seinen Augen bemerkte. Sie erinnerte sich daran, dass auch sie in diesem Alter nicht mehr gerne in der Öffentlichkeit von ihrer Mutter hatte umarmt werden wollen.

„Hancock, wir alle haben in der vergangenen Zeit viel durchgemacht – danke, dass ich mich immer auf dich verlassen konnte.“

* * *

Als der Bus davonfuhr, atmete Chelsea langsam tief ein. Das war eine neue Angewohnheit, denn normalerweise vergaß sie in der Hitze des Gefechts das Atmen oft komplett. Sie eilte zurück zum Café und kam gerade rechtzeitig, um ihren allerersten Kunden zu empfangen. Bo Thompson war mit seinen fast 1,90 Metern und siebzig Jahren eine unvergessliche Erscheinung, ein sanfter Riese. Er war einer der treuesten Stammkunden im Café ihrer Mutter gewesen und gleichzeitig einer der letzten, die bis zum Schluss regelmäßig gekommen...