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Ebu Gogo

Gard Spirlin

 

Verlag neobooks Self-Publishing, 2016

ISBN 9783738059861 , 253 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

Kapitel 1


Es vergingen dann doch etwas mehr als sechs Wochen, bis Dr. van Houten in Begleitung des Genetikers Karim Samet wieder indonesischen Boden betrat. Im zentral gelegenen Hotel Pangeran in Padang bezogen sie Quartier, wo kurz darauf Bud Waters zu ihnen stieß, um bei letzten Vorbereitungen zur Hand zu gehen. Während Karim, ein schlanker und ernster junger Mann, sich mit Bud daran machte, das empfindliche mobile DNA-Labor aus seiner Spezialverpackung zu befreien, traf auch Deborah ein, um den Expeditionsleiter zum nahe gelegenen Markt zu begleiten, wo sie das letzte Teammitglied, Ellen Sindar, treffen wollten. Am vereinbarten Treffpunkt, einem Brunnen aus der Kolonialzeit, war von Ellen allerdings noch nichts zu sehen, daher beobachteten Deborah und van Houten während des Wartens das bunte Treiben und tauschten Informationen über die vergangenen Wochen der Vorbereitung aus.

Lange blieben sie allerdings nicht allein, denn besonders Dr. van Houten fiel durch seine blasse Haut und die Kleidung sofort als Ausländer auf. Schon bald umringte sie eine kleine Schar indonesischer Straßenjungen. Ein besonders vorwitziger halb nackter Bengel zupfte ihn sogar an der Hose und forderte frech: »Gib Dollar!«

»Ich habe keinen Dollar«, erklärte der Angesprochene und schob den Jungen zur Seite.

»Dann gib Euro«, verlangte nun der Quälgeist und zog nun nachdrücklich an van Houtens Hosenbein.

»Jetzt reicht’s aber, verschwindet, hopp, hopp!«, schaltete sich Deborah ein und klatschte zur Bekräftigung energisch in die Hände, worauf die Bande auseinander stob.

Der Doktor aber fasste sich plötzlich erschrocken an die Gesäßtasche und rief: »Der Kerl hat meine Brieftasche geklaut! Stop! Bleib sofort stehen, du kleine Kröte!« Der Dieb dachte natürlich gar nicht daran, der Aufforderung nachzukommen, drehte sich jedoch im Laufen um, wohl um nachzusehen, ob der Bestohlene ihn verfolgte. Dadurch sah er die junge Frau nicht, die ihm blitzschnell in den Weg trat, ihn im Vorüberlaufen an der Hüfte packte und – seinen Schwung ausnützend – auf ihre Schulter wuchtete. Mit dem strampelnden Kerlchen auf der Schulter nahm sie grinsend Kurs auf den Brunnen, wo der Anthropologe das Geschehen mit vor Erstaunen offenem Mund beobachtete.

»Hallo Deb! Dr. van Houten, nehme ich an?«, sagte sie, als sie mit ihrer Last dort ankam, den verhinderten Taschendieb absetzte, ihm die Brieftasche aus den Fingern nahm und sie dem sprachlosen Doktor hinhielt. Dann gab sie dem Burschen einen Klaps auf sein Hinterteil und ließ ihn los, woraufhin er wie der Blitz losrannte und in der Menge verschwand.

»Ja, der bin ich. Und Sie müssen Ellen Sindar sein.« Sichtlich erleichtert steckte van Houten seine Brieftasche wieder ein. »Vielen Dank, aber hätte man den Bengel nicht bei der Polizei abliefern sollen?«

»Wozu? Die lassen ihn sowieso sofort wieder laufen, sobald wir weg wären. Außerdem ist ja nichts passiert.« Sie umarmte Deborah, was Dr. van Houten Gelegenheit gab, die junge Frau ausführlicher zu mustern: Drahtige – fast knabenhafte – Figur, die in Khaki-Shorts und armeegrauem Tanktop gut zur Geltung kam, strahlend blaue Augen und kurzes Blondhaar. Leicht irritiert sagte er: »Wie Sie den Burschen geschnappt haben, das war ja fast zirkusreif. Machen Sie so etwas öfter?«

»Na ja, die gleiche Nummer probierte ich einmal mit einem Tiger, aber da ist sie mir nicht so gut gelungen.«

»Mit einem … Tiger

»Ja, er hat mich überrascht. Nach einer kleinen Balgerei konnte ich ihn aber überzeugen, die Tatzen von mir zu lassen. Er hinterließ mir allerdings auch ein kleines Andenken, sehen Sie?« Ellen drehte sich um und schob ihr Tanktop ein wenig hoch, sodass der Wissenschaftler die drei parallelen Narben sehen konnte, die quer über ihren Rücken verliefen.

»Wie … sind Sie ihm entkommen? Hatten Sie eine Waffe?«

»Um Gottes willen, nein! Und selbst wenn: Deborah hätte mich umgebracht, falls ich den Tiger erschossen hätte.«

»Aber … wie dann?«

»Es war ein männliches Tier, und die besitzen Hoden …«

Etwas in Ellens Blick bei diesen Worten bewog Dr. van Houten dringend zu einem Themenwechsel.

»Ähm, wie sieht es denn mit den Geländewagen aus, Ellen? Haben Sie welche besorgen können, wie per E-Mail vereinbart?«

»Ja, alles klar, wir können jederzeit starten. Die Frage ist jetzt nur mehr: Wann geht es los?« Van Houten blickte fragend zu Deborah, aber die deutete nur ein Schulterzucken an.

»Na gut, dann würde ich sagen: Packen wir es morgen früh an, sofern von Karim und Bud nicht noch Einwände kommen sollten. Sie und Deborah verständige ich heute Abend noch telefonisch, um welche Zeit wir uns genau treffen.«

»In Ordnung, die beiden Autos bringe ich mit Deborahs Hilfe morgen vollgetankt zum Hotel. Bis dann also!«

»Bis dann!«

Dr. van Houten begab sich auf den Rückweg zum Hotel, während Deborah und Ellen noch beim Brunnen stehen blieben. Als er sich außer Hörweite befand, wandte sich Deborah lächelnd an Ellen.

»Was hast du dem Straßenjungen bezahlt, um dich vor Dr. van Houten passend zu präsentieren?«

»Gar nichts«, grinste Ellen, »Er war mir sowieso noch einen Gefallen schuldig, und ist außerdem der Sohn meiner Nachbarn.«

»Und mit deiner Tigergeschichte musstest du ja auch unbedingt wieder angeben!«

»Wieso? Die stimmt ja auch! Ich vergesse nur immer zu erwähnen, dass es sich um ein relativ junges Tier handelte«, schmollte Ellen, um kurz darauf ernst fortzufahren: »Aber das war mir wirklich eine Lehre, anschließend habe ich mir geschworen, in der Wildnis nie wieder ein Geschöpf zu unterschätzen.«

»Was hältst du von unserer Expedition? Du warst ja immer sehr skeptisch, was die Affenmenschen betrifft.«

»Stimmt, ich war hier so oft im Urwald unterwegs und habe bis zum heutigen Tag noch nie einen Orang Pendek – oder meinetwegen auch Ebu Gogo – entdeckt. Versteh’ mich bitte nicht falsch, Deb, ich glaube dir natürlich, dass du damals … etwas gesehen hast. Aber seitdem sind schon einige Jahre vergangen und vielleicht gibt es einfach keine mehr.«

»Die Möglichkeit habe ich auch schon in Erwägung gezogen, aber da hilft nur eines, nämlich nachsehen!«

»Bin ganz deiner Meinung. Ist außerdem viel interessanter, als fette australische Millionäre durch den Dschungel zu lotsen und denen Tiere vor die Kameralinse zu treiben. Also: Vielen Dank, dass du an mich gedacht hast!«

»Gern geschehen!«

»Was ist, Deb, nehmen wir noch einen Drink?«

»Nein danke, lieber nicht. Wir müssen morgen früh raus – und außerdem weiß ich, dass du mich nur wieder betrunken machen willst …«

Ellen zwinkerte der Älteren zu und sagte mit kokettem Augenaufschlag: »Ach so? Stehst du vielleicht eher auf Dr. van Houten?«

»Ach was, der ist ein ganz lieber Kerl, aber nicht mein Typ und zudem für meinen Geschmack zu alt!«

»Äh, ich dachte, er ist in deinem Alter?«

»Ja. Eben«, grinste Deborah.

 

Inzwischen betrat Dr. van Houten das Hotelzimmer, das er mit Karim teilte. Von dem Fußboden der geräumigen Suite war nahezu nichts mehr zu sehen. Überall lag aufgerissenes Verpackungsmaterial, und an den Wänden stapelten sich leere Kartons. Die Betten glichen einem Warenlager für Outdoor-Ausrüstung, und der Schreibtisch, auf dem in der Mitte das DNA-Labor thronte, war zur Technik-Zentrale mutiert.

»Was ist denn hier los?« Von der Eingangstür her versuchte Dr. van Houten sich einen Weg durch das Chaos zu bahnen. »Morgen früh starten wir – und hier sieht es aus wie nach einem Bombeneinschlag!«

»Hallo Doc!«, begrüßte ihn Bud. »Wir laden gerade ein Software-Update für das DNA-Labor herunter, nur die Datenrate hier im Hotel ist leider erbärmlich. Dann verfügen wir auf der Affenjagd über die neuesten Datenbanken.«

»Es sind keine Affen, das sagte ich Ihnen doch schon!«

»Ja, ich weiß, ist aber einfacher auszusprechen als ›Jagd auf den Homo floresiensis‹. Was ich Sie übrigens fragen wollte: Warum suchen Sie die Urmenschen nicht drüben auf der Insel Flores, wo Sie die Knochen gefunden haben?«

»Eine durchaus berechtigte Frage, Mr. Waters. Laut den Legenden der heutigen Bewohner von Flores sollen ja Nachfahren des Homo floresiensis bis in die vorkoloniale Zeit dort gelebt haben. Die Einheimischen nannten sie Ebu Gogo, was in etwa bedeutet ›Großmutter, die alles isst‹. Der Name stammt wohl daher, weil diese kleinen Urmenschen laut Überlieferung offenbar in den Dörfern immer wieder Lebensmittel stahlen – wahrscheinlich, weil ihr Lebensraum immer mehr eingeengt, und somit ihre Nahrungsgrundlage immer schmaler wurde. Wie auch immer, die Menschen tolerierten die Angewohnheiten ihrer kleinen Nachbarn bis zu einem gewissen Grad – ja, sie stellten ihnen angeblich sogar hin und wieder Essen bereit.«

»Klingt nach halbwegs harmonischem Zusammenleben.«

»Ja, aber leider nimmt die Legende kein gutes Ende: Als in einem Menschendorf ein Baby spurlos verschwand, verdächtigte man die Ebu Gogo, es gestohlen und sogar aufgegessen zu haben. Daraufhin versammelten sich die Bewohner, zogen zu der Höhle der Urmenschen und räucherten sie aus. Seitdem wurde kein Ebu Gogo auf Flores mehr gesehen.«

»Schrecklich … aber wenn man die Geschichte der Menschheit betrachtet, klingt das für mich durchaus plausibel«, sinnierte Bud.

»Für mich auch«, meinte der...