dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Janis Joplin - Eine Biografie

Ingeborg Schober

 

Verlag Fuego, 2015

ISBN 9783862870899 , 180 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

Geräte

7,99 EUR


 

Ein Mercedes-Benz ist nicht genug


Im Jahr 1995 haut die noch ganz junge Schauspielerin Franka Potente in dem deutschen Spielfilm Nach 5 Uhr im Urwald von zu Hause ab, um sich bei einem Werbe-Casting mit dem Janis-Joplin-Song »Mercedes-Benz« zu bewerben. Gleichzeitig feiern die autoritären Eltern eine nostalgische und wenig bürgerliche Sechziger-Jahre-Party ganz im Sinne von Janis Joplin – mit lauter Rockmusik, etlichen Joints und viel Alkohol.

In gewissen Fernsehserien und TV-Movies über Beziehungsdramen läuft immer dann im Hintergrund ein Janis-Joplin-Song, wenn eine trotzige bis rotzige Protagonistin den Raum betritt. Vielleicht bezeichnete deshalb eine junge Quiz-Kandidatin zum Thema Sechziger-Jahre-Helden den Gesang von Janis Joplin geradezu angewidert als »ziemlich schaurig«.

Janis Joplin ist also immer noch allgegenwärtig, wenn auch nicht unbedingt mit ihrem Namen. Aber als eine Person, die polarisiert. Sie war ein weiblicher Tramp, ruhelos, experimentierfreudig, auch sexuell zügellos, verstieß gegen alle Konventionen und steckte voller Widersprüche. Sie sang schwarz und war weiß, fluchte wie ein Bierkutscher, liebte ausgefallene Kleider und Schmuck, wollte das brave, bürgerliche Mädchen sein, konnte es nicht und pendelte bis zu ihrem Tod zwischen Bürgerlichkeit und Boheme.

Du konntest überall in Amerika auf einem Konzert oder Festival herumlaufen und sie sehen, die Töchter von Janis, die zähen und demolierten kleinen Gesichter, herausfordernd frei von Make-up und anderen kosmetischen Verschönerungen, das Haar eindeutig dreieckig in seiner Elektrizität, die Kleider lang, locker und zigeunerhaft – und, schau Mami, keine Miederhöschen und, noch besser, Brustwarzen!

Lillian Roxon, US-Rockkritikerin

Sie hatte als Mädel damals keine Chance, aber sie nutzte sie – so könnte man den Spagat von Janis in der Männerdomäne Musikgeschäft bezeichnen. Und nicht eine hat nach Janis Joplins Tod mit dieser Wucht und Vehemenz die Rockbühne betreten und erobert. Die angesagten Sängerinnen der Sechziger wie Mama Cass von den Mamas & Papas,_1 Grace Slick von Jefferson Airplane, Cher oder Joan Baez waren kein Vorbild für Janis, die tragische Blues- und Jazzgrößen wie Bessie Smith_2 und Billie Holiday_3 verehrte. Gleichzeitig tobte sie wie ein verfrühtes Punk-Girl im Nuttenlook über die Bühne, sagte lieber »Piss off!« oder »Fuck You!« statt »Wear a Flower in Your Hair!«. Mit ihren Launen und dem rüden Verhalten war sie ein menschlicher Alptraum und selbst für die Musikwelt zu laut. Und schon gleich gar für ihren Geburtsstaat Texas, wo Frauen anders laut sind, nämlich kokett. Als abgetakelte »Pearl« persiflierte sie Hollywood-Göttinnen wie Mae West bis an die Grenze des Kitsches. Sie war himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, mal das kleine, verletzliche, verlorene Mädchen, dann die laut tönende, lärmende, ruppige Blues-Mama mit Boa um den Hals und Federn in den zerzausten Haaren.

Janis' Verhaltensweise stand in starkem Kontrast zum Rollenverständnis einer Frau aus der Mittelschicht und zum Bildungsbürgertum der fünfziger Jahre oder wie die Buchautorin Alice Echols schrieb: »Dies war schließlich das Nachkriegsamerika, in dem Mädchen sexy und nicht sexuell zu sein hatten.« Janis gehörte zu den »Sandwich-Frauen«, die zwischen zwei extrem unterschiedlichen Frauengenerationen ihren eigenen Weg suchten und dabei aufgerieben wurden – der ihrer Mütter und der ihrer späteren »Töchter«, für die sie den Weg bereiteten. Janis war geprägt von der muffigen, moralinsauren und frauenfeindlichen Erziehung der fünfziger Jahre und folglich stark abhängig von der bürgerlichen Fassade und Anerkennung, was natürlich mit ihrer grenzenlosen Rebellion dagegen kollidierte. Ihre künstlerische Leistung wurde von denen, deren Liebe sie gewinnen wollte – also Eltern, Autoritätsfiguren, aber auch Männer –, nicht gewürdigt. Denn sie machte in einer neuen, fremden Welt Karriere, die als suspekt und minderwertig abgelehnt wurde. Insofern war sie eine Wanderin zwischen den Welten, eine tragische Figur, die Grenzen überschritt, aber immer zurück durch den bürgerlichen Gartenzaun wollte. Dieser Spagat hat sie innerlich zerrissen, ihr schwaches Selbstbewusstsein noch mehr unterminiert, ist eine Erklärung dafür, wieso sie Komplexe und Zweifel nicht los wurde. Sie hat sich selbst erniedrigt und sich erniedrigen lassen von männlichen Hochstaplern, Versagern und Schmarotzern, die ihr nicht das Wasser reichen konnten, weit unter ihrer Würde und ihrem Niveau waren. Alice Echols schrieb in ihrem Buch »Piece of my Heart«, Janis sei wie so viele talentierte und gequälte Künstlerinnen eine der letzten berühmten Frauen, deren Tod in gewisser Weise unvereinbar damit verknüpft war, Künstlerin und Frau zugleich zu sein.

Ich bin kein Star!

Janis Joplin

Damit steht Janis nicht allein da als Opfer des Showgeschäfts. Hochbegabte, erfolgreiche Künstlerinnen wie Billie Holiday, Tina Turner oder gar Whitney Houston sind an einem ähnlich schicksalhaften Privatleben gescheitert.

Es waren nicht allein die Drogen, die Janis zerstört und getötet haben, es waren auch der Mangel an Liebe, Vertrauen, Selbstverständnis und gesellschaftlicher Anerkennung, die sie so verzweifelt suchte und die ihr versagt blieben. Trotz allem oder genau deswegen wurde sie im 20. Jahrhundert die einzige weiße Blues-Ikone und Rocksängerin von Star-Format, der bis heute keine das Wasser reichen kann. Doch die eigentliche und späte Würdigung und Wiedergutmachung kam erst in den neunziger Jahren mit der Wiederveröffentlichung ihrer Platten auf CD.

Ich verkauf mein Herz!

Janis Joplin zu Newsweek

Das Phänomen Janis Joplin ist vielschichtig – sie war ohne Platten schon ein Bühnen- und Medienstar, hatte den ersten und einzigen Hit nach ihrem Tod und vollbrachte als weibliche Pionierin in einer männerdominierten Welt einen gefährlichen Drahtseilakt. Was die Männer als Rockstars durften und was sie faszinierend machte, wurde ihr vorgeworfen. Bad boys ja, bad girls nein. Heute würde man sagen, gute Mädchen kommen in den Himmel, böse kommen überall hin. Ganz ohne Frage hat etwa nicht nur Nina Hagen viele der exaltierten Gesangsphrasierungen von Janis studiert und auch die Art und Weise, wie man einen ursprünglich melodischen Song fast bis zur Unkenntlichkeit »zerfetzen« kann, sondern auch modische Anleihen genommen. Anastacia erinnert bisweilen ebenfalls, wenn auch musikalisch in sehr gemäßigt schicker Form, an Janis, nicht zuletzt, weil sie als hippes Accessoire ausgefallene Brillen trägt. Aber welche Frau im Showgeschäft beruft sich schon freiwillig auf ein weibliches Vorbild, das zu seiner Zeit als »hässlich« galt? Die amerikanische Musikerin und Sängerin Melissa Etheridge findet, Janis hätte Frauen wie ihr den Weg geebnet, Rockstars statt Sekretärinnen zu werden. Trotzdem taugte Janis Joplin nicht als weibliches Rollenidol. Auch wenn sie ihren Prototyp erfunden hat, starb er quasi mit ihr, während ihr Gesangsstil, ihre Intensität als Einfluss auf die Rockmusik überall zu orten sind. Kurioserweise aber vor allem bei männlichen Sängern, insbesondere von Heavy-Metal-Bands, die das natürlich nie zugeben würden oder selbst gar nicht merken.

Leute machen Janis nach, selbst wenn sie nicht wissen, dass sie es tun. Meist sind es sogar langhaarige Männer in Heavy-Metal-Bands.

Debbie Harry, Sängerin der US-Band Blondie

Schon Robert Plant von Led Zeppelin kopierte Janis und die Legionen, die ihn kopierten, kopierten ahnungslos wiederum Janis. 1970 schrieb der amerikanische Journalist David Dalton, dass Janis' Rolle als die Frau, mit der man Pferde stehlen kann und die jeden Mann unter den Tisch trinkt, eigentlich nur eine Antwort auf die androgynen Posen männlicher Rockstars sei, die feminine Ausdrucksweisen in den Rock integrieren würden, in denen Frauen nichts zu sagen hätten – also quasi den Frauen die Chance nahmen, eine ähnliche Rolle aus weiblicher Sicht zu spielen.

Janis konnte es nicht einmal sich selbst recht machen: Obwohl sie bewusst provozierte, war sie über das meist schockierende Ergebnis betrübt, ihr Schicksal war es, dass sie eigentlich nirgendwo zu Hause war, nicht einmal in sich selbst, und überall eine andere Bedeutung genoss, als eine andere Janis angesehen wurde. Sie rührte bis tief ins Unterbewusstsein an weiblichen und männlichen Emotionen. Sie kam wie eine Naturgewalt und alle Unwetter zusammen über die Rockszene, wie ein Zugunglück, eine Entgleisung aller weiblichen Tabus, wie eine Dampfwalze, die mit bourbongetränkter Bluesstimme und Angst einflößenden Schreien die Rockbühne im Sturm nahm, ein Punk in Beatnik- und Hippiezeiten, eine Trash-Diva der Sechziger. »Genug ist nicht genug«, ein texanisches Sprichwort, war nun mal ihre Devise. »Oh Lord, won't you buy me a Mercedes-Benz?«

Mercedes-Benz (Songtext; Ausschnitt) 1969

 

Oh Lord won't you buy me a Mercedes-Benz

My friends all drive Porsches,

I must make amends.

Worked hard all my lifetime,

No help from my friends

So, Lord, won't you buy me a Mercedes-Benz?

 

Mein Gott, kaufst du mir nicht einen Mercedes-Benz?

Meine Freunde fahren alle Porsche,

ich brauche eine Wiedergutmachung.

Ich habe mein ganzes Leben lang hart gearbeitet,

ohne Hilfe von meinen...