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Codename Caesar - Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie

Garance Le Caisne

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2016

ISBN 9783406692123 , 250 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet freigegeben

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Prolog


Im Frühjahr 2014, als ich von einem Redakteur damit beauftragt werde, mich auf die Suche nach Caesar zu begeben, erscheint mir das wie eine Selbstverständlichkeit. Dieser Mann, ein ehemaliger syrischer Militärfotograf, hat Beweise für Verbrechen gegen die Menschlichkeit außer Landes gebracht, wie niemand vor ihm es gewagt hat. In allen Medien hat sich die Nachricht von einem verbreitet, der Tausende von Dokumenten und Fotos kopiert hat, die auf einem Rechner der Militärpolizei von Damaskus lagen und Gefangene zeigen, die in den Kerkern des Regimes den Tod gefunden haben.

Zwei Jahre lang hat dieser namenlose Held Monat für Monat Kopien von Bildern angefertigt, auf denen gefolterte, verhungerte, mit Brandwunden übersäte Leichen zu sehen sind, gekennzeichnet mit Nummern, die man ihnen direkt auf die Haut geschrieben hat. Heimlich hat er die Fotos, die er auf Befehl seiner Vorgesetzten gemacht hatte, um das Ableben von Gefangenen zu dokumentieren und zu archivieren, auf USB-Sticks übertragen und in seinem Gürtel oder seinen Schuhen hinausgeschmuggelt.

Die Terroristen des sogenannten Islamischen Staats stellen ihre Barbarei in den sozialen Netzwerken zur Schau. Der syrische Staat verbirgt die seine in der Verschwiegenheit seiner Kerker. Nie zuvor hatte ein Zeuge aus dem Innern des Regimes Beweise für die Existenz der syrischen Todesmaschinerie geliefert. Caesar hat es getan. Seine Aufnahmen und Dokumente sind unerträglich, die Beweislast ist erdrückend.

Die Gruppe, die Caesar geholfen hatte und die versuchte, westliche Regierungen und internationale Medien aufzurütteln, machte Station in Paris. Einer der Verantwortlichen gab mir ein Interview über den «Archivar des Grauens» für Le Journal du Dimanche.

Zur selben Zeit bereiteten wir mit der Fotografin Laurence Geai eine Reportage in Aleppo vor, die im Sommer 2014 im Nouvel Observateur veröffentlicht werden sollte. In den von der Opposition gehaltenen Vierteln wurden wir Zeuge, mit welcher Entschlossenheit das Regime einen Teil seines Volkes auslöschen und der Vergessenheit preisgeben will. An einem Mittwochmorgen schlugen binnen zweier Stunden drei Bomben ein, keine 200 Meter von uns entfernt. Wir sahen einen jungen Mann sterben, den wir an diesem Tag für unsere Reportage begleiten wollten und mit dem wir am Abend zuvor noch zusammengesessen und gelacht hatten. Wir sahen die zerfetzten Leiber. Die TNT-Fassbomben, die von den Helikoptern der Armee Baschar al-Assads abgeworfen worden waren. Wir sahen, wie Leichenteile verscharrt wurden, und vor allem sahen wir die Gräber, die von den Angestellten der Leichenhallen ausgehoben wurden für Opfer, bei denen niemand die Herausgabe der Leiche gefordert hatte.

Caesar zu finden wurde immer dringlicher. Der spektakuläre Vormarsch des sogenannten Islamischen Staates (Daesch) und die gehäuften Attentate seiner Anhänger führten dazu, dass Hinweise auf Gräueltaten des Regimes immer weniger Gehör fanden. Mehr als 220.000 Tote hatte der Konflikt bereits gefordert. Die Hälfte der Bürger war aus ihrer Heimat vertrieben worden. Andere wurden bombardiert, von den Regierungstruppen belagert.

Caesar würde die Ausschreitungen von Damaskus wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken können. Er musste gefunden werden. Journalisten auf der ganzen Welt suchten nach dem ehemaligen syrischen Militärfotografen. Dass es nicht leicht sein würde, wusste ich aus Erfahrung. Zweimal schon hatte ich fast aufgegeben. Und zweimal hatte ich mich wieder auf die Suche gemacht, weil es undenkbar war, dass dieser Mann nicht sprechen sollte. Um zu begreifen, welches Grauen unter dem Regime herrscht, war sein Zeugnis von eminenter Bedeutung. Sein Bericht musste die mediale Verbreitung der Fotos begleiten. Unaufhörlich standen mir Aleppo mit seinen namenlosen Gräbern und jene anderen Bilder vor Augen, auf die ich in einer ehemaligen Mädchenschule gestoßen war, die man zum Leichenhaus umfunktioniert hatte. An der Wand eines Klassenzimmers hingen Dutzende Fotos von Aleppinern, die durch Bomben des Regimes getötet worden waren.

Als ich den Raum betrat und mein Blick auf sie fiel, wurden die Bilder unmittelbar überblendet mit den Porträts von durch die Roten Khmer ermordeten Kambodschanern, die in einem ehemaligen Gymnasium in Pnom Penh hängen. Mehr als 21.000 Personen sind dort, im S21, dem größten Foltergefängnis des Pol-Pot-Regimes, zwischen 1975 und 1979 zu Tode gekommen. Heute ist der Ort ein Museum, in dem die Fotos der Opfer zu sehen sind.

Die Mitglieder der Gruppe, die Caesar schützte und die der Syrischen Nationalbewegung angehört, einer gemäßigt islamistischen Oppositionspartei, begriffen, dass dieses Buch keinen Mediencoup landen, sondern ins Unaussprechliche vordringen wollte. Dass es den Syrern das Wort erteilen würde, um eine Spur für die kommenden Generationen zu hinterlassen.

Wir trafen uns mehrmals. In Paris, in Istanbul und in Dschidda, in Saudi-Arabien. Sie gewährten mir Einblick in ihre Akten und Dokumente und erzählten mir ihre eigene Geschichte.

Aber irgendetwas stand einem Treffen mit Caesar im Wege. Was es war, konnte ich nicht genau sagen. Ich begriff bloß, dass der Mann Angst hatte. Enttäuscht von der Tatenlosigkeit der internationalen Gemeinschaft, verstand er sich nicht mehr besonders gut mit den Verantwortlichen der Gruppe. Um seine Sicherheit besorgt, versteckte er sich, was er noch heute tut.

Ohne sein Zeugnis aber hätte es dieses Buch nicht geben können. Schließlich stellte ein Mitglied der Gruppe einen ersten Kontakt zu Sami her, von dessen Existenz die mit der «Affäre Caesar» befassten Medien nichts wussten. Sami ist derjenige, der den ehemaligen Militärfotografen am besten kennt. Er hat ihn während der beiden Jahre seiner Operation begleitet und unterstützt. Er war der Schlüssel, der die Tür zu Caesar öffnen konnte.

Viermal haben wir miteinander gesprochen, jedes Mal mehrere Stunden. Gemeinsam mit Saoussen Ben Cheikh, die mir bei der Übersetzung half, haben wir auch Zeit mit Sami und seiner Frau verbracht und haben dabei viel gelacht. Ein überraschendes, manchmal bewegendes Vertrauensverhältnis entstand. Eines Abends rief Sami mich über Skype an, weil er Caesar beruhigen wollte. Skype ist, dem Internet sei Dank, seit Beginn der Revolution und des Krieges zum Kommunikationsmittel der syrischen Aktivisten geworden. Sicher und kostenlos. Sami und ich hatten uns angewöhnt, miteinander zu sprechen, ohne die Webcams unserer Rechner anzuschalten.

«Caesar ist beunruhigt, er hat Angst», sagte mir Sami. Es gab Juristen, die ihn zu einer Aussage vor der Staatsanwaltschaft drängten. Konnten sie ihn dazu zwingen? Obwohl ich mit den verschlungenen Wegen der internationalen Rechtsprechung wenig vertraut bin, konnte ich den beiden das eine versichern: Kein Polizist würde sie verhaften und mit Gewalt vor einen Richter zerren können. Caesar und Sami lebten nicht mehr unter dem syrischen Regime, sondern in einer Demokratie, in Nordeuropa, wo sie Zuflucht gefunden hatten. Aber sie sollten auch nicht vergessen, wofür sie ihr Leben und das ihrer Familien riskiert hatten. Wofür sie aus ihrer Heimat in ein fremdes Land hatten fliehen müssen, dessen Sprache sie nicht verstanden.

Ich ließ nicht locker. «Eines Tages wird Caesar über die Verbrechen des Regimes berichten müssen, darüber, was er gesehen, und darüber, was zu tun man ihm befohlen hat. Um der Syrer, um der Gerechtigkeit willen. Vielleicht nicht heute, wenn er so große Angst hat, aber morgen, übermorgen, in sechs Monaten, einem Jahr. Irgendwann wird er nicht anders können. Verstehen Sie, Sami?» Schweigen. Und plötzlich eine unverhoffte Stimme. Jemand, den ich nicht kannte und nicht sehen konnte, saß offenbar neben Sami: «Guten Abend. Danke für Ihre Ratschläge. Ich bin Caesar. Wenn Sie wollen, können wir uns treffen.»

Nach sechs Monaten der Nachforschungen erklärte der Mann sich bereit, aus der Verborgenheit herauszutreten. Wie schon mit Sami war die erste Begegnung etwas angespannt. Sie waren defensiv, und ich fürchtete, sie zu verlieren, wenn ich meine Fragen falsch formulierte oder zu rasch, zu früh zu viele Einzelheiten in Erfahrung bringen wollte. Caesar hat sich mir mehrmals anvertraut. Insgesamt haben die Gespräche mehr als vierzig Stunden gedauert.

Das Zeugnis, das Caesar in diesen Gesprächen abgelegt hat, ist einzigartig. In einfachen Worten, ohne je zu behaupten, getan oder gesehen zu haben, was er nicht getan oder gesehen hat, beschrieb er seine Arbeit in allen Einzelheiten. Er hat Skizzen angefertigt, um nichts im Dunkeln zu lassen. Auf einer...