dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Oberheudorfer Buben- und Mädelgeschichten (44 Kindergeschichten in einem Buch) - Wie es Heine Peterle in der Stadt erging, Friederikes Abenteuer, Zwei Feinde, Das Abenteuer im Schloß, Im Zirkus, Das Glück im Suppentopf, Die Prinzessin mit dem seltsam

Josephine Siebe

 

Verlag e-artnow, 2016

ISBN 9788026852926 , 143 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

1,99 EUR


 

Der Schulrat in Oberheudorf.


Wie Buben und Mädel wohl manchmal denken, so dachten auch die Oberheudorfer Kinder mitunter: „Wenn heute doch keine Schule wäre!“ – Sie dachten das bei den verschiedensten Gelegenheiten, zum Beispiel wenn im Winter schöne Eisbahn war oder im Frühling die ersten Veilchen blühten, wenn im Sommer die Kirschen reiften oder in Niederheudorf Vogelschießen war. Hundert Gründe gab es für den Wunsch, und die faulsten Buben und Mädel fanden wohl noch den hundertundeinsten Grund.

Einige ganz besondere Faulpelze, wie Bäckermeisters Mariele, Anton Friedlich und Schulzens Jakob, die wünschten sogar, es möchte gar keine Schule geben. „Wenn doch der Kaiser mal die Schule verbieten möchte!“ seufzte Anton, wenn er seine Rechenaufgabe nicht gemacht hatte.

„Oder der Sturm das Dach abdeckte!“ rief Mariele.

Letzthin hatte nämlich der Wind drei Ziegel vom Backofendach heruntergeworfen, seitdem ärgerte sich die Kleine, daß bei der Gelegenheit nicht das Schuldach ein bißchen kaput gegangen war.

Aber nichts dergleichen geschah. Breit und stattlich stand das Schulhaus da, von roten Ziegeln erbaut und von einem hübschen Garten umgeben. Schien die Sonne darauf, dann sah das Schulhaus so lustig aus, als lachte es alle faulen Buben und Mädel aus. Der Herr Lehrer war auch immer freudig bei seiner Arbeit, die nicht gerade leicht war, und für schulfreie Tage außerhalb der Ferien war er nicht sehr eingenommen.

Im Juni war es. Die Sonne brannte so heiß, daß es einem schon leicht zu warm werden konnte, und die Oberheudorfer Kinder meinten, es könnte schon gut mal hitzefrei sein, – zumal im Walde die Erdbeeren reif waren. Aber an so etwas dachte der Herr Lehrer jetzt weniger als je, denn in diesen Junitagen wurde der neue Herr Schulrat zur Inspektion erwartet. Da gab es dreimal so viel Hausarbeit als sonst, und wehe dem, der schlecht gelernt hatte. In dieser Zeit verstand der Herr Lehrer keinen Spaß, denn er wollte Ehre einlegen mit seiner Klasse. Und doch guckte die Sonne so vergnügt in die Schulstube hinein, und der Gedanke an die Erdbeeren im Kuhberger Walde saß wie ein kleiner Kobold in den Kinderköpfen.

„Ach, der Herr Schulrat!“ seufzte Heine Peterle, als er eines Morgens seinen Ranzen nahm, um in die Schule zu gehen.

„Wie heißt er denn?“ fragte Muhme Rese.

„Müller,“ brummte Heine Peterle und stapfte davon; er konnte es nämlich nach seinen Erlebnissen in der Stadt nicht leiden, wenn man ihn nach einem Namen fragte.

„Ach, der Herr Schulrat!“ seufzte Anton Friedlich, und Bäckermeisters Mariele heulte ein wenig, weil ihr alles mögliche tausendmal mehr Freude machte als der Schulrat.

„Bim bam, bim bam,“ dröhnte die Schulglocke, und flink liefen alle Faulpelze in das rote Schulhaus, es half ja doch nichts.

In der gleichen Stunde betrat ein hübscher, junger Mann das Dorfwirtshaus und verlangte ein Glas Milch und eine Schnitte Brot. Der Wirt brachte ihm selbst das Verlangte, und der Fremde, der vor dem Hause Platz genommen hatte, begann ein Gespräch. Ob das die Schule wäre, fragte er und deutete auf das Schulgebäude, das rot und lustig hinter grünen Bäumen hervorsah.

Der Wirt, genannt Kaspar auf dem Berg, weil sein Gasthaus einen halben Meter höher als das Nachbarhaus lag, war ein schlauer Mann, und darum kam ihm bei dieser Frage gleich der Gedanke, der Fremde könnte vielleicht der erwartete Schulrat sein.

Schmunzelnd fragte er daher nach dem Namen seines Gastes. „Müller,“ sagte der junge Herr freundlich.

„Ei, das dachte ich mir doch gleich,“ rief der Wirt und machte eine ungeheuer tiefe Verbeugung. „Willkommen, hochgeehrter Herr Schulrat!“

„Was?“ fragte der Fremde verdutzt, „wer bin ich?“

„Der Herr Schulrat Müller, zu dienen,“ sagte der Wirt und verbeugte sich zum zweiten Male.

„Na nu?“ rief der junge Mann erstaunt.

„Zu dienen, Herr Schulrat,“ sagte der Wirt, sich zum dritten Male verbeugend, und dann lief er flugs ins Haus. „Mine, Mine,“ schrie er seiner Magd zu, „flink, lauf in die Schule und sage dem Herrn Lehrer, der Schulrat wäre da; spute dich, Mädel!“

Hui, wie lief da die Mine! Sie war erst seit drei Jahren aus der Schule heraus und wußte noch ganz genau, was das heißt, wenn ein Schulrat kommt. Die jüngeren Kinder schrieben gerade: „Der Hase läuft in das Feld“, und die älteren rechneten, als Mine mit dem Rufe: „Der Herr Schulrat ist da!“ in das Klassenzimmer stürmte.

Potzhundert, gab das eine Aufregung!

Dem Herrn Lehrer fiel vor Schreck der Rohrstock aus der Hand, und drei Mädel fingen an zu heulen, während dem dicken Friede, dem ewig Hungrigen, das Frühstücksbrot, das er just in aller Heimlichkeit verzehren wollte, in die unrechte Kehle kam. Er wurde krebsrot, hustete und würgte, einige Kinder kicherten, die andern stöhnten, und der Herr Lehrer lief, gefolgt von Mine, nach dem Wirtshaus, um dort den Schulrat zu begrüßen.

Der Fremde saß und trank behaglich seine Milch, als der Lehrer und der Schulze, den der Wirt selbst geholt hatte, kamen und ihn mit so schwungvollen Worten begrüßten, daß er zuerst ganz erstaunt dreinsah. Aber plötzlich fing er an zu lachen, er lachte so laut und lustig, daß der Wirt den Lehrer und der Lehrer den Schulzen ansah; so einen lustigen Schulrat hatten sie noch nie gesehen, – freilich auch noch keinen so jungen. Dem Herrn Lehrer kam die Sache etwas sonderbar vor, aber der Wirt hatte ja gesagt, der fremde Herr wäre der Schulrat, also mußte es wohl richtig sein.

„Also, mein lieber Herr Lehrer, da wollen wir einmal in die Schule gehen,“ rief der lachende Schulrat und stand auf und ging mit dem Lehrer und dem Schulzen auf das rote Schulhaus zu.

Das muß man sagen, mucksmäuschenstill saßen die Kinder, als der Schulrat eintrat. Der ging auf das Katheder, sah die Buben und Mädel eine Weile vergnügt an und sagte dann: „Liebe Kinder, ich bin überzeugt, daß ihr fleißig seid und eure Pflicht tut!“ Hier wurden einige sehr rot und verlegen, aber der Herr Schulrat schien das gar nicht zu bemerken, sondern fuhr fort: „Ich will euch darum nicht mit einer Prüfung quälen, nein, ihr sollt heute einmal frei haben, weil gar so schönes Wetter ist. Gefällt euch das?“

„Ja!“ brüllten da alle und lachten, daß sich bei manchen der Mund von einem Ohr bis zum andern zog. „Na, dann nehmt eure Bücher und lauft! Ich habe im Walde gesehen, daß die Erdbeeren reif sind, also geht in die Erdbeeren!“

Das ließen sich die Kinder nicht noch einmal sagen, holter, polter wurden die Bücher gepackt, und dann rannten die Kinder alle hinaus wie Hasen, wenn sie den Jäger erblicken.

„Leben Sie recht wohl, Herr Lehrer,“ sagte der Schulrat, „ich komme bald wieder. Ich denke, Ihnen wird ein ruhiger Tag auch mal gut sein,“ und wutsch war der Herr Schulrat draußen.

„Na,“ meinte der Lehrer, „so ein Schulrat ist mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen!“

„Mir auch nicht,“ sagte der Schulze.

„Mir auch nicht,“ sagte einige Minuten später der Wirt, als der Schulrat lachend von ihm Abschied nahm und fröhlich singend das Dorf verließ.

Die Buben und Mädel aber sagten gar nichts. Die rannten nur, was sie konnten, um ihre Schulmappen nach Hause zu bringen und sich ein Körbchen oder ein Töpfchen zu holen, und fünf Minuten später zogen die Oberheudorfer Kinder in den Kuhberger Wald in die Erdbeeren. Kein Schulkind blieb daheim. „Der Herr Schulrat hat's befohlen,“ sagten sie, wenn Vater oder Mutter meinten, sie sollten doch lieber bei der Heuernte helfen.

War das ein vergnügter Tag!

Als wären sämtliche Erdbeeren noch in aller Geschwindigkeit gereift, so viele gab es. Es sah an manchen Stellen aus, als hätte Schnipfelbauers Kathrine ihren feuerroten Sonntagsrock auf den Waldboden gelegt, so dicht standen die Beeren beisammen. Aber freilich, es hätte doch noch zehnmal mehr Erdbeeren geben können, die Oberheudorfer Kinder hätten sie doch gepflückt und gegessen. In einen richtigen Oberheudorfer Kindermagen geht nämlich unglaublich viel hinein, gar nicht zu sagen wie viel.

Wie alle schönen Tage, so ging auch dieser schulfreie Tag zu Ende. Aber er endigte nicht, wie das manchmal vorkommt, mit Zank und Tränen, Verdruß, Leibschmerzen und zerrissenen Kleidern, sondern er blieb schön, bis die Kinder in ihre Federbetten krochen. Anton Friedlich träumte in dieser Nacht, der Schulrat säße an seinem Bette und sagte, er, Anton, brauche von jetzt ab nur in die Schule zu gehen, wenn er Lust dazu hätte. Und Heine Peterle sagte, als er am andern Morgen die Augen aufschlug: „Wenn doch heute wieder der Schulrat käme!“

Aber er kam nicht, und es war Schule wie alle Tage.

Und drei Tage später hatten die Kinder wieder einen sehr wichtigen Grund, um sich „schulfrei“ zu wünschen.

Es war ein ereignisvoller Tag für Oberheudorf. Eine neue Feuerspritze wurde erwartet und sollte gleich probiert werden. Bisher hatten die Oberheudorfer eine Spritze besessen, die allemal erst spritzte, wenn das Feuer bereits vorbei war, und das war manchmal recht unangenehm. Einmal hatte da zum Beispiel das Dach vom Schulzenhaus gebrannt; die Spritze wurde angefahren, ehe sie aber in Ordnung war, hatte der Schulze eigenhändig drei Eimer Wasser auf das Dach gegossen, und aus war das Feuer. Und als dann alle so recht beim Begucken und Bereden waren, ging auf einmal die Spritze los, und quatsch! war die ganze Schulzenfamilie und einige Nachbarn dazu von unten bis oben naß. Man hatte darum in der Stadt eine neue...