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Das Jahr der Delfine - Roman

Sarah Lark

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2016

ISBN 9783732529537 , 463 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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KAPITEL 1


»Neuseeland?« Tobias sah sie ungläubig an. »Da kannst du ja gleich nach Amerika gehen!«

»Das wäre tatsächlich sogar näher …«, murmelte Laura, was ihr Mann allerdings gar nicht zur Kenntnis nahm – Geografie gehörte nicht zu seinen Interessengebieten, und Fernweh war ihm fremd. »In Neuseeland ist eben gerade diese Stelle frei«, begann sie erneut und schalt sich selbst dafür, das Gespräch nicht besser geplant zu haben. Sie hätte Tobias mit der Ankündigung ihrer Pläne nicht so überfallen dürfen. Aber sie hatte die Anzeige erst ein paar Stunden zuvor gelesen, und seitdem war sie in Hochstimmung. Es war, als hätte eine gute Fee ihre Hände im Spiel gehabt! Sie musste ihr Glück mit jemandem teilen und war zunächst vor den Kindern mit ihrer Idee, ein Jahr im Ausland zu verbringen, herausgeplatzt. Jetzt wollte sie natürlich auch Tobias davon erzählen, denn sicher würden die Kinder beim Abendessen über die Neuigkeiten reden wollen. »Eine Stelle als Tour Guide auf einem Walbeobachtungsschiff. Genau das, wovon ich immer geträumt habe. Es ist eine einmalige Chance. Und die ideale Grundlage für mein Studium …«

»Laura, du hast zwei Kinder!«, erinnerte Tobias sie mit vorwurfsvollem Unterton und nahm sich erst mal ein Bier aus dem Kühlschrank, wie er das abends gern tat. Auch Laura bot er eine Flasche an. Sie war allerdings zu aufgeregt, um Durst zu verspüren. »Wie stellst du dir das vor?«, fragte er nun. »Du kannst doch nicht einfach so für eine solch lange Zeit nach Übersee verschwinden.«

»Die Kinder finden es toll!«, erklärte Laura begeistert. »Sie müssen natürlich bei dir bleiben, ein Schulwechsel wäre viel zu aufwendig. Aber Weihnachten wollen sie mich besuchen.« Sie lächelte. »Kathi will unbedingt nach Neuseeland, Jonas dagegen kann das Papa-Jahr kaum abwarten. Es rächt sich jetzt, dass du ihn immer länger hast aufbleiben lassen, wenn ich im Abendgymnasium war.«

»Ihr habt das also alles schon geplant?« Tobias sah sie gekränkt an. »Ohne mich?«

Laura biss sich auf die Lippen. »Wir … haben gemeinsam ein paar Überlegungen angestellt«, gab sie zu. »Aber wir wollten dich nicht ausschließen. Die Kinder waren nur früher zu Hause als du.« Tobias hatte an diesem Dienstag seinen freien Nachmittag, wie er das nannte. Er war nach der Arbeit mit Freunden beim Sport gewesen. »Und ich erzähl es dir ja jetzt. Du kannst noch alles dazu sagen, bislang ist schließlich nichts entschieden. Tobias, ich möchte es wahnsinnig gern versuchen! Ein Jahr geht schnell rum. Die Kinder wollen auch beide im Haushalt helfen …« Sie lachte nervös. »Kathi brennt darauf, hier die Hausfrau zu spielen – was sich natürlich geben wird, wenn sie erst mal merkt, wie stressig der Job ist. Und oft einfach nur öde.«

Tobias verzog den Mund. »Soll heißen, du hast dich all die Jahre lang geknechtet gefühlt?«, fragte er bitter.

Laura schüttelte entschieden den Kopf und begann, den Abendbrottisch zu decken. Kathi und Jonas würden bald nach Hause kommen. Und sie sollten möglichst nicht in einen Streit zwischen ihren Eltern platzen.

»Nein«, beteuerte sie rasch. »Das wollte ich überhaupt nicht sagen, bitte dreh mir nicht die Worte im Mund herum! Ich hab für meine Familie gesorgt, und ich hab’s gern getan. Aber jetzt sind die Kinder aus dem Gröbsten heraus, und ich finde, es ist Zeit, mal etwas für mich zu tun …« Sie nahm Teller und Gläser aus dem Schrank und stellte sie heftiger als beabsichtigt auf den Tisch.

»Selbstverwirklichung? Midlife-Crisis?«, fragte Tobias mit schiefem Lächeln. »Dafür bist du eigentlich noch zu jung.«

Laura seufzte. »Eben«, erklärte sie dann. »Ich bin erst einunddreißig. Ich kann noch etwas verändern, etwas erleben … Ich hatte mal einen Traum, Tobias, und das weißt du …«

Tobias verdrehte die Augen. Er hatte sich schon damals, als sie sich kennengelernt hatten, darüber amüsiert, dass an den Wänden ihres Mädchenzimmers Poster von springenden Walen und Delfinen gehangen hatten. Laura war siebzehn und gerade dabei gewesen, die Realschule abzuschließen. Sie hatte geplant, aufs Gymnasium zu wechseln und anschließend Meeresbiologie zu studieren. Wale und Delfine hatten sie von Kindheit an fasziniert. Ihre Beziehung zu dem bodenständigen Bäckerlehrling Tobias hatte sie dagegen nicht allzu ernst genommen. An eine Ehe mit ihm hatte sie schon gar nicht gedacht – bis sie, gerade mal achtzehn Jahre alt, mit Katharina schwanger geworden war. Laura hatte zunächst einen Abbruch in Erwägung gezogen, aber Tobias hatte auf Heirat gedrängt. Er hatte eben seine Lehre beendet und war von der Großbäckerei, bei der er sie absolviert hatte, übernommen worden. Es war abzusehen gewesen, dass er genug verdienen würde, um eine Familie zu ernähren. Lauras Eltern hatten Unterstützung angeboten – die hochfliegenden Pläne ihrer Tochter waren ihnen sowieso suspekt gewesen. Als Mitglieder einer Freichristengemeinde verurteilten sie Abtreibungen zudem auf das Schärfste. Tobias’ Zielstrebigkeit und Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, hatten Laura dann so imponiert, dass sie sich gegen einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hatte. Jetzt erst hatte sie sich richtig verliebt in den jungen Mann mit dem wuscheligen braunen Haar und den blauen Augen, der sie vom ersten Tag an bewundert hatte …

Jedenfalls hatte sie sich schließlich vor dem Traualtar wiedergefunden statt in der Oberstufe. Sie und Tobias waren in das Haus der Schwiegereltern gezogen, und in den nächsten Jahren hatte sich alles um ihre Tochter gedreht. Als Katharina endlich in den Kindergarten gekommen war und Laura begonnen hatte, sich wieder Gedanken um die eigene Zukunft zu machen, hatte sich Jonas angekündigt. Laura hatte ihre Pläne erneut verschoben, sich um Kinder, Haushalt und um ihre pflegebedürftigen Schwiegereltern gekümmert, in deren Haus die junge Familie immer noch lebte. Wenn sie ab und zu das Gefühl gehabt hatte, darüber verrückt zu werden, hatte sie gelesen, vornehmlich Bücher über Meeressäuger. In all den Jahren hatten sich ganze Regalwände voller Bildbände und wissenschaftlicher Fachliteratur angesammelt.

Schließlich war ihre Schwiegermutter gestorben, der Schwiegervater in eine kleinere Wohnung gezogen. Die Kinder waren zur Schule gegangen und zusehends unabhängiger geworden, und Laura hatte begonnen, sich um einen Job zu bemühen. Das Ergebnis war ernüchternd gewesen: Die Stellen, die einer achtundzwanzigjährigen Mutter ohne Berufsausbildung angeboten worden waren, waren nicht nur schlecht bezahlt, sondern obendrein uninteressant gewesen. Sie hätte in der Fabrik am Fließband stehen, an einer Kasse sitzen oder in einem Supermarkt Regale auffüllen können … für die nächsten dreißig Jahre. Alles in Laura hatte sich gesträubt. Und dann hatte sie eines Tages vor dem Spiegel gestanden, ihre glatte Haut betrachtet, ihr glänzendes blondes Haar und ihre schlanke Figur und beschlossen, dass sie noch jung war. Jung genug für einen Neuanfang – und obwohl es ihr sofort ein schlechtes Gewissen gemacht hatte, hatte sie damals schon geahnt, dass es ein Neuanfang ohne Tobias sein könnte.

»Komm, Tobias, du hast doch Übung«, versuchte sie noch einmal, ihm das Jahr allein mit den Kindern schmackhaft zu machen. »Du warst jetzt zwei Jahre lang fast jeden Abend mit Kathi und Jonas allein. Du schaffst das! Und du machst es gut!«

Sie packte das Brot aus, das Tobias aus der Bäckerei mitgebracht hatte, und warf die Schneidemaschine an. Tobias holte derweil Butter und Aufschnitt aus dem Kühlschrank. Beide waren gut aufeinander eingespielt, Tobias gehörte nicht zu den Männern, die sich vor der Hausarbeit drückten. Überhaupt konnte Laura sich nicht beklagen. Er hatte ihren Entschluss akzeptiert, das Abendgymnasium zu besuchen, und sich vorbildlich um die Kinder gekümmert. Zum Glück waren seine Arbeitszeiten auch sehr erziehungsfreundlich. Tobias begann morgens um vier in der Bäckerei, der er mittlerweile als Meister vorstand, und war mittags um eins wieder zu Hause. Nach einem Mittagsschlaf hatte er dann viel Zeit für die Kinder und sein Hobby – gemeinsam mit dem begeisterten Jonas werkelte er an einer Modelleisenbahn. Dabei bewies er unendliche Geduld mit seinem Sohn. Er beklagte sich auch nie, wenn Kathi zum Theaterkurs oder zum Reiten gefahren werden musste. Am Wochenende zog er mit den Kindern in den Zoo oder in Vergnügungsparks. Laura hatte immer in Ruhe lernen können. Besonders in der Zeit vor den Abiturprüfungen hatte sie das sehr zu schätzen gewusst.

Ihr Lob war also ehrlich gemeint. Tobias war ein wunderbarer Vater – sie brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie ihn mit den Kindern allein ließ –, er war überhaupt ein liebenswerter Mensch. Erneut regten sich Schuldgefühle in Laura. Es lag nicht an ihrem Mann, dass sie in ihrer Ehe nicht glücklich war, es lag an ihr. Sie hatte noch andere Erwartungen, wollte etwas erleben. Dieser Job in Neuseeland war ihre Chance! Eco-Adventures, ein landesweit aktives Unternehmen, das für seine vorbildliche Umsetzung des Konzepts von respektvoller Wal- und Delfinbeobachtung bekannt war, suchte Studenten oder Abiturienten als Begleiter für Walbeobachtungstouren. Laura hatte nicht gezögert, die Firma sofort per E-Mail zu kontaktieren.

Tobias fuhr sich durch sein Haar. »Wirst du denn … wiederkommen?«, fragte er leise.

Laura sah in sein offenes, freundliches Gesicht. »Natürlich!«, sagte sie dann. »Der Job ist...