dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Istanbul Tango - Ein Fall für Kati Hirschel

Esmahan Aykol

 

Verlag Diogenes, 2016

ISBN 9783257607222 , 384 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

13,99 EUR


 

{5}1


Diese Hektik! Er lehnte sich mit dem Oberkörper weit aus dem Fenster und brüllte hinunter: »Wir sind gleich da!«, dann wandte er sich mir zu: »Los, mach schnell, das Taxi wartet!«

Ich schwieg. Was soll man da schon sagen? Seit fünf Minuten stand ich ausgehfertig an der Tür, im Trenchcoat, die Handtasche am Arm, und sah ihm zu, wie er durch die Wohnung rannte.

Jetzt hatte er den petrolfarbenen Pulli aus seinem Zimmer geholt und schwenkte ihn wie eine Fahne. »Der bringt mir Glück, das hast du selbst gesagt.«

»Fofo!!« Das genügte. Der Ton und mein Gesichtsausdruck sagten mehr als tausend Worte.

»In Ordnung! Ist ja gut! Reg dich nicht auf!« Er klopf‌te nochmals seine Hosentaschen ab, um sicherzugehen, dass er auch nichts vergessen hatte, rief: »Der Schlüssel steckt, oder?«, und hastete die Treppe hinunter. Ich schloss ergeben die Tür ab und folgte ihm.

Als ich unten ankam, hatte Fofo sich bereits auf dem Vordersitz niedergelassen. So af‌fektiert, wie er den Sicherheitsgurt anlegte, musste der Fahrer wohl attraktiv sein, jedenfalls in Fofos Augen. Was Männer angeht, haben wir nicht eben denselben Geschmack.

{6}»Wohin?«

Da Fofo mit dem Fahrer ins Gespräch kommen wollte, antwortete er sofort: »Nach Firuzağa.«

Im Rückspiegel sah ich, wie der Fahrer das Gesicht verzog. Verständlich. Zu Fuß hätten wir höchstens zwanzig Minuten gebraucht. Für so eine kurze Strecke lohnte es sich für einen Taxifahrer nicht, den Platz in der Warteschlange am Taxistand aufzugeben. Und dann hatte er noch minutenlang auf uns gewartet.

»Ich gebe Ihnen ein Trinkgeld«, versprach ich sofort, um keine Missstimmung aufkommen zu lassen. Seit einiger Zeit versuche ich, mich nicht über alles aufzuregen und vor allem keinen Streit mit Taxifahrern anzufangen. Gelassenheit gehört zu den Vorzügen des reiferen Alters.

Fofo steckte den Kopf zwischen die beiden Sitze und flüsterte: »Was sie wohl sagen wird?« Mit »sie« meinte er die Hellseherin, zu der wir gerade fuhren. Mir war es völlig egal, was sie weissagen würde, aber ich wollte meinen armen, liebeskranken Fofo nicht anblaffen.

»Warten wir’s ab«, sagte ich deshalb nur ausweichend.

Wie einige von Ihnen wissen, ist Fofo einer meiner engsten Freunde. Und nicht nur das: Wir wohnen und arbeiten auch zusammen. Oder, genauer: Er wohnt und arbeitet bei mir. In einer der angesagtesten Straßen des Galata-Viertels betreibe ich einen Krimibuchladen. Nicht nur die Istanbuler Leser kennen mein Geschäft, sondern auch viele Touristen, die die schönste Stadt der Welt besuchen.

Und – in aller Bescheidenheit – die große Wohnung, {7}in der wir wohnen, mit den hohen Decken und dem Blick auf die Blaue Moschee und das Topkapı – die gehört ebenfalls mir. Heute könnte ich mir so was nicht mehr leisten – unser Viertel ist mittlerweile schick geworden. Letztes Jahr habe ich meine Schulden abbezahlt, insofern bin ich jetzt entspannt. Den Laden habe ich seither ein bisschen vernachlässigt, aber so langsam spüre ich, wie die Kräf‌te wiederkommen. Das ist auch gut so, denn ich möchte meinen Laden vergrößern und das Angebot erweitern. Hof‌fentlich klappt’s.

Nach einer langen Phase der Unentschlossenheit habe ich mir kürzlich auch eine neue Frisur zugelegt. Jetzt bin ich blond und trage die Haare kurz. Wenn Sie mich allerdings fragen, ob das was gebracht hat – bislang nicht. Ich habe immer noch keinen Liebhaber, gebe aber die Hoffnung noch nicht auf. Unter den fast drei Milliarden Männern weltweit wird wohl einer für mich dabei sein.

 

Wir hatten bereits das Italienische Krankenhaus passiert, da trat der Taxifahrer plötzlich auf die Bremse. Ich wurde kräf‌tig nach vorne und dann nach hinten geschleudert. Der hatte seinen Führerschein wohl im Kramladen gekauft!

»Auf dem Firuzağa-Platz gibt es Bauarbeiten, der ist gesperrt. Soll ich die Seitenstraßen nehmen oder wollen Sie lieber laufen?«

»Lass uns laufen. Dann können wir auf dem Weg einen Tee trinken«, schlug Fofo vor.

Eigentlich hatte ich keine Lust auf Tee und außerdem {8}null Bock auf die Abgase und den Lärm der Planierraupen. Zugegeben, ohne diesen Krach fehlte mir inzwischen etwas. Seit die Baulöwen in Istanbul die Macht an sich gerissen haben, gehören die Planierraupen zur Stadt wie die Dornen zur Rose.

Während wir die Cafés in Firuzağ nach einem freien Platz absuchten, stieß Fofo plötzlich einen kleinen Schrei aus. »Oh, guck mal! Ist das nicht die junge Schauspielerin aus der Fernsehserie auf Star TV

»Was für eine Serie?«, fragte ich.

Fofo erstarrte kurz, dann antwortete er ironisch: »Oh, Entschuldigung! Wie konnte ich nur! Da frage ich ausgerechnet den einzigen Menschen weit und breit, der keine Fernsehserien guckt!«

Stimmt schon: Ich gucke keine TV-Serien. Ich sehe gar nicht fern. Sowie Fofo nach der Fernbedienung greift, schnappe ich mir ein Buch und verziehe mich in mein Zimmer. Jetzt fiel mir der Krimi wieder ein, den ich gestern Abend angefangen hatte und der zu Hause auf mich wartete. Heute musste ich nicht mal zum Laden, ich hatte frei. Vor mir lagen Stunden der angenehmsten Versenkung in seitenlange Verbrechen. Und ich wollte keine Minute mehr als nötig von dieser Zeit abzwacken.

»Los«, sagte ich. »Trink deinen Tee aus und lass uns gehen, die Hellseherin erwartet uns.«

Erstaunlich folgsam kippte Fofo seinen schon kalten Tee hinunter und stand auf. Ich kramte in meinem Portemonnaie und legte ein paar Münzen auf den Tisch.

 

{9}Wir nahmen die Treppe neben dem Café und bogen dann links ein. »Hier irgendwo muss es sein«, sagte Fofo und deutete auf die Häuserreihe vor uns.

Na, klasse! Hof‌fentlich würde es es in den nächsten Stunden kein Erdbeben geben, denn sonst würden wir keines dieser Häuser lebendig verlassen.

»Tören Appartement, Wohnung 8«, murmelte Fofo und ging auf ein schmutziggelbes Gebäude zu, natürlich das schlimmste von allen. Nein, nicht wegen der Farbe. An mehreren Stellen bröckelte der Beton, dahinter waren verrostete Eisenträger zu sehen. Und wenn ich nicht plötzlich zu schielen begonnen hatte, lehnte dieses Haus leicht an seinem rechten Nachbarn.

Ich packte Fofo am Arm und flehte: »Lass uns bitte gehen. Wir können doch im Internet Tarotkarten legen und uns das Horoskop angucken!«

Fofo sah mich mit unverhohlener Verachtung an – diesen Ausdruck war ich bei ihm nicht gewohnt. »Wir können auch das Blumenorakel befragen«, zischte er. Ich gab klein bei und folgte ihm.

Auf einer engen Treppe ging es hinauf bis in den vierten Stock. Das Geländer wackelte, als ob es sich gleich aus der Verankerung lösen würde. Jede Stufe schien unter meinem Fuß nachzugeben. Was hatte ich hier bloß verloren? Ich klingelte.

Eine junge Frau öffnete die Tür. Über ihrem riesigen T-Shirt hing ein Dreifachkinn. Ich starrte sie kurz an, dann fasste ich mich wieder.

»Wie wollten uns den Kaf‌feesatz lesen lassen. Wir haben einen Termin.«

{10}Das Mädchen ließ uns nicht aus den Augen, während sie laut in die Wohnung rief: »Muttiii, hast du einen Termin ausgemacht?«

Eine halbe Minute lang warteten wir vergeblich auf eine Antwort, dann sagte das Mädchen: »Ziehen Sie die Schuhe aus und kommen Sie rein.«

Wenn ich bei den Orientalen eine einzige Veränderung herbeiführen dürf‌te, dann würde ich dafür sorgen, dass man beim Betreten einer Wohnung nicht mehr die Schuhe ausziehen muss, das können Sie mir glauben. Zum einen sind Leute in Strümpfen kein schöner Anblick. Und außerdem verstößt man damit gegen das Recht auf Distanz, denn nicht alle Leute stehen mir so nahe, dass ich ihnen meine Strümpfe zeigen möchte. Fofo zuliebe moserte ich nicht herum, aber ich verzog das Gesicht.

Als ich allerdings der Frau ansichtig wurde, die im Wohnzimmer mit aufgestützten Ellenbogen am Esstisch saß, vergaß ich meinen Orientalismus, meine Erdbebenängste und meine Hello-Kitty-Strümpfe. Sie war interessant. So interessant, dass ich bereit gewesen wäre, allein für ihren Anblick Geld zu bezahlen, auch ohne Weissagung. Eine Riesin aus dem Märchen saß da vor mir: mit riesigen Lippen und einem ausladenden Körper. Bestimmt ließ jeder ihrer Schritte die Erdkugel erzittern. Bei aller Körperfülle war sie aber weder hässlich noch abstoßend, noch ekelerregend.

»Wollen Sie sich beide die Zukunft lesen lassen?«, fragte sie mit harter, keinen Widerspruch duldender Stimme. Fofo überging ihre Frage und schob mich vorwärts.

{11}»Zuerst ist sie dran.«

Wieso lässt sich ein Mensch die Zukunft lesen? Weil er unglücklich verliebt ist oder weil er seine große Liebe verdächtigt, ihn zu betrügen. Das heißt, weil im Liebesleben irgendwas falsch läuft. Wie ich aber vorhin schon erläutert habe, gibt es in meinem Leben nichts, was man als »Liebesleben« bezeichnen könnte. Insofern hatte ich auch keinerlei Absicht, mir die Zukunft deuten zu lassen.

»Zu welcher Frage sollte ich mir weissagen lassen?«, fragte ich ihn scharf. Ich war nur mitgekommen, um ihm Gesellschaft zu leisten. Er hatte mich hereingelegt.

»Du kannst doch fragen, wie es mit dem Laden weitergeht.«

Ich verstummte sofort. Das war eigentlich gar keine schlechte Idee. Schließlich trug ich mich mit dem Gedanken, den Geschenkeladen nebenan zu übernehmen und mein Angebot zu erweitern. Mit einem Büchercafé zum Beispiel. Vor meinem inneren Auge sah ich fröhliche Gäste vor Bücherregalen sitzen und Kaf‌fee schlürfen....