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Junge Kämpfer, alte Opportunisten - Die Mitglieder der NSDAP 1919-1945

Jürgen W. Falter

 

Verlag Campus Verlag, 2016

ISBN 9783593434841 , 499 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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41,99 EUR

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Vorwort
Knapp neun Millionen Mitglieder zählte die NSDAP am Kriegsende. Über zehn Prozent der deutschen Bevölkerung des 'Großdeutschen Reichs' waren folglich Anfang 1945 Parteigenosse. Auf die rund 60 Millionen Wahl-berechtigten bezogen waren damals sogar rund 15 Prozent aller infrage kommenden Personen in der Staatspartei des 'Dritten Reiches' organisiert. Ihren Charakter als revolutionäre, zu jedem persönlichen Opfer bereite Kadertruppe, wie von Hitler in 'Mein Kampf' propagiert, hatte die NSDAP allerdings spätestens mit dem Ansturm der rund eineinhalb Millionen 'März-gefallenen' von 1933 verloren. Die sogenannten Alten Kämpfer waren von da an nur noch eine Minderheit in einer ständig anschwellenden, die gesamte Gesellschaft durchdringenden totalitären Staatspartei. Die von Adolf Hitler so gefürchteten Konjunkturritter und Trittbrettfahrer dürften ab Mitte 1933 die große Mehrheit der Parteigenossen gestellt haben. Jung, zum Teil blutjung waren die 'Alten Kämpfer' gewesen, als sie sich während der sogenannten Kampfzeit - auch das ist ein Begriff aus dem Wörterbuch des National-sozialismus für die Zeit vor der 'Machtergreifung' - der 'Hitlerbewegung' anschlossen. Deutlich älter waren diejenigen, die nach der Märzwahl 1933 und dann noch einmal im Frühjahr 1937 millionenfach in die Partei drängten. Die NSDAP war - das ist ein Ergebnis der hier vorgestellten Untersuchung und darauf bezieht sich der Titel dieses Buches - eine Partei, die sich in der Anfangszeit überwiegend aus 'Jungen Kämpfern' und nach ihrer Etablierung als Staatspartei des 'Dritten Reiches' mehrheitlich aus 'Alten Opportunisten' zusammengesetzt haben dürfte.
Keine Partei war jemals erfolgreicher in der deutschen Geschichte. Das gilt einerseits rein quantitativ - die NSDAP war personell rund zehn Mal stärker als SPD oder CDU in ihren besten Zeiten. Es gilt aber auch, was ihre 'Er-folgsbilanz' angeht (obwohl man sich scheut, überhaupt von Erfolg zu sprechen). In den zwölf Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft wurden Deutschland und große Teile Europas stärker verändert als in den 70 Jahren davor und danach. Das bezieht sich in erster Linie natürlich auf die Heka-tomben von Toten des Zweiten Weltkriegs und die Millionen Ermordeten des Holocaust, aber auch auf die Veränderung des Erscheinungsbilds praktisch sämtlicher deutscher und vieler europäischer Städte als Folge des Bomben-krieges; und nicht zuletzt bezieht es sich auf die tiefgreifenden Veränderungen der deutsche Gesellschaft und der deutsche Mentalität. Die Nachwirkungen sind bis heute zu spüren. Die Welt nach 1945 war durch das Handeln Hitlers und der NSDAP eine andere geworden.
Über wohl kein historisches Phänomen sind denn auch mehr Bücher geschrieben worden, ist intensiver geforscht worden, als über den National-sozialismus. Dennoch wissen wir über seine Massenbasis auch heute noch, 70 Jahre nach dem Zusammenbruch des NS-Systems, nicht alles, auf jeden Fall nicht genug. Zwar hat sich unsere Kenntnis über die Wähler der NSDAP seit den 1980er Jahren entscheidend verbessert. Über die Mitglieder dieser 'absolutistischen Massenintegrationspartei' (Neumann (1956[1932])) hingegen wissen wir noch immer vergleichsweise wenig. Es ist nicht einmal zweifelsfrei bekannt, wie viele Mitglieder die NSDAP insgesamt hatte, wie viel Personen jemals in die Partei eintraten, wie viele sie wieder verließen, wer diejenigen waren, die zu irgendeinem Zeitpunkt austraten und dann wieder eintraten usw. Wir wissen auch so gut wie nichts über die mehr als eine halbe Million zählenden sudetendeutschen und noch immer nicht genug über die etwa gleich hohe Zahl österreichischer Parteimitglieder oder die Parteigenossen, die in der Freien Stadt Danzig oder dem ebenfalls unter Völkerbundsmandat stehenden Saargebiet lebten. Wenig wissen wir auch über die Parteieintritte in Zeiten der Aufnahmesperre und immer noch nicht genug über die Frauen, die sich vor und nach der 'Machtergreifung' der Partei anschlossen. Diese Forschungslücken wenigstens ein Stück weit aufzufüllen, ist Ziel dieses Sammelbandes.
Die meisten der heutigen Deutschen, selbst die historisch Interessierten, wissen wenig oder gar nichts darüber, dass ab dem 1. Mai 1933 die Partei nicht mehr für die Allgemeinheit zugänglich war. Bis 1937, formal sogar bis 1939, und dann wieder ab 1942 gab es eine relativ strikt gehandhabte Aufnahmesperre. Nur noch bestimmte, eng definierte Personenkreise durften überhaupt der Partei beitreten; dies führte beispielsweise dazu, dass 1934 die Zahl der Parteiaustritte die Beitritte überstieg und die NSDAP in diesem Jahr im Saldo einen Mitgliederverlust zu verzeichnen hatte. Auch damit beschäftigt sich der vorliegende Band. Die Verfasser sind, mit drei Ausnahmen, Mitglieder meiner seit 2012 bestehenden Forschergruppe, die sich der Sisyphusarbeit widmet, mehrere sehr große Stichproben aus der NSDAP-Zentralkartei zu ziehen, aufzubereiten und zu analysieren.
Denn wie durch ein Wunder hat diese ursprünglich rund 20 Millionen Mitgliedskarten enthaltende Kartei den Krieg überlebt. Tatsächlich handelte es sich sogar um zwei getrennte Mitgliederkarteien, die bei der Reichsleitung in München geführt wurden. Die eine, die sogenannte Reichskartei, war von An-fang an alphabetisch aufgebaut; die andere, die sogenannte Gaukartei, war, wie der Name sagt, zunächst nach den jeweiligen Parteigauen, und innerhalb der Gaue nach Ortsgruppen und dann erst alphabetisch gegliedert. Jeder, der sich irgendwann einmal der NSDAP als Mitglied angeschlossen hatte, war in beiden Karteien verzeichnet. Nach dem Krieg wurde die Gaukartei - aus historischer Sicht bedauerlich - zu Entnazifizierungszwecken ebenfalls rein alphabetisch umsortiert. Beide Karteien haben das Kriegsende allerdings nicht unbeschädigt überstanden: Die Bestände der Reichskartei sind nur noch zu knapp 45 Prozent erhalten, die der Gaukartei zu rund 78 Prozent. Anhand der (unvollständigen) Überschneidungen zwischen beiden Karteien lässt sich jedoch berechnen, dass trotz der teilweisen Zerstörung des Bestandes rund 90 Prozent aller jemals in die Partei eingetretenen Personen auch heute noch in zumindest einer dieser beiden zentralen Mitgliederkarteien aufgeführt sind.
Insgesamt handelt es sich um rund zwölf Millionen Mitgliedskarten, die den Krieg überlebt haben und heute im Bundesarchiv in Berlin lagern. Auf den Karten selbst sind über 20 Personenmerkmale notiert, vom Vornamen und Familiennamen über den Geburtsort, den Wohnort, die Ortsgruppe, der man angehörte, den Gau, zu dem diese Ortsgruppe zählte bis zum Beruf und mög-lichen akademischen Graden. Ferner sind Informationen über einen möglichen Parteiaustritt, einen Wiedereintritt, ein Ausscheiden durch Tod oder durch Ausschluss aus der Partei verzeichnet sowie eine mögliche neue Wohnadresse, ein neuer Wohnort und gegebenenfalls eine neue Gauzugehörigkeit. Was be-dauerlicherweise nicht auf den Karten verzeichnet ist, sind sozialhistorisch so wichtige Informationen wie die Konfessionszugehörigkeit, die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder eine frühere Parteizugehörigkeit. Durch die erst im Verlaufe des Projekts geschaffene Verbindung der auf den Karteikarten verzeichneten individuellen Merkmale mit geburts-, wohnorts- und ortsgrup-penbezogenen Informationen ist es beispielsweise möglich, über die auf den Karteikarten verzeichneten Angaben hinaus zu bestimmen, ob die Mitglieder aus überwiegend katholischen oder evangelischen Gemeinden stammten, ob aus früher sozialdemokratisch oder kommunistisch orientierten Orten weniger Arbeiter als im Durchschnitt zur NSDAP stießen oder ob sich die Partei in Orten mit einer starken 'rechten' politischen Tradition schneller und besser etablieren konnte als in den anderen Traditionsgebieten etc.
Natürlich lassen sich 12 Millionen Mitgliedskarten, die zu einem großen Teil nur handschriftlich ausgefüllt sind, und das auch in vielen Fällen nicht in der uns heute geläufigen lateinischen, sondern in der damals vorherrschenden Sütterlinschrift, unmöglich in ihrer Gesamtheit auswerten. Man ist gezwungen, mit Stichproben zu arbeiten, um sich überhaupt der Datenfülle in adäquater Weise nähern zu können. Die in diesem Band versammelten Beiträge stützen sich mit drei Ausnahmen, den Lokalanalysen über München und einige weitere frühe Ortsgruppen sowie die rheinhessischen Nachbargemeinden Oppenheim und Nierstein, auf mehrere miteinander kombinierte, insgesamt fast 50.000 Fälle enthaltende Stichproben aus den beiden Mitgliederkarteien der NSDAP. Um auch Jahre untersuchen zu können, in denen die NSDAP-Eintritte nur sehr spärlich ausfielen, das sind vor allem die Jahre 1925-1929 nach der Neu-gründung der Bewegung und die Jahre der Schließung der Partei ab Mitte 1933, wurden (erstmals überhaupt aus beiden Karteien) neben zwei proportionalen Stichproben für die Jahre vor und nach der 'Machtergreifung' auch mehrere disproportionale Stichproben gezogen, in denen die mitgliedermäßig dünn besetzten Jahre überdurchschnittlich stark vertreten sind. Auf diese Weise ist es möglich, auch für diese Jahre repräsentative Aussagen zu machen. Das Kapitel über Österreich, das Gerhard Botz zu diesem Buch beigesteuert hat, basiert auf einer eigenen, von ihm in den 1980er Jahren gezogenen Sonderstichprobe von österreichischen Parteigenossen mit über 5.000 Fällen.
Insgesamt liefert der vorliegende Band einen breiten Überblick über die Datengrundlage, die Auswertungsprobleme, die Beitrittsmodalitäten und über bisher nicht oder nicht intensiv genug behandelte Aspekte der NSDAP-Mitgliederforschung. Er gliedert sich in vier Teile, nämlich in I. vier Kapitel über (a) die Frage, wie man Nationalsozialist wurde und wer nicht in die Partei aufgenommen wurde (Falter), (b) über allgemeine und (c) spezielle Erklärungs-modelle zum Beitritt in die NSDAP und zu den Motiven, die Partei wieder zu verlassen (Falter, Meßner) und (d) eine kritische Darstellung des bisherigen Forschungsstands (Falter); in Teil II. finden sich Ausführungen über (a) die Stichprobenziehung und (b) den Datensatz (Khachatryan/Meßner); Teil III. befasst sich mit Untersuchungen zur Mitgliedschaft der NSDAP im Kerngebiet des Deutschen Reiches, in denen (a) gefragt wird, wie viele Parteimitglieder es überhaupt zu welchem Zeitpunkt gab (Falter/Khachatryan); ferner wird hier (b) auf empirischem Wege eine Typologie von NSDAP-Parteimitgliedern ermittelt (Khachatryan), (c) der Einfluss der politischen Tradition auf die NSDAP-Beitritte analysiert (Röckl), werden (d) Eintritte in Zeiten der Aufnahmesperre (Otto) und (e) die zahlreichen Austritte aus der NSDAP untersucht (Meßner), wird schließlich (f) ein näherer Blick auf die relativ seltene Spezies von Frauen als Mitglieder in der NSDAP geworfen (Schley); Teil IV. geht abschließend auf regionale und lokale Sonderaspekte ein, nämlich (a) die recht zahlreichen sudetendeutsche NSDAP Mitglieder, die mit den österreichischen und reichsdeutschen Mitgliedern verglichen werden (Hertlein); ferner werden (b) NSDAP-Mitglieder aus den angegliederten Reichsgebieten Saarland und Danzig-Westpreußen untersucht (Stroppe), werden (c) die Mitglieder der DAP und der noch sehr jungen NSDAP in München und einigen weiteren sehr frühen Ortsgruppen verglichen (Böhm), wird (d) die Entwicklung der Münchner NSDAP-Mitgliedschaft während der Zwanzigerjahre analysiert (Böhm/Falter) und (e) in einer auf Entnazifizierungsakten basierenden Lokalstudie zweier kleinerer rheinhessischer Gemeinden gefragt, welche örtlichen Strukturen das Mitgliederwachstum der NSDAP begünstigten und hemmten (Neumann); eine Analyse der österreichischen NSDAP-Mitglieder und einiger nur für den Sonderfall Österreich geltender Aufnahmemodalitäten durch den Wiener Zeithistoriker Gerhard Botz schließt den Band ab.
Natürlich ist es nicht möglich, im Rahmen eines solchen Buches alle denk-baren Fragestellungen zu diesem wichtigen Untersuchungsgebiet zu behandeln. Das ist einer in Arbeit befindlichen Monographie des Herausgebers vorbe-halten, die im Verlaufe des nächsten oder übernächsten Jahres erscheinen soll. Ohne die Mitarbeit der am Sammelband als Autoren beteiligten Projekt-mitarbeiter und vieler weiterer wissenschaftlicher Hilfskräfte wäre es nicht möglich gewesen, die umfangreichen Datensätze in auswertbarer Form aufzubereiten und den Sammelband so zu gestalten, wie er nun vorliegt. Namentlich waren das Eva Diegelmann, Lisa Klagges, Hannah Weber und Michael Cattarius sowie Hans-Peter Schreiber. Ihnen allen sei neben den ebenfalls am Projekt beteiligten Autoren der Beiträge des Sammelbandes hier gedankt, ebenso wie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, dem Land Rheinland-Pfalz und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, ohne deren Unterstützung dieses Forschungsprojekt nicht hätte realisiert werden können. Ein besonderer Dank schließlich gilt Armin Nolzen von der Ruhr-Universität Bochum, der sich der Mühe unterzog, die einzelnen Kapitel zu lesen und wo nötig wertvolle Hinweise zur Korrektur und zur Ergänzung zu geben. Ihm verdanken wir nicht nur viele Hinweise darauf, wie wir es besser machen kon-nten, sondern auch manchen Verweis auf die neuere Literatur zum Thema. Jürgen Hotz vom Campus Verlag endlich war nicht nur ein verständnisvoller und großzügiger Begleiter dieses Unternehmens, sondern er erfüllte auch das, was heute im Verlagswesen immer seltener wird, nämlich die Rolle eines kundigen und konstruktiven Lektors. Auch ihm sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt.

Mainz, im Juni 2016
Jürgen W. Falter


Wer durfte NSDAP-Mitglied werden und wer musste draußen bleiben?
Jürgen W. Falter
Der NSDAP konnte keineswegs zu allen Zeiten jeder, der wollte, beitreten. Denn ab Mai 1933 wurden für einige Jahre mit ganz wenigen Ausnahmen keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen. Die Ausnahmen waren streng definiert, auch wenn nicht immer konsequent nach den häufig wechselnden Aufnahmeregeln verfahren wurde. Erst 1937 wurde die Partei wieder für einen breiteren Interessentenkreis geöffnet, stand aber auch da keineswegs allen offen, zumindest formell nicht. Aufnahme sollten nur überzeugte, verdiente Nationalsozialisten, die sich in Untergliederungen der Partei bewährt hatten, finden. Für alle geöffnet wurde die Partei lediglich wieder zwischen 1939 und 1942, um dann erneut umso konsequenter geschlossen zu werden. Dahinter stand die Idee, die NSDAP müsse eine Kaderorganisation überzeugter, in der Wolle gefärbter Nationalsozialisten bleiben, auch wenn im 'Dritten Reich' zunächst die Zielvorgabe von fünf und später von zehn Prozent der Bevölkerung galt, die maximal in die Partei aufzunehmen seien. Parteisäuberungen gab es im Gegensatz zur KPdSU bis 1945 keine, auch wenn es immer wieder zu Ausschlüssen aufgrund von Vergehen, nicht gezahlten Beiträgen oder völligem Desinteresse an der Parteiarbeit kam.
Allerdings übersteigt die Zahl der freiwilligen Austritte die Zahl der un-freiwilligen Ausschlüsse bei weitem: Rund 760.000 Personen, die irgendwann - schwerpunktmäßig vor 1933 - in die NSDAP eingetreten waren, verließen die Partei auch wieder, überraschend viele davon auch noch während des 'Dritten Reiches'. Für die Analyse der sozialen Zusammensetzung der NSDAP ist es daher von großer Bedeutung, wann wer in die Partei durfte und wer von der Mitgliedschaft ausgeschlossen war. Aufgrund dieses Wechsels von Kontingen-tierung, gezielter Steuerung und völliger Öffnung ist es notwendig, bei der Analyse der Parteieintritte die sich wandelnden Aufnahmenormen und die Ab-weichungen davon nachzuzeichnen, um grobe Fehleinschätzungen des sozialen Wandels innerhalb der NSDAP in den zwanzig Jahren seit ihrer Neugründung im Jahre 1925 zu vermeiden.
1. Aufnahmeregeln, Austritte, Parteiausschlüsse und Wiedereintritte
Das Aufnahmeverfahren erfolgte nach strengen Regeln, auf deren Einhaltung sorgsam geachtet wurde. So war es unabdingbar, zur Einleitung der Aufnahmeprozedur persönlich ein Aufnahmeformular auszufüllen, zu unterzeichnen und bei der zuständigen Ortsgruppe abzugeben. Der Ortsgruppenleiter musste dann auf dem Antragsformular seine Zustimmung dokumentieren und dieses über die Kreis- und Gauleitung zum Hauptquartier der Partei in München senden. Jede dieser Stellen, vom Ortsgruppenleiter angefangen, konnte Einspruch gegen die Mitgliedschaft des Antragstellers in der Partei erheben (Berlin Document Center 1947: 9f.).
Spätestens ab 1932 'wurde auf eine genaue Einhaltung des Dienstweges strengstens geachtet. Bis zum Jahre 1932 war es für die Ortsgruppe möglich, direkt mit dem Gau und in einzelnen Fällen sogar mit der Reichsleitung in München in Mitgliedschaftsangelegenheiten schriftlich zu verkehren; von diesem Zeitpunkt ab jedoch war der vorgeschriebene Weg Ortsgruppe, Kreis, Gau, Reichsleitung und auf demselben Wege zurück' (Bayern 1947: 254).
Dabei wurde vom Zeitpunkt der Neubegründung der Partei an ein einheitliches Antragsformular verwendet, das im Laufe der Jahre gewisse Modifikationen erfuhr. So war die Zugehörigkeit zu 'Geheimbünden' anfangs nicht auf den ausgegebenen Antragsformularen enthalten, wurde aber um die Jahreswende 1927/28 eingeführt und 1934 durch den Ausdruck 'Logen' ergänzt (ebd.: 257). Ab 1937 wurde als 'Anlage zum Antrag auf Aufnahme in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei' überdies verlangt, einen ausführlichen zweiseitigen Fragebogen auszufüllen, wo auch nach den Eltern, dem Ehegatten, der Angehörigkeit zu einer Freimaurerloge, einer eventuellen früheren NSDAP-Mitgliedschaft und gegebenenfalls nach dem Grund des Ausscheidens aus der Partei sowie nach etwaigen Vorstrafen gefragt wurde.
Als aufgenommen galt ein Mitglied erst dann, wenn es die von der Reichs-leitung ausgestellte Mitgliedskarte ausgehändigt bekam.
'Tatsächliches Eintrittsdatum ist daher nicht der Tag, an dem der Betreffende seinen Antrag zur Aufnahme in die NSDAP gestellt hat (die Aufnahme bleibt im Übrigen der Reichsleitung vorbehalten), sondern der, an dem die Aufnahme durch die Reichsleitung vollzogen wurde. Es muss aus Zweckmäßigkeitsgründen an der bisherigen Übung festgehalten werden, wonach als Eintrittstag der 1. desjenigen Monats als Eintrittsdatum angenommen wird, in dem die Aufnahmescheine hier eingehen' (Reichsschatzmeister vom 27.12.1929: 1).
In den ersten Jahren nach Neugründung der Partei wurde dies noch anders gehandhabt, dann aber - faktisch ab 1928 - setzte sich diese Praxis (Eintritts-datum stets der 1. des Monats des Eingangs des Antrags bei der Reichsleitung) durch. Sie galt bis 1943, als dann der 20. April als kollektives Aufnahmedatum für die in die Partei eintretenden Hitlerjugend-Abgänger und Bund Deutscher Mädel-Abgängerinnen diente.
Austritte aus der Partei gab es, wie wir noch sehen werden, vor 1933 häufig. Rund 40 Prozent derer, die zwischen 1925 und Januar 1933 in die Partei eingetreten sind und sogar mehr als zwei Drittel derer, die sich vor 1930 der Hitlerbewegung angeschlossen hatten, haben sie auch wieder verlassen, die meisten vor der sogenannten Machtergreifung, aber auch Hunderttausende noch während des 'Dritten Reiches', also in der 'Regimephase'. Wer nach dem 1. Januar 1932 aus der Partei ausgetreten war, konnte laut einer Verfügung des Reichsschatzmeisters vom 5. Januar 1932 nicht wieder aufgenommen werden.
Auch konnten ab diesem Datum 'Streichungen von Mitgliedern, welche aufgrund der Monatsmeldungen der Ortsgruppen durchgeführt werden [..] nicht mehr zurückgenommen werden. Eine Wiederaufnahme kommt auch in diesen Fällen nicht mehr in Frage' (Reichsschatzmeister vom 5.1.1932: 36). Trotz der scheinbar keine Ausnahmen zulassenden Formulierung gab es zwischen 1934 und 1945 unseren Daten nach rund 130.000 Wiedereintritte in die Partei.
Daneben gab es Parteiausschlüsse, die analog zur Aufnahmeprozedur nach strikt geregelten Verfahren erfolgten. Diese konnten auf zweierlei Weise zustande kommen: zum einen - allerdings nur bis zum 1. April 1933 - als Ausschluss auf dem Verwaltungswege ohne Parteigerichtsverfahren wegen Nichtzahlung von Beiträgen, zum anderen durch ein förmliches Parteigerichts-verfahren. Ausschlussgründe waren laut Satzung der NSDAP von 1926 'ehrenrührige Handlungen', Zuwiderhandlung gegen die Bestrebungen des Vereins, sittliche Verfehlungen, Interesselosigkeit am Verein oder ein dreimonatiger Verzug bei der Beitragsleistung. Über die Einleitung des Ausschlussverfahrens entschied laut Satzung auf Antrag des zuständigen Untersuchungs- und Schlichtungsausschusses der 1. Vorsitzende der betreffenden Ortsgruppe, die Mitgliederversammlung der Ortsgruppe, der Gauleiter oder der Vorsitzende des Vereins, also Adolf Hitler. Von sich aus konnte der Ortsgruppenleiter keinen Parteiausschluss erklären.
'Während das Verfahren schwebte, wurde der Mitgliedsausweis durch den Ortsgruppenleiter eingezogen, Abzeichen und Uniform durften nicht getragen, Ämter in der Partei nicht begleitet werden. Die Beitragspflicht bestand jedoch weiter. Austritt aus der Partei konnte [während des laufenden Verfahrens - J. F.] nicht erklärt werden' (Bayern 1947: 267f.).
Eine Wiederaufnahme war, soweit es sich nicht um einen zeitlich befristeten Ausschluss handelte, laut Verfügung des Reichsschatzmeisters vom 5. Januar 1932 nicht mehr möglich (Reichsschatzmeister vom 5.1.1932: 36). Dass es sie bis ins Jahr 1937 dennoch in durchaus nennenswerter Zahl gab, wie sich aus unseren Daten ergibt, ist ein Beleg für die häufiger im Rahmen der NSDAP-Mitgliederpolitik und -verwaltung anzutreffende Diskrepanz von Norm und Wirklichkeit.
2. Die Aufnahmepraxis in der sogenannten Bewegungsphase 1919 bis 1933
Prinzipiell konnte jeder sich vor der Etablierung des 'Dritten Reiches' der NSDAP anschließen, falls er (oder natürlich auch sie) bestimmte Voraus-setzungen erfüllte, die schon in der vorläufigen Satzung der NSDAP von 1921 oder genauer: der Satzung der juristischen Trägerorganisation der NSDAP, des Nationalsozialistischen Deutschen Arbeitervereins, und dann in der abschließenden Satzung von 1926 geregelt waren. Man musste Angehöriger des deutschen Volkes, arischer Abkunft und 'unbescholten' sein (NSDAP 1921: § 3, zitiert nach: Tyrell 1969: 32). Mehr wurde von der Satzung in der Fassung von 1921 nicht gefordert. Die Satzung von 1926 schreibt in ihrem Paragraphen 3 über die Mitgliedschaft: 'Jeder unbescholtene Angehörige des deutschen Volkes, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und rein arischer Abkunft ist, kann die Mitgliedschaft des Vereins erwerben durch Ausfüllung des Aufnahmescheins der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei und Zahlung einer Aufnahmegebühr' (NSDAP 1926). Ausgeschlossen waren also Nicht-Deutsche, wobei aus der vorstehenden Formulierung nicht ganz klar hervorgeht, ob es sich bei den 'Angehörigen des deutschen Volkes' ausschließlich um so genannte Reichsdeutsche handelt, also um Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, oder ob auch sogenannte Volksdeutsche aufgenommen werden konnten, das heißt Personen deutscher Kultur und deutscher Sprache, die aber eine andere Staatsangehörigkeit besaßen. Nach 1933, insbesondere aber ab 1938 wird diese Unterscheidung eine zunehmend wichtigere Rolle bei der Frage spielen, wer NSDAP-Mitglied werden durfte und wer von der Mitgliedschaft ausgeschlossen war. Ausgeschlossen waren durch die Formulierung 'arischer Abkunft' vor allem Juden und Farbige sowie Roma und Sinti.
Lässt sich aus der Formulierung der beiden Satzungsversionen von 1921 und 1926 vielleicht noch die Ächtung von Roma und Sinti herauslesen, die damals Zigeuner genannt wurden, so gilt das mit Sicherheit nicht für eine weitere Gruppe, deren Mitgliedschaft ebenfalls als unvereinbar mit der Zuge-hörigkeit zur NSDAP galt, nämlich die Freimaurer: 'Auch sie [die Mitglied-schaft in einer Loge - J. F.] ist ein Hinderungsgrund zur Mitgliedschaft in der N.S.D.A.P. Dabei ist ausdrücklich zu betonen, dass es sich um jede Loge und um jeden Geheimbund handelt, die nationalen und völkischen nicht ausge-schlossen' (Vorsitzender des USchlA vom 17.8.31: 1, Unterstreichungen im Original). Walter Buch, der spätere Oberste Parteirichter, der diese Richtlinie formulierte, begründet das mit Verweis auf den Ausschließlichkeitsanspruch der NSDAP. Diese verlange von ihren Mitgliedern die ganze Arbeitskraft, die sie nicht mit anderen, auch konkurrierenden Gemeinschaften teilen wolle. 'Außerdem lehnt sie das unehrliche Spiel mit der Zugehörigkeit zu mehreren vaterländischen und völkischen Verbänden ab. Dies ist lediglich dazu angetan das tatsächliche Bild der wirklichen Stärke dieser Verbände zu verschleiern' (ebd.: 3).
In den Anfangsjahren bestand hinsichtlich von Zweifelsfällen zweifelsohne ein gewisser Ermessensspielraum. Über die Gültigkeit eines Aufnahmeantrags entschied die Ortsgruppe oder genauer 'ein von dem jeweiligen Vorsitzenden eingesetzter Untersuchungs-Ausschuß' (NSDAP 1921: § 3, zitiert nach: Tyrell 1969: 32). Die Satzung in der Fassung von 1926 modifiziert das Annahme- beziehungsweise Ablehnungsverfahren leicht und führt in Paragraph 3, Abs. 2 aus: 'Eine Ablehnung von Neuangemeldeten erfolgt ohne Angabe von Gründen durch den jeweiligen 1. Vorsitzenden der betreffenden Ortsgruppe in Übereinstimmung mit seinem Untersuchungs- und Schlichtungsausschuss' (NSDAP 1926). Willkommen war diesen beiden Satzungsversionen der zwan-ziger Jahre zufolge prinzipiell jeder, der die oben genannten Kriterien erfüllte. Über eine formelle und allgemein verbindliche, über die vorstehend genannten Kriterien hinausgehende Steuerung von Neuaufnahmen ist aus der Zeit vor 1933 nichts bekannt. Dies gilt insbesondere auch für bestimmte soziale Charakteristika der Neueintretenden wie ihren Beruf, ihre Konfession, ihren Familienstand oder ihre regionale Herkunft. Dass einzelne Ortsgruppenleiter möglicherweise, ja sogar höchst wahrscheinlich versucht haben, ihre eigenen Präferenzen und Abneigungen auf der lokalen Ebene durchzusetzen, indem sie ihnen persönlich missliebige Personen daran hinderten, in die Partei einzutreten oder von ihnen besonders bevorzugte Personen aufforderten, einen Aufnahmeantrag zu stellen, steht dazu nicht im Widerspruch. Ab 1933 sollte sich vieles ändern, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.
3. Die Aufnahmepraxis zwischen 1933 und 1937
Mit der sogenannten Machtergreifung ändert sich zunächst einmal, was die Aufnahmepraxis der NSDAP angeht, nichts. Es gelten die gleichen Regeln wie zuvor, und dies bis zum 30. April 1933. Grundsätzlich kann sich noch immer jeder der Partei anschließen, vorausgesetzt er ist Deutscher, kein Jude, Rom oder Sinto, nicht farbig und kein Freimaurer oder Angehöriger eines sonstigen Geheimbunds. Ab diesem Zeitpunkt setzt eine grundsätzliche, vergleichsweise streng gehandhabte Mitgliedersperre ein, die - mit periodischen Lockerungen - bis 1939 andauern sollte. Nur noch ganz bestimmte, eng definierte Personen-kreise hatten während der Zeit der Mitgliedersperre die Möglichkeit, in die Partei einzutreten. Angekündigt hatte bereits Adolf Hitler diese Aufnahme-sperre in 'Mein Kampf' und andernorts. Notwendig geworden war sie wegen des von Hitler vorausgeahnten ungeheuren Ansturms der sogenannten März-gefallenen, die nach der 'Machtergreifung' und insbesondere nach der März-wahl 1933 die Partei geradezu überschwemmten. Innerhalb eines Vierteljahres verdreifachte sich die Zahl der Parteimitglieder, was bedeutete, dass sich zwei von drei damaligen Parteimitgliedern erst nach dem 30. Januar 1933 der NSDAP anschlossen. Am 19. April wurde mit Wirkung vom 1. Mai 1933 deswegen eine nahezu totale Aufnahmesperre beschlossen, was dazu führte, dass in den letzten zehn Apriltagen die lokalen Parteibüros der NSDAP von Aufnahmewilligen geradezu überrannt wurden. Die Parteibürokratie stellte das sowohl in einzelnen Gauen als auch in der Münchner Parteizentrale vor große administrative Probleme. Naturgemäß war die Münchner Parteizentrale, bei der sich ja alle Aufnahmeanträge sammelten, von der Antragsschwemme in besonderem Maße betroffen. Die mehr als eineinhalb Millionen Aufnahme-anträge konnten dort erst ganz allmählich abgearbeitet werden, was dazu führte, dass die letzten Mitgliedskarten für die 'Märzgefallenen' erst 1936 ausgegeben wurden (Allen 1984: 286). Sie trugen praktisch ausnahmslos als Aufnahmedatum den 1. Mai 1933.