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Tod und Spiele - Der 2. Fall für Falko Cornelsen

Petra Mattfeldt

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2016

ISBN 9783839251508 , 313 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

1. Kapitel


Freitag, 03. Januar, 09.40 Uhr

Raus! Ein paar Tage nachdenken. Nein, nur nicht mehr denken. Der Fall war abgeschlossen, die Akten weggelegt. Die letzten Monate waren an Falko vorbeigezogen. Er hatte gehofft, über Weihnachten abschalten zu können und ein bisschen loszulassen. Sehen, was noch zu retten war. Heike hatte Normalität geschauspielert. Es war ihr nur mäßig gelungen. Das Weihnachtsfest hatten sie wie in jedem Jahr verbracht, nur zu zweit, ein Essen, der Austausch einiger Geschenke. Zu Silvester waren sie der Einladung eines befreundeten Paares gefolgt. Andrea war Ärztin, genau wie Heike, ihr Mann Stefan Architekt. Er hatte den Auftrag erhalten, die alten Speicheranlagen zu modernen Wohnungen der gehobenen Klasse umzubauen, und erzählte ausschweifend über die Pläne dieses, wie er immer wieder betonte, einzigartigen Projekts. Falko hatte Mühe gehabt, sich auf den eintönigen Redeschwall zu konzentrieren und gelegentlich Fragen einzuwerfen, die vermeintliches Interesse signalisieren sollten. Es war kurz vor zwei gewesen, als Heike und Falko sich verabschiedetet und von einem Taxi zu ihrem Haus nach Ochtmissen hatten bringen lassen.

Das neue Jahr war noch keine zehn Stunden alt gewesen, als Falko seiner Frau beim Frühstück mitgeteilt hatte, Urlaub zu nehmen und einige Tage allein fortzufahren, um sich endlich über alles klar werden zu können. Ihr Protest war nur schwach ausgefallen.

Am Morgen des 3. Januar packte Falko die lederne Reisetasche in seinen BMW X5 und startete den Motor. Er fuhr noch kurz beim Seniorenheim vorbei, in dem seine Mutter lebte. Es war keiner der Tage, an dem sie ihn erkannte. Also hielt er sich nicht lange auf. Kurz überlegte er, einer Pflegerin Bescheid zu geben, dass er für eine Weile nicht vorbeikäme. Doch er musste sich eingestehen, dass er sich auch sonst, wenn ein neuer Fall seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte, oft Tage, manchmal sogar Wochen nicht blicken ließ. Wahrscheinlich würde nicht einmal jemand bemerken, dass er seine Mutter nicht besuchte. Sie am allerwenigsten.

Er fuhr auf der A 7 Richtung Norden. Die Küste war genau das, was er jetzt brauchte. Kalte Luft, eine stürmische See, heißer Tee und lange Spaziergänge, die ihm halfen, seine Gedanken zu ordnen.

Heike hatte ihn betrogen, monatelang, und er hatte nichts davon gemerkt. Er, Kriminalhauptkommissar und Profiler, der den Ruf besaß, Menschen und Tatorte lesen zu können wie kaum ein anderer, war wie ein Ochse am Ring durch die Manege gezerrt und vorgeführt worden. Er schlug mit der flachen Hand gegen das Lenkrad. Wie hatte er nur so ein Idiot sein können? Falko beschleunigte, drückte das Gaspedal immer weiter durch, kam seinem Vordermann bedrohlich nah, der rasch nach rechts rüberzog, als er den BMW im Rückspiegel heranschießen sah. Falko gefiel das Gefühl der Macht, die Kontrolle, andere durch sein Verhalten zum Nachgeben zu zwingen. Doch schon im nächsten Moment hob er den Fuß, nahm den Druck vom Gaspedal. Was war er nur für eine jämmerliche Gestalt, wenn er es genoss, andere auf diese Weise einzuschüchtern?

An der Raststätte Harburger Berge fuhr er ab und stoppte direkt vor dem Restaurant. Als er eintrat, ließ er seinen Blick über die Gäste schweifen. Eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Eine weitere mit drei Kindern, die bereits etwas älter waren. Eine Vierergruppe Männer, wahrscheinlich Handwerker, ein einzelner Mann hinten rechts am Fenster. Falko tippte darauf, dass er LKW-Fahrer war. Er ging zum Tresen, besah die dort an Plexiglasscheiben angeschlagenen Angebote und entschloss sich, lediglich eine Tasse Kaffee zu trinken. Essen würde er später, sobald er die Küste erreichte. Dann in einem Fischrestaurant. Das Essen hier würde ihm nur zentnerschwer im Magen liegen.

Er nahm sich den Kaffee und setzte sich an einen Tisch am Fenster. Ihm ging das Gespräch von heute Morgen durch den Kopf, während er kleine Schlucke trank und die Kaffeetasse zwischen seinen Fingern drehte. Heike hatte ihn gefragt, wo er überhaupt hinwolle. Er war nicht sicher, dass sie ihm geglaubt hatte, als er ihr sagte, es selbst nicht zu wissen. Sie konnte ihn über Handy erreichen. Das musste ihr derzeit als Auskunft genügen.

Kurz kontrollierte er jetzt, ob ein Anruf eingegangen war, bevor er den letzten Schluck nahm und das Tablett mit der Kaffeetasse in einen dafür vorgesehenen Geschirrwagen stellte. Niemand hatte versucht, ihn zu erreichen.

Die Kollegen wussten Bescheid, dass er sich eine kleine Auszeit nahm. Bis auf Timo Breitenbach, seine rechte Hand, wusste keiner aus seinem Team um die Ehekrise, in der er steckte. Sarah Bischoff und Rolf Kramer hatte er sich nicht anvertraut, obwohl Falko sicher war, dass die beiden etwas ahnten. Sie waren Vollblutermittler, genau wie er. Es war ihr Beruf, die Menschen um sich herum genau zu beobachten. Doch selbst wenn sie es wussten oder zumindest ahnten, dass es privat bei Falko nicht zum Besten stand, waren sie höflich genug, ihn nicht darauf anzusprechen.

Er ließ seinen Blick über die Raststätte schweifen, als er ins Freie trat. Was machte er hier eigentlich? Wäre es nicht besser gewesen, sich gemeinsam mit Heike eine kleine Auszeit zu nehmen, um festzustellen, was sie noch verband? Tat er nicht genau das, was sie ihm immer mal wieder zum Vorwurf gemacht hatte? Spielte er einsamer Wolf, der stets alles mit sich selbst ausmacht? Er schlang sich den Schal, den er von Heike zu Weihnachten bekommen hatte, um den Hals, zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch und ging zu seinem Auto. Kurz überlegte er, dann zog er sein Handy hervor und wählte einen Kontakt aus. Es klingelte zweimal.

»König?«

»Oli? Hier ist Falko.«

»Was? Mit dir hätte ich jetzt wirklich nicht gerechnet. Frohes neues Jahr!«

Es tat Falko gut, die Freude in der Stimme des Freundes zu hören. »Dir auch! Wie sieht’s aus bei dir?«

»Alles bestens. Bei uns ist’s im Moment ruhig. Offenbar sind die Straftäter alle noch im Weihnachtsurlaub.« Er lachte auf. »Ich hab ein paar Tage Urlaub genommen.«

»Ach ja? Ich auch. Hättest du dann Lust, dich mit mir auf ein Bier oder einen Wein zu treffen?«

»Wieso? Bist du in Flensburg?«

»Noch nicht, aber auf dem Weg an die Küste. Dann würde ich dort Halt machen.«

»Mensch, Falko. Das würde mich wirklich freuen. Wann kannst du hier sein?«

Falko sah auf die Uhr. »In zwei Stunden etwa, würd ich sagen.«

»Perfekt! Ich koche uns was für heute Abend. Oder willst du lieber Essen gehen?«

»Mir wär’s bei dir lieber.«

»Mir auch. Und bevor du was sagst, ich mach direkt die Couch fertig. So kannst du nachher den Wagen stehen lassen und wir haben mal kein zeitliches Limit.«

»Okay. Dann bis nachher.«

»Ja, bis dann. Ich freu mich echt auf dich.«

Falko klickte die rote Taste, steckte sein Handy in die Jackentasche und stieg ins Auto. Seine Stimmung hatte sich schon jetzt erheblich verbessert. Oliver König war genau wie er Kriminalhauptkommissar. Er hatte sich vor über zehn Jahren in Flensburg niedergelassen, war 41 Jahre alt, nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Ein sportlicher Typ, der trotz seines ernsten Berufes immer eine gewisse Leichtigkeit ausstrahlte. Etwas, das Falko von sich leider nicht behaupten konnte. Sie hatten sich vor Jahren bei einer Fortbildung kennengelernt, den Kontakt stets aufrechterhalten und waren schließlich gute Freunde geworden. Schon oft hatte Oliver Falko um dessen Profilermeinung gebeten, wenn dieser sich bei seinen Ermittlungen in einer Sackgasse befand und einen neutralen Blick auf die Fakten benötigte. So hatte Falko oft einen Impuls geben können, um einen Fall neu zu betrachten und die Ermittlungen in eine weitere Richtung zu lenken.

In Flensburg würde er noch irgendwo ein oder zwei Flaschen besorgen. Oliver bevorzugte genau wie er selbst Rotwein. Er startete den Motor und fuhr los. Endlich ein Ziel vor Augen, auf das er sich freute.

Gute zweieineinhalb Stunden später drückte er den Klingelknopf zu Olivers Wohnung in einem Mehrfamilienhaus am Rand der Altstadt und wartete, bis er den Summton hörte. Dann trat er ins Treppenhaus.

»Da bist du ja.« Oliver stand in der geöffneten Wohnungstür. »Mensch Alter, komm rein.«

Die Männer umarmten sich zur Begrüßung. Eine Geste, die Falko mit nur sehr wenigen Menschen tauschte.

»Es ist echt schön, dich zu sehen«, bekräftigte Falko. »Ist ’ne ganze Weile her.«

»Das kannst du laut sagen. Gib mir deine Jacke.«

»Danke.« Falko trat vom Flur aus ins Wohnzimmer und pfiff anerkennend durch die Zähne. »Hier hat sich aber einiges verändert. Hast du eine Freundin?«

»Hatte«, bemerkte Oliver grinsend. »Die Frau ist wieder weg, ihren guten Geschmack hat sie hiergelassen.«

»Was Ernstes?«

Oliver wiegte den Kopf. »Schon, aber ich bin drüber weg. Der Dienst«, er zuckte mit den Schultern. »Du weißt ja, wie’s ist. Hier musste ich mal eine seit Langem geplante Feier bei Freunden absagen, da mal einen Besuch im Konzert, weil die Herren Straftäter sich so ungern an Bürozeiten halten. Da hat’s ihr irgendwann gereicht. Doch wir verstehen uns noch immer gut. Sie hat inzwischen einen neuen Freund, kommt aber gelegentlich noch vorbei. Wenn du verstehst …« Er zwinkerte.

»Ich verstehe«, bemerkte Falko grinsend.

»Ist eben nicht überall wie bei dir und Heike«, brachte Oliver mit bedauernder Geste hervor, sah jedoch, wie sich sofort Falkos Gesichtsausdruck veränderte.

»Ist was passiert?«

»Ach, was soll ich lang drum herumreden? Genau deshalb...