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Glühwein, Mord und Gloria - Kriminalgeschichten

Manfred Baumann

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2016

ISBN 9783839251560 , 256 Seiten

3. Auflage

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

Nikolaus, du toter Mann


Saskia fror. Sie blies warmen Atem auf ihre klammen Finger. Sie hatte ihre Handschuhe vergessen. Im Bus war ihr das Fehlen der Fäustlinge aufgefallen, doch da war es schon zu spät. Idiotin! Sie blickte auf die Uhr. Schon zehn Minuten nach halb neun. Wo bleibt sie nur? Sie selbst war pünktlich gewesen. Sogar zehn Minuten zu früh. Deshalb fror sie jetzt schon seit 20 Minuten auf der Straße. Triste Umgebung. Auf dem Weg von der Busstation war ihr ein einziges Kaffeehaus aufgefallen. Doch da würden sie keine zehn Pferde hineinbringen. Sie las zum dritten Mal die Annonce. »Brauchst du Babysitterin? Mich anrufen.« Auf dem grünen Zettel stand auch eine Telefonnummer. Daneben hing ein großes rosa Blatt mit dem Bild einer Katze. Getigertes Fell. Schwarze Schwanzspitze. »Wer hat meinen Murli gesehen? Er ist am 4. Dezember entlaufen.« Das war vorgestern. Die Auslagenscheibe war vollgepflastert mit Anzeigen, Plakaten, Veranstaltungsankündigungen. Das Geschäft stand wohl schon eine Zeit lang leer. Der Raum hinter der verdreckten milchigen Scheibe war verlassen. Nur ein paar Kabeln hingen aus der Wand.

»Copys op Breitner« stand über der Eingangstür. Das h war herausgerissen. Wer stahl ein h? Sie betrachtete wieder die Glasfront. Besonders auffällig fand Saskia die in zartem Gelb gehaltene Einladung eines Bibelkreises am rechten Rand der Auslage. »Suchet, so werdet ihr finden (Matthäus 7,7)« stand in dicken Lettern am oberen Rand. Und darunter die Aufforderung, die Bibel gemeinsam zu lesen, um gerettet zu werden. Einmal die Woche. Dazu eine Internetadresse zur Anmeldung. Aber am besten fand sie den Spruch, der die Anzeige abschloss. »Denn ich, der Herr, habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer (Hosea 6,6).« Um Lust ging es auch in dem Geschäft, das sich daneben befand, und vor dem sie nun schon geschlagene 22 eiskalte Minuten wartete. Das war ein Sexshop, mit knalligem Schriftzug quer über der Vorderfront. »Amoritta«. Saskia lachte. Welch herrliche Umgebung. Die Einladung eines Bibelkreises direkt neben einem Erotikladen. »Denn ich, der Herr, habe Lust an der Liebe …« Sie war sich auch nicht sicher, ob »Brauchst du Babysitterin? Mich anrufen« tatsächlich ein ernsthaft gemeintes Angebot für Kinderbetreuung war oder doch eher auf ganz andere Dienste abzielte.

»Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie habe warten lassen. Aber der Stau am Stadtrand war heute fürchterlich.« Na endlich, die Ladenbesitzerin. Saskia war so im Studium der Anzeigen vertieft gewesen, dass sie das Herannahen der Frau gar nicht wahrgenommen hatte. Sie musste aus einer der Quergassen gekommen sein.

»Ach kein Problem«, log Saskia und reichte der Frau die Hand. Die Geschäftsinhaberin kramte in ihrer riesigen Tasche nach dem Türschlüssel. »Offiziell sperre ich erst um halb zehn auf. Es wird uns also genug Zeit für Ihr Interview bleiben?« Sie hatte den Schlüssel gefunden. »Also ich brauche jetzt einen starken Kaffee. Und Sie?« Saskia hatte zwar schon mit ihrer Tante in der Früh einen Espresso getrunken. Aber gegen eine weitere Tasse hatte sie nichts einzuwenden. »Bitte sehr. Immer herein in meine gute Stube.«

Die Frau öffnete die Tür und ließ Saskia den Vortritt. Die fasste den Träger ihrer Umhängetasche mit dem Aufnahmegerät fester und trat ins Innere des Ladens. Gleich neben der Tür stand ein leerer Schirmständer. Daran schloss sich ein brusthohes Regal mit durchsichtigen Scheiben an. Einige schwarz glänzende Kleidungsstücke lagen darin. Offenbar Strapscorsagen und Lederdessous. Im Fach darunter bemerkte Saskia gerippte und gebogene Kunststoffobjekte. Sie erkannte zwei »Rabbit«-Vibratoren im Technolook als Sonderangebote. Ob dieses »Love-Toy« heuer auch auf der Weihnachts-Topliste für Erotik-Fans stand? Das würde sie gleich im Interview erfahren. Sie bog um das schräg gestellte Regal und gewann freie Sicht auf den hinteren Teil des Geschäftes. Im ersten Moment glaubte sie, ihren Augen nicht zu trauen. Auf dem Boden lag eine Gestalt. In einer Blutlache. Mit einer Bischofsmütze? Saskia suchte Halt, stützte sich an einem der Plastikständer ab.

»Mein Gott, Dominik!« Die Frau hinter ihr ließ die Tasche fallen. In drei schnellen Schritten war sie bei dem Mann, der reglos den hellblauen Kunststoffboden bedeckte. »Dominik!« Sie ging in die Hocke, rüttelte den Leblosen an der Schulter. Erst jetzt bemerkte Saskia den goldenen Umhang, in dem der Mann steckte. Und neben der Tür, die den Raum nach hinten abschloss, lehnte ein Krummstab.

Das darf doch nicht wahr sein. In welchem Traum befinde ich mich?

Vor ihr auf dem Boden des Sex-Shops lag ein toter Nikolaus!

»Bitte, Tante Carola. Lass mich an den Ermittlungen teilnehmen. Immerhin bin ich eine wichtige Zeugin!«

Die Chefinspektorin schüttelte den Kopf, drückte ihre Nichte zurück auf den Stuhl.

»Bei aller Liebe, Saskia. Aber das geht nun wirklich nicht. Du bist kein Mitglied der Polizei.«

Die junge Frau zog eine mürrische Schnute. Doch sie würde nicht locker lassen. Das spürte auch ihre Tante. An Sturheit grenzende Hartnäckigkeit lag in der Familie. Das wusste Carola Salmann aus leidvoller eigener Erfahrung. In diesem Fall hatte Saskia den Dickkopf von ihrem Vater geerbt, Carolas Bruder Fabian.

Der Mann auf dem Boden des Erotikladens war ganz offensichtlich tot gewesen. Da nützte es auch nichts, wenn die Inhaberin ihn immer wieder am Arm rüttelte und hemmungslos heulte. Saskia hatte ihr klar gemacht, dass ihre Tante bei der Salzburger Kriminalpolizei sei, und Carola augenblicklich angerufen. Dann hatte sie die Inhaberin sanft, aber bestimmt aufgefordert, die Leiche nicht mehr zu berühren. Schließlich sei das hier ein Tatort.

Noch vor dem Eintreffen der Polizei hatte Saskia in der Redaktion angerufen und umgehend die Chefredakteurin verlangt. Seit zwei Wochen machte sie ein Praktikum beim »Salzach Figaro«, einer auflagenstarken Gratiszeitung, die nicht nur in der Stadt Salzburg, sondern in der ganzen Region gelesen wurde. Chefredakteurin Tara Tomanski staunte nicht schlecht, was ihr die junge Praktikantin mitteilte. Sie lobte Saskia ausdrücklich für ihr journalistisch professionelles Verhalten, sofort die Redaktion verständigt zu haben. Als ihr Saskia so nebenbei noch offenbarte, dass die ermittelnde Chefinspektorin ihre Tante sei, beauftragte sie die Blattchefin, unbedingt am Ball zu bleiben und regelmäßig Bericht zu erstatten.

Fürs Erste zog sich Saskia zurück, verließ das Büro ihrer Tante.

»Hallo, Saskia.«

»Hallo, Otmar.« Sie war schon fast an ihm vorbei, blieb dann aber stehen. Sie drehte sich schnell um, lief auf den beleibten Mann zu, umarmte ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Schön, dich zu sehen. Ich hoffe, dir geht es gut.« Otmar Braunberger zwinkerte ihr zu. »Wenn ich von einer bildhübschen jungen Frau so charmant begrüßt werde, dann auf jeden Fall.« Sie winkte ihm zu und huschte hinaus. Der langjährige Kollege ihrer Tante konnte sie gut leiden, das war ihr klar. Auch sie fand ihn sympathisch. Vielleicht gelang es ihr, den stets gutmütig wirkenden Abteilungsinspektor ein wenig »anzuzapfen«, wenn schon ihre Tante auf stur schaltete.

Saskia sollte für den »Salzach Figaro« an einer Serie über die aktuellen Trends bei ausgefallenen Weihnachtsgeschenken mitarbeiten. In einem Sex-Shop nachzufragen, war ihre Idee gewesen. Seit die Hälfte des weiblichen Anteils an der Menschheit in »Fifty Shades of Grey«-Fantasien schwelgte, boomte die Branche. Der Chefredakteurin hatte der Vorschlag so gut gefallen, dass sie ihr erlaubte, das geplante Interview mit einer Erotik-Artikel-Händlerin ganz alleine zu führen. Deshalb war Saskia heute früh in der gottverlassenen Straße hinter dem Bahnhofsviertel aufgetaucht. Und dann lag vor ihren Füßen ein toter Mann. In einem Nikolauskostüm! Sie war die einzige Journalistin am Tatort. Und die leitende Ermittlungsbeamtin war ihre Tante. So eine Chance ließ man sich doch nicht entgehen! Auch die Pulitzerpreisträger hatten einmal klein angefangen. Und dass aus ihnen im Lauf ihrer Karriere etwas geworden war, verdankten sie garantiert auch ihrer Hartnäckigkeit. Von dieser grundsoliden Charaktereigenschaft besaß Saskia Bernhard genügend.

»Hallo, Otmar. Wie darf ich dein Lächeln deuten?«

Der Abteilungsinspektor setzte sich auf den Besucherstuhl. »Eben ist deine Nichte an mir vorüber geschwebt. Sie war schon fast draußen, als ihr einfiel, mich vielleicht mit einem Kuss zu bezirzen, damit sie später aus mir herauskitzeln kann, was du ihr an Informationen verweigerst.«

Carolas Lachen erinnerte an glucksende Möwenschreie.

»Immerhin, sie lässt nichts unversucht.«

»Und ein alter Mann wie ich hat eine Schwäche für Schmeicheleien.«

Noch einmal klang das Lachen auf, dann wurden sie beide wieder ernst. Da Kommissar Merana im Ausland weilte, leitete die Chefinspektorin die Mordermittlung.

»Also Otmar, lass uns abgleichen, was wir bis jetzt wissen.«

Sie fassten die Rechercheergebnisse für die Unterlagen zusammen.

Der Tote hieß Dominik Reiter, 34 Jahre alt, von Beruf Web-Designer. Er war der Bruder der Ladenbesitzerin Laelia Reiter. Ihr gehörte das Erotikgeschäft seit acht Jahren. Sie führte den Shop alleine. Ab und zu half ihr Bruder aus, wenn die Besitzerin einen dringenden Termin hatte. So auch gestern. Dominik Reiter hatte zudem Kontakt zu einer kirchennahen Agentur, die Nikolaus-Darsteller vermittelte. Er war vor drei Jahren per Zufall dazu gekommen. Diese Auftritte...