dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Von Zimtsternen und Zimtzicken - Vier todbringende Storys zum Genießen

Friederike Schmöe, Jennifer B. Wind, Isabel Morf, Ella Danz

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2016

ISBN 9783839251669 , 279 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

Freitag, 25. November


Schneeregen klatschte gegen die Windschutzscheibe. Romy setzte den Blinker. Dornstadt. Hier war der Name mal nicht Programm. Von einer Stadt konnte keine Rede sein. Maximal ein Dorf, vielmehr ein Weiler. Franken im November. Düsternis und beklemmende Provinz; kalter, widerlicher Niederschlag. Ende Gelände.

Heute Morgen war sie noch neben Ole aufgewacht. Selten genug, dass sie aneinandergeschmiegt einschliefen. Umso mehr hatte sie seinen gleichmäßigen Atem und seine Wärme genossen; jetzt war die Zweisamkeit nur noch eine ferne Ahnung. Dieser neue Auftrag finanzierte sie bis zum nächsten Jahr, eventuell sogar darüber hinaus, und sie hätte mehr als genug Zeit, an ihrer Dissertation zu arbeiten. In Dornstadt würde es keine Ablenkungen geben, so viel war sicher.

Sie stellte die Scheibenwischer auf höchste Stufe und drehte die CD-Lautstärke höher. Tapfer sang der Chor gegen das ruckelnde Geräusch von Gummi auf Glas an. Romys Chor. Sie hatte mitgemacht bei der Aufnahme. Vor zwei Jahren. »Wir sagen euch an den lieben Advent. Sehet, die erste Kerze brennt …« In zwei Tagen war es wieder soweit. Adventskranz, Zimtsterne, Spekulatius, Dominosteine. Romy hatte eine Schwäche für Süßes.

Sie spähte in die frühe Nacht hinaus. Krautige Vorgärten, in einigen leuchteten schon geschmückte Weihnachtsbäume, doch die meisten Häuser umhüllten sich mit Dunkelheit. Auch das Wirtshaus »Zur grünen Linde« mit seinem spärlichen Licht half einer adventlichen Stimmung nicht auf die Sprünge. Wann gingen die hier eigentlich ins Bett? Romy warf einen zweifelnden Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. 16.54 Uhr. Definitiv zu früh, um sich hinterm Ofen zu verkriechen. Trotz der Polarnacht!

»Sehet, die zweite Kerze brennt!«

Sie folgte der Wegbeschreibung durch das Dorf, nahm Kurve um Kurve den Hang hinauf, bis das Kaff endete und kurz darauf eine schmale Einfahrt sichtbar wurde. Ein amerikanischer Briefkasten glänzte für Momente im Lichtkegel auf.

Hier musste es sein. Romy lenkte scharf nach rechts. Der Zufahrtsweg war teuflisch schmal, uneben und voller Pfützen. Angespannt umklammerte sie das Lenkrad. Der übliche Gedankengrusel, wenn sie zu einem neuen Domizil unterwegs war; Geflüster: Du bist ganz allein hier, Romy!

Sie konnte an diesem Ort mit niemandem rechnen. Und mit Ole erst mal auch nicht.

Der Gedanke tat jetzt gerade richtig weh.

»Wir sagen euch an den lieben Advent. Sehet, die dritte Kerze brennt …« Mit plötzlich aufwallender Wut schaltete Romy den CD-Player aus. Sie musste sich verdammt noch mal konzentrieren. Rechts und links ließen Weiden ihre Zweige über den buckligen Asphalt hängen. Sie schlitterten kratzend über das Autodach. Romy fröstelte. Etwas Schwarzes flitzte vor ihr über den Weg. Eine Katze? Ausgerechnet. Nicht, dass sie abergläubisch gewesen wäre …

Jeder neue Auftrag stellte eine Charakterprüfung dar. Wie würde das Objekt aussehen? Stimmte die Beschreibung der Kunden? Trafen Wörter wie »behaglich«, »romantisch«, »modern« den Kern? Oder verkleideten sie die Wahrheit nur sehr geschickt, eine Art sprachliches Fotoshopping? Hier draußen in dieser Einöde würde sie mehr als einen Monat durchhalten müssen, vielleicht sogar zwei, die Auftraggeberin hatte sich nicht festgelegt. Open end. Romy hoffte, sie würde gleich im Gespräch mit der Dame mehr erfahren.

Unter dem Wagen krachte es dumpf. Verdammt! Der Schneeregen wurde zunehmend wässrig, Sturzbäche rannen über die Scheibe. Erleichtert stellte Romy fest, dass der Weg sich verbreiterte und in einer Art Wendeplatz auslief. Oben am Hang lag das Haus. Beleuchtet. Heimelig.

Wenn sie jetzt einfach so tat, als hätte sie sich verfahren, und den Heimweg antrat? Dumm nur, dass es da kein »heim« gab, kein Zuhause. Da waren nur flüchtige Hotelzimmer und ein Auftrag nach dem anderen. Letztlich sollte sie dankbar sein, einen aufgetan zu haben, der ausreichend lange lief, damit sie nicht nach zwei Wochen schon wieder ihre Zelte abbrechen musste. Sie brauchte wirklich Ruhe, eine gewisse Kontinuität, sonst kam ihr der Fokus auf ihre Doktorarbeit noch weiter abhanden. Dem Schreiben tat das ewige Hin und Her sowieso nicht gut.

Sie stellte den Motor ab. Hier war der Fahrweg zu Ende, nur ein Trampelpfad führte weiter geradeaus ins Dunkel. Schneereste lösten sich gerade im Dauerregen auf. Verdammt, sie hätte Gummistiefel einpacken sollen! Zum Trost gönnte sie sich den letzten Zimtstern aus der Tüte auf dem Beifahrersitz. Der Zimtgeschmack kitzelte angenehm den Gaumen. Die Welt war nun doch nicht ganz schlecht.

Romy blickte halb hoffend, halb verzweifelt zu dem flachen Bau hinauf. Eine Treppe führte den Hang hoch, schwach beleuchtet von kleinen runden Lämpchen auf schmalen Stelen. Vom Garten, den die Eigentümerin so begeistert angepriesen hatte, sah sie nicht viel. Auf Zehenspitzen schlichen Kopfschmerzen herbei. Romy fischte die CD aus dem Player, nahm seufzend ihre Handtasche vom Beifahrersitz und steckte die Scheibe hinein. Irgendwo musste ein Schirm sein. Sie tastete unter den Sitzen herum.

Dann eben nicht. Die Kapuze ihres Mantels tief in die Stirn gezogen, stieß sie die Fahrertür auf. Der erste Schritt war ein Tritt in Matsch und Morast. Eiskaltes Wasser sickerte in ihre Sneakers.

»Mist!« Sie schlug die Autotür zu, hastete um das Auto herum zur Treppe, die in flachen Stufen nach oben führte. In Kaskaden strömte das Wasser Romy entgegen.

»Hallo?«, drang eine Stimme durch das Rauschen.

»Frau Wenzel?«

»Kommen Sie rauf!«

Etwas Helles leuchtete ein paar Meter weiter neben der Treppe auf. Bei, nein, in einem Busch. Romy starrte hin. Es schien, als rieselte Licht zwischen den Zweigen hervor und verlöre sich im nassen Gras. Romy strauchelte auf den ungewohnten Stufen, stützte sich mit der Hand ab.

»Seien Sie vorsichtig!«, ließ sich Anne Wenzel vernehmen. »Die Treppe ist bei Nässe unberechenbar.«

»Ich komme zurecht«, rief Romy zurück. Ratlos blickte sie noch einmal zu dem Busch. Er lag im Dunkeln.

*

»Was für ein grauenvolles Wetter! Ich bin froh, dass Sie heil angekommen sind.«

Die Frau sprach freundlich, aber in ihrem Gesicht parkte ein gehetzter Ausdruck. Ihre Augen zwinkerten unablässig. Sie war groß, trug das volle braune Haar hochgesteckt und hielt sich mit beiden Händen an einem cremefarbenen Schal fest, der ihr nussbraunes Kostüm bürgerlich-ideal ergänzte.

Romy zog sich die Kapuze vom Kopf. »Halb so schlimm. Romy Westphal.«

»Ich bin Anne Wenzel.«

Händeschütteln.

»Sie sind ganz schön durchnässt. Tja, da Sie sich verspätet haben, müssen wir die Einweisung schnell machen. Ich bin in Eile.«

Romy verkniff sich ein »Tut mir leid«. Sie hatte unterwegs angerufen, weil sie im Stau stand, zwei Stunden lahmgelegt wegen eines Lkw-Unfalls, und damit war der großzügig eingerechnete Zeitpuffer verbraucht. Und dann noch der Regen …

»Ich zeige Ihnen rasch das Haus. Nachher haben Sie alle Zeit der Welt, sich trockenzulegen … Ich weiß, es ist nicht höflich, aber …« Zwinker zwinker.

»Kein Problem.« Romy war schon ganz anders begrüßt worden. Eine besonders liebevolle Betreuung erwartete sie ohnehin nicht.

»Das Haus hat nur ein Erdgeschoss, aber vorne zum Hang gibt es ein Souterrain mit einer kleinen Einliegerwohnung. Die gehört Ihnen, suchen Sie sich das Schlafzimmer aus, das Ihnen am besten gefällt, es gibt zwei.« Sie wies auf eine Wendeltreppe. »Schauen Sie sich dort nachher alleine um. Bettwäsche und so weiter finden Sie in den Schränken.« Sie öffnete eine Tür. »Selbstverständlich können Sie hier das Wohnzimmer genießen, sehen Sie den Kamin? Machen Sie sich Feuer, wenn Ihnen das gefällt, Holz ist draußen in der Lege, hier rechts durch die kleine Tür raus. Die Stereoanlage steht Ihnen zur Verfügung. CDs sind genug da. Genießen Sie den Blick zum Dorf und in den Itzgrund hinunter. Leider bin ich nicht mehr dazugekommen, für Weihnachtsschmuck zu sorgen, aber dieses Jahr brauche ich ja auch keinen …«

Romy trat ans Fenster, während sich Anne Wenzels Wortschwall weiter über sie ergoss. Tatsächlich, weit weg, in der Dunkelheit, schimmerten ein paar verwaschene Lichter. Dornstadt.

Anne Wenzel ging weiter, öffnete Türen, zeigte hierhin und dorthin. »Die Heizung habe ich auf Automatik gestellt. Sobald die Temperatur drinnen unter 20 Grad fällt, schaltet sie hoch. Bitte ändern Sie nichts daran.«

»Nein. Natürlich nicht.« Romy ging ihr nach.

Ein schmuckloses Haus, aber nicht ungemütlich, mit einer ruhigen, angenehmen Ausstrahlung. Parkettboden, cremeweiße Wände. Kein Schnickschnack. Ablenkungsfrei. Hier würde sie gut schreiben können.

Irgendwo schlug eine Tür.

»Das wäre die Küche.« Anne Wenzels Hand auf der Klinke zitterte leicht.

»Wow!«, entfuhr es Romy. Chrom, apricotfarben getünchte Wände. Ein kleiner Bistrotisch, zwei Stühle. Der Blick ging hinaus in den Garten, draußen brannte eine Wandleuchte und warf einen warmen Lichtkegel auf einen gefliesten Freisitz. Unter einer Plane stapelten sich ein Tisch und Stühle.

»Tja, zum Raussetzen taugt die Jahreszeit nicht, und im Sommer bin ich längst zurück.« Sie rückte an ihrem Schal. »Hoffentlich.«

»Wie sieht es mit der Post aus?«, spulte Romy die üblichen Fragen ab. »Muss ich zu bestimmten Uhrzeiten hier sein? Kommt regelmäßig jemand zu Ihnen? Was ist mit dem Müll? Wird Ihnen eine Zeitung zugestellt?«

»Die Post ist...