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Das Weihnachtsdorf - Ein Kurzroman

Petra Durst-Benning

 

Verlag Blanvalet, 2016

ISBN 9783641200008 , 208 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1. Kapitel

Anfang Dezember, Maierhofen, Württembergisches Allgäu

»Hohoho …«

Erschrocken zuckte Thereses Hand aus dem großen Pappkarton zurück.

»… ich bin der Nikolaus, komm von drauß’, will ins Haus …«, dröhnte es weiter aus dem Karton.

Therese lachte leise auf. Daran, dass einer ihrer Nikoläuse sprechen konnte, hatte sie sich noch nicht gewöhnt.

Im Laufe der Jahre hatte sie eine ganze Reihe von Nikoläusen gesammelt. Der eine war sportlich und trug ein paar Ski, der nächste kam mit einem Schlitten daher, der übernächste war voll beladen mit Geschenken. Aber sprechen konnte nur einer. Der Nikolaus von Sam …

Therese strich die Schürze ihres Dirndls – ihr Markenzeichen, wenn es um Klamotten ging – glatt, dann hob sie den bärtigen Gesellen fast zärtlich aus der Kiste. Sie hatte ihn erst vor wenigen Wochen von Sam geschenkt bekommen, somit war er neu in der Runde. Aber allem Anschein nach vertrugen sich die alten und der neue ganz manierlich. Samy, wie sie ihn genannt hatte, hatte eine rote Samtweste an, die mit weißem Teddyfell verbrämt war. Seine Füße steckten in robusten Stiefeln, seine Haare waren lang wie die eines alten Hippies und wurden nur notdürftig von der Bommelmütze versteckt. Ein lustiger Geselle! Therese schmunzelte. Wo Sam ihn bloß aufgetrieben hatte?

Liebevoll ließ sie den Blick über die Fensterbank ihres Gasthauses Goldene Rose schweifen, wo – zwischen frisch geschnittenen Tannenzweigen – die Nikoläuse ihre Plätze eingenommen hatten. In den nächsten Wochen würden sie ein Auge auf das Treiben in der Gaststube haben. Würden den Duft von Gänsebraten einatmen und die Süße von Sams unnachahmlicher Schokoladencreme. Würden missfällig die Miene verziehen, wenn ein Ehemann seine Frau allzu lange anschwieg. Rede doch mit ihr!, würden sie ihn stumm auffordern. Sie würden verständnisvoll nicken, wenn auf einer Weihnachtsfeier Herr Schmidt mit Frau Maier schäkerte. So war das eben, wenn man ein Gläschen zu viel hob. Solange nicht mehr daraus wurde … Und wenn alle Gäste weg waren, würden sie sich wahrscheinlich ein Glas Bodenseewein aus den angebrochenen Flaschen genehmigen, die auf der Theke standen. Zumindest nahm Therese das an.

Sie konnte den Rauschebärten ihre rege Anteilnahme nicht verdenken, schließlich hatten sie viele Jahre ihr Dasein in einem verschlossenen Karton fristen müssen! Es war traurig, aber wahr – für eine weihnachtliche Dekoration hatte sie lange Zeit einfach keine Zeit gefunden. Oder keine Lust dazu gehabt. Lediglich einen künstlichen Tannenbaum mit integrierter bunter Lichterkette und hässlichen Plastikkugeln hatte sie aufgestellt.

Letztes Jahr jedoch, nachdem sie ihre schwere Krebserkrankung überstanden hatte, hatte sie sich an ihre Nikoläuse erinnert. Mit schlechtem Gewissen hatte sie einen nach dem andern aus dem Karton geholt, hatte sich für die Vernachlässigung entschuldigt. »Jahrelang habe ich mich nicht um euch gekümmert. Und um mich auch nicht. Aber das hat jetzt ein Ende! Ab jetzt wird wieder gelebt, versprochen«, hatte sie den Bärtigen zugeraunt. Alle hatten ihr verziehen, und so hatte auch sie sich verzeihen können.

Danke, lieber Gott, murmelte sie stumm, und ein Gefühl von Wärme durchströmte ihr Innerstes. Sie musste nicht explizit sagen, wofür sie sich bedankte, das wusste der liebe Gott auch so. Es war so vieles, für das sie dankbar war. Für ihre Gesundung und dafür, dass sie sich endlich wieder an den kleinen Dingen des Lebens erfreuen konnte. Dass sie endlich wieder gut zu sich selbst war. Lange genug war sie eine selbstausbeuterische One-Woman-Show gewesen, hatte Körper, Geist und Seele geschunden. Einen Gasthof allein zu stemmen war kein Kinderspiel! Und so hatte sie geackert wie ein Gaul. Um sich selbst, ihr Seelenleben und ihren Seelenfrieden hatte sie sich nie gekümmert, wozu auch? Bis das Schicksal ihr die Rechnung präsentierte. Krebs. K. o., in Runde zwölf. Zuerst hatte sie an einen Irrtum geglaubt. Sie und Krebs? Eine Verwechslung. Ein bedauerlicher Irrtum. Das konnte nun wirklich nicht sein!

Es konnte sein. OP, Chemotherapie und Kur waren gefolgt. Wochen, nein Monate, in denen sie nicht nur ihren Gasthof, sondern ihr geliebtes Maierhofen in den Händen anderer hatte lassen müssen. Loszulassen war ihr schwer gefallen. Mithilfe ihrer Freundinnen Christine und Magdalena, ihrer Cousine Greta und mit Sams Hilfe – ach, eigentlich hatte ganz Maierhofen mitgeholfen! – war es ihr letztendlich doch gelungen. Dass es auch ohne sie ging, war für sie eine so erstaunliche wie erfreuliche Erfahrung gewesen. In der Rehaklinik hatte sie dann gelernt, dass Pausen zum Alltag dazugehörten. »Hören Sie auf das, was Ihr Körper Ihnen sagt. Wenn er müde ist, dann teilt er Ihnen das sehr deutlich mit«, hatte die Therapeutin zu ihr gesagt. Therese hatte innerlich die Augen verdreht. Typisches Therapeutengerede! Sollte sie sich wegen jedes Zipperleins ins Bett legen? Täglich einen Mittagschlaf machen? Und dann ein Kaffeepäuschen gleich hinterher? Da konnte sie ihren Laden gleich zumachen. Was einen nicht umbrachte, machte einen nur stärker. Daran sollte man sich halten! Sonst verweichlichte man nur. Oder?

Rückblickend konnte sie gar nicht genau sagen, wann sie erkannt hatte, dass die alten, von ihr aufgestellten und so rigiden Regeln sie nicht weiterbrachten. Dass es an der Zeit war, neue Regeln zu finden. Waren es die Therapiegespräche gewesen? Die Joggingrunden im Kurpark? War es der Krebs selbst gewesen? Gleichgültig – sie lebte, war dankbar, froh und glücklich, und nur das zählte!

Heutzutage zog sie sich öfter einmal aus dem Geschehen zurück, sei es hier im Gasthof oder im Gemeindeleben selbst. Dann gönnte sie sich einen Stadtbummel, ging zum Frisör und ließ ihre rotbraunen Locken bändigen oder sie traf sich mit ihren Freundinnen auf eine Tasse Kaffee. Und sie fand wieder Gefallen an den kleinen Dingen am Wegesrand. Sie schaute mit glänzenden Augen in einen winterlich-klaren Sternenhimmel. Sie freute sich an einer heißen Tasse Kakao nach einem langen Spaziergang. Und sie nahm sich Zeit, ihr Haus schön zu gestalten, so wie jetzt mit ihren Nikoläusen. Jeder Tag war für sie nun erfüllt mit kleinen Freuden und großen Wundern.

Thereses Blick fiel durch die Butzenfenster des Gasthofes hinaus auf den Marktplatz, in deren Mitte eine riesengroße Linde stand. Im Sommer bot sie den Maierhofenern einen Schattenplatz. Im Winter jedoch stand sie stets kahl und ein wenig verloren da. Doch nicht in diesem Jahr! Dieses Jahr waren die kahlen Äste nämlich von Josef Scholz, dem der Elektroladen von Maierhofen gehörte, mit langen Lichterketten geschmückt worden, die nun, am späten Nachmittag, schon warmes Licht und ein Gefühl von Heimeligkeit verbreiteten. Die Kosten für diese weihnachtliche Dekoration waren aus der Gemeindekasse bezahlt worden. Ausnahmsweise war es Therese nicht schwergefallen, diese Ausgabe durchzusetzen, und das lag nicht nur daran, dass Josef Scholz einer der drei Gemeinderäte war, sondern an der Tatsache, dass am dritten Advent der erste Maierhofener Weihnachtsmarkt stattfinden sollte. Und jedem war klar, dass dafür ein wenig Lichterglanz vonnöten war. Wie schon das Kräuter-der-Provinz-Festival im Sommer wurde auch der Weihnachtsmarkt von Greta, Thereses Cousine, organisiert. Die Aufregung und Anspannung, aber auch die Vorfreude, wuchsen im ganzen Ort von Tag zu Tag. Wie würde er wohl aussehen, der erste Weihnachtsmarkt Maierhofens? Würden auswärtige Gäste den Weg ins Württembergische Allgäu finden? Wenn nicht, wäre das halb so schlimm, war die einhellige Meinung, feiern konnten sie auch allein! Würde ein bisschen Schnee liegen? Oder so viel, dass die Autofahrer Mühe hatten durchzukommen? Nun, man würde es nehmen, wie es kam. Gemeinsam waren sie stark.

Danke auch dafür, lieber Gott! Für Therese war es noch immer ein Wunder, wie sehr die Maierhofener zu einer Gemeinschaft geworden waren. Aus vielen Einzelgängern war eine starke Mannschaft geworden, die das verschlafene Maierhofen zu einem umtriebigen Genießerdorf umgestaltet hatte. Zusammen mit Greta Roth, einer der besten Werbefrauen Deutschlands, hatten sie es geschafft, aus dem sterbenden Dorf einen Ort mit Zukunft zu machen. Einen Ort, an dem Umzugswagen wieder Möbel und Leben auspackten. Drei Familien waren seit dem Sommer hergezogen! Und zwei junge Frauen hatten außerhalb von Maierhofen einen alten Bauernhof gekauft und mit neuem Leben erfüllt. Ob dies alles tatsächlich allein mit dem Kräuter-der-Provinz-Festival zusammenhing oder andere Gründe hatte, wusste Therese nicht. Aber eins wusste sie: Mit Maierhofen ging es aufwärts! Kein einziger Laden stand mehr leer, außer dem Genießerladen, in dem regionale Produkte aller Art verkauft wurden, hatte ein kleiner Wollladen eröffnet – sehr zur Freude von Thereses bester Freundin Christine. Nachdem die Metzgerei Scholz ihren regulären Betrieb vor ein paar Monaten aufgegeben hatte, hatte ein junger Metzger es gewagt, wieder ein Geschäft zu eröffnen, was wiederum die meisten Maierhofener freute. Und Monika Ellwangers Gartencafé, das sie im letzten Sommer eröffnet hatte und das sie eigentlich nur in der warmen Jahreszeit hatte führen wollen, war nun sogar ganzjährig offen. »Ob du es glaubst oder nicht, aber es kommen jeden Tag Leute, um meine Waffeln zu essen«, hatte Monika erst letzte Woche zu Therese gesagt. Die Verwunderung in ihrer Stimme war unüberhörbar gewesen. »Dass du damals deine Cousine Greta zu Hilfe geholt hast, war unser aller Rettung, Therese«, hatte Monika noch hinzugefügt. Und gemeint, dass sie Therese dafür gar nicht genug danken konnten....