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Verrat aus Leidenschaft - Roman

J.D. Robb

 

Verlag Blanvalet, 2017

ISBN 9783641200084 , 528 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

1

Der alte Mann lag tot auf einem Haufen Kaugummi und Schokoladenriegel. Durch die geborstene Scheibe eines Kühlregals ergoss sich ein Strom bunter Flüssigkeit aus kaputten Limonaden-, Sport- und Energiedrinkdosen auf den Boden und weichte die zerdrückten Sojachips, die aus aufgerissenen Tüten quollen, auf.

In einem gerahmten Foto an der Wand hinter dem Tresen sah man eine jüngere Version des toten Manns und eine Frau – wahrscheinlich seine Witwe – eng umschlungen vor der Tür des kleinen Supermarktes stehen. Ihre Augen leuchteten vor Stolz und vor Freude auf die unzähligen Möglichkeiten, die die Zukunft für das Paar bereitzuhalten schien.

Dass die Zukunft irgendwann in einer Lache leuchtend roten Bluts und zerdrückter Süßigkeiten enden würde, hatte dieser glücksstrahlende, junge Bursche sicher nicht vorausgesehen.

Inmitten dieser Szenerie von Tod und Zerstörung stand Lieutenant Eve Dallas und betrachtete die Leiche, während sie sich von einem der Beamten, die zuerst vor Ort gewesen waren, über das Geschehen informieren ließ.

»Das ist Charlie Ochi. Himmel, er und seine Frau haben diesen Laden beinah 50 Jahre lang geführt.«

Das Zucken seines Kiefermuskels verriet Eve, dass der Beamte den Toten gekannt hatte.

»Mrs Ochi ist im Hinterzimmer, wo ein Sanitäter nach ihr sieht.« Der Muskel zuckte abermals. »Sie haben nicht nur ihren Mann ermordet, sondern auch ihr selbst ein paar geklatscht.«

»Sie?«

»Die Täter waren zu dritt, hat sie gesagt. Drei junge Kerle, Anfang 20. Sie hat ausgesagt, dass einer weiß, einer schwarz und einer Asiate ist. Sie waren vorher schon mal im Laden und wurden rausgeschmissen, weil sie beim Klauen erwischt wurden. Sie hatten irgendein selbstgebautes Gerät dabei, mit dem sich die Überwachungskamera ausschalten ließ.«

Er nickte in Richtung der Kamera. »Sie meint, die drei waren total zugedröhnt. Haben gelacht wie die Hyänen, und als sie versucht hat, sie daran zu hindern, sich die Taschen wahllos mit verschiedenen Schokoriegeln vollzustopfen, haben sie ihr eine gelangt. Dann kam ihr Mann nach vorne, und obwohl er ebenfalls geschlagen wurde, hat er sich gegen die Täter behauptet, bis er das Gerät, das sie dabeihatten, in die Brust gerammt bekommen hat. Mrs Ochi sagt, er wäre umgefallen wie ein Stein. Trotzdem haben sie nicht aufgehört zu lachen, sich noch einen Haufen Bonbons, Chips und so geschnappt, ein bisschen randaliert und sind dann abgehauen.«

»Konnte sie die drei beschreiben?«

»Sogar ziemlich gut. Und was noch besser ist – wir haben einen Zeugen, der gesehen hat, wie sie abgehauen sind, er kennt einen von den Typen. Bruster Lowe, Spitzname Skid. Der Zeuge, ein gewisser Yuri Drew, sagt aus, sie wären zu Fuß in Richtung Süden abgehauen. Er hat den Überfall gemeldet und steht draußen vor der Tür.«

»In Ordnung, halten Sie die Stellung, Officer.« Eve wandte sich an ihre Partnerin. »Wie wollen Sie die Sache angehen?« Als Peabody verblüfft die dunklen Augen aufriss, fragte sie: »Wie sieht es aus? Übernehmen Sie die Leitung der Ermittlungen in diesem Fall?«

Als frischgebackener Detective brauchte ihre Partnerin einen Moment, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, aber schließlich meinte sie: »Okay. Wir überprüfen diesen Lowe, besorgen uns seine Adresse und sehen nach, ob er schon aktenkundig ist. Vielleicht stoßen wir dabei auch auf die Namen möglicher Komplizen. Außerdem geben wir sofort eine Beschreibung dieser Kerle und die Namen, falls wir welche finden, raus, weil ich mir die Schweinehunde möglichst auf der Stelle schnappen will.«

Eve beobachtete ihre Partnerin und sah, dass sie mit jedem Satz Selbstvertrauen gewann.

»Die Spurensicherung soll sich den Laden ansehen, denn diese Idioten haben sicher jede Menge Fingerabdrücke und andere Spuren hinterlassen. Außerdem hat die Kamera vielleicht noch etwas aufgenommen, ehe sie den Dienst quittiert hat, falls wir nichts darauf sehen, finden die elektronischen Ermittler vielleicht etwas.«

Der kurze, dunkle Pferdeschwanz der Polizistin wippte, als sie auf die Leiche sah. »Am besten überprüfen wir zuerst die drei Verdächtigen, zumindest den, dessen Namen wir kennen.«

»Das übernehme ich«, erbot sich Eve, und ihre Partnerin riss abermals die Augen auf.

»Echt?«

»Sie sind schließlich die Ermittlungsleiterin.«

Eve rief die Daten auf dem Bildschirm ihres Handcomputers auf. »Bruster Lowe alias Skid, weiß, 23 Jahre alt. Die letzte bekannte Adresse ist die Wohnung seiner Mutter in der Avenue B. Hat ein ellenlanges Vorstrafenregister und eine Jugendstrafakte, die nicht versiegelt ist. Drogenbesitz, Sachbeschädigung, Ladendiebstahl, Zerstörung fremden Eigentums, Autodiebstahl und so weiter und so fort.«

»Überprüfen Sie, ob er Komplizen …«

»Schon erledigt. Schließlich sind Sie nicht die Einzige, die weiß, wie man so etwas macht«, rief Eve ihr in Erinnerung. »Leon Slatter alias Slash, Mischling, 22 Jahre alt, und Jimmy K. Rogan alias Smash, schwarz, 23 Jahre alt, waren bei den meisten Straftaten dabei.«

»Das ist wirklich gut. Adressen?«

»Slatter hat anscheinend eine Bude in der Vierten West.«

»Ausgezeichnet. Officer, lassen Sie sich vom Lieutenant die Adresse und die Namen geben. Die drei Typen sollen sofort eingesammelt werden. Meine Partnerin und ich werden bei der Suche helfen, wenn wir mit der Arbeit hier am Tatort fertig sind.«

»Okay.«

»Ich knöpfe mir den Zeugen vor, und Sie nehmen die Ehefrau, okay?«, wandte sich Peabody an Eve.

»Sie sind die …«

»Ermittlungsleiterin, ich weiß. Danke, Dallas.«

Irgendwie war es makaber, dass ihr Peabody dafür dankte, dass sie ihr einen Toten weitergab, überlegte Eve, während sie in die Hocke ging, um zu überprüfen, ob der Tote wirklich Charlie Ochi war. Aber schließlich hatten sie als Mordermittlerinnen Tag für Tag mit Leichen zu tun.

Sie brachte noch ein paar Minuten mit der Untersuchung des Leichnams zu. Der Pathologe würde zweifellos bestätigen, dass Charlie Ochi weder an der aufgeplatzten Schläfe noch an den diversen blauen Flecken, die sie an seinen Armen entdeckte, gestorben war. Bestimmt hatte sein Herz aufgrund des Stromschlags, den er mit dem selbstgebauten Störsender verpasst bekommen hatte, nach knapp 83 Jahren die Arbeit eingestellt.

Sie stand wieder auf und schüttelte den Kopf über die sinnlose Zerstörung dieses vorher sicher hübschen, kleinen Markts. Soweit sie sehen konnte, hatten die beiden alten Leute ihren Laden liebevoll geführt. Zwischen den Getränkeströmen und der Lache leuchtend roten Blutes sah der Fußboden so sauber wie Fenster und Tresen aus, und die Waren, die die Bastarde nicht ausgekippt oder zertrümmert hatten, waren ordentlich in den Regalen aufgereiht.

50 Jahre, hatte der Beamte, der zuerst vor Ort gewesen war, gesagt. 50 Jahre lang hatten die Ochis dieses Geschäft betrieben, den Kunden gedient und zufrieden vor sich hingelebt, bis drei Arschlöcher beschlossen hatten, dieses Leben für nicht mehr als ein paar Tüten Sojachips und eine Handvoll Schokoriegel zu zerstören.

Nach zwölf Jahren als Polizistin konnte nichts, was Menschen anderen Menschen anzutun vermochten, sie noch wirklich überraschen, aber die Unbekümmertheit, mit der Menschenleben oft vergeudet wurden, erregte noch immer ihren heißen Zorn.

Sie ging in das Hinterzimmer, das zugleich Büro und Warenlager war.

Der Sanitäter packte gerade seine Sachen ein.

»Sie sollten sich wirklich von uns ins Gesundheitszentrum fahren lassen, Mrs Ochi.«

Doch die alte Dame schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier. Meine Kinder kommen mit den Enkelkindern her.«

»Aber wenn Ihre Verwandten hier sind, fahren Sie ins Krankenhaus und lassen sich dort durchchecken, okay?« Der Sanitäter legte sanft die Hand auf ihren Arm. »Es tut mir wirklich leid, Ma’am.«

»Danke.« Müde wandte sie sich ab und blickte Eve aus leuchtend grünen Augen an. »Sie haben Charlie umgebracht.«

Eve sah in ihr vom Alter faltiges und von den Schlägen angeschwollenes Gesicht. »Ja, Ma’am. Es tut mir leid.«

»Das tut es allen. Und auch diesen dreien, die ihn getötet haben, wird es eines Tages leidtun. Wenn ich könnte, würde ich persönlich dafür sorgen, dass sie diese Tat bereuen.«

»Das werden wir für Sie erledigen. Ich bin Lieutenant Dallas, und ich müsste Ihnen ein paar Fragen stellen.«

Mrs Ochi fuhr mit einem Finger durch die Luft. »Ich kenne Sie. Ich habe Sie im Fernsehen in Now gesehen. Bei Nadine Furst. Charlie und ich haben die Sendung immer gern gesehen und uns sogar das Buch gekauft, das Mrs Furst über Sie geschrieben hat.«

»Im Grunde geht es darin nicht um mich.« Dabei ließ sie es bewenden, weil es wichtigere Dinge zu besprechen gab und weil ihr dieses Thema immer etwas peinlich war. »Warum erzählen Sie mir nicht, was passiert ist, Mrs Ochi?«

»Das habe ich bereits dem anderen Cop erzählt, aber wenn Sie wollen, erzähle ich es noch einmal. Ich stand hinter dem Tresen, und Charlie war hier hinten, als sie reinkamen. Sie hatten Hausverbot bei uns, denn sie waren vorher schon mal in unserem Supermarkt gewesen, hatten Sachen mitgehen lassen, Dinge umgeworfen und uns beide und unsere Kunden wüst beschimpft. Diese drei Rabauken haben stets nur Scherereien gemacht. Der weiße Kerl hat mit dem Ding auf unsere Überwachungskamera gezeigt und plötzlich hat man auf dem Monitor über dem Tresen nur noch ein Flimmern gesehen.«

Sie sprach mit kalter, abgehackter Stimme und sah Eve aus trocknen,...