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Omega Days - Schiff der Toten - Roman

John L. Campbell

 

Verlag Heyne, 2017

ISBN 9783641198589 , 448 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

1

Rosa Escobedo hätte bei ihrem Kollegen bleiben, hätte ihre Mutter beschützen sollen. Sie hätte versuchen sollen, ihrer Einheit Meldung zu erstatten. Sie hatte nichts dergleichen getan und war stattdessen um ihr Leben gerannt. Das lastete auf ihr wie ein schweres Kreuz, das sie seit jenem furchtbaren Tag mit sich herumschleppte.

An jenem Tag hatte Jimmy Albright die Sirene eingeschaltet, ein gellendes Wuuh-aah. Er steuerte den Rettungswagen nach links und dann gleich wieder scharf nach rechts, als er einen BMW überholte, der trotz des Blaulichts nicht angehalten hatte. Er folgte zwei Wagen des San Francisco Police Department vom Typ Crown Victoria und bretterte durch den dichten Verkehr auf dem Embarcadero.

»Ich sag ja nur, so kann’s nicht weitergehen, Rosie.« Er rauchte im Wagen, ein schwerer Verstoß gegen die Vorschriften der Rettungskräfte. Der Filter klemmte ihm zwischen den Zähnen, während er das schwere Gefährt wie einen Sportwagen steuerte. Sein rotes Haar war kurz geschoren, und er war groß gewachsen, langgliedrig und hatte sehnige, muskulöse Arme. »Du verausgabst dich.«

Die beiden Streifenwagen überholten rechts und links einen Alhambra-Getränkelaster, und Jimmy schloss mit gellenden Sirenen zum flachen Heck auf, stieß aus dem rechten Mundwinkel eine Rauchwolke aus und lenkte dann nach rechts. Mit über siebzig Stundenkilometern zog er im Abstand von fünfzehn Zentimetern an der Stoßstange des Trucks vorbei. Jimmys Partnerin zuckte auf dem Beifahrersitz nicht einmal zusammen. Nach drei Jahren im selben Wagen war sie immun gegen seine Fahrkünste.

»Ich hab’s im Griff«, sagte Rosa. Sie war fünfundzwanzig, dunkelhaarig und attraktiv, was jedem Cop, Sanitäter und Feuerwehrmann, dem sie begegnete, zwangsläufig sofort ins Auge stach. Die meisten baten sie um ein Date. »Wenn’s mir zu viel wird, fahre ich irgendwas runter.«

»Ja, klar.« Er trat kurz auf die Bremse und schoss eine Ausfahrt hinab.

Obwohl es Mitte August war, standen die Fenster offen, und Rosa ließ den Arm heraushängen und schaute zu, wie die Stadt vorbeizog. »Du willst nur, dass ich mit dem Tanzen aufhöre.« Sie schaute ihn nicht an.

Mit quietschenden Reifen schwenkte er nach links, fuhr unter dem Highway durch und jagte den beiden Streifenwagen über die abendlichen Straßen hinterher. »Wir wollen doch nicht schon wieder so eine Unterhaltung führen?«, sagte er. »Darauf wollte ich nicht hinaus.«

Sie warf ihm einen Blick zu. »Genau darauf läuft es hinaus.«

Jimmy schnippte den Zigarettenstummel aus dem Fenster und schnaubte angewidert, wie es Leute tun, wenn sie schon wieder einen ausgetretenen Pfad beschreiten müssen. »Wenn du mich fragst, ob ich will, dass du aufhörst, dich für Fremde auszuziehen …«

»Ich tanze!« Unter dem gebügelten weißen Uniformhemd und der dunkelblauen Cargohose steckte der feste, wohlgeformte Körper einer Tänzerin, der ohne die Silikonimplantate auskam, welche die meisten Mädchen in ihrem Teilzeitjob für nötig hielten. Jimmy wusste, was sich unter der Uniform befand, doch das war inzwischen Vergangenheit, was das Thema noch schwieriger machte.

»Ja, um eine Stange, während du dich nackig machst. Willst du, dass ich dich anlüge? Nein, das gefällt mir nicht.«

»Siehst du? Ich hab’s dir ja gesagt.« Sie lächelte triumphierend und drohte ihm mit dem Zeigefinger. »Ich hab’s gesagt.«

»Aber …« Er bremste, bevor er bei Rot über eine Kreuzung fuhr. »Ich weiß, du willst nicht aufhören, weil du zu viel Geld damit verdienst, und ein Medizinstudium ist teuer.«

»Genau!« Rosa brannten die Wangen. Sie sprach mit Jimmy nicht gern über diesen Teil ihres Lebens. Er stand ihr zu nahe, aufgrund des Jobs und wegen ihrer kurzen, aber angenehmen Beziehung, die sie in beiderseitigem Einverständnis beendet hatten, weil es sie bei der Arbeit zu sehr ablenkte. Und doch war er der Einzige, mit dem sie reden konnte. Es hätte ihre Mutter umgebracht, davon zu erfahren, und ihre in Sacramento lebende Schwester konnte sich kaum auf eine Unterhaltung konzentrieren, da ihre fünf Kinder ständig um ihre Aufmerksamkeit bettelten. Rosa hatte keinen Freund; dafür fehlte ihr die Zeit. Insgeheim bezweifelte sie, dass ein anständiger Typ – abgesehen von Jimmy – eine Stripperin zur Freundin wollte. Tänzerin, verbesserte sie sich.

»Genau!«, rief Jimmy, grinste und boxte sie quer durch die Fahrerkabine gegen den Arm, wobei er beinahe ein parkendes Auto gestreift hätte.

Rosa lachte und boxte ihn zurück. »Du kannst ja so blöd sein.«

»Ich weiß. Deshalb karre ich auch meinen White-Trash-Arsch in diesem Wagen durch die Gegend. Du hingegen bist nicht blöd, und du brauchst den Job nicht. Deshalb solltest du damit aufhören.«

Es wurde still im Wagen, und Rosa blickte ihn an, während Jimmy den Streifenwagen durch eine Gegend mit vier- und fünfstöckigen Gebäuden folgte. Im Erdgeschoss waren Läden, darüber Wohnungen. In der Ferne, noch ein paar Straßenblocks entfernt, funkelten die roten Lichter der Feuerwehr von San Francisco. Der Leitstellendisponent hatte gemeint, es gebe Verletzte, aber kein Feuer.

»Jimmy …« Ihre Stimme klang jetzt weicher.

»Ist mein voller Ernst. Sieh dich doch mal an, Rosie. Du hast den Pre-Medicine-Bachelor in Rekordzeit gemacht, du bist im Begriff, ein Medizinstudium zu beginnen, und du hast mir hundertmal gesagt, wie viel Arbeit auf dich wartet. Dann hast du auch noch eine Einberufung zur Navy-Reserve bekommen. Und tanzen, um das alles zu bezahlen? Du hast keine Zeit, dich hier mit mir rumzutreiben.«

Sie runzelte die Stirn. Damit hatte sie nicht gerechnet. »Ich sammle hier praktische Erfahrungen. Da roste ich nicht ein.«

Jimmy schaute finster drein. »Das ist Bockmist. Du solltest deine Nase in Bücher stecken, Doc. Du solltest keine Toten von der Straße abkratzen und dich nicht um Schusswunden, Junkies mit Überdosis und missbrauchte Kinder kümmern. Bis zum Arsch in menschlichem Dreck«, schloss er brummelnd.

So hatte sie ihn noch nie reden gehört, so leidenschaftlich und fast schon wütend. Ihr Herzschlag geriet einen Moment lang aus dem Takt. »Ich bin gern mit dir unterwegs.«

»Ach ja? Vielleicht bist du doch nicht so schlau.«

Sie waren in Rincon Hill, ganz in der Nähe von Folsom. Der Wagen hielt hinter einem Streifenwagen. Die Officer eilten bereits zu einer Menschenansammlung vor dem Gebäude. Für die Insassen des Rettungswagens sah es so aus, als kämpften mehrere Feuerwehrleute mit einem Mob von Zivilisten. Die Scheinwerfer des Feuerwehrwagens malten tanzende Schatten an die Backsteinwand.

»Warte«, sagte Jimmy und legte Rosa die rechte Hand aufs Bein, als sie nach draußen springen wollte. Verblüfft beobachteten sie, wie ein Zivilist einen Feuerwehrmann beim Kopf packte und ihm ein Ohr abbiss. Jemand schrie, und ein zweiter Feuerwehrmann warf sich in den Kampf und schwang eine Axt. Die Cops zogen die Waffen, feuerten und trafen einen dicken Mann mit Muskelshirt in Brust und Bauch. Der Mann zuckte nicht mal zusammen, sondern schlurfte ihnen entgegen, rempelte den einen Cop an und warf ihn zu Boden. Er biss ihm das Ohr ab, dann machte er sich über das Gesicht her. Der Feuerwehrmann mit der Axt spaltete ihm den Schädel. Der Kollege des gestürzten Cops hielt dem Dicken die Pistole ans Ohr und drückte ab, dann wälzte er sich zur Seite und rief: »Sanitäter!«

Rosa sprang aus der Beifahrertür und lief nach hinten, wo sie sich mit Jimmy traf. Gemeinsam öffneten sie die Doppeltür und schnappten sich die orangefarbenen Notfalltaschen. Plötzlich drückte Jimmy sie gegen einen der Türflügel und rückte dicht an sie heran, womit er sie überraschte. »Sei vorsichtig.«

Sie löste sich ungeduldig von ihm. »Auf geht’s«, sagte sie und lief zu dem Cop, der neben seinem zusammengebrochenen Kollegen hockte, die Hand auf die Stelle gedrückt, wo sich dessen Ohr befunden hatte. Er fluchte in einem fort und blickte zwischen seinem stöhnenden Kollegen und dem Feuerwehrmann mit der Axt hin und her, der brüllte wie ein rasender Wikinger und soeben einen weiteren Zivilisten niedergeschlagen hatte. Zwei Asiatinnen klammerten sich an seine Beine und bissen ihn in Knie und Schenkel. Andere Cops waren nicht zu sehen, trotz des zweiten Streifenwagens.

Rosa ließ dicke, dunkelrote Latexhandschuhe über ihre Hände schnappen, ging neben den beiden Cops in die Hocke und öffnete die Tasche. »Ich übernehme«, sagte sie, drückte dem Verletzten eine dicke Kompresse an den Kopf und drängte seinen Kollegen mit der Schulter weg. Der Cop starrte sie einen Moment lang blinzelnd an, dann ging er zu dem tobenden Feuerwehrmann und hob die Dienstwaffe.

Als Jimmy Albright die Waffe sah, wich er nach links aus und rannte zur Treppe eines angrenzenden Gebäudes, wo ein weiterer Feuerwehrmann in Embryonalhaltung in einer Blutlache am Boden lag. »Bin schon da, Kumpel.« Er stellte die Tasche ab, kniete sich hin und streifte die Handschuhe über.

Rosas Cop versuchte sich aufzusetzen und knirschte mit den Zähnen. »Der Scheißtyp hat mir ein Ohr abgebissen. Marco! Wo bist du, verdammt noch mal?«

Marco näherte sich langsam dem axtschwingenden Feuerwehrmann und schoss einer der Asiatinnen, die sich in dessen Bein verbissen hatte, aus nächster Nähe in den Kopf. Sie brach knurrend zusammen, doch die Kugel durchdrang den Kopf und zerschmetterte dem Feuerwehrmann das Knie. Brüllend fuhr er herum, holte mit der Axt aus und durchtrennte zur Hälfte den Hals des Cops, dessen Kopf auf einmal schief saß. Als der Cop auf die Knie fiel,...