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Schattenklingen - Anthologie

Joe Abercrombie

 

Verlag Heyne, 2017

ISBN 9783641197735 , 432 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

EIN BEWUNDERNSWERTER
DRECKSACK

Kadir, Frühjahr 566

»Jaa!«, kreischte Salem Rews, seines Zeichens Quartiermeister des Ersten Regiments Seiner Erhabenen Majestät. »Machen Sie ihnen die Hölle heiß!«

Das war tatsächlich etwas, worauf sich Oberst Glokta verstand: seinen Gegnern die Hölle heißzumachen – im Fechtkreis, auf dem Schlachtfeld, aber auch in bedeutend weniger zivilisierter Umgebung, beispielsweise auf dem gesellschaftlichen Parkett.

Seine drei armseligen Kontrahenten gaben sich zwar alle Mühe, ihn zu erwischen, stolperten dabei aber ebenso hilflos hinter ihm her wie die betrogenen Ehemänner, die ignorierten Gläubiger und die übersehenen ehemaligen Kameraden, die ansonsten in seinem Kielwasser zurückblieben. Mit einem wissenden Lächeln tänzelte Glokta um seine Gegner herum und wurde dabei einmal mehr seinem doppelten Ruf gerecht, sowohl der gefeierteste Degenfechter der Union als auch der größte Angeber zu sein. Er schlich und stolzierte, täuschte und trippelte, flink wie eine Eintagsfliege, unberechenbar wie ein Schmetterling und, wenn er es darauf anlegte, so rachsüchtig wie eine aufgestachelte Wespe.

»Nun geben Sie sich mal ein wenig Mühe!«, rief er und brachte sich mit einer schnellen Drehung aus der Reichweite eines ungelenken Schlages, um danach dem Urheber einen festen Streich auf die Hinterbacken zu verpassen, der beim Publikum einen Ausbruch spöttischen Gelächters auslöste.

»Eine großartige Vorstellung!«, rief Lord Marschall Varuz, der begeistert auf seinem Klappstuhl hin und her wippte.

»Eine verdammt großartige Vorstellung!«, echote Oberst Kroy prompt, der rechts neben ihm saß.

»Hervorragende Arbeit!«, tönte Oberst Poulder links von ihm; wie immer waren beide stets bemüht, sich gegenseitig darin zu übertreffen, ihrem Befehlshaber recht zu geben. Als ob es kein edleres Unterfangen hätte geben können, als drei Rekruten zu blamieren, die zuvor kaum jemals einen Degen in der Hand gehabt hatten.

Salem Rews, äußerlich begeistert und innerlich beschämt, erging sich in ebenso lauten Beifallsrufen wie alle anderen. Dennoch konnte er seine Augen nicht daran hindern, gelegentlich von dem gleichermaßen faszinierenden wie ekelerregenden Spektakel abzuschweifen. Hinüber zum Tal, wo sich ein peinliches Beispiel für miserable Truppenorganisation bot.

Während sich die Befehlshaber hier oben auf dem Berggrat sonnten – Wein soffen, Gloktas selbstgefällige Fechtkämpfe beklatschten und den unbezahlbaren Luxus einer frischen Brise genossen –, kämpfte sich der größte Teil des Unionsheers in dem Glutofen unter ihnen weiter voran, versengt von der brennenden Sonne und teils verdeckt von einer erstickenden Staubwolke.

Es hatte den ganzen Tag gekostet, die Soldaten, Pferde und die allmählich auseinanderfallenden Planwagen des Nachschubzugs über die schmale Brücke zu bringen, die sich über das verführerische Rinnsal eines Bachbetts spannte, das sich tief in den Boden gegraben hatte. Die Männer schleppten sich in verlotterten Lumpen und zerfetzten Kleidern dahin und wirkten dabei eher wie Schlafwandler denn wie marschierende Soldaten. Jede Spur einer Straße war längst zu Staub zertrampelt worden, jede Spur von Ordnung, Disziplin oder Moral schon lange vergessen – die roten Jacken, die polierten Brustpanzer, die schlaff herabhängenden goldenen Standarten, alles hatte das allgegenwärtige Hellbraun des sonnenverbrannten, gurkhisischen Staubs angenommen.

Rews schob sich einen Finger unter den Kragen und versuchte, etwas kühle Luft an seinen verschwitzten Hals gelangen zu lassen. Wieder fragte er sich, ob nicht jemand versuchen sollte, etwas mehr Ordnung in das Durcheinander dort unten zu bringen. Es würde doch ohne Zweifel richtig übel für sie ausgehen, wenn jetzt die Gurkhisen kämen? Und die Gurkhisen hatten die Angewohnheit, in den unpassendsten Augenblicken aufzutauchen.

Aber Rews war schließlich nur Quartiermeister. Im Kader des Ersten Regiments stand er ganz unten auf der Leiter, und niemand machte sich die Mühe, diesen Umstand schönzureden, nicht einmal er selbst. Er zuckte die juckenden Schultern und kam still für sich wie so oft zu dem Schluss, dass die Lage auf der Brücke nicht sein Problem war. Dann glitt sein Blick, wie von einem Magneten angezogen, zurück zur unvergleichlichen athletischen Kampfkunst Oberst Gloktas.

Zweifelsohne hätte auch ein Leinwandporträt vermitteln können, dass dieser Mann geradezu unverschämt gut aussah, aber es war die Art, wie er stand, grinste, verächtlich den Mund verzog, die Augenbraue hob, ja, die Art, wie er sich überhaupt bewegte, die ihn erst recht attraktiv erscheinen ließ. Er hatte die Körperspannung eines Tänzers, die Haltung eines Helden, die Kraft eines Ringers, die Schnelligkeit einer Schlange.

Zwei Sommer zuvor hatte Rews in Adua miterlebt – unter deutlich zivilisierteren Umständen –, wie Glokta das Turnier gewonnen hatte, ohne selbst auch nur einen einzigen Streich einzustecken. Natürlich von den billigen Plätzen aus, so weit oben über dem Kampfplatz, dass die Fechter weit entfernt waren und winzig klein erschienen, aber dennoch hatte er mit wild schlagendem Herzen mitgefiebert, so sehr, dass er jede Bewegung mit einem Zucken seiner Hände begleitet hatte. Dass er sein Idol inzwischen aus größter Nähe hatte erleben können, das hatte seine Bewunderung nur gesteigert. Wenn man der Wahrheit die Ehre geben wollte, dann sogar in einem Maße, dass ein vernünftiger Betrachter von Liebe hätte sprechen mögen. Gleichzeitig jedoch hatte sich diese Bewunderung mit bitterem, gehässigem und sorgsam verborgenem Hass gemischt.

Glokta hatte alles, und was er nicht hatte, das nahm er sich, ohne dass ihn jemand aufhalten konnte. Frauen bewunderten ihn, Männer beneideten ihn. Oder anders herum: Frauen beneideten ihn, Männer bewunderten ihn, auch das traf durchaus zu. Bei dem Glück, mit dem das Schicksal ihn bedacht hatte, hätte der Oberst doch eigentlich der angenehmste Mensch auf der Welt sein müssen.

Aber Glokta war durch und durch ein Drecksack. Ein gutaussehender, gehässiger, fähiger, schrecklicher Drecksack, gleichzeitig der beste Mann und der größte Scheißkerl in der Union. Ein Bollwerk selbstzentrierter Selbstbesessenheit. Eine unüberwindliche Festung der Arroganz. Nur eines übertraf noch seine beträchtlichen Fähigkeiten: sein eigener Glaube an ebendiese. Andere Menschen waren Spielfiguren, die hin und her geschoben wurden, mit denen Siegpunkte zu erreichen waren, Requisiten für das herrliche lebende Bild, das er um sich als Mittelpunkt herum inszenierte. In der Disziplin Drecksacksein war Glokta ein echter Tornado, der eine Schneise zerstörter Freundschaften, zerstörter Karrieren und zerstörter Reputationen hinter sich zurückließ.

Sein Selbstbewusstsein war so überwältigend, dass es wie ein seltsames Licht aus ihm hervorschien und dabei die Persönlichkeiten aller anderen um ihn herum so verzerrte, bis sie mindestens zur Hälfte ebenso drecksäckig wirkten wie er. Vorgesetzte wurden willfährige Komplizen, Fachleute beugten sich seiner Unwissenheit. Anständige Männer verwandelten sich in rückgratlose Speichellecker. Frauen mit guter Menschenkenntnis schrumpften zu kichernden Nullen.

Rews hatte einmal gehört, von den besonders ergebenen Anhängern des gurkhisischen Glaubens werde erwartet, dass sie eine Pilgerfahrt nach Sarkant unternahmen. Und mit Glokta war es so, dass seine Person wie von selbst zu einem Pilgerziel aller besonders überzeugter Drecksäcke wurde. Drecksäcke wimmelten um ihn herum wie Ameisen um eine angebissene Pastete. Er war stets von einer ständig wechselnden Drecksack-Entourage umgeben, einem hinterhältigen Klüngel selbstherrlicher Anhänger. Drecksäcke folgten ihm wie der Schweif einem Kometen.

Und Rews wusste: Er selbst war keinen Deut besser. Wenn Glokta über andere spottete, lachte er mit und setzte alles daran, dass seine katzbuckelnde Zustimmung auch wahrgenommen wurde. Wenn er dann selbst zum Ziel von Gloktas gnadenloser Zunge wurde, was unvermeidlich immer wieder geschah, dann lachte er sogar noch lauter, vor Freude darüber, dass er so viel Aufmerksamkeit erhielt.

»Erteilen Sie denen eine Lehre!«, kreischte er, als Glokta einem seiner Gegner die kurze Klinge gegen den Bauch stieß, sodass der zusammenknickte. Noch während er das rief, fragte sich Rews jedoch, was das wohl für eine Lehre sein konnte, die diese Männer aus diesem Kampf ziehen sollten. Vielleicht, dass das Leben grausam, schrecklich und ungerecht war.

Glokta fing den Degen eines anderen Fechters mit seinem langen Eisen ab, schob noch im gleichen Augenblick die kurze Klinge in die Scheide und versetzte dem Mann links und rechts eine schallende Ohrfeige; dann schubste er den überrascht Aufschreienden mit einem verächtlichen Schnauben aus dem Weg. Die Zivilisten, die eigentlich angereist waren, um den Fortgang des Krieges zu beobachten, stießen bewundernde Rufe aus, während die Damen in ihrer Begleitung gurrende Laute von sich gaben und sich unter der flatternden Leinwand eines Pavillons Kühlung zufächelten. Rews stand da, wie gelähmt vor Schuldgefühlen und Begeisterung, und wünschte sich, die Ohrfeigen selbst erhalten zu haben.

»Rews.« Leutnant West drängte sich neben ihn und stemmte einen staubigen Stiefel auf den Zaun, an dem sie standen.

West zählte zu den wenigen Männern unter Gloktas Befehl, der gegen die um sich greifende Verdrecksackung immun zu sein schien und die schlimmsten Exzesse seines Vorgesetzten immer wieder mit ehrlicher Betroffenheit kommentierte, auch wenn das eine eher unpopuläre...