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Thabo. Detektiv & Gentleman 2. Die Krokodil-Spur

Kirsten Boie

 

Verlag Verlag Friedrich Oetinger, 2016

ISBN 9783862747467 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

13


»Neue Gäste, Thabo!«, hat Emma gerufen, als wir kaum auf dem Parkplatz angekommen waren. »Der silberne Mercedes hat gestern garantiert noch nicht da gestanden! Der BMW X5 auch nicht, den hätte ich mir gemerkt.«

Emma kennt alle Automarken fast so gut wie Sifiso. Sifiso verbringt jede freie Minute auf dem Parkplatz von Lion Park und muss nur einen Autoscheinwerfer sehen oder eine Stoßstange, dann weiß er schon die Marke. Und das Modell.

Zwischen dem BMW und dem Mercedes stand noch immer der Polo, aus dem ich gestern die beiden alten Frauen (deutsch oder holländisch) hatte aussteigen sehen, die so schlecht Englisch sprachen; der staubverkrustete Bakkie mit dem zerschrammten Aufdruck von Water WiZZard; ein zerbeulter Defender; und der Mitsubishi Space Wagon, in dem die französische Familie das Land erkundete. Der Isuzu, den der Amerikaner gefahren hatte, dessen Hörgerätbatterie leer war, war verschwunden. Aber die Amerikaner brauchten wir ja sowieso nicht mehr, die hatten wir ja schon gefragt.

»Na, dann!«, habe ich gesagt. »Gehen wir auf die Terrasse, Emma?«

Natürlich habe ich gedacht, dass jetzt alles wieder genauso ablaufen würde wie am Abend vorher, und das denken Sie sicher auch: Zuerst würden wir uns hinter dem Wolligen Kapernstrauch neben der Terrasse verstecken, bis Ms Wendy Chapman in der Küche verschwunden war; dann würden wir blitzschnell so viele Gäste befragen, wie wir in der kurzen Zeit schaffen konnten. Haben Sie das auch gedacht?

Leider kann nicht immer alles so kommen, wie man es sich wünscht, ich muss Sie enttäuschen. Dieses Mal war es ein Nilpferd, das unsere Pläne durcheinanderwarf.

»Ein Nilpferd!«, hat Paki gerufen. (Sie fragen sich, wer Paki ist. Paki ist der Schuhputzboy von Lion Lodge.) »Ein Nilpferd unten beim Pool!«

Ich weiß, ich hatte behauptet, dass Nilpferde nicht oft in Miss Agathas Garten kommen, und eigentlich kommen sie auch nicht oft in den Garten von Lion Lodge. Aber »nicht oft« ist nicht »nie«, und Nilpferde sind hinterhältig; verlassen kann man sich bei Nilpferden auf gar nichts.

Paki ist so alt, dass er in seinem Leben schon mehr Nilpferd-Geschichten erlebt hat, als er sich wünschen würde. Wenn Paki vor einem Nilpferd warnt, dann hat er wahrhaftig ein Nilpferd gesehen, das kann ich Ihnen versichern. »Gehen Sie bitte alle ins Haus! Gehen Sie bitte alle ins Haus!« Damit hat er natürlich die Gäste auf der Terrasse gemeint.

Unter den Gästen ist es unruhig geworden. Emma und ich waren gerade vom Parkplatz um die Ecke gebogen, und jetzt sahen wir, wie auf der Terrasse ein großes Durcheinander entstand. Die französische Mutter hat ihre Arme ausgebreitet und mit schrillen kleinen Schreien versucht, ihre Kinder ins Haus zu scheuchen wie eine Glucke. Die Kinder sind ihr immer wieder entwischt und haben sich sogar über die Terrassenbrüstung gelehnt, um so viel wie möglich vom Nilpferd unten am Pool mitzukriegen. Dabei haben sie irgendetwas gerufen, aber weil es auf Französisch war, konnte ich es nicht verstehen. (Weil Emma sich in Französisch mehr anstrengen musste, konnte sie es wahrscheinlich auch nicht verstehen.)

Die beiden Frauen, die so schlecht Englisch sprachen, haben Pakis Warnung trotzdem verstanden. Jedenfalls sind sie blitzschnell im Speisesaal verschwunden.

Ein sehr schönes junges Paar in frisch gebügelter Safari-Kleidung und mit ins Haar hochgeschobenen Sonnenbrillen (gehörte ihnen der Mercedes oder der BMW?) hatte seine Smartphones gezückt und näherte sich mit zögernden Schritten dem Zugang zum Pool; und ein älteres Paar, das sich zum Abendessen so vornehm umgezogen hatte, wie die Gäste es auf Schiffen tun (ich weiß das aus einem von Miss Agathas Miss-Marple-Filmen), stand den anderen Gästen im Weg, unschlüssig, ob sie ins Haus gehen oder in ihrem Alter noch mal ein Abenteuer erleben wollten.

»Wie konnte das Biest hier, verdammt, überhaupt reinkommen?«, hat Thulile Paki zugerufen. Thulile ist die Rezeptionistin von Lion Lodge. Sie hat das College für Tourismus und Fremdenverkehr durchlaufen und hat ein Diplom mit roter und goldener Schrift, das in einem Rahmen an der Rezeption hängt, sodass alle Gäste es sehen können. Wörter wie »verdammt« benutzt Thulile sonst nie.

Ich hätte Thulile sagen können, wie das Nilpferd in den Garten von Lion Lodge gekommen war, sie hätte es selbst wissen müssen. Natürlich hat Lion Lodge nach vorne zur Straße hin eine schöne, weiß getünchte Mauer mit einem großen Tor, das mit einem elektronischen Summer geöffnet werden kann. Die Gäste, die nach Lion Lodge kommen und in einer der Cabins übernachten, haben darum das glückliche, sichere Gefühl, dass sie hinter dieser Mauer nur auf solche Tiere treffen werden, denen Ms Wendy Chapman den Zutritt gestattet hat. (Leider müssen die Gäste meistens schon beim ersten Frühstück feststellen, dass das für die Meerkatzen nicht gilt. Die Meerkatzen schlagen sich in den Marula-Bäumen ihre Bäuche voll. Für die kleinen grauen Affen ist die Mauer nicht hoch genug, und sie denken gar nicht daran, Ms Wendy Chapmans Verboten zu gehorchen. Die Meerkatzen lieben das Frühstück der Gäste. (Deshalb hängen in der Nähe der Terrasse auch überall Schilder, die die Gäste auffordern, nicht die Affen zu füttern.)

Es ist wichtig, dass die Gäste sich in Lion Lodge sicher fühlen können! Sie möchten Löwen sehen und Elefanten und Nashörner, ganz aus der Nähe, auch Krokodile und Nilpferde; aber nur, wenn sie sich dabei haargenau so sicher fühlen können wie zu Hause, wo sie wilde Tiere im Zoo hinter Gittern betrachten und von ihnen nicht belästigt werden können. (Sonst würden sie nicht mehr kommen und ihre Emalangeni ausgeben, und was würde dann aus Ms Wendy Chapman werden und aus Emma und aus Thulile und aus Paki und aus Dumisani, die die Cabins putzt? Was würde aus Onkel Vusi werden und aus den anderen Rangern von Lion Park und aus mir? Ich rate Ihnen, scheuen Sie nicht die Reise in unser Land. Aber seien Sie vorsichtig.)

Die Gäste in Lion Lodge wissen nicht, dass die schöne weiße Mauer nicht den ganzen Garten umschließt. Auf der Rückseite, wo der Rasen hinter dem Pool und den Cabins in den Busch übergeht mit seinen hohen Bäumen und Lianen und Philodendren und einem dämmerigen Strauch-Dickicht, kann man die Grenze zwischen Lion Lodge und Lion Park nicht erkennen. Dort beginnt der Maschendrahtzaun.

Ein Maschendrahtzaun! Ich muss Ihnen nicht erklären, dass Nilpferde über Maschendrahtzäune nur lachen. Wenn ein Nilpferd Interesse hat an dem, was es hinter einem Maschendrahtzaun vermutet, dann stößt es ihn um mit seinem tonnenschweren Körper und zertrampelt ihn mit seinen kräftigen Füßen, und dann ist der Zaun Geschichte. Wir haben es schon erlebt. (Aber wir haben es noch nicht oft erlebt.)

»Ich rufe die Ranger!«, hat Thulile gesagt und ihr Handy aus der Tasche gezogen. »Gehen Sie bitte ins Haus, meine Damen und Herren! Schließen Sie bitte die Speisesaaltür!«

Emma und mich hatte Thulile noch nicht entdeckt. Aber Emma und ich wollten ja auch nicht entdeckt werden.

»Mist!«, hat Emma geflüstert. Das Nilpferd kam langsam den Rasen hoch und auf das Haus zugeschlendert, als wäre es auf Sightseeingtour. Was, wenn man es recht überlegt, ja nur gerecht gewesen wäre. Die Touristen starren die Nilpferde an, warum sollte also ein Nilpferd nicht die Touristen anstarren? (Jedenfalls hoffte ich, dass es sie nur anstarren würde.) »Wenn die Gäste jetzt alle im Speisesaal essen, kriegt meine Mutter sofort mit, wenn wir sie nach Delighty fragen!«

Das Nilpferd ist mit ungeduldigen Schnaubgeräuschen näher gekommen. Vielleicht war es enttäuscht, dass der Rasen von Lion Lodge so kurz geschoren ist. (Miss Agatha sagt, so kurz scheren Sie den Rasen in England.) Viel zu fressen konnte ein Nilpferd da nicht finden.

»Blödes Vieh!«, hat Emma gezischt und dem Nilpferd mit der Faust gedroht. »Alter Fettsack! Deinetwegen kriegen wir jetzt heute wieder nicht raus, wo Delighty ist! Geh doch zurück in deine Matschkuhle!«

Daran sehen Sie, dass Emma keine große Angst vor Nilpferden hat (vielleicht sogar zu wenig Angst), und das Nilpferd hatte offenbar auch keine Angst vor Emma. Vielleicht hatte es uns aber auch nur noch nicht entdeckt? Oder vielleicht wollte das Nilpferd Emmas Beleidigungen auch einfach nur nicht zur Kenntnis nehmen?

»Also, was jetzt?«, habe ich geflüstert. Wenn das Tier noch ein bisschen näher kam, war es vielleicht doch klug, ein paar Schritte rückwärts zu gehen. »Doch in den Speisesaal?«

In diesem Augenblick war auf dem Parkplatz so lautes Bremsenquietschen zu hören, dass das Nilpferd seinen riesigen Kopf gehoben hat.

»Das Nilpferd ist hinten!«, hat Thulile gerufen. Dann habe ich gehört, wie Wagentüren zugeschlagen wurden. »Das Nilpferd ist beim Pool! Habt ihr ein Gewehr dabei?«

Onkel Vusi, Bongani und Sipho Joyful kamen um die Ecke gestürmt wie ein Löwenrudel auf der Jagd. Bongani und Sipho Joyful sind Ranger in Lion Park wie mein Onkel Vusi, und Bongani ist (nach Onkel Vusi natürlich, das voranzustellen gebietet der Respekt) der beste Ranger, den ich kenne. Sipho Joyful ist leider kein ganz so guter Ranger, das muss gesagt werden. Er trinkt zu gerne Buganu, und dann wird sein Schritt schwankend wie der eines alten Elefantenbullen, und seine Augen sind rot unterlaufen wie die Augen eines Nashorns vor dem Angriff. Aber heute Abend war er immerhin mitgekommen. Ich habe gehofft, dass er noch nicht zu viel Buganu getrunken hatte. Wenn man ein Nilpferd fangen will, kann zu viel Buganu ungünstig...