dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Blindflug

Dick Francis

 

Verlag Diogenes, 2016

ISBN 9783257606843 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

7,99 EUR


 

{19}2


Ein Job ist, was man daraus macht. Drei Wochen später, nach Weihnachten, flog ich mit zwölf Einjährigen nach Buenos Aires – vier von der ›Anglia‹ und acht von anderen Vollblutpferd-Agenturen, alle an einem kalten Dienstagmorgen um fünf Uhr am Flugplatz Gatwick versammelt. Simon Searle hatte für ihr pünktliches Eintreffen gesorgt und bei einer Charterfirma die Frachtpassagen gebucht. Nachdem man sie ausgeladen hatte, übernahm ich sie, brachte sie in der Maschine unter und sorgte für die Zollabfertigung. Dann flogen wir ab.

Außer mir waren noch zwei von Yardmans Pferdepflegern dabei, die beide mit Empörung quittierten, daß ich über ihre Köpfe hinweg Peters’ Posten bekommen hatte, weil jeder die Beförderung für sich erhofft hatte. Vom Menschlichen her gesehen war der Flug ein eisiger Mißerfolg. Sonst lief alles ziemlich glatt. Wir landeten zwar mit vier Stunden Verspätung in Argentinien, aber die neuen Besitzer hatten alle ihre Transportboxen geschickt. Wieder schleuste ich Pferde und Papiere durch den Zoll und sorgte dafür, daß jeder der fünf neuen Besitzer die richtigen Pferde und Dokumente erhielt. Tags darauf wurden in Kisten verpackte Pelze als Rückfracht geladen, und wir flogen nach Gatwick zurück, wo wir am Freitag ankamen.

Am Samstag konnte ich bei den Rennen in Sandown einen Sturz und einen Sieg verzeichnen, den Sonntag verbrachte ich auf die übliche Weise, und am Montag flog ich mit einigen Zirkuspferden nach Deutschland. Nach vierzehn Tagen war ich völlig erschöpft, nach vier Wochen hatte ich mich akklimatisiert. Mein Körper gewöhnte sich an langes Aufbleiben, unregelmäßiges Essen, {20}pausenloses Kaffeetrinken und an Schlaf im Sitzen auf Heuballen in dreitausend Meter Höhe. Die beiden Pfleger, Timmie und Conker, überwanden ihren ärgsten Zorn, und wir entwickelten uns zu einem schnellen, tüchtigen, wortkargen Team.

Meine Familie entsetzte sich, wie erwartet, über meinen Berufswechsel und versuchte alles, mich davon abzubringen. Meine Schwester nahm erschrocken die Worte zurück, die ich sehr wohl verdient hatte, mein Vater sah den Grafentitel nun doch an den Vetter fallen, da Flugzeuge der Natur widersprachen und in aller Regel abstürzten, und meine Mutter geriet bei dem Gedanken an die Kommentare ihrer Bekannten in Hysterie.

»Das ist etwas für einen Arbeiter«, jammerte sie.

»Es kommt immer darauf an, was man aus einer Sache macht.«

»Was werden die Filyhoughs denken?«

»Ist doch völlig unwichtig.«

»Das ist keine passende Stellung für dich.«

Sie rang die Hände.

»Mir gefällt sie, also paßt sie auch zu mir.«

»Du weißt ganz genau, wie ich es meine.«

»Natürlich, Mutter, aber meine Ansicht ist eben von der deinen grundverschieden. Jeder sollte das tun, was ihm Spaß macht. Das allein sollte den Ausschlag geben. Ob das gesellschaftlich paßt oder nicht, darf überhaupt keine Rolle spielen.«

»Aber es spielt eine«, rief sie verzweifelt.

»Bei mir auch, fast sechs Jahre lang«, gab ich zu. »Jetzt ist Schluß. Außerdem ändern sich die Ansichten. Was ich jetzt mache, kann nächstes Jahr Mode werden. Wenn ich nicht aufpasse, wird noch die Hälfte meiner männlichen Bekanntschaft mitmischen wollen. Jedenfalls ist das für mich genau richtig, und ich mache damit weiter.«

Trotzdem war sie nicht zu überzeugen. Ihrem ältlichen, in {21}Konventionen befangenen Bekanntenkreis konnte sie jedenfalls nur mit der Behauptung gegenübertreten, ich sei nur bestrebt, ›Erfahrungen zu sammeln‹, und man müsse das Ganze als Spaß betrachten.

Auch für Simon Searle war es anfangs nur ein Spaß.

»Sie halten das nicht durch, Henry«, sagte er entschieden. »Sie mit Ihren makellosen dunklen Anzügen und Ihren schneeweißen Hemden und Ihrem tadellos gekämmten Haar bei dem Schmutz. Ein Flug genügt.«

Nach vier Wochen erschien ich, immer noch der alte, am späten Freitag nachmittag, um meine Lohntüte abzuholen. Wir schlenderten zu seinem Stammlokal, einer schmuddeligen Kneipe mit bunten Glastüren und chronisch miefiger Luft, wo er sich auf einem Barhocker niederließ, wobei er seine herabhängenden Fettmassen um sich herum drapierte, und Bier bestellte. Ich holte uns zwei Glas.

»Was machen die Weltreisen?« fragte er nach dem ersten tiefen Schluck und fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe, um den Schaum abzulecken.

»Ich bin zufrieden.«

»Bis jetzt haben Sie jedenfalls noch keinen Murks gemacht«, sagte er lächelnd.

»Danke.«

»Dürfte auch gar nicht vorkommen, weil ich ja immer schon alles vorbereitet habe.«

»Eben.«

Er war tatsächlich ein hervorragender Organisator, ein Hauptgrund, warum die ›Anglia‹ oft mit Yardman-Transport zusammenarbeitete, statt mit Clarkson-Carriers, einer viel größeren und bekannteren Firma. Simons Abschlüsse waren immer klar, einfach und grundsätzlich doppelt bestätigt. Agenturen, Eigentümer und Fluggesellschaften wußten stets, woran sie waren und zu welcher Zeit sie da und dort erscheinen mußten. In der {22}ganzen Branche gab es keinen zuverlässigeren Mann als Simon. Da ich selber so genau war, bewunderte ich seine Arbeit fast wie ein Kunstwerk.

Er sah mich amüsiert von der Seite an.

»Sie sind doch wohl nicht in diesem Aufzug unterwegs?«

»Doch, mehr oder weniger.«

»Was heißt mehr oder weniger?«

»Statt des Jacketts trage ich im Flugzeug und beim Verladen einen Pullover.«

»Und das Jackett hängen Sie auf einen Bügel?«

»Gewiß.«

Er lachte, aber ohne Spott.

»Sie sind ein Kauz, Henry.« Er bestellte ein zweites Bier, zuckte die Achseln, als ich ablehnte, und trank mit großen Schlucken. »Warum sind Sie so gründlich?«

»Das ist sicherer.«

»Sicherer.« Er verschluckte sich, hustete und lachte. »Auf die Idee, daß für viele Menschen Hindernisrennen und Frachtflüge nicht gerade das Sicherste sind, kommen Sie wohl nicht.«

»Das habe ich nicht gemeint.«

»Was dann?«

Ich schüttelte nur den Kopf.

»Erzählen Sie mir was von Yardman«, sagte ich.

»Zum Beispiel?«

»Na ja, wo er herkommt und so.«

Simon zog die Schultern hoch und schob die Unterlippe vor.

»Er trat nach dem Krieg, als er aus der Armee entlassen wurde, in die Firma ein. Er war Sergeant bei der Infanterie, glaube ich. Einzelheiten weiß ich nicht, hab’ auch nie gefragt. Jedenfalls arbeitete er sich hoch. Damals hieß die Firma natürlich noch nicht Yardman-Transport. Sie gehörte den Mayhews, aber da gab es keinen Stammhalter … die anderen Verwandten waren nicht interessiert, wie das eben so geht. Jim Yardman hatte die Firma {23}schon übernommen, als ich kam. Wie das genau vor sich ging, weiß ich nicht, aber er hat Grips im Kopf, da gibt es keinen Zweifel. Denken Sie nur an das Umsteigen auf den Luftverkehr. Seine Idee. Er sah die Vorteile des Pferdetransports mit Flugzeugen schon, als die anderen Transportunternehmen alle noch den Schiffsverkehr bevorzugten.«

»Obwohl das Büro an einem Kai steht«, meinte ich.

»Ja. Früher war das sehr praktisch. Jetzt wird er nicht mehr oft benützt, seit Pferde nicht mehr zur Schlachtung exportiert werden dürfen.«

»Das hat Yardman gemacht?«

»Seetransportmakler«, bestätigte er. »Am anderen Ende des Kais steht ein großes Lagerhaus, wo wir die Pferde immer untergebracht hatten. Drei Tage bevor das Schiff einlief, wurden sie hier so nach und nach abgeliefert. Durchschnittlich alle vierzehn Tage einmal. Bin ganz froh, daß das vorbei ist. Viel Arbeit, Schmutz und Lärm und wenig Gewinn, meinte Yardman.«

»Es hat Sie aber nicht gestört, daß sie geschlachtet werden sollten?«

»Nicht mehr als bei Rindern oder Schweinen.« Er leerte sein Glas. »Warum auch? Alles muß mal sterben.« Er lächelte fröhlich und deutete auf die Gläser. »Noch eins?«

Er bestellte nach, ich nicht.

»Hat man von Peters noch etwas gehört?« fragte ich.

Er schüttelte den Kopf.

»Keinen Ton.«

»Und seine Papiere?«

»Noch im Büro, soviel ich weiß.«

»Merkwürdig, finden Sie nicht?«

Simon zuckte die Achseln.

»Wer weiß das schon? Vielleicht wollte er sich vor jemandem drücken und hat das eben sehr gründlich gemacht.«

»Hat sich denn jemand nach ihm erkundigt?«

{24}»Nein. Nicht die Polizei, kein Buchmacher, bei dem er Schulden hätte, keine aufgebrachten Frauen, niemand.«

»Er ist nach Italien geflogen und einfach nicht zurückgekommen?«

»Stimmt«, sagte Simon. »Er flog mit ein paar Stuten nach Mailand und hätte am selben Tag zurückkommen sollen. Es gab Schwierigkeiten mit einem Motor oder was weiß ich, der Pilot hatte seine Dienstzeit schon überzogen und erklärte, er käme in die größten Schwierigkeiten, wenn er zu lange am Steuerknüppel sitze. Sie blieben also über Nacht, und am anderen Morgen tauchte Peters nicht mehr auf. Sie warteten fast den ganzen Tag und kamen schließlich ohne ihn zurück.«

»Das ist alles?«

»Ja, das ist alles«, sagte er. »Das Leben ist eben voller Rätsel. Was ist los? Haben Sie Angst, daß Peters plötzlich auftaucht und Ihnen den Posten wieder wegnimmt?«

»So ungefähr.«

»Er war ziemlich unangenehm«, sagte er nachdenklich. »Hat sich immer auf seine Rechte berufen. Dauernd gemeckert, Sie kennen den Typ. Angriffslustig. Hat sich auch von ausländischen Zollbeamten nie etwas bieten lassen.« Er grinste. »Die sind wahrscheinlich froh, daß sie es jetzt mit Ihnen zu tun haben.«

»In ein, zwei Jahren bin ich sicher genauso grimmig.«

»In ein, zwei Jahren?« Er sah mich erstaunt an. »Henry, es ist...