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Begin Again

Mona Kasten

 

Verlag LYX, 2016

ISBN 9783736302488 , 484 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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Kapitel 1


White.

Ich starrte auf das Klingelschild. Den Kopf zur Seite geneigt hob ich meinen Finger, hielt dann aber inne und zog ihn in letzter Sekunde wieder zurück. Ich presste meine Lippen fest aufeinander und ballte die Hand zur Faust, während ich die Ereignisse der vergangenen Tage in Gedanken noch einmal an mir vorbeirasen ließ.

Wochenlange Streits mit meinen Eltern, 1079 Meilen und eine zwanzigstündige Autofahrt lagen hinter mir. Ich war bereits vorgestern in Woodshill angekommen, hatte seitdem zwei Nächte in einem heruntergekommenen Hostel verbracht, und während ich die ersten paar Stunden drauf und dran gewesen war, einfach wieder umzukehren, war mein Kopf jetzt schon viel klarer. Denn ich hatte es geschafft. Ich war tatsächlich hier.

Wobei mein Start eindeutig anders verlief, als ich es mir vorgestellt hatte. Natürlich hatte ich mir meine neue Heimat aus der Ferne angeschaut. Oregons Gebirge, die Wälder und auch den Unicampus kannte ich bereits aus dem Netz. Gestern waren die Einführungsveranstaltungen für Erstsemester gewesen, und danach hatte ich angefangen, die Wohnungen zu besichtigen, die ich mir zuvor im Internet rausgesucht hatte. Scheinbar umsonst, denn bisher waren leider alle absolute Reinfälle gewesen. Aber immerhin war ich endlich in Oregon.

Freiheit.

Nur dieser eine Gedanke hatte mich durch die letzten Monate gebracht. Endlich mein eigenes Leben aufbauen zu können, endlich das tun und lassen zu können, was ich wollte. Die vergangenen neunzehn Jahre waren so verdammt beengend gewesen. Manchmal hatte ich mich wie ein Vogel gefühlt, der nur für wenige Minuten am Tag aus seinem Käfig herausgelassen wurde, um ein paar Kunststücke vorzuführen. Wenn man es als Kunststück bezeichnen konnte, auf Partys eine gute Figur zu machen, nett zu lächeln und mit fremden Menschen Small Talk zu halten, war ich eine ziemlich gute Künstlerin. Oder aber ein ziemlich eingeschränkter Vogel.

Der Schein stand bei meinen Eltern immer an oberster Stelle. Ich hatte elegant gesträhntes Haar und trug feinst geschnittene Designermode – das perfekte Lächeln dazu beherrschte ich auf Knopfdruck. Ich hatte immer perfekt sein müssen – zumindest nach außen hin. Deshalb war meine erste Amtshandlung als Collegestudentin gewesen (neben dem Packen von ein paar Kartons), in den nächstgelegenen Friseursalon zu gehen und meine lange blonde Mähne abschneiden und färben zu lassen. Jetzt umrahmten meine Wangen braune Spitzen. Zum ersten Mal seit Jahren trug ich meine Naturwelle – eine Sache, die Mom zutiefst missbilligt hätte. Sie hasste, dass ich sie von Dad geerbt hatte.

Jahrelang hatte sie mich alle vier Wochen in einen dieser Elite-Salons geschleift, in denen man bereits schräg beäugt wurde, sobald der Ansatz mehr als einen halben Zentimeter betrug. Sie bestand darauf, dass ich meine Haare honigblond färbte, damit meine ungewöhnliche Augenfarbe – eine Mischung aus grau und grün – bestmöglich zur Geltung kam. Schon als junges Mädchen hatte ich morgens extra früh aufstehen und mich mit dem Glätteisen abmühen müssen, damit meine Naturwellen gebändigt wurden und seidig mein Gesicht umrahmten. Damit war jetzt endgültig Schluss. Niemals wieder würde ich jemanden – und am allerwenigsten meine Mutter – meine verdammte Haarfarbe und -struktur kontrollieren lassen!

Jedes Mal, wenn die Spitzen meiner Haare, die nur noch knapp bis zum Kehlkopf reichten, an meinen Wangen kitzelten, erinnerte mich das an meine neugewonnene Freiheit. Die Frisur war quasi ein erster Schritt dahin gewesen, und auch wenn es albern erscheinen mochte: Ich fühlte mich wie ein neuer Mensch.

Allerdings hatte mir das noch nicht viel bei der Wohnungssuche gebracht. Für einen Platz im Wohnheim hatte ich mich gar nicht erst beworben. Ich verspürte keine große Lust, eines Tages aufzuwachen und Mom in meinem Zimmer stehen und alles naserümpfend mustern zu sehen. Allein deswegen hatte ich mich lieber auf die Suche nach einer WG im Umkreis vom Campus gemacht – dort, zumindest hoffte ich das, würde sie mich nicht so schnell finden. Allerdings verkomplizierte das für mich alles, wie ich während der letzten anderthalb Tage hatte feststellen müssen.

Mal abgesehen davon, dass ich sowieso nur eine Handvoll Zimmer gefunden hatte, die an dem Tag frei wurden, an dem ich mein Bett im Hostel würde räumen müssen, konnte ich auch noch jede einzelne der Wohnungen als kompletten Reinfall verbuchen.

Bei der ersten Besichtigung war mein potenzieller Mitbewohner mehr an meiner Körbchengröße interessiert gewesen als an meinen schlechten Angewohnheiten. Bei dem Gedanken an diesen Perversling schüttelte es mich noch immer. Wenig besser war die junge Mutter, die penetrant nach Rauch gestunken und mich nicht nur als Mitbewohnerin, sondern vor allem als Babysitterin hatte haben wollen. In Wohnung Nummer sechs war ich einem Pärchen begegnet, das sich bereits bei der Besichtigung volle Kanne an die Wäsche ging. Und alle anderen Wohnungen waren entweder zugemüllt oder von Schimmel befallen gewesen. Keine Ahnung wieso, aber ich hatte mir die Suche nach einer Unterkunft leichter vorgestellt.

Gerade deshalb fiel es mir wahrscheinlich so schwer, die Klingel zur letzten Besichtigung zu drücken. Die Buchstaben des Klingelschilds waren inzwischen von hinten beleuchtet und brannten sich förmlich in meine Netzhaut.

White.

Das hier war meine letzte Chance. Weitere Wohnungsangebote hatte ich nicht gefunden. Wenn ich hier nicht Anfang nächster Woche einziehen konnte, würde ich auf der Straße sitzen. Zum Semesterbeginn war einfach alles ausgebucht. Ausnahmslos. Und außerdem wurden die Preise immer weiter in die Höhe getrieben. Die sieben Nächte im Zwölfbettzimmer kosteten mich jetzt schon ein halbes Vermögen. Auf meinem Konto lag zwar eine beachtliche Summe, aber eigentlich war das Geld nicht für ein schäbiges Zimmer mit elf Mitbewohnern und gemischtgeschlechtlichen Gruppenduschen gedacht gewesen.

Ich brauchte dringend diese Wohnung, und sollte ich sie nicht bekommen, dann würde ich mir für den Unistart wohl oder übel eine nette Parkbank suchen oder in meinem winzigen Auto schlafen müssen. Auf keinen Fall wollte ich zurück nach Denver. Die Option Aufgeben existierte einfach nicht. Ich würde hier mein neues Zuhause finden, koste es, was es wolle, und wenn ich ein paar Nächte unter freiem Himmel verbringen musste, dann sollte mir das auch recht sein. Solange ich nur nicht zurück nach Denver musste.

Ich atmete tief ein und drückte mit meinem Finger auf die Klingel. Während ich wartete, ließ ich die warme Abendluft in meine Lunge strömen. Ich spürte kaum den Druck, der sich in meiner Brust aufbaute.

Eins, zwei, drei, vier, fünf …

Im Stillen zählte ich und kniff die Augen zusammen.

Endlich erklang das Summen des Türöffners, und ich atmete ein letztes Mal tief ein, bevor ich mich gegen die Tür stemmte.

Mr K. White – seinen Vornamen kannte ich noch nicht – hatte in seiner E-Mail erwähnt, die Wohnung läge im zweiten Stock auf der linken Seite. Noch bevor ich einen Fuß auf die Treppe gesetzt hatte, hörte ich, wie sich über mir eine Tür öffnete, und kurz darauf ertönte gedämpftes Gemurmel, das deutlicher wurde, je weiter ich nach oben kam.

»Meine Nummer hast du«, säuselte eine weibliche Stimme.

Ein Räuspern. »Du weißt, dass ich …«

»Nichts Verbindliches, ich weiß, ich weiß. Das hast du mir unmissverständlich klargemacht.«

Im nächsten Moment ertönte ein verdächtiges Schmatzgeräusch. Ich hörte genauer hin. Ich war mir ziemlich sicher, dass da gerade jemand knutschte. Ehe ich michs versah, kamen mir Schritte auf der Treppe entgegen. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich stehen geblieben war, und während ich nun weiter Stufe für Stufe nahm, richtete ich meinen Blick auf meine blau lackierten Zehennägel und meine silbernen Riemchen-Sandaletten. Eines der wenigen teuren Kleidungsstücke, die ich mitgenommen hatte. An ein paar Dingen hing ich mehr, als ich zugeben wollte.

Ein leises Seufzen erklang dicht über mir, und ich hob den Kopf. Im Vorbeigehen musterte ich das Mädchen, das mit Sicherheit aus der Wohnung gekommen war, die ich gleich besichtigen würde. Sie sah mich nicht an, sondern lief mit einem seligen, verträumten Lächeln an mir vorbei. Ihren geröteten Wangen und den zerzausten Haaren nach zu urteilen, war sie bis eben noch mit etwas ganz anderem beschäftigt gewesen.

Oh Mann.

Stirnrunzelnd stieg ich die letzten paar Stufen nach oben. Mr White konnte ich nirgends entdecken. Zögerlich lief ich den Hausflur entlang und sah mich nach beiden Seiten um. Am linken Ende stand eine Tür einen Spaltbreit offen. Das musste wohl die besagte Wohnung sein.

Ich drückte die Tür ein Stück weit auf und verharrte unschlüssig auf der Schwelle.

Der Flur war aufgeräumt, und ich konnte eine Garderobe sehen, an der spärlich ein paar Jacken hingen. Darunter standen verschiedene Sneakers sowie ein paar Engineer-Boots und Wanderstiefel. Anerkennend hob ich die Brauen. Die Schuhsammlung zeugte schon mal von vielfältigen Interessen. Ich traute mich über die Schwelle und betrat den schmalen Flur. Beim Anblick des hellen Laminats atmete ich erleichtert auf. Endlich mal kein Teppich. Hastig zog ich die Schuhe aus und stellte sie zu den anderen. Wenn ich in den vergangenen Tagen etwas gelernt hatte, dann, dass das einen guten Eindruck machte – man es bei dreckigem Teppich allerdings unbedingt bleiben lassen...