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Verzockt - Ein Sid-Halley-Roman

Felix Francis

 

Verlag Diogenes, 2016

ISBN 9783257607291 , 464 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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13,99 EUR


 

{7}1


»Nein«, sagte ich. »Ausgeschlossen.«

»Es muss sein, Sid.«

»Warum?«

»Zum Wohl des Galopprennsports.«

Die Taktik kannte ich.

»Ich bin doch in Rente«, erwiderte ich. »So was mache ich nicht mehr.«

Sir Richard Stewart, Vorsitzender der obersten britischen Rennsportbehörde BHA, hatte sich nicht vom Regalauf‌füller zum Geschäftsführer der größten Supermarktkette auf der Insel hochgearbeitet, indem er »Nein« als Antwort gelten ließ.

»Ach, kommen Sie, Sid«, sagte er mit einem schlauen Lächeln. »Jeder weiß, dass Sid Halley immer noch zu den Besten gehört.« Sir Richard knuff‌te mich in den Arm. »Und Sie wollen es doch auch.«

Wollte ich das?

Privatdetektiv war ich seit knapp sechs Jahren nicht mehr. Inzwischen hatte ich mich als einigermaßen erfolgreicher unabhängiger Investor etabliert, hauptsächlich im Handel mit Blue Chips auf den großen Märkten, zunehmend aber auch mit der Finanzierung junger Unternehmer, die gute Ideen hatten, aber knapp bei Kasse waren.

{8}Sechs relativ stressfreie Jahre, in denen niemand darauf aus gewesen war, mich zu verprügeln oder Schlimmeres.

»Nein«, wiederholte ich entschieden. »Ich möchte wirklich nicht, weder jetzt noch überhaupt.«

Das hörte Sir Richard of‌fensichtlich gar nicht gern.

»Sid«, und er zog den Namen ein paar Sekunden in die Länge, »darf ich Ihnen etwas im Vertrauen sagen?«

»Selbstverständlich.«

Er beugte sich zu mir vor, als hätte er Angst, belauscht zu werden, dabei saßen wir allein im Wohnzimmer meines Hauses in Oxfordshire.

»Ich befürchte ernsthaft, dass die ganze Zukunft unseres Sports auf dem Spiel steht.« Mit hochgezogenen Augenbrauen und zusammengepressten Lippen nickte er mir zu, als wollte er das Gesagte unterstreichen. »Der Rennsport lebt von seiner Integrität. Klar, natürlich kann fast jeder von verschobenen Rennen und gedopten Pferden erzählen, aber im Großen und Ganzen ist der Rennsport eine saubere Sache. Sonst wäre das Vertrauen nicht da, das die Leute zum Wetten brauchen, und wo kämen wir da hin?«

Ich schwieg.

»Deshalb investieren wir von der BHA so viel Zeit und Geld in Dopingkontrollen und ahnden Verstöße so streng. Es macht uns nicht gerade Spaß, jemandem die Lebensgrundlage zu entziehen, aber andere müssen abgeschreckt werden.«

Ich nickte. All das war mir bekannt.

»Weshalb dann die Panik?«, fragte ich.

»Ich bin überzeugt, dass jemand dabei ist, das System {9}auszuhebeln. Durch Wettmanipulation. Deshalb brauchen wir Sie.«

»Und der Sicherheitsdienst der BHA?«, fragte ich. »Können die dem nicht nachgehen?«

»Ich habe sie dazu angehalten«, seufzte er. »Es sei alles in Ordnung, und ich sei im Irrtum, hieß es. Aber ich weiß, dass ich recht habe.«

»Und woher?«

»Ich weiß es einfach.«

Schlüssig klang das nicht gerade, aber Sir Richard hatte schon oft für gewagte Überzeugungen eingestanden und sich noch selten geirrt.

»Es tut mir leid«, sagte ich im Aufstehen, »ich kann Ihnen trotzdem nicht helfen.«

Sir Richard sah mich an. »Können oder wollen Sie nicht?«

»Beides. Und wahrscheinlich wäre ich ohnehin nicht zu gebrauchen. Ich habe das Detektivspielen verlernt.«

»So ein Quatsch!« Sir Richard erhob sich ebenfalls. »Haben Sie auch das Atmen verlernt? Der Sid Halley, den ich kannte, hat mit geschlossenen Augen mehr erfasst als die ganze Londoner Polizei mit of‌fenen.«

Ich schaute ihn aus fünfundzwanzig Zentimetern Entfernung an.

»Ich bin nicht mehr der Sid Halley, den Sie kannten.«

Er sah mir in die Augen, bis ich mich nach ein paar Sekunden abwandte.

»Das ist wirklich schade«, meinte er seufzend.

Mir war jämmerlich zumute, aber mehr konnte ich dazu nicht sagen.

{10}»Dann gehe ich wohl besser.« Sir Richard nahm seine Aktentasche vom Sofa. »Hier verschwende ich of‌fensichtlich meine Zeit.«

Jetzt war er nicht nur enttäuscht, sondern obendrein verärgert.

»Ich finde selbst hinaus«, brummelte er mit einem Rest an Höf‌lichkeit. Er wandte sich zum Gehen.

»Sir Richard.« Ich legte ihm die Hand auf den Arm. »Es tut mir sehr leid, aber ich mache so was nicht mehr.«

»Das hat mir der gute Admiral Roland vorige Woche auch gesagt, bloß war ich etwas skeptisch.« Er hielt inne und sah mir wieder in die Augen. »Sid, ich bin fest überzeugt, dass der Rennsport, wie wir ihn kennen und lieben, in Gefahr ist.«

Er hat Angst, dachte ich. Richtig Angst.

»Was für Beweise haben Sie?«, hörte ich mich fragen.

Verdammt. Nicht doch. Ich durf‌te mich da nicht reinziehen lassen.

Sir Richard klappte die Aktentasche auf und zog eine durchsichtige Plastikmappe mit einigen Bogen Papier hervor. »Ich habe eine Liste der Rennen zusammengestellt, deren Ausgang mir manipuliert worden zu sein scheint.«

»Was für faktische Beweise haben Sie denn?«, fragte ich.

»Glauben Sie mir nicht?« Sir Richard schnaubte durch die Nase und richtete sich zu voller Größe auf, so dass er mich gut und gern um einen Kopf überragte.

»Ob ich Ihnen glaube, spielt keine Rolle«, ging ich über seine Entrüstung hinweg. »Aber stichhaltige Beweise möchte ich schon gerne sehen.«

{11}»Heißt das, Sie helfen mir doch?« Er schöpf‌te wieder Hoffnung.

»Nein«, sagte ich. »So habe ich das nicht gemeint. Aber wenn Sie möchten, werfe ich mal einen Blick auf Ihre Liste.«

Er gab mir die Mappe. »Behalten Sie sie. Ich habe Kopien davon.«

»Mit wem haben Sie sonst noch darüber gesprochen?«, fragte ich.

»Wie meinen Sie das?«

»Mit wem außer dem BHA-Sicherheitsdienst haben Sie darüber gesprochen? Hat sonst noch jemand Ihre Liste gesehen?«

Meine Fragen schienen ihn zu überraschen. »Ja, schon.«

»Wer denn?«, hakte ich nach.

»Einige Kollegen vom BHA-Vorstand. Und meine Sekretärin natürlich. Die hat sie mir abgetippt.« Er lächelte.

»Sonst noch jemand?«

»Der eine oder andere in meinem Club. Der Admiral zum Beispiel. Ihn wollte ich überreden, sich an Sie zu wenden.«

Ich seufzte innerlich, sagte aber nichts.

»Ist das ein Problem?«, fragte er.

»Es wäre vielleicht klüger, Ihre Sorge für sich zu behalten. Wenigstens, bis etwas bewiesen ist.«

»Beweise scheint ja niemand suchen zu wollen«, entgegnete er gereizt. »Alle glauben, ich spinne mir da was zusammen.«

»Trotzdem sollten Sie Ihren Verdacht vielleicht nicht so herumtragen. Es könnte an die falschen Ohren dringen. Wenn tatsächlich was läuft, sollen die Täter ja nicht dahinterkommen, dass Sie ermitteln.«

{12}»Wo ermittle ich denn?«, gab er verärgert zurück. »Und wenn ich mit ein paar Leuten aus dem Club rede, ist das ja wohl noch kein Herumtragen.«

Ich hielt lieber den Mund, aber wenn ich aus zehn Jahren Detektivarbeit etwas gelernt hatte, dann, dass man mit Geheimhaltung und Überraschung normalerweise am besten fuhr.

Und die Zugehörigkeit zu Sir Richards Club wies nicht jeden gleich als vorbildliches Mitglied der Gesellschaft aus. Seit Jahrhunderten durchläuft ein steter Strom von Schwindlern, Hochstaplern, Dieben und Mördern die britischen Gefängnisse, und nicht wenige davon waren Mitglieder der angesehensten Londoner Herrenclubs.

»Sid, helfen Sie mir?«, fragte Sir Richard. »Zum Wohl des Rennsports.«

»Ich sehe mir Ihre Liste an.«

»Gut.«

»Aber ermitteln werde ich nicht«, schob ich schnell nach. »Das habe ich, wie gesagt, aufgegeben.«

»Ihre Einschätzung bekomme ich aber?«

»Ja. Ich sehe mir die Liste an und sage Ihnen, was ich davon halte.«

Er nickte, als genügte ihm das. »Dann gehe ich jetzt mal, sonst verpasse ich den Zug.«

»Fahren Sie nach London zurück?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, zu meinem Haus bei Winchester. Von Banbury aus geht da jede Stunde ein Zug.«

»Soll ich Sie zum Bahnhof bringen?«

»Nein danke.« Er lächelte. »Ein Taxi wartet auf mich.«

{13}Wir traten in den Märzsonnenschein hinaus, und ich ging mit ihm zum Wagen. Als sie losfuhren, winkte ich. Bildete er sich das ein, oder stimmte wirklich etwas nicht mit dem britischen Rennsport? Und wenn nicht ging mich das noch etwas an?

Ich stand noch mit erhobenem rechten Arm auf der Straße, als Marina mit unserem Range Rover den Berg herunterkam und durchs Tor bog.

»Wer war das?«, rief sie im Aussteigen. Sie hielt eine leuchtend grüne Tragetasche in der Hand.

»Sir Richard Stewart«, sagte ich.

»Und wer soll das sein?«

»Der Vorsitzende der Britischen Rennsportbehörde.«

»Was wollte er denn?«

»Er möchte, dass ich irgendwelchen krummen Machenschaf‌ten im Rennsport nachgehe.«

Steif blieb sie vor mir auf dem Kiesweg stehen.

»Und was hast du gesagt?«

»Dass ich keine Ermittlungen mehr anstelle.«

Sie entspannte sich ein wenig, besonders in der Hals- und Schulterpartie.

»Gut.«

»Was hast du gekauf‌t?«, wechselte ich das Thema.

Sie lächelte. »Etwas für Sassy. Ich konnte nicht widerstehen.« Sie griff in die Tasche und zog ein rosafarbenes Kinderkleid mit blauen Streifen und gelber Stickerei auf dem Leibchen hervor. »Ist das nicht süß? Und es war im Angebot.«

»Hübsch«, sagte ich.

Sassy war unsere Tochter. Saskia, genau gesagt. Kessy {14}hätte auch zu ihr gepasst. Sechs Jahre war sie alt, angehende sechzehn, und wurde schneller groß, als mir lieb...