dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Liselotte (Historischer Roman) - Aus dem Leben der deutschen Prinzessin Elisabeth-Charlotte von der Pfalz

Alexander von Ungern-Sternberg

 

Verlag e-artnow, 2016

ISBN 9788026868316 , 451 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

1,99 EUR


 

2.
Der Schlag ins Gesicht


Der Pfalzgraf Karl Ludwig empfing bei seiner Zurückkunft die Nachricht von den zwei Fremden; er tadelte seine Tochter über das erbetene Geschenk und befahl der Gouvernante, daß sie künftig dergleichen nicht dulden solle; denn er, wie sein Haus, begehre von niemand etwas.

Die Stimmung des Herrn war schwer und bedrückt. Er setzte sich an einen Tisch in der Halle und stützte das Haupt in die Hand. Wenn man das Antlitz ansah, wie es sich jetzt, halb beschattet von der Hand, zeigte, so war es das eines noch schönen Mannes, obgleich die Jahre merklich darüber hingezogen waren. Das Auge war groß und dunkel, aber zugleich geheimnisvoll und düster; die Brauen hingen tief hinein, und sie sowohl als die Barthaare hatten einen Anflug von Grau, obgleich der Herr noch nicht volle vierzig Jahre zählte. Seine Gestalt war voll und stark; der einfache Jagdrock zeigte die Schönheit und das Ebenmaß der Glieder. In der Jugend war Karl Ludwig schwächlich gewesen, und der mindest schöne von den schönen Kindern des unglücklichen Böhmenkönigs und der lieblichen Prinzessin von England; später aber hatten Kriegsübungen seinen Körper gestählt, und die trüben Erfahrungen seiner Jugend waren ihm Lehren der Weisheit und Vorsicht geworden.

Das Kind, das noch immer mit seinem goldenen Bildchen spielte, drückte sich zwischen die Knie des Vaters, und indem es die klaren Augen nicht von der kummergedrückten Miene desselben wegwandte, liebkoste es schüchtern den trauernden Mann, indem es mit seinen Händchen über die breite und nervige Hand des Vaters fuhr. Madame Joli hatte sich entfernt.

»Was haben dir die Herren gesagt?« fragte der Vater seine Tochter, indem er sie mit mißtrauischen Blicken ansah.

»Nichts, Papa, gar nichts. Die waren ja selbst fremd!« erwiderte das Mädchen.

»Vielleicht waren es Späher,« murmelte der Fürst vor sich hin. »Ich habe überall Feinde.«

»Die hatten so offene, gute Gesichter,« sagte die Kleine. »Wenn sie alle in Frankreich so aussehn, möchte ich wohl hin.«

»So?« sagte Karl Ludwig, und seine Miene verzog sich etwas zum Lächeln. »In zehn Jahren wollen wir weiter davon sprechen. Ich werde dich aus dem Hause geben, Mädchen!«

Das Kind sah den Vater an. »Fortgeben willst du mich?« fragte es unwillig und überrascht. »Wohin denn? Gehör' ich nicht hierher? Bin ich nicht dein Kind?«

»Du sollst zu deiner Tante, der guten Kurfürstin von Hannover.«

»Zu der? Zu der Tante, die mir zu Weihnachten die schöne Puppe geschickt hat? Ja, zu der will ich.«

Die Kleine sah zufrieden und stolz ans, indem sie dies sagte. Der Vater fragte: »Also du gehst gern?«

»O – Vater!« rief sie und hing sich an seinen Hals, »wie kannst du nur so sprechen! Ich denke, du kommst mit!« sagte das Mädchen.

»Wie kann ich?« rief der Vater finster. »Weißt du denn nicht, daß ich hierbleiben muß?«

»Wegen Fräulein Luise?« fragte das Kind.

»Still!« rief der erschreckte Mann und hielt die Hand dem Kinde vor den Mund. »Du darfst nicht von ihr sprechen. Hörst du? Nie ihren Namen nennen. Die Arme hat es so schon schwer genug hier im Hause!« –

»Die liebe Tante Sophie!« rief das Kind, plötzlich wieder heiter. »Wird sie mich aber auch wollen, wenn ich ohne dich komme?« –

»Mama Joli wird dich hinbringen; dort wirst du eine andere Gouvernante erhalten, die dir die Tante ausgesucht hat.«

»Wo bleibt Joli?« fragte die Kleine.

»Sie geht nach Frankreich zurück, wo sie ihre Verwandten hat,« entgegnete der Vater und strich mit der Hand über das Lockenhaupt des Kindes. Er hielt plötzlich inne und lauschte nach einer Seite hin. »War es nicht, als ginge die Türe an der Kammer der Mutter?« fragte er, sich umsehend.

»Nein, nein!« entgegnete die Kleine, »hier ist alles still und tot. Es ist wie im Grabe. Seitdem die Mutter böse ist, hört man keinen Laut hier. Zum Essen kommt aber Vetter Ernst; er hat es sagen lassen.«

»Hat man es der Mutter gemeldet?«

»Mama Joli ist drin gewesen,« erwiderte das Kind, »sie hat mit dem Kopf genickt, gesagt hat sie nichts.«

Der Fürst war in Nachdenken versunken. Er sah auf das Antlitz seines Kindes, und ihm die Haare aus dem Gesicht streichend, versenkte er sich tief und forschend in die hellen Augen. »Wirst du auch einmal die Qual und die Marter eines Mannes werden?« flüsterte er. »Ruht auch in dir der giftige Lindwurm, der unsere Tage verzehrt und uns vor der Zeit reif zum Grabe macht? Es wäre besser, du wärest nie geboren! Hier, mit dieser Hand könnte ich dich erwürgen! Dich von der Erde hinwegreißen, giftiges, kleines Unglücksgeschöpf!«

Seine Augen nahmen den Charakter einer ungezähmten Wildheit an, und das Kind, das sonst nicht furchtsam war, senkte seinen Blick und suchte zwischen den Knien des Vaters zu entschlüpfen. Er hielt sie aber nur fester.

»Bleib!« rief er drohend, »und höre, was ich dir sage. Du weißt, wo ich gestern abend war, zwischen zehn und elf Uhr?«

Das Kind neigte das Haupt bejahend.

»Dein Tod ist's, wenn du es der Mutter wiedererzählst!« sagte der Vater mit leiser und einschüchternder Stimme. »Hörst du – dein Tod!«

»Ich werde niemand etwas sagen!« versicherte das Mädchen.

»Darum mußt du fort!« sagte der Zürnende, halb vor sich hin. »Vor Teufeln kann ich mich wehren, aber nicht vor Engeln, die die Rolle der Teufel spielen. Jetzt geh und sieh, ob der Tisch gedeckt ist. Ich komme gleich hinab, sage das der Mutter, und sei freundlich und froh.«

Die kleine Elisabeth Charlotte, schon jetzt eingeweiht in die geheime Geschichte ihres Hauses, war die Vertraute des Vaters und des Fräuleins Luise von Degenfeld, während sie gegen die Kurfürstin, ihre Mutter, geheimnisvoll und verschlossen blieb. Diese Rolle, die das Kind spielen mußte, drückte ihre Spuren in seinen offenen und freien Charakter. Sie verstand, so jung sie auch war, schon zu heucheln und sich zu verstellen. Dies machte den Kummer und die Sorge der kleinen, unschuldigen Seele aus, die gern die ganze Welt zu Freunden haben wollte. Im Vorzimmer wartete die Joli auf sie, nahm sie auf den Arm und brachte sie ins Ankleidezimmer, wo der schöne, rote Festtagsrock lag, den sie heute anlegte.

Der Haushalt der Pfalzgrafen und Kurfürsten damaliger Zeit hatte etwas Einfaches, beinahe Bürgerliches. Frühmorgens stand der Herr auf, frühstückte allein, trank dazu eine Kanne Biersuppe, dann ging er auf dem Altan seines Schlosses, wo er seine Vertrauten hinbestellt hatte, auf und ab, und sich der herrlichen Fernsicht erfreuend, an schönen Morgen ungestört und unbelauscht, besprach er mit dem Kanzler Wellenritt die Angelegenheiten seines Hauses und seines kleinen Reiches. Wellenritt war ein ältlicher Mann, dessen Jugend in Kriegslagern dahingegangen war, im Dienste des Böhmenkönigs Karl Ludwig Viktor. Dann ging der Kanzler seinen Geschäften nach, und der Kurfürst begab sich in die untern Räume, wo gewöhnlich einige Herren von der Regierung sich einfanden, die Befehle erhielten und die Landeswünsche vortrugen. Alsdann wollte es die Pflicht, daß der Kurfürst in den Gemächern seiner Gemahlin sich einige Augenblicke aufhielt, von wo dann zur Tafel gegangen wurde. Diese, wenn keine Gäste da waren, wurde in althergebrachter Weise zusammen mit den Kindern, den zwei Edelfräulein der Kurfürstin, und den Ammen und Wärterinnen der Kinder zugebracht. Waren Gäste zugegen, so wurden nur die beiden Fräulein an die Tafel gezogen, die übrige kleine Welt tafelte für sich, doch immer in demselben Zimmer. Den Nachmittag ging der Kurfürst aus und blieb oft bis zum Abend fort, wo dann ein ebenso häuslicher Nachtimbiß die kleine Burggesellschaft versammelte. Gab es feierliche Gelegenheiten zu begehen, so war der Kurfürst durchaus kein Feind von Gelagen und späten Nachtessen. Alsdann erstrahlte die alte, pfalzgräfliche Burg zu Heidelberg im Glanze der Lichter bis spät in die Nacht, und unten die getreuen Städter erfreuten sich am Schall der musikalischen Instrumente, die bis tief zur Morgenröte hineintönten.

Ein solches Fest wurde gefeiert, als das junge Fräulein von Degenfeld an den Hof kam, um die Stelle einer Dame der Kurfürstin anzutreten. Damals war alles Freude und Glanz. Die Kurfürstin hatte die Mutter des jungen Fräuleins geliebt, sie hatte ihr auf ihrem Totenbette versprechen müssen, für das Mädchen zu sorgen, und als sie nun herangewachsen sich ihr vorstellte, glaubte die Beschützerin in ihr alle Eigenschaften zu entdecken, die wert waren, das Glück zu gründen, das durch den neuen Ankömmling heraufbeschworen war. Luise von Degenfeld war ebenso schön, wie sie sanft und liebenswürdig war. Dem kurfürstlichen Hause war in ihr ein neuer Stern aufgegangen, der seine friedebringenden Strahlen weit über alle Verhältnisse des Hauses warf. Alle Mißhelligkeiten wurden versöhnt, Widerwärtigkeiten geschlichtet, neue freudige Annäherungen geschlossen, bis plötzlich, in einer unglücklichen Stunde der Genius der Zwietracht erwachte und der böse Engel der Eifersucht sich des Herzens der Kurfürstin bemächtigte.

Die Gelegenheit war auf einem Balle. Schon war Luise drei Jahre Hausgenossin gewesen, und der Kurfürst, seiner Gemahlin treu, hatte ihr nicht die mindeste Annäherung gezeigt. Während die tanzenden Paare im Saale sich bewegten, vermißte man Luisen. Sie wurde gesucht und nicht gefunden. Die Kurfürstin flüsterte...