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Die Erben der Nacht - Lycana - Eine mitreißende Vampir-Saga

Ulrike Schweikert

 

Verlag cbt Jugendbücher, 2009

ISBN 9783641023317 , 544 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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DIE HERRIN DER WÖLFE


Die Morgensonne strich mit ihren ersten Strahlen über die Weite des kahlen Moores und ließ die winzigen Blüten des Heidekrauts aufleuchten. Der noch rötliche Schein schmeichelte den Konturen der schroffen Berge und verlieh der Landschaft einen trügerischen Hauch von Sanftheit, den der stürmische Wind Lügen strafte. Schneidend kalt brauste er in Böen von Westen heran, zerrte am Gewand der einsamen Gestalt mitten im Moor von Connemara und streifte ihr die Kapuze vom weißen Haar. Ein letzter Sonnenstrahl liebkoste das Antlitz der Frau, dann verschluckten Wolken die Morgensonne und die Gipfel der Berge. Ein eisiger Schauer prasselte herab und das Moor zeigte wieder sein abweisend düsteres Gesicht.
Die Frau blieb stehen, zog sich die Kapuze über den Kopf und setzte ihren Weg unbeirrt fort. Mochte ihr Gesicht auch eingefallen und zerfurcht sein, als habe es weit mehr als einhundert Jahre gesehen, und ihr Leib unter dem langen, weiten Gewand mager, so schritt sie dennoch kräftig aus und hielt den Rücken gerade. Ihren langen Stab schien sie nicht als Stütze bei dem nun immer steileren Aufstieg zu brauchen. Obwohl nirgends ein Pfad erkennbar war, ging sie, ohne zu zögern, voran, umrundete Tümpel mit schwarz schimmerndem Wasser und bodenlosem Morast, schritt an felsigen Abbrüchen entlang und zwischen stacheligen Büschen hindurch, die sich unter dem Wind geduckt nach Osten neigten. Die Gräben und rechteckigen Vertiefungen im moorigen Boden, die die Arbeit der Torfstecher verrieten, hatte sie längst hinter sich zurückgelassen. Bis hier hinauf verirrte sich nur selten ein Mensch, taugte der bräunliche Bewuchs der Berghänge doch nicht einmal, um ein paar Schafe zu weiden.
Die Frau blieb stehen. Die beiden grauen Wölfe, die ihr in einigem Abstand gefolgt waren, schlossen zu ihr auf und ließen sich neben ihr nieder. Ihr Blick wanderte zu den Spitzen der Twelve Bens oder Beanna Beola hinauf, wie die Kelten die Berge genannt hatten, die zwischen den dahinjagenden Wolken immer wieder kurz zu sehen waren. Und für einen Augenblick glaubte sie auch, die Spalte im Fels erahnen zu können, die das Ziel ihrer Reise war. Dann hatte der graue Nebel sie wieder verschlungen. Die alte Frau setzte ihren Weg fort.
Noch ehe die Wollgraswiesen und braunen Matten in Felsgestein übergingen, trat plötzlich ein Mann aus dem Schatten eines der Megalithgräber, deren mächtige Pfeiler und Steinplatten hier im einsamen Westen der Insel noch an vielen Stellen aufragten. Er ging auf sie zu und neigte den Kopf.
»Druidin Tamara Clíodhna, sei gegrüßt.« Kein Lächeln erhellte die hageren Gesichtszüge. Er nickte auch den beiden Wölfen zu. »Deartháir beag, deirfiúr beag« - kleiner Bruder, kleine Schwester.
Die Druidin erwiderte seine Begrüßung. »Cén chaoi a bhfuil tú, Mac Gaoth?«
Wieder neigte er den Kopf und antwortete mit der Gegenfrage: »Cén chaoi a bhfuil tú féin, Tamara Clíodhna?« – und wie geht es dir -, ohne dass seine Miene freundlicher wurde.
»Tá mé go maith, go raibh maith agat.« Die Druidin versicherte – wie es sich gehörte -, dass es ihr gut gehe. Damit war der Höflichkeit Genüge getan. Mac Gaoth drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort den Berghang hinauf. Den Blick auf seinen sehnigen Rücken gerichtet, folgte ihm die alte Frau. Er ging schnell und sah sich nicht einmal nach ihr um, doch sie hielt mit ihm Schritt und zeigte keine Anzeichen von Erschöpfung.
Mac Gaoth – Sohn des Windes – nannten sie ihn. Er war einer der Jüngeren der Sippe, die sich im Gebiet der Twelve Bens aufhielt, und er gehörte zu den Wilden, die die Jahre noch nicht gezähmt hatten.
Bald erreichten sie die Felsen, und Mac Gaoth bog in einen kaum erkennbaren Pfad ein, bis die Spalte sich plötzlich vor ihnen öffnete.
»Wen bringst du?«, fragte eine Stimme aus der Finsternis.
Wortlos trat der junge Mann beiseite und ließ die Druidin und ihre beiden Wölfe eintreten. Es war so dunkel, dass ihre Augen kaum die Umrisse des Mannes ausmachen konnten, der ebenso groß gewachsen und hager wie Mac Gaoth schien. Aber sie erkannte seine Stimme.
»Áthair Faolchu, Vater der Wölfe, ich habe gehofft, dass ich dich hier antreffe!«
»Tamara Clíodhna, was für eine Überraschung«, sagte die alterslose Stimme in der Dunkelheit. Wie Mac Gaoth war Áthair Faolchu einer der wenigen, der sie mit ihrem vollen Namen ansprach, von allen anderen wurde sie nur Tara genannt.
»Ah bhfuil aon scéal agat?«
Tara nickte. »Ja, ich habe etwas zu erzählen!«
»Nun, dann komm herein. Unser kleiner Bruder und die kleine Schwester mögen dir folgen.«
Die Druidin legte ihre Hände auf die Köpfe der beiden grauen Wölfe, die neben sie getreten waren, und ließ sich von ihnen durch den finsteren Gang führen, bis er sich nach einigen Biegungen zu einer domartigen Höhle erweiterte. Kleine Öllampen brannten in Haltern an Säulen und Vorsprüngen und ließen Schatten über die schroffen Granitwände tanzen. Tara betrachtete den Mann, der vor ihr stehen geblieben war und sich nun zu ihr umwandte. Er hatte sich nicht verändert, seit sie ihn vor vielen Dutzend Jahren kennengelernt hatte. Die pergamentartige Haut umspannte die Knochen so eng, dass sein Antlitz wie ein Totenschädel wirkte. Verstärkt wurde der Eindruck durch die tief liegenden Augen, die im Schein der kleinen Flammen rötlich schimmerten. Die Kleider, die seinen mageren Körper verhüllten, waren aus Leder. Der Pelz eines großen grauen Wolfes hing über seine Schultern herab. Der Schädel lag wie eine Kapuze über seinem Kopf. Tara hatte den Wolf gekannt. Er war in hohem Alter von einer Gruppe von Schaffarmern getötet worden. Áthair Faolchu selbst hatte seine sterbliche Hülle heimgeholt und trug sie nun wie das Vermächtnis eines Ahnen.
Der Werwolf führte sie an einer kleinen Gruppe Männer und Frauen vorbei, die sie neugierig musterten. Sie erkannte Mahon, Bidelia und Cairbre, drei alte Werwölfe, die, schon seit sie denken konnte, in Áthair Faolchus Gefolge waren, und den jungen Ivarr, der sich mit einigen anderen gern um den rebellischen Mac Gaoth scharte.
Áthair Faolchu führte die Druidin in eine kleinere Höhle, die mit Decken und Fellen ausgelegt war. »Setz dich. Ich kann dir leider nichts anbieten, das deinem Gaumen munden würde.«
Die Druidin hob abwehrend die Hand. »Das ist auch nicht nötig. Ich bin nicht gekommen, um mit dir zu speisen.«
Der Mann neigte den Kopf und ließ sich bedächtig ihr gegenüber auf einem Bärenfell nieder.
»Was können wir für dich tun? Es ist noch zu früh, den Pakt zu erfüllen. Und mein Instinkt sagt mir, dass du nicht nur gekommen bist, um uns neue Geschichten aus der Welt zu bringen!«
Er lehnte sich in die Felle zurück. Die Druidin ließ sich durch seine kränkliche Erscheinung nicht täuschen. Tara wusste, dass er nicht nur schnell und stark war. Es war der älteste und mächtigste Werwolf seiner Sippe. Dennoch würde sie das Gespräch auf ihre Weise führen.
»Die Geschichten aus der Welt sind aber durchaus wert, gehört zu werden! Ich bin bis nach Rom gereist.«
Zum ersten Mal huschte so etwas wie ein Lächeln über die bleichen Lippen. »Wolltest du mit eigenen Augen sehen, wie sich die Clans der Vampire gegenseitig an die Kehle gehen? Unsere Lycana und die Vamalia aus Hamburg, die Nosferas aus Rom, die Vyrad aus London und Pyras aus Paris, ja und die verehrten Dracas aus Wien – habe ich alle?« Er warf der Druidin einen Blick zu. Sie nickte.
»Sie alle zwischen denselben Mauern des alten goldenen Neropalasts, der Domus Aurea? Ich kann mir denken, es ist viel Blut geflossen!«
»Nein!«, widersprach Tara in scharfem Ton. »Der Krieg zwischen den Vampirclans ist beendet. Ich habe den Clanführern vor einem Jahr bei unserem Treffen auf Burg Chillon am Genfer See den Vorschlag unterbreitet, von nun an die jungen Vampire aller Familien gemeinsam auszubilden und zu stärken, und sie haben geschworen, Frieden zu schließen – oder zumindest, sich nicht länger zu bekämpfen.«
»Euer Treffen?«, wiederholte der alte Werwolf und lächelte schlau. »Willst du behaupten, sie hätten dich geladen, um sich mit dir zu beraten?«
Sie wich der Frage aus. »Donnchadh war einverstanden. Und er ist der Führer der Lycana, der alten Familie der irischen Vampire.«
»Donnchadh«, wiederholte Áthair Faolchu und schien dem Klang des Namens zu lauschen. »Und was sagt die schöne Mistress Catriona dazu?«
Die Druidin hob beide Hände. »Es gibt nichts, das dir entgeht!«
»Nicht viel. Doch du wolltest mir von Rom berichten und mich glauben machen, dieses Experiment sei nicht in einer Katastrophe gemündet?«
»Nein, keine Katastrophe. Der Plan scheint aufzugehen. Die jungen Vampire werden lernen, die über Jahrhunderte genährte Feindschaft zu begraben, die ihre Familien näher an den Abgrund der Vernichtung geführt hat, als die Menschen es je hätten tun können. Nein, es war ein gutes Jahr, das sie alle gestärkt und neue Bündnisse geschaffen hat.« Nun lächelte die alte Frau, dann aber umwölkte sich ihre Stirn. »Und dennoch schwebt eine Gefahr über ihnen, die ich nicht vorausgesehen habe!«
»Etwas, das nicht einmal die große, allwissende Tara vorausgesehen hat? Ich kann es kaum glauben!«
»Dies betrifft nicht nur die Lycana und die Vampire allesamt. Es bedroht auch einen der euren, den ihr ganz sicher nicht verlieren wollt!«
Das spöttische Lächeln war wie weggewischt. »Haben wir ihn nicht bereits vor langer Zeit...