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Dramatische Werke - Geschichten aus dem Wiener Wald + Kasimir und Karoline + Zur schönen Aussicht + Der jüngste Tag + Die Bergbahn + Italienische Nacht + Don Juan kommt aus dem Krieg + Pompeji...

Ödön von Horváth

 

Verlag e-artnow, 2016

ISBN 9788026865971 , 833 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR


 

ZWEITER AKT


Inhaltsverzeichnis

Mohrengasse. Von links nach rechts: Ein geschlossener Laden mit Schildaufschrift: Diamanten. Gold. Simon Kohn. Kauf. Verkauf. Eine schmale Hoteltüre, die in einen matt erleuchteten Korridor mündet. Vor dem ersten Stocke halbkreisförmig trübelektrische Buchstaben: Hotel. Eine Bar. Hinter der schmutzigen Fensterscheibe, auf der ein altes Plakat klebt, geigt ein Schatten. Man hört aber keine Musik. Es ist Nacht und still.

Drei Dirnen, zwei rechts, eine links vor dem Laden; horchen.

ERSTE

Klopf nochmal.

ZWEITE

klopft an den Laden.

EIN VERWACHSENER

tritt aus der Bar und läßt die Türe offen; gedämpft Musik: Wie lange –

ERSTE

unterbricht ihn: Pst! Schließ die Türe!

Verwachsener schließt sie und horcht. Stille.

ZWEITE

Niemand. Er ist nicht zuhause.

VERWACHSENER

Wie lange wollt ihr noch warten? Versetzt. Ich sags.

ZWEITE

nähert sich den anderen: Das tat er noch nie. Der alte Schuft!

DRITTE

Vielleicht ist etwas geschehen.

ERSTE

Was denn?

DRITTE

Man kann nie wissen.

ZWEITE

Pah!

Stille.

ERSTE

Ich weiß nur: hab kalte Füße und kann kaum mehr stehen. Und nun kommt so nichts mehr.

VERWACHSENER

sieht auf die Uhr: Was Richtiges sicher nicht.

ZWEITE

Still! Es kommt wer.

Verwachsener verschwindet in der Bar. Die Drei stellen sich bereit, verstellen die Gasse. Die Altmodische gekleidet nach der Mode vor fünfundzwanzig Jahren und dichtverschleiert; kommt von links und bleibt vor der Hoteltüre stehen. Die Drei beobachteten sie, sehen sich nun an – Eine seufzt boshaft – kichern und eilen in die Bar. Ein Polizist erscheint rechts und sieht sich um. Die Altmodische klebt regungslos an der Wand.

POLIZIST

erblickt sie; hält langsam auf sie zu; leise: Ihre Papiere. Seit wann sind Sie hier?

ALTMODISCHE

kramt geziert umständlich ihren Ausweis hervor; gefällig: Seit heute, mein Herr.

POLIZIST

gutmütig: Sie sollen sich aber nicht so auffallend anziehen. Das ist verboten.

ALTMODISCHE

Auffallend?! Ein einfaches Straßenkleid!

POLIZIST

lächelt: Aus Urgroßmutters Zeiten.

ALTMODISCHE

Ich habe kein anderes.

POLIZIST

Das gibt es doch gar nicht! Er blickt in ihre Papiere. Der Schein. Stimmt. Er blättert; mechanisch. Gestern entlassen? Aus welcher Strafanstalt?

ALTMODISCHE

Sankt Lazarus.

Polizist horcht auf; liest. Altmodische wird unruhig. Wenzel von rechts; will nach links; erblickt den Polizisten, zögert und bleibt vor dem alten Plakate am Barfenster stehen, als würd er lesen.

POLIZIST

spricht nun noch leiser: Also: zweiundzwanzig Jahre waren Sie dort. Und: weshalb?

ALTMODISCHE

Das muß ich nicht sagen. Bin begnadigt.

POLIZIST

Das tut nichts zur Sache! Ich muß wissen wen ich im Revier habe.

ALTMODISCHE

tonlos: Aufforderung zum Mord.

POLIZIST

Den Schleier. Lüften. Altmodische hebt ihn, ein maskenhaft leeres Antlitz umrahmen grauweiße Haare. Weicht etwas zurück; vergleicht rasch. Es ist schon gut. Und: die Vorschrift kennen Sie ja. Er geht an Wenzel vorbei nach rechts ab. Wenzel ohne Blick für die Altmodische langsam nach links ab. Altmodische allein; lehnt den Kopf an die Wand und wimmert; verstummt und horcht; rafft sich verschleiert empor. Ein Eisenbahner von linksher mit seinem Weibe.

WEIB

leise: Ich weiß du liebst mich nicht mehr.

EISENBAHNER

blickt nach der Altmodischen: Quatsch doch nicht immer solch Zeug!

WEIB

dumpf: Es ist schon so. Wirst schon sehen –

EISENBAHNER

lächelt: Willst mich vergiften? Dummes Ding – Wart, hol nur Zigaretten. Ab in die Bar.

Weib sieht sich scheu um. Altmodische glotzt sie an. Wenzel kommt langsam wieder von linksher. Weib rasch an die Bartüre; will hinein, doch –

EISENBAHNER

tritt soeben heraus; Zigarette im Mundwinkel. Was hast du denn schon wieder?

WEIB

Angst. Komm – Laß mich nur nicht allein.

EISENBAHNER

Ja, wer das könnte.

WEIB

Will auch nichts mehr sagen.

EISENBAHNER

gähnt: Bin auch müde. Der ewige Dienst – Ab mit ihr nach rechts. Wenzel steht nun wieder vor dem Plakate.

ALTMODISCHE

nähert sich ihm: Pst! Hören Sie –

WENZEL

unterbricht sie: Nein.

Stille.

ALTMODISCHE

Wollen Sie kein liebes Frauchen?

Wenzel schweigt. Neben ihm; liest laut das Plakat. Wohltätigkeitsfest. Unter dem Protektorate Ihrer Hoheit. Tombola und Tanzturnier. Bazar. Montag am zweiten – Das war doch schon.

WENZEL

Ja.

ALTMODISCHE

Und trotzdem lernen Sies auswendig?

WENZEL

Ja.

ALTMODISCHE

Nein. Sie schauen in den Spiegel. Das soll man nie in der Finsternis: man wird verrückt oder sieht den Satanas neben sich.

WENZEL

Ich sehe Sie.

ALTMODISCHE

Und ich Sie. Wir gehören zusammen.

WENZEL

Jawohl.

ALTMODISCHE

Also: wollen wir nichts unternehmen?

WENZEL

Ich hab kein Geld.

ALTMODISCHE

Ich noch weniger. Das Leben ist zu teuer für die kleinen Frauen.

WENZEL

wendet sich ihr zu: Hören Sie: Sie werden sich doch etwas erspart haben: in zweiundzwanzig Jahren.

ALTMODISCHE

prallt zurück: Woher wissen Sie das?

WENZEL

Zufällig. Zuvor. Verzeihen Sie mir, daß ich es hörte.

ALTMODISCHE

Nichts wissen Sie!

WENZEL

Wieso?

ALTMODISCHE

Du kannst umsonst! Wann du willst – nur wissen Sie nichts! Wissen Sie nichts!

Wenzel lacht irr. Ein Sechzehnjähriger blaß hochaufgeschossen; erscheint links und bleibt unschlüssig stehen.

WENZEL

zum Sechzehnjährigen: Nach Ihnen! Umsonst –

ALTMODISCHE

Bist verrückt?!

WENZEL

Herr! kauen Sie nicht an den Fingernägeln! Spucken Sie aus und treten Sie näher! Es kostet nur das Zimmer!

ALTMODISCHE

zischt: Ich bete für dich.

WENZEL

Nur Wohltätigkeit! Unter meinem Protektorate!

ALTMODISCHE

zum Sechzehnjährigen: Komm! So komm! Es ist doch umsonst! Ab ins Hotel. Sechzehnjähriger folgt ihr verschüchtert.

WENZEL

Fahrwohl! Auch ich war ein Jüngling mit lockigem Haar. Sentimental und mit Pickeln im Gesicht. Gute alte Zeit! Der Tisch, der Tisch – ich werde verrückt, verrückt! Er preßt die Stirne an das Barfenster. Siehst du den Satanas? Nur dich selbst! Kein Teufel, da kein lieber Gott! Nur zwei Augen, Nase, Mund, eine Stirne, niemals zwei, ein Hut um sechsfünfzig und die Gnade nur selten von der Wahrheit besucht zu werden. Das ist alles. Oder nichts. Bist erkannt du Dreck! Erkannt! – Doch ich will nicht mit Trauerfahnen jubilieren.

Ein Hotelfenster wird hell. Sieht empor. Hm. Jetzt betritt er das Zimmer. Kostet zwei Mark. Teuer. Und billig. Jetzt zieht sie den Vorhang vor – bald leckt das Mysterium hündisch vier Sohlen. Und unerschöpflich strömt die Latrine der Ewigkeit über die Planetensysteme. Wir sind der Dung. Wie seelisch unser Tun blüht! Er lächelt irr; starrt dann vor sich hin. Alles ist hohl und leer. Die Häuser riechen nach Leichen und Sauerkraut. Man sollte sich selber erbrechen können. – Alles ist tot.

Stille; dann geht er langsam an den Laden und liest. Diamanten. Gold. Kauf. Verkauf. Simon Kohn – Kennt ihr Simon Kohn? Der tat nur kaufen und verkaufen: Splitter und Staub aus Afrika. Und tat es unters Kopfkissen und überall glitzerte das Falsche. Die Imitation – Er spricht unterdrückt in den Laden hinein. Herr Kohn. Lassen Sie mit sich reden. Ruhig reden. Ich irrte. Reden, Herr Kohn! Wollte ja alles anders, immer alles anders! Wollte doch nur einbrechen, den Schmuck stehlen, ich schwöre: wollte nur stehlen! Hören Sie mich? Stehen Sie doch wieder auf, liegen ja unterm Pult! Setzen Sie sich wieder! Und nehmen Sie Stock und...