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Orden für die Toten - Thriller

Dalton Fury

 

Verlag Festa Verlag, 2016

ISBN 9783865525093 , 464 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

1

In 900 Metern Höhe über der Boeing 767 war der dunstige Nachthimmel kühl, doch Major Kolt ›Racer‹ Raynor von der Delta Force schwitzte trotzdem hinter der Schutzbrille. Kleine Schweißbäche rannen ihm unter dem schwarzen Nomex-Anzug den Rücken hinab. Er hing unter der gestrafften Leinwand des rechteckigen Fallschirms und konzentrierte sich auf die Lage am Boden.

Fast vier Jahre waren vergangen, seit er zum letzten Mal andere Männer in den Kampf geführt hatte. Sowohl Vorgesetzte als auch Kollegen hatten ihn für einsatztauglich erklärt, und so fühlte er sich auch. Dennoch war er nur ein Mensch.

Und dieser Mist jagte ihm eine Heidenangst ein.

Zwei weitere Fallschirme schwebten ganz in der Nähe durch die Dunkelheit. Die drei Schirme flogen in Formation. Seine Teamkollegen Digger und Slapshot hingen vor Kolt 15 Meter tiefer unter einem Tandemschirm. Stitch flog etwas höher genauso weit hinter ihm.

Alle vier Männer ließen sich vom Wind zur Landezone treiben, knapp 100 Meter hinter dem entführten Flugzeug von American Airlines.

Digger, der in der vorderen Position vor Slapshot hing, meldete sich per Funk: »Hey, Boss. Das Flugzeug macht den Eindruck, als wär’s bereit zum Abflug. Die Hilfstriebwerke sind abgeschaltet. Die Gangway am Heck ist schon eingeklappt.«

»Schätze, die wollen nicht drauf warten, dass wir uns anschleichen wie Ninjas«, raunte Slapshot ins Mikro. Der groß gewachsene Mann hatte immer einen launigen Spruch auf Lager, selbst wenn sonst alle Trübsal bliesen.

Kolt war nicht nach Lachen zumute. »Verdammte Scheiße.«

Dann meldete sich Stitch über Funk: »Komm ein bisschen weiter zu mir rüber, Boss.« Sofort bemerkte Racer, dass er etwas zu dicht an die Männer vor sich herangetrieben war. Ruhig korrigierte er den Kurs mithilfe der Steuerleinen.

Der Plan sah vor, dass sie landeten und sich am Boden mit anderen Amerikanern trafen – CIA-Beamten und Militärs der hiesigen Botschaft. Gemeinsam sollten sie über das weitere Vorgehen entscheiden. Als Landezone hatte man eine Stelle auf dem Rollfeld hinter dem entführten Flugzeug festgelegt, vom Terminal aus nicht sichtbar. Die CIA-Jungs vor Ort meldeten, dass überall im Terminal Fernsehkameras aufgestellt seien. Niemand von der Delta Force wollte, dass die Kameras ein Kommandoteam filmten, das um 3:30 Uhr morgens vom Himmel heruntergeschwebt kam.

Kolt hing 760 Meter über der Erde und behielt das Flugzeug im Auge, darauf bedacht, dass es zwischen seinem Fallschirm und den Kameras platziert war.

Er hoffte inständig, dass er und seine Teamkollegen eine Gelegenheit bekamen, den Jet zu stürmen. Wenn die Maschine noch ein paar Stunden länger in Neu-Delhi blieb, standen die Chancen nicht schlecht, dass das Joint Operations Center ihm den Befehl für einen Zugriff erteilte.

Aber noch während er darüber nachdachte, begannen unter ihm die roten und grünen Positionslichter an den Tragflächenspitzen der 767 zu blinken. Fast im selben Moment dröhnten die zwei Pratt-&-Whitney-Turbinen. Sekunden später wandte sich die Nase des Flugzeugs leicht nach links und zentrierte sich auf dem nach Westen ausgerichteten Rollfeld.

Die Triebwerke wurden lauter und der Großraumflieger setzte sich in Bewegung.

Kolt Raynor stieß ein frustriertes Stöhnen aus. »Das soll wohl ’n Witz sein.«

Digger rief ins Funkgerät: »Das Scheißding rollt!«

»Ändern die nur ihre Position oder wollen die zur Piste?«, fragte Stitch von hinten. Racers Schirm versperrte ihm die Sicht.

»Ich wette, die fliegen los. Die haben schon ’ne Menge wirre Aktionen gestartet.«

»Vorschläge?«, fragte Kolt schnell. In einem so kritischen Moment legte er großen Wert darauf, die Einschätzungen seiner Sergeants zu hören.

»Hat jedenfalls nicht viel Sinn, sich mit den Behörden hier in Verbindung zu setzen, wenn das entführte Flugzeug eh nicht hierbleibt«, meinte Slapshot.

Stitch ergriff das Wort: »Racer, du hast freie Hand. Warum schlagen wir nicht zu?«

Es stimmte, Raynor hatte Colonel Webber, den Kopf der Delta Force, dazu gebracht, ihm volle Befugnisse zu erteilen. Das gab Raynor als militärischem Kommandanten vor Ort die Möglichkeit, einen raschen Angriff auf die Maschine durchzuführen, falls er eine günstige Gelegenheit erkannte oder es ihm notwendig erschien. Zum Beispiel, falls die Terroristen – von den Deltas ›Krähen‹ genannt – anfingen, Geiseln zu erschießen, bevor das JOC die Delta-Mission offiziell absegnete.

Aber Kolt war nicht ganz sicher, was Stitch gemeint hatte. Er fragte in sein Mikrofon: »Zuschlagen? Während das Teil rollt?«

»Wir können auf dem Dach landen und zum Cockpit laufen. Ich hab die Harpune. Brechen wir doch die Notluke auf und klettern einer nach dem anderen rein. Wenn wir uns beeilen, sind wir drin, bevor die richtig Gas geben können.«

»Habt ihr Jungs das etwa schon mal gemacht?«, fragte Kolt ungläubig.

»Nicht bei ’nem Flugzeug in Bewegung, nur beim Training in Fort Bragg, Boss«, antwortete Slapshot. Aber er schloss sich der Einschätzung des anderen Sergeants an. »’ne zweite Chance dazu kriegen wir nicht. Wenn das Flugzeug nicht mehr da ist, nehmen uns womöglich die Fernsehteams ins Visier. Falls die uns filmen, wie wir auf dem Rollfeld landen, kriegen das auch die Krähen im Jet mit. Das geht denen bestimmt dermaßen auf den Sack, dass sie noch mehr Passagiere umbringen.«

»Jetzt oder nie«, bekräftigte Stitch. »Was sagst du, Racer?«

»Was sagt Digger?«, wollte Kolt wissen.

Jetzt meldete sich Digger zu Wort. Obwohl er der Jüngste im Team und insgesamt wohl auch der Fitteste war, hatte er eine Behinderung, die die Mission zu gefährden drohte. Wo früher sein rechter Unterschenkel gewesen war, prangte jetzt eine Titanprothese. Kolt konnte sich nicht vorstellen, wie er mit einem Bein aus Metall über das Dach eines in Bewegung befindlichen Flugzeugs rennen sollte.

»Kein Problem, Boss. Ich krieg das hin«, versicherte Digger. Er klang zuversichtlich und heiß auf den Einsatz.

Kolts Beraterstab hatte gesprochen und das Urteil fiel einstimmig aus. Trotzdem … Es war sein erster Einsatz seit der Rückkehr zur Einheit vor zwei Monaten. Colonel Webber hatte Raynor unmissverständlich klargemacht, dass er sein Verhalten ändern musste. Bei der modernen Delta Force gab es keinen Platz für die Tier-One-Wild-Eskapaden, die ihn in der Vergangenheit in Schwierigkeiten gebracht hatten. Webber schärfte Kolt unzählige Male ein, dass er sich auf ausgesprochen dünnem Eis bewegte. Aber als das Geiseldrama seinen Lauf nahm, hatten Kolt und seine Jungs Bereitschaftsdienst in Fort Bragg gehabt. Also beorderte man ihn und sein Team zum Einsatz.

Entscheid dich, Raynor!, spornte er sich selbst in Gedanken an.

Drei Sekunden später drückte er die Sprechtaste am Brustgurt. »Schlagen wir zu.« Webber wird mir den Arsch aufreißen, dachte er. Aber fürs Erste hatte er ganz andere Sorgen.

Der Speisesaal, der Fitnessbereich und das Kinozelt im Joint Operations Center auf der Forward Operating Base Yukon in Bagram, Afghanistan, standen leer. In diesem Moment drängten sich alle vor den riesigen Plasmabildschirm im hinteren Bereich, auf dem die schockierenden Aufnahmen zu sehen waren. Die Nachtsichtkamera einer Predator-Drohne fing ein, wie das riesige Linienflugzeug in der Dunkelheit langsam auf die Startbahn zuhielt. Per Satellitenverbindung wurden die gespenstischen Bilder auf das Display im JOC übertragen. Racer und sein Team waren nicht zu sehen. Sie befanden sich in diesem Moment noch hoch oben in der Luft. Ihre Landezone lag außerhalb des aktuellen Sichtfelds der Kamera.

Die CIA-Leute am Flugplatz in Neu-Delhi benutzten ein Thuraya-Satellitentelefon. Ihre Rückmeldungen zum Geschehen waren über die Lautsprecher im JOC zu hören. Der Verbindungsbeamte der CIA stand mit dem Hörer am Ohr bei Colonel Jeremy Webber und gab zusätzliche Informationen an den Kopf der Delta Force weiter.

Alle fühlten die Anspannung, die in der Luft lag. Sie starrten wie gebannt auf den riesigen Plasma, der im JOC nur ›Kill TV‹ genannt wurde.

Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgten die Männer und Frauen, wie das entführte Flugzeug sich zügig über das Rollfeld bewegte, offensichtlich um von Runway 29 abzuheben. Ein paar Sekunden später verschlechterte sich die Verbindung zur Predator. Das ›Auge am Himmel‹ hatte geblinzelt. Eine mechanische Störung, die bei diesem Spion in der Luft zuverlässig genau dann auftrat, wenn klare Sicht dringend benötigt wurde.

Einen Moment später kehrte die ›Kill-TV‹-Übertragung zurück, genau in dem Augenblick, als die Silhouetten von vier Männern unter drei Fallschirmen zwischen der 767 und dem Objektiv der Kamera hindurchglitten. Schwarze, heiße Gestalten, die durch die Luft flogen. Ihre Körperwärme staute sich in den Fallschirmen über ihnen und erzeugte eine ellipsenförmige Silhouette.

»Verdammte Scheiße. Da sind sie!«, rief der Operations Sergeant Major und brach damit das Schweigen im Operations Center. Das Delta-Team hätte weiter hinten auf dem Rollfeld landen sollen. Für alle in Bagram sah es ganz danach aus, als ob sie auf die Startpiste selbst zuhielten. »Was zum Teufel treiben die da?«

Die drei Fallschirme schwebten zielstrebig dem Flugzeug entgegen. Colonel Jeremy Webber begriff, dass das nur eins bedeuten konnte. Das Ziel der Männer war...