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Der Sommer, als ich starb - Thriller

Ryan C. Thomas

 

Verlag Festa Verlag, 2016

ISBN 9783865525154 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

Kapitel 1

BUM!

Die Pistole sprang in meiner Hand zurück wie eine aufgeschreckte Katze. Ich zuckte zusammen. Der Donnerschlag des Schusses war ohrenbetäubend, als hätte sich von hinten jemand an mich herangeschlichen und mir Wattebälle in die Gehörgänge gestopft. Die leere Patronenhülse prallte von meinem Fuß ab und rollte über den Boden. Als ich die Augen öffnete, sah ich den Baumstamm eine Rauchschwade ausatmen – mehrere Meter von der Mülltonne entfernt, die ich ins Visier genommen hatte.

Scheiße, dachte ich. Nicht mal in der Nähe. Hätte ich auf Kennedy gezielt, hätte ich Oswald getroffen.

Tooth stimmte neben mir ein Jauchzen an und klopfte mir kräftig auf den Rücken. »Da kraul mir doch einer die Eier, sieht so aus, als hättest du gerade deine Unschuld verloren.«

Es war das erste Mal überhaupt, dass ich eine Pistole abgefeuert hatte. Eine 44er Magnum, um genau zu sein, ein Riesending von einem Scheißprügel. Tooth hatte geschworen, mir würde dabei einer abgehen. Und er hatte recht. Ich fühlte mich größer, stärker. Scheiße, ich fühlte mich unbesiegbar. Mit einer 44er in der Hand mutiert man irgendwie ein wenig zu einem Gott.

»Nur die Tonne hast du ziemlich weit verfehlt«, meinte Tooth, ergriff die Pistole und visierte das Ziel an. Er stellte sich breitbeinig hin, blickte den Lauf entlang, holte Luft und drückte ab.

BUM!

Da ich immer noch halb taub war, hörte sich der Schuss an, als befände ich mich unter Wasser. Tooths um den Griff geschlungene Hände wurden durch den Rückstoß über seinen Kopf geschleudert. Er brach in schallendes Gelächter aus.

Das metallische Dröhnen und die Funken, die von der Blechmülltonne aufstoben, bewiesen, dass er ein weit besserer Schütze als ich war, aber immerhin hatte er auch den gesamten Winter Zeit zum Üben gehabt, während ich an der Universität war.

»Hast du das gesehen? Volltreffer!«, rief er.

Ich konnte ihn durch das Summen in meinen Ohren kaum hören. Trotzdem zeigte ich ihm freundschaftlich den Stinkefinger und bedeutete ihm, mir die Waffe zurückzugeben. Auf der Straße neben dem Wald fuhr ein Auto vorbei. Es schien ein wenig langsamer zu werden, als versuchten die Insassen, zu uns herüberzuspähen, deshalb versteckte ich die Pistole rasch hinter meinem Bein. Tooth erkannte meine Besorgnis, schüttelte enttäuscht den Kopf und sagte: »Wirst du dich wohl entspannen? Hier draußen schert sich niemand um ein paar Schüsse. Außerdem sind wir zu weit abseits, um gehört zu werden.«

Das stimmte nicht ganz. Die Stelle, an der wir uns befanden – eine Lichtung im Wald, die ein kleines Tal mit immergrüner Vegetation überblickte – war früher ein bei Teenagern zum Abhängen beliebter Platz gewesen und jeder im Ort wusste davon. Klar, die Lichtung lag weit genug von der Straße entfernt, dass vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sie durch all die Bäume hindurch nicht richtig ausmachen konnten, aber so dicht das Blätterwerk auch sein mochte, es konnte nicht den Widerhall eines Schusses mit einer 44er Magnum dämpfen.

Wir waren schon viele Male davor hier gewesen, sei es, um uns zu bekiffen, Bier zu trinken oder einfach nur an Freitagabenden zu chillen und über alles Mögliche zu quatschen. Wenn man früher hergekommen war, konnte man getrost davon ausgehen, irgendjemanden zu treffen, den man kannte. Aber in letzter Zeit hatte die Beliebtheit des Ortes stark nachgelassen.

Vor zwei Sommern war Mark Trieger, der immens talentierte Runningback der Lakewood High, hier in den Tod gesprungen und nun erzählte man sich Geistergeschichten über den Ort und schrieb ihm böse Schwingungen zu. Es kam kaum noch jemand her.

»Ja, ich weiß«, sagte ich. »Es ist nur …«

»Nur was?«

»Keine Ahnung. Wenn jetzt hier Leute vorbeifahren … dann sehen sie gerne mal nach. Ich bin bloß vorsichtig.«

»Der verfickte Mark Trieger.«

»Ja, der verfickte Mark Trieger.«

Es war an einem Sonntagnachmittag im Anschluss an die Kirche geschehen. Einige Kids kamen damals hierher, um sich zu besaufen. Dabei traten sie versehentlich ihr Sixpack Bud über den Rand des Felsvorsprungs. Da sie wussten, wie knifflig es sein würde, einen weiteren Erwachsenen zu finden, der ihnen mehr davon besorgte, kletterten sie hinunter, um das Bier zu holen.

Unten stellten sie fest, dass die Flaschen durch den Sturz zerbrochen waren. Sie wollten sich gerade wieder hinaufkämpfen, als einer der Jungs im Laub etwas Glitzerndes entdeckte. Es handelte sich um eine Halskette. Gerüchten zufolge wollte er das Schmuckstück verhökern, um mehr Bier kaufen zu können, deshalb griff er danach und zog daran. Zum Vorschein kam ein bläulich-violett verfärbter Kopf, aus dessen weit offenem Mund Maden hervorquollen. Zwei glasige Augen starrten ins Leere.

Schreiend fiel der Junge hin, die Faust nach wie vor um die Halskette geschlossen. Er wollte wegrennen, aber da er in seiner Panik die Kette nicht losließ, schlitterte die Leiche hinter ihm her wie ein Zombie in einem George-Romero-Film und brachte ihn erneut zu Fall. Letztlich ließ er dann doch los, hatte allerdings einen derartigen Schock, dass seine Freunde ihn zurück hinauf tragen mussten.

Wie sich herausstellte, hatte Mark etwa zwei Wochen dort unten zwischen den unzähligen in den Abgrund geworfenen leeren Bierdosen und Pornomagazinen gelegen.

Wie für eine Kleinstadt in den Bergen von New England typisch, lockte die Leiche eine beachtliche Menschenmenge an, als wäre die Wiederkunft Jesu Christi eingetreten. Ich erinnere mich noch, dass ich neben Tooth stand, als die Sanitäter Mark heraufhievten. Die Polizei hielt die Leute zurück, trotzdem konnte man durch die Bäume einigermaßen gut erkennen, was vor sich ging. Sie hatten eine Winde, mit der sie den Leichnam hochzogen, und als er oben ankam, holperte der Kopf mit einem grässlichen Laut über die Felskante, den man bis zur Straße hören konnte. Die Leute japsten. Tooth hielt sich seine Red-Sox-Mütze übers Herz und sagte etwas, das ich nicht verstand. Er hatte Mark zwar nicht gekannt, aber genug Lakewood-Spiele besucht, um ihn zu respektieren. Ich persönlich interessierte mich nicht die Bohne für Sport, doch ich weiß noch, dass meine Schwester Jamie ziemlich bestürzt war. Damals war sie Studienanfängerin in Lakewood. Und wie alle Studienanfängerinnen glaubte sie zu der Zeit, dass sie eines Tages den Kapitän der Footballmannschaft heiraten würde, obwohl schon vor Marks Abschluss der High School etwa 20 andere Colleges daran interessiert waren, ihn zu sich zu holen.

Ich richtete den Blick wieder auf die Mülltonne und hob die Pistole an.

»Es ist einfacher, wenn du zuerst den Hahn spannst.« Tooth griff herüber und setzte dazu an, es für mich zu tun. Ich kam ihm zuvor, zog den Hahn mit dem Daumen zurück und visierte das Ziel an. Diesmal wollte ich unbedingt treffen, denn sonst würde Tooth jedem erzählen, was für ein lausiger Schütze ich war, und ich würde den Sommer als Zielscheibe für Schlappschwanzwitze fristen. Ich holte tief Luft und hielt die Waffe etwas lockerer als zuvor, etwas entspannter. Durch den ersten Schuss hatte ich ansatzweise eine Vorstellung davon, in welche Richtung ich beim Zielen kompensieren musste. Da er viel zu hoch und weit nach links gegangen war, zielte ich etwas tiefer und nach rechts.

»Ruhig«, flüsterte Tooth. »Entspann dich einfach. Wenn du es fühlst, dann feuerst du.«

Ich spürte, wie das Gewicht der Pistole schwerer wurde, wie wenn man eine Hantel seitlich am Körper auf Schulterhöhe hochhält, um herauszufinden, wie lange man es schafft. Ich legte ein wenig Kraft nach, holte noch einmal Luft und drückte den Abzug.

BUM!

Die Kugel prallte vom oberen Rand der Tonne ab, ließ Funken aufspritzen und schlug in die Äste der Bäume dahinter ein. Einen Moment lang stand ich da, während die Erkenntnis einsickerte, dass ich zwar nicht exakt die anvisierte Stelle, aber immerhin das Ziel getroffen hatte. Aus 15 Metern Entfernung fand ich das eine überragende Leistung. Und ich hatte wirklich einen Ständer. Tooth warf seine Red-Sox-Mütze in die Luft und rief: »Ich fass es nicht, du hast tatsächlich getroffen.« Er rannte auf die Tonne zu. »Nicht übel, nicht übel.« Etwas verhalten betastete er die Einbuchtung, die das Projektil verursacht hatte, dann drehte er sich zu mir zurück und brüllte: »He, das musst du dir ansehen!«

Ich legte die Pistole auf den Boden, weil ich nicht wollte, dass sie losginge, falls Tooth etwas Dummes täte, wie mir auf den Rücken zu springen. Wenn er betrunken war, sprang er Leute gern an und seit dem Mittagessen hatte er bereits vier Bier gekippt.

An der Tonne deutete Tooth auf das, was er so faszinierend fand. Es war eine Biene.

»Sie muss auf dem Rand gehockt haben und du hast sie gestreift.«

Die Biene lebte noch, allerdings war ihr Unterleib dort mit der Tonne verschmolzen, wo die Kugel eingeschlagen war. Das Insekt versuchte wegzukriechen, brachte jedoch nur ein mattes kreisförmiges Muster zustande.

»Das ist das Schrägste, was ich überhaupt je gesehen hab«, meinte er. »Sieh sie dir an – es ist, als wüsste sie nicht mal, dass sie getroffen worden ist.« Dann setzte er einen merkwürdigen Gesichtsausdruck auf und schlug mir gegen die Schulter. »Du hast eine Biene getroffen und nicht mal gekillt. Du verfickter Schlaffi. Mann, warte, bis ich das überall rumerzähle.«

Spitze,...