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Hidden Figures - Unerkannte Heldinnen

Margot Shetterly

 

Verlag HarperCollins, 2017

ISBN 9783959676434 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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8,99 EUR


 

PROLOG


„Mrs. Land hat dort draußen in Langley als Computer gearbeitet“, sagte mein Vater, während er vom Parkplatz der First Baptist Church in Hampton, Virginia, nach rechts abbog.

Mein Mann und ich waren kurz nach Weihnachten 2010 zu Besuch bei meinen Eltern und genossen es, uns von dem Alltags- und Arbeitsstress in Mexiko zu erholen. Meine Eltern kutschierten uns in ihrem zwanzig Jahre alten grünen Kleinbus in der Stadt umher, mein Vater am Steuer, meine Mutter auf dem Beifahrersitz, Aran und ich wie Geschwisterkinder angeschnallt auf der Rückbank. Mein Vater war redselig wie immer und unterhielt uns mit Neuigkeiten über Freunde und Nachbarn, die uns in der Stadt über den Weg liefen, wechselte dann zum Wetterbericht und landete schließlich bei ausgefeilten Diskursen über die Physik, die seinen jüngsten Forschungen als sechsundsechzigjähriger Doktorand der Universität von Hampton zugrunde lag. Es gefiel ihm, meinem in Maine geborenen und aufgewachsenen Mann die Gegend zu zeigen und mich auf den neuesten Stand über das Leben und die Entwicklungen im Ort zu bringen.

Während unseres Besuchs zu Hause verbrachte ich die Nachmittage mit meiner Mutter im Kino, während sich Aran meinem Vater und seinen Freunden anschloss, um sich die Footballspiele an der Norfolk State University anzusehen. Wir schlugen uns in Billigrestaurants bei Buckroe Beach die Bäuche mit Backfisch-Sandwiches voll, besuchten die Ausstellung von Ureinwohner-Kunst des Hamptoner Universitätsmuseums und stöberten in Antiquitätenläden.

Als ich als unerfahrene Achtzehnjährige fortgegangen war, um das College zu besuchen, hatte ich meine Heimatstadt lediglich als Ausgangsbasis für ein Leben in weltgewandteren Städten betrachtet, als einen Ort, aus dem man stammte, aber an dem man nicht blieb. Doch auch die vielen Jahre und Meilen, die ich fort von zu Hause war, haben nichts daran geändert, wie sehr die Stadt meine Identität geprägt hat. Je mehr Orte und Menschen ich fern meiner Heimat erkundete, desto mehr Bedeutung bekam für mich die Tatsache, dass ich eine Tochter Hamptons war.

An diesem Tag damals nutzten wir die Gelegenheit, uns eingehend mit der beeindruckenden Mrs. Land zu unterhalten, die zu meinen Lieblingslehrern der Sonntagsschule gehört hatte. Kathaleen Land, pensionierte Mathematikerin der NASA, lebte mit ihren weit über neunzig Jahren noch allein und versäumte nie den sonntäglichen Kirchgang. Nachdem wir uns von ihr verabschiedet hatten, kletterten wir in den Kleinbus und brachen zu einem Familienbrunch auf.

„Viele der Frauen hier in der Gegend, schwarze und weiße, haben als ‚Computer‘, also als Rechenspezialistinnen gearbeitet“, berichtete uns mein Vater und schaute Aran im Rückspiegel an. „Kathryn Peddrew, Ophelia Taylor, Sue Wilder“, sagte er und zählte noch einige weitere Namen auf. „Und Katherine Johnson, die die Startfenster für die ersten Astronauten berechnete.“

Was er erzählte, weckte in mir jahrzehntealte Erinnerungen an einen überaus wertvollen Tag, den ich statt in der Schule im Büro meines Vaters im Langley-Forschungszentrum der Nationalen Luft- und Raumfahrtbehörde verbrachte. Ich saß vorn in unserem 1970er Pontiac, mein Bruder Ben und meine Schwester Lauren hinten, während unser Vater die zwanzigminütige Strecke von unserem Haus über die Virgil I. Grissom Bridge und den Mercury Boulevard zum Tor der NASA fuhr. Er zückte seinen Ausweis, und wir segelten durch die Einfahrt auf ein Gelände mit perfekt geraden, parallelen Straßen, die vom einen bis zum anderen Ende von unscheinbaren zweigeschossigen Backsteinbauten gesäumt waren. Lediglich die gigantische Hyperschall-Windkanal-Anlage – eine dreißig Meter hohe, mit Rillen versehene Silberkugel, die sich vor vier achtzehn Meter hohen, glatten Silbergloben erhob – lieferte den optischen Beweis dafür, dass eine außergewöhnliche Arbeit auf dem ansonsten unspektakulären Campus stattfand.

Gebäude 1236, tägliches Ziel meines Vaters, bestand aus einem unübersichtlichen Komplex verwaltungsgrauer Kabinen, in denen der Geruch von Erwachsenen hing: Kaffee und abgestandener Zigarettenrauch. Seine Ingenieurkollegen mit ihrer zerknitterten Kleidung und ihrem fahrigen Auftreten wirkten wie exotische Vögel in einem Reservat. Uns Kindern gaben sie Stapel mit gebrauchtem Computer-Endlospapier, das auf einer Seite mit kryptischen Zahlenreihen bedruckt war, auf der leeren Seite jedoch eine Leinwand für Meisterwerke in Buntstift bot. Viele der Kabinen waren mit Frauen besetzt; sie nahmen Anrufe entgegen und saßen vor Schreibmaschinen, machten aber auch hieroglyphische Zeichen auf Diapositive und diskutierten mit meinem Vater und den anderen Männern des Büros über Dokumente, die stapelweise ihre Schreibtische bedeckten. Dass so viele von ihnen Afroamerikanerinnen waren, nicht wenige im Alter meiner Großmutter, erschien mir als Teil der natürlichen Ordnung: Ich wuchs in Hampton auf, wo das Gesicht der Wissenschaft so dunkel war wie meines.

Mein Vater war 1964 als Werkstudent nach Langley gekommen und ging 2004 als international anerkannter Klimawissenschaftler in den Ruhestand. Fünf der sieben Geschwister meines Vaters profilierten sich als Ingenieure oder Technologen, und einige seiner besten Freunde – David Woods, Elijah Kent, Weldon Staton – machten in Langley Karriere als Ingenieure. Unser direkter Nachbar lehrte Physik an der Universität von Hampton. In der Kirche wimmelte es von Mathematikern. Ultraschall-Spezialistinnen besetzten Führungspositionen in der Studentinnenvereinigung meiner Mutter, und im Vorstand der College-Ehemaligenverbände meiner Eltern saßen Elektroingenieure. Der Mann meiner Tante Julia, Charles Foxx, war der Sohn von Ruth Bates Harris, einer Beamtin und leidenschaftlichen Anwältin für die Förderung von Frauen und Minderheiten; 1974 setzte die NASA sie als stellvertretende Verwaltungsassistentin ein, womit sie unter den Frauen den höchsten Posten in der Behörde bekleidete. Es gab in der Gemeinde natürlich auch schwarze Englischprofessoren wie meine Mutter, ebenso schwarze Mediziner und Zahnärzte, schwarze Mechaniker, Portiers und Unternehmer, schwarze Schuster, Hochzeitsplaner, Immobilienmakler und Leichenbestatter, verschiedene schwarze Anwälte und eine Handvoll schwarzer Kosmetikberaterinnen. Aber ich sah als Kind so viele Afroamerikaner in der Wissenschaft, der Mathematik und im Ingenieurwesen arbeiten, dass ich glaubte, das sei einfach das, was schwarze Leute tun.

Mein Vater, der während der Segregation aufgewachsen war, nahm eine andere Realität wahr. „Werde Sportlehrer“, hatte mein Großvater 1962 zu seinem achtzehnjährigen Sohn gesagt, der wild entschlossen war, Elektrotechnik am traditionell schwarzen Norfolk State College zu studieren.

Damals setzten afroamerikanische College-Absolventen, die belesen und mit Alltagsverstand gesegnet waren, auf Lehrerjobs oder suchten sich Arbeit im Postamt. Doch mein Vater, der, nachdem 1957 Sputnik ins All geschossen worden war, seine erste Rakete im Metallwerkunterricht der Mittelstufe gebaut hatte, widersetzte sich meinem Großvater und stürzte sich mit Volldampf in die Ingenieurwissenschaften. Sicherlich waren die Befürchtungen meines Großvaters, dass es für einen Schwarzen schwierig sein könnte, sich dort zu behaupten, nicht unbegründet. Noch 1970 waren lediglich ein Prozent aller amerikanischen Ingenieure schwarz – eine Zahl, die sich bis 1984 auf unglaubliche zwei Prozent verdoppelte. Noch immer war die US-Regierung der verlässlichste Arbeitgeber für Afroamerikaner in Wissenschaft und Technik: 1984 waren 8,4 Prozent der NASA-Ingenieure schwarz.

Die afroamerikanischen Mitarbeiter der NASA fanden allmählich ihren Platz in der Ingenieurkultur der Raumfahrtbehörde, und ihre Erfolge eröffneten ihren Kindern einen Zugang zur amerikanischen Gesellschaft, der bis dahin undenkbar war. Ich wuchs mit weißen Freunden auf, besuchte eine Schule ohne Rassentrennung. Vieles von dem, was sie an Vorarbeit geleistet hatten, nahm ich als selbstverständlich.

Tag für Tag sah ich meinen Vater einen Anzug anziehen und sich auf den Weg zum Gebäude 1236 machen, wo er sich alles abforderte – für das Raumfahrtprogramm und für seine Familie. Mit seiner Arbeit sicherte mein Vater der Familie den Platz in der bürgerlichen Mittelschicht, und Langley wurde zu einem der Anker unseres gesellschaftlichen Lebens. Jeden Sommer kauften meine Geschwister und ich von unserem ersparten Taschengeld Karten für das Ponyreiten beim alljährlichen NASA-Vergnügen. Jahr für Jahr vertraute ich meinen Weihnachtswunschzettel dem NASA-Weihnachtsmann auf der Langley-Kinderweihnachtsfeier an. Viele Jahre saßen Ben, Lauren und meine jüngste Schwester Jocelyn, die noch ein Kleinkind war, an den Donnerstagabenden auf der Tribüne der Mehrzweckhalle in Langley und feuerten meinen Vater und sein NASA-Basketballteam, die Stars, an. Ich war nicht weniger ein Produkt der NASA als die Mondlandung.

Aus dem Funken der Neugier wurde bald ein leidenschaftliches Feuer. Ich löcherte meinen Vater mit Fragen über seine Anfänge in Langley Mitte der Sechzigerjahre, Fragen, die ich ihm nie zuvor gestellt hatte. Am darauffolgenden Sonntag befragte ich Mrs. Land zu den Anfängen im Langley-Rechenzentrum, als es zu ihren Aufgaben gehörte, die Toiletten zu kennen, die den „farbigen“ Angestellten zugewiesen und entsprechend gekennzeichnet waren. Und weniger als eine Woche später saß ich auf dem Sofa in Katherine Johnsons Wohnzimmer, über mir eine eingerahmte amerikanische Flagge, die auf dem Mond gestanden hatte, und lauschte der Dreiundneunzigjährigen. Mit einem Gedächtnis, das schärfer als mein eigenes war, holte sie ihre Erinnerungen hervor: an getrennte...