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Jetzt bist Du dran! - Unvergessbare Geschichten

Chuck Palahniuk

 

Verlag Festa Verlag, 2016

ISBN 9783865525031 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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5,99 EUR


 

KLOPF-KLOPF

Mein alter Herr kann aus allem einen großartigen Witz machen. Was soll ich sagen – er bringt nun mal gerne die Leute zum Lachen. Als Kind habe ich die Hälfte seiner Witze nicht kapiert, aber ich grölte trotzdem. Wenn er zum Friseur ging, hat er immer die anderen vorgelassen – es war ihm egal, er wollte nur den ganzen Samstag dasitzen und den Leuten Witze erzählen. Sie zum Grölen bringen. Sich die Haare schneiden zu lassen, war ihm nicht so wichtig.

Er sagt: »Unterbrecht mich, wenn ihr den schon kennt …« So erzählt mein alter Herr, wie er ins Büro des Onkologen geht und fragt: »Nach der Chemo – kann ich dann noch Geige spielen?«

Der Onkologe gibt zur Antwort: »Er ist metastasiert. Sie haben noch sechs Monate zu leben …«

Und indem er mit seinen Augenbrauen zuckt wie Groucho Marx und Asche von einer imaginären Zigarre abklopft, fragt mein alter Herr: »Sechs Monate? Ich will ein zweites Gutachten.«

Und der Onkologe erwidert: »Okay, Sie haben Krebs und Ihre Witze so einen Bart.«

Und so verpassen sie ihm die übliche Chemotherapie und Bestrahlung, auch wenn der Mist ihn innerlich so übel verbrennt, dass er jedes Mal, wenn er pinkeln geht, das Gefühl hat, Rasierklingen zu pissen. Er ist immer noch jeden Samstag unten im Friseurladen und erzählt Witze, obwohl er jetzt so kahl ist wie eine Billardkugel. Und er ist mager wie ein kahlköpfiges Skelett und muss ständig eine dieser Sauerstoffdruckflaschen auf Rollen hinter sich herschleppen wie eine Sträflingskugel. Er kommt in den Friseurladen, hinter sich die Sauerstoffflasche, deren Schlauch nach oben um seine Nase, über seine Ohren und um seinen völlig kahlen Schädel führt, und er sagt: »Nur ein bisschen die Spitzen schneiden, bitte.« Und die Leute lachen. Versteht mich nicht falsch: Mein alter Herr ist kein Uncle Milty. Er ist kein Edgar Bergen. Der Mann ist klapperdürr wie ein Halloween-Skelett und hat keine Haare mehr und wird in sechs Wochen tot sein, deshalb ist es scheißegal, was er sagt, die Leute wiehern auf jeden Fall wie die Esel, allein weil sie ihn so mögen.

Aber im Ernst, ich tue ihm unrecht. Es ist meine Schuld, wenn es nicht richtig rüberkommt, aber mein alter Herr ist lustiger, als es klingt. Sein Sinn für Humor ist ein Talent, das ich anscheinend nicht geerbt habe. Damals, als ich sein kleiner Charlie McCarthy war, jung und grün hinter den Ohren, da pflegte er zu fragen: »Klopf-klopf?«

Ich sagte: »Wer ist da?«

Er sagte: »Die Lady dort …«

Ich fragte: »Die Lady wo?«

Und er sagte: »Wow, ich wusste gar nicht, dass du jodeln kannst!«

Und ich, ich begriff es nicht. Ich war so dumm, ich war sieben und noch in der ersten Klasse. Ich konnte die Schweiz nicht von Shinola unterscheiden, aber ich wollte, dass mein alter Herr mich liebt, also lernte ich zu lachen. Was immer er sagt – ich lache. Mit der »Lady«, so glaubte ich damals, meint er meine Mom, die weggelaufen ist und uns alleingelassen hat. Alles, was mein alter Herr über sie sagt, ist, dass sie eine »Granate« war und bloß keinen Sinn für Humor hatte. Sie war eine echte Spielverderberin.

Er fragte mich: »Als Vinnie van Gogh sich das Ohr abschnitt und an diese Nutte schickte, auf die er so scharf war, wie hat er es geschickt?«

Die Pointe lautet: »Mit der Ohrpost«, aber ich mit meinen sieben Jahren wusste natürlich weder, wer van Gogh war, noch was eine Nutte ist, aber nichts ruiniert einen Witz schneller, als meinen alten Herrn darum zu bitten, ihn zu erklären. Wenn er also sagte: »Was bekommt man, wenn man Graf Dracula mit einem Schimmelpilz kreuzt?«, dann fragte ich besser nicht: »Was ist ein ›Graf Dracula‹?«, sondern hielt mich bereit, laut loszuprusten, wenn er selbst die Antwort gab: »Einen Schwammpir!«

Und wenn er sagt: »Klopf-klopf …«

Und ich frage: »Wer ist da?«, und er sagt: »Lasse.«

Und ich: »Welcher Lasse?«, und er fängt schon an zu wiehern, als er antwortet: »Lasse doch jammern, ich fick sie von hinten …« Dann – scheiß drauf – lache ich einfach los. Während meiner ganzen Kindheit war ich davon überzeugt, dass ich nur zu blöd war, einen guten Witz zu würdigen. In der Schule hatten wir noch nicht mal schriftliche Division und die ganzen Multikomplikationstabellen, deshalb ist es nicht die Schuld meines alten Herrn, dass ich nicht weiß, was »ficken« bedeutet.

Meine Mom, die uns verlassen hat – er sagt, dass sie diesen Witz hasste, also habe ich vielleicht ihren Mangel an Humor geerbt. Aber Liebe … ich meine – man muss doch seinen alten Herrn lieben. Ich meine – es ist ja nicht so, dass man eine Wahl hätte, nachdem man geboren wurde. Niemand will seinen alten Herrn aus einer Sauerstoffflasche atmen sehen, oder wie er ins Krankenhaus geht, um vollgepumpt mit Morphium zu sterben, und wie er nicht mal einen Bissen von dem roten Wackelpudding isst, den es zum Nachtisch gibt.

Unterbrecht mich, wenn ich euch den schon erzählt habe: Aber mein alter Herr hat diesen Prostatakrebs, der nicht mal richtig wie Krebs ist, denn es dauert 20, 30 Jahre, bevor wir überhaupt wissen, dass er so krank ist, und dann ist es plötzlich so weit und ich versuche mich an all die Dinge zu erinnern, die er mir beigebracht hat. Zum Beispiel wenn man ein bisschen Rostlöser auf die Schaufel sprüht, bevor man ein Loch gräbt, dann geht das Graben viel leichter. Und er hat mir beigebracht, dass man einen Abzug drückt, anstatt daran zu ziehen und damit die Waffe zu verreißen. Er hat mir beigebracht, wie man Blutflecken beseitigt. Und er hat mir Witze beigebracht … Unmengen an Witzen.

Und klar, er ist kein Robin Williams, aber ich habe mal diesen Film gesehen, wo sich Robin Williams mit einem roten Gummiball auf der Nase verkleidet und mit einer knallbunten Afroperücke und diesen riesigen Clownsschuhen und einer falschen Nelke im Knopfloch, aus der Wasser spritzt, und er ist so ein Klassedoktor, der die ganzen kleinen Kinder, die Krebs haben, so doll zum Lachen bringt, dass sie aufhören zu sterben. Ja, ganz genau: Diese kahlköpfigen Kinderskelette – die schlimmer aussehen als mein alter Herr –, sie werden GESUND, und der ganze Film basiert auf einer wahren Begebenheit.

Was ich meine, ist: Wir wissen alle, dass Lachen die beste Medizin ist. Bei so viel Zeit, die ich im Wartesaal des Krankenhauses verbringen musste, habe ich sogar Reader’s Digest gelesen. Und wir kennen doch alle die wahre Geschichte von dem Typen mit diesem Gehirntumor im Schädel, so groß wie eine Grapefruit, und er ist kurz davor, seinen letzten Seufzer zu tun – alle Ärzte und Priester und Experten sagen, dass er es nicht mehr lange machen wird –, aber er zwingt sich dazu, sich nonstop Filme von den Drei Stooges anzusehen. Dieser Krebs-im-Endstadium-Typ zwingt sich, nonstop über Abbot und Costello und Laurel und Hardy und die Marx Brothers zu lachen, und er wird geheilt von den ganzen Endoofinen und dem oxygierten Blut.

Also sage ich mir: Was habe ich zu verlieren? Alles, was ich tun muss, ist, mich an ein paar von den Lieblingswitzen meines alten Herrn zu erinnern und dafür zu sorgen, dass er sich auf den Weg der Besserung lacht. Was soll es schon schaden, sage ich mir.

Also geht dieser erwachsene Sohn in das Sterbezimmer seines Vaters, zieht sich einen Stuhl neben das Bett und setzt sich. Der Sohn schaut in das bleiche, sterbende Gesicht seines Vaters und sagt: »Da kommt diese Blonde in eine Kneipe, wo sie vorher noch nie war, und sie hat Titten bis HIER und einen knackigen kleinen Arsch, und sie bestellt an der Theke ein Budweiser, und der Barkeeper serviert ihr ein Budweiser, nur dass er ihr vorher K.-o.-Tropfen in die Flasche tut, und die Blonde wird ohnmächtig, und die Typen in der Bar legen sie auf den Billardtisch und schieben ihren Rock hoch und ficken sie der Reihe nach, und als der Laden dichtmacht, wecken sie sie mit ein paar Ohrfeigen und sagen ihr, sie muss jetzt gehen. Und alle paar Tage kommt diese Schnitte mit den geilen Titten in die Kneipe und bestellt ein Budweiser und bekommt K.-o.-Tropfen und wird von den Kerlen gefickt, bis sie eines Tages reinkommt und den Barkeeper bittet, ihr heute stattdessen ein Michelob zu geben.«

Zugegeben – ich habe diesen ziemlich langatmigen Witz nicht mehr gebracht, seit ich in der ersten Klasse war, aber mein alter Herr hat den nächsten Teil immer besonders geliebt …

Der Barkeeper lächelt scheißfreundlich und fragt: »Was? Mögen Sie kein Budweiser mehr?«

Und die Schnitte, sie beugt sich verschwörerisch über die Theke und flüstert: »Erzählen Sie es nicht weiter …«, flüstert sie, »aber von Budweiser tut mir immer die Möse weh …«

Als ich diesen Witz lernte, als mein alter Herr ihn mir beibrachte, da wusste ich nicht, was »Möse« bedeutet. Ich wusste nicht, was »K.-o.-Tropfen« sind. Ich wusste nicht, was die Leute meinten, wenn sie von »ficken« redeten, aber ich wusste, dass dieses ganze Gerede meinen alten Herrn zum Lachen brachte. Und als ich mich im Friseurladen hinstellen und den Witz erzählen musste, da lachten die Friseure und die ganzen alten Männer mit ihren Detektivzeitschriften so laut los, dass der Hälfte von ihnen Spucke und Schnodder und Kautabak aus der Nase spritzten.

Und jetzt erzählt der erwachsene Sohn seinem alten, sterbenden Vater diesen Witz, ganz allein mit ihm in diesem Krankenzimmer, tief in der Nacht, und – stellt euch vor – der alte Herr lacht nicht. Also versucht der Sohn es mit einem anderen Lieblingswitz, er erzählt den von dem Vertreter, der einen Anruf von einer Farmerstochter erhält, die er vor ein paar...