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Und ich bringe dir den Tod

Jörg Böhm

 

Verlag CW Niemeyer Buchverlage GmbH, 2016

ISBN 9783827183224 , 387 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

Kapitel 2


Sieben Monate später

Sonntag, 17. August 2014

„Luiz, Mündchen auf und happ.“ Emma schob den Kinderlöffel in einen weit aufgerissenen Babymund. Der kleine Mann im Kinderwagen hüpfte vor Freude, während sich sein Mund nicht entscheiden konnte, ob er weiter lachen, drauflos brabbeln oder einfach nur das Vanilleeis lutschen wollte. Erste milchige Speichelfäden liefen ihm die Mundwinkel hinunter, als er den Löffel freudestrahlend wieder freigab.

„Hättest du dem Jungen nicht wenigstens einen dänischen Vornamen geben können? Frederik, Magnus oder den schönen Namen deines Bruders, Erik? Musste es gerade ein brasilianischer sein?“ Emmas Mutter Marit Hansen, die gerade eine neue Diät ausprobierte und sich daher nur einen grünen Tee bestellt hatte, schaute widerwillig auf den kleinen Wonneproppen, der seit gut einem Jahr ihr Stiefkind und ihr Pflegeenkel in einer Person war.

Es war das erste Mal, dass sie ihn nun hautnah und live erlebte, denn bisher hatte sie ihn noch nie gesehen. Sehen wollen. Sie lehnte dieses Etwas – wie sie den unehelichen Sohn ihres Mannes seit dem Bekanntwerden seiner Existenz nur nannte – mit jeder Faser ihres Körpers ab. Er existierte für sie einfach nicht. Deshalb hatte sie auch ihre regelmäßigen Besuche bei Emma eingestellt. Seitdem fand jede zwischenmenschliche Beziehung zwischen Mutter und Tochter nur noch am Telefon oder via Kurznachricht übers Handy statt. Bis zu einem Dienstag vor drei Wochen, als Emma aufgelöst und nervlich angespannt bei ihr angerufen und sie um Unterstützung gebeten hatte. Schweren Herzens hatte sie zugesagt, um ihre Tochter bei der neuen und nicht ganz freiwilligen Herausforderung, als ungeplante Mutter Kind und Karriere unter einen Hut zu bekommen, zu unterstützen.

„Papa hat sich diesen Namen gewünscht. Er sprach immer von seinem Luiz. Er war sein Lichtblick.“ Leider hat er ihn ja nicht mehr persönlich kennenlernen dürfen, ergänzte Emma gedanklich, setzte sich wieder ihre Sonnenbrille auf, die sie sich zuvor ins Haar gesteckt hatte und schaute über den Landauer Rathausplatz, das pulsierende Herz der pfälzischen Hauptstadt, wie die Landauer ihre Stadt liebevoll nannten.

Das Eiscafé lag direkt neben einem großen Drogeriemarkt. Folgte man dem Blick weiter in nördliche Richtung, dann erhob sich nach einigen weiteren kleinen Geschäften das Alte Kaufhaus, eines der ältesten Gebäude der Stadt, in dem seit einigen Jahren verschiedene Kulturveranstaltungen stattfanden. Mitten auf dem Platz stand ein weiteres Wahrzeichen der ehemaligen Garnisonsstadt: das Luitpold-Denkmal. Ein bronzenes Reiterstandbild, das der Bildhauer Ruemann bis 1893 angefertigt hatte und an dessen Sockel sich jetzt zwei Mädchen sonnten und dabei ebenfalls genüsslich an ihren Eistüten schleckten.

Es war einer der wenigen Sommertage, die erträglich waren und an denen man sich bedenkenlos im Freien aufhalten konnte. Denn auch wenn vom Pfälzer Hügelland immer mal wieder eine angenehme Böe über Landau wehte und das Klima, die Landschaft und die Lebensweise nicht umsonst an die italienische Toskana erinnerten, so hatte sich in diesem Jahr der Sommer schon seit Wochen mit einer lähmenden Trockenheit übers Land gelegt. Die Erde lechzte nach Wasser, Reben und Weinstöcke waren trocken wie Zunder und auch die satt- und tiefgrünen Wipfel der mächtigen Buchen, Fichten und Kiefern des Pfälzerwaldes waren an vielen Stellen bereits braun vor Wassermangel.

Selbst die Gauner und Halunken – so hatte Emmas Opa, der selbst Hauptkommissar in Kopenhagen gewesen war, die Schwerverbrecher immer genannt, um Klein-Emma die Angst vor seiner Arbeit zu nehmen – hielten sich in diesem Sommer auffallend zurück. Einige urlaubsbedingte Einbrüche, die angespülte Wasserleiche eines seit Monaten vermissten Mannes im Altrhein, einem Seitenarm des Hauptstroms, und ein Überfall auf eine Bankfiliale in Schifferstadt waren die einzigen aktuellen Fälle, die gerade bei Emma Hansen und ihrem Kollegen Matthias Roth auf dem Schreibtisch lagen.

Aber Emma war dankbar, dass die vergangenen Wochen deutlich ruhiger, ja fast schon entspannt verliefen. Und das nicht nur wegen der dramatischen Mordserie in Burrweiler, die im Januar ihre ganze Konzentration gefordert hatte. Seit jenen Tagen, konkret seit dem 31. Januar, war sie nicht mehr allein. Und auch wenn sie sich die Vorgeschichte anders gewünscht hätte, so war an diesem Freitag einer ihrer größten Wünsche endlich in Erfüllung gegangen: Sie war von einem auf den nächsten Augenblick Mama geworden. Zwar ohne Mann und vor allem ohne eigenes Kind, dafür aber glücklich und geerdet. Denn Emma war endlich nicht mehr auf der Suche nach sich selbst. Zumindest hatte sie das Gefühl, auch wenn Luiz, so hieß der Sohn ihres Vaters, von jetzt auf gleich ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit benötigte und Emma erst gar nicht mehr zu sich selbst finden ließ.

Luciana Santos, die Geliebte ihres Vaters, hatte ohne Ankündigung oder Vorwarnung, wie es Emmas Mutter Marit gerne abfällig umschrieb, das Kind einfach ohne weitere Nachricht für Emma im Ludwigshafener Polizeipräsidium abgegeben. Was für ein Schock – nicht nur anfangs, wie sich Emma auch heute noch eingestehen musste. Dass ein Kind ihr Leben über Nacht so komplett verändern würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Auch wenn sie den kleinen Luiz von ganzem Herzen liebte und eigentlich nicht wieder hergeben wollte – Emma war davon überzeugt, dass ein Kind und seine Mutter zusammengehörten. Und deshalb setzte Emma alles daran, Luciana zu finden.

Aber weder das direkte Umfeld der ehemaligen Samba-Tänzerin aus Porto Alegre noch die vermeintlichen Freunde ihres Vaters, denen er sich möglicherweise noch vor seinem Tod anvertraut hatte, und erst recht nicht das brasilianische Konsulat konnten Emma bei ihren Bemühungen, Luciana ausfindig zu machen, weiterhelfen.

Ganz im Gegenteil: Je tiefer Emma bohrte, je intensiver sie recherchierte und nachfragte, desto nebulöser wurde der Mensch, den ihr Vater bis zu seinem Unfall geliebt hatte.

Luciana Santos schien wie vom Erdboden verschluckt worden zu sein und genau dieser Erdboden hatte nicht vor, sie auch wieder auszuspucken.

Und so war Emma sprichwörtlich wie die Jungfrau zum Kinde gekommen. Auch wenn ihrer Mutter das alles andere als in den Kram gepasst hatte.

Erst sollte ich keine Kommissarin werden und jetzt soll ich mich nicht um das Kind meines Vaters kümmern, nur weil nicht Marit, sondern Luciana die Mutter des Kleinen ist, dachte Emma und folgte mit ihrem Blick einer Taube, die mit einer anderen Taube um ein großes Stück einer Eiswaffel kämpfte, um sich dann als Siegerin und mit dem Waffelstück im Schnabel auf dem gläsernen Dach eines Toilettenpavillons niederzulassen.

„Lichtblick? Das ich nicht lache! Anhängsel oder Ballast trifft es da wohl besser.“

„Mutter, jetzt reicht‘s! Der Kleine kann ja wohl nichts für eure …“

„Unsere gescheiterte Ehe? Ja, sprich es nur aus, Emma. Aber wir wären nicht gescheitert, wäre diese …, diese Tänzerin nicht in Knuts Leben getreten.“ Marit Hansen nahm erneut einen Schluck ihres grünen Tees, den sie wegen des schneller einsetzenden Sättigungsgefühls und trotz der hohen Temperaturen warm trank.

„Zu einer Ehe gehören immer zwei …“

Marit Hansen hätte sich fast verschluckt.

„Willst du mir damit etwas sagen …“, presste sie hervor, ehe sie loshustete.

„Ach Mutter, das ist mir jetzt zu blöd. Du weißt ganz genau, was ich damit meine“, erwiderte Emma und winkte einer Servicekraft zu. Als diese aber wieder ins Café zurückeilte, anstatt an Emmas und Marits Tisch zu kommen, stand Emma auf und folgte ihr.

„Entschuldigen Sie, könnten wir noch etwas …“, rief Emma der jungen Frau, die gerade mit einem mit Eisbechern, Gläsern und Flaschen beladenen Tablett zwischen den Tischen Slalom tanzte, hinterher, als sie mit einem Mann zusammenstieß, der Emma auf der Suche nach einem freien Platz völlig übersehen hatte.

„Hej, passen Sie ...“

„Oh, Pardon. Ich habe Sie nicht gesehen“, entschuldigte sich der Mann und lächelte Emma etwas unbeholfen zu.

Emma lächelte schwach zurück.

„Ist ja nichts passiert.“

Was für ein attraktiver Mann, schoss es ihr durch den Kopf, auch wenn sie selbst für einen Flirt gerade so gar keinen Kopf hatte.

„Der Heißhunger auf einen Eiskaffee hat mich wohl erblinden lassen. Aber wie ich gerade sehe, scheint wohl nichts mehr frei zu sein.“ Der Mann zuckte mit den Schultern, nachdem er mit einem schnellen Blick die gut zwei Dutzend Tische abgescannt hatte, die zum Außenbereich des Eiscafés gehörten.

„Wollen Sie sich zu uns an den Tisch setzen? Einen Eiskaffee muss man ja genießen!“

„Ja, sehr gerne.“ Der Mann folgte Emma, die die Bedienung und ihr Anliegen völlig vergessen hatte. „Und so ein Becher to go ist nicht nur eine kulinarische Sünde. Er birgt auch ganz andere Gefahren.“ Der Mann zeigte auf sein Hemd. Ein großer brauner Fleck hatte sich im Brustbereich direkt an der Knopfleiste in die hellblau gefärbte Baumwolle gesaugt. „Und das war nur ein normaler Kaffee heute Morgen im Büro.“

„Ich bin übrigens Emma.“ Emma streckte dem Mann ihre Hand entgegen, als sie den Tisch erreicht hatten.

„Hast du jetzt eine Flasche stilles Wasser für mich bestellt?“, fragte Marit Hansen ihre Tochter, ehe sie den Mann dezent musterte.

„Meine Mutter Marit Hansen und Luiz ... also ...“

„Ihr Pflegekind“, grätschte sich Marit Hansen in die Vorstellungsrunde ein.

„Sehr erfreut, Stefan Bellheim ist mein Name“, sagte der Mann und grüßte erst Marit Hansen und schüttelte dann...