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Blut ist kein Nagellack - Thriller

Manzoni Carlo

 

Verlag Herbig, 2016

ISBN 9783784482668 , 162 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Zweites Kapitel

Mit diesem makabren Scherz habe ich nun wirklich nichts zu tunder Anblick ist jedenfalls beeindruckend, und der Nagellack stinkt penetrant.

Das ist so ziemlich das allerletzte, was ich erwartet habe. Es sind tatsächlich sieben, die in den unmöglichsten Stellungen durcheinander liegen. Lang ausgestreckt, auf der rechten oder linken Seite liegend, zusammengekauert. Der eine hat das Gesicht voll Blut, ein anderer das Hemd oder die Jacke blutverschmiert, aber im großen und ganzen scheint mir die Blut- im Verhältnis zur Leichenmenge bescheiden.

Ich starre sie an und versuche, irgendeinen brauchbaren Gedanken zu fassen, aber nicht ein einziger kommt zum Vorschein. Ich weiß wirklich nicht, was ich von diesem Gemetzel halten soll.

Ich werfe einen Blick auf Kautschuk. Er hat sich an den Türpfosten gelehnt und beobachtet mich, wobei er die Kiefer rhythmisch bewegt, wie wenn er einen Mistkäfer im Maul hätte, den er nicht entwischen lassen möchte.

Ein penetranter Geruch steigt mir in die Nase.

Nagellack. Es kann nichts anderes sein.

Ich überlege gerade, von wo dieser Gestank kommen kann, als aus der gegenüberliegenden Tür der Leutnant Tram eintritt.

»Da bist du ja endlich«, sagt er, übersteigt ein paar Leichen und stellt sich neben Kautschuk.

»Und da du schon einmal hier bist«, fährt der Leutnant Tram fort, »erklärst du mir vielleicht, was das da zu bedeuten hat.«

»Ich glaube«, sage ich, »wenn hier einer was zu erklären hat, bin es mitnichten ich. Ihr seid dran. Aus welchem Horrorfilm stammt diese Gruselszene hier?«

»Paß nur auf«, sagt Kautschuk, »daß du dir nicht alle Wirbel brichst, wenn du wieder einmal aus allen Wolken fällst!«

Ich merke, wie mir das Blut in die Ohren steigt und will Kautschuk am Kragen packen, aber Tram fährt dazwischen.

»Immer langsam, immer langsam«, sagt er, »zum Training für die nächste Olympiade haben wir jetzt beim besten Willen keine Zeit.«

»Der da«, sagt Kautschuk, »wollte uns weismachen, daß er in tiefstem Schlaf in seinem Bett liegt, während er unterwegs war und irgendeine seiner Lumpereien zusammengebastelt hat. Als ich vor seiner Tür stand, hörte ich ihn schnarchen und wollte gerade die Tür eintreten, als er die Stiegen heraufkam.«

»Erklär dich deutlicher«, sagt Tram.

»Er hatte eine Schnarchmaschinerie auf sein Bett gestellt«, erläutert nun Kautschuk, »ein Bandgerät.«

»Ah, sehr gut!« ruft der Leutnant Tram aus, »und während das Bandgerät statt dir schnarchte, warst du hier und hast diese Schau aufgebaut. Was ich nicht verstehe, warum du dann die Mordkommission angerufen hast.«

»Wahrscheinlich«, sagt Kautschuk, »wollte er uns in den April schicken!«

»Ich habe niemanden angerufen«, sage ich.

»Hör zu, Pipa«, sagt Tram, »mach doch mir nichts vor. Wir haben alle Stimmen, die uns interessieren, in unserem Archiv. Darunter ist auch die deinige. Irrtum ausgeschlossen, wir haben kontrolliert.«

»Also gut«, sage ich, »ich habe für einen gewissen Dem angerufen, das ist der Mann, der hier im Haus sauber macht. Der ist vollständig durcheinander zu mir gekommen und hat gesagt, daß er die Leiche seines Chefs gefunden hat. Ich habe dann für ihn bei der Mordkommission angerufen.«

»Und wo ist dieser Dem?« fragt Kautschuk.

»Ich habe ihn hierher zurückgeschickt«, sage ich. »Er müßte mit euch zusammen angekommen sein.«

»Als wir hergekommen sind, war kein Mensch da«, sagt der Leutnant Tram, »und wie paßt die Bandgerätgeschichte da hinein?«

»Ich hatte Lust auf einen Bourbon«, sage ich, »und weil ich keinen mehr daheim hatte, bin ich hinunter in die ›Fledermaus‹. Vorher habe ich das Bandgerät eingeschaltet, damit mein Partner nicht merkt, daß ich weggehe.«

»Und wo ist dein Partner jetzt?« fragt Tram.

»Daheim war er nicht«, sagt Kautschuk.

»Er ist ohne mein Wissen fort«, sage ich, »wohin, weiß ich nicht.«

»Diese Geschichte gefällt mir nicht«, sagt Tram, »ganz und gar nicht.«

»Ich schlage ihm den Schädel ein, Leutnant«, sagt Kautschuk, »vielleicht kann man dann sehen, was in seinem verdrehten Hirn vorgeht?«

Der Leutnant Tram beugt sich über den ihm am nächsten liegenden Toten, nimmt seine Hand und hebt sie in die Höhe. Irgend etwas stimmt nicht an der ganzen Sache.

Inzwischen müßte nämlich dieses Zimmer von Polizisten überquellen, die Maß nehmen, Fingerabdrücke, Fotos usw. Das will ich gerade sagen, aber der Leutnant benimmt sich so seltsam, daß ich den Mund lieber nicht aufmache.

Dann reiße ich ihn aber gewaltig auf, denn ich sehe, wie der Leutnant einen Fuß auf den Ellbogen der Leiche stellt, den Arm dreht und dann anzieht.

Ich höre ein Knacken, das, wenn es das richtige wäre, mir die Haare zu Berg stehen lassen würde, aber es ist nicht das richtige, denn der Arm löst sich mit größter Leichtigkeit, der Leutnant zieht ihn aus dem Ärmel und beschaut ihn.

Ich beschaue ihn auch, verdammt noch mal!

Das ist ja gar nicht der Arm eines Toten! Es ist der Arm einer Schaufensterpuppe aus Papiermaché, beim Teufel seiner uralten Oma!

Das sind gar keine Leichen, liebe Leute: das sind solche Kleiderpuppen, die man angezogen ins Schaufenster stellt, mit einem Hut auf dem Kopf und dem Preisetikett auf dem Magen oder hinten am Hals. Dem Preis vom Anzug, versteht sich, meistens haben sie ihn auch noch auf dem Jackenrevers.

Oh, du mein Privatheiliger Polykarp, wer hat sich denn diesen Witz ausgedacht?

Dem vielleicht?

Aber diese halbe Portion ist wirklich nicht der Typ dazu. Und wo ist er überhaupt abgeblieben?

Ich muß immer noch die Schaufensterpuppen ansehen, die mit Nagellack bespritzt sind, um Blut vorzutäuschen, und bekomme einen Lachkrampf. »Verdammt!« schluchze ich zwischen einem Lacher und dem nächsten, »diesmal habt ihr mich schön auf den Arm genommen!«

Tram haut mir mit dem Puppenarm eins in die Visage. Der Arm zerbröselt. »Jetzt werden wir feststellen, wer wen auf den Arm genommen hat«, sagt er. »Mach schon, gehen wir dort hinein.«

Er macht mit dem Kopf einen Deuter zu der Türe hin, durch die ich hereingekommen bin, dann schmeißt er den zerbröselten Arm auf den Haufen falscher Leichen und setzt sich in Bewegung. Ich folge ihm, und hinter mir kommt Kautschuk.

Im Weitergehen höre ich einen Knall. Ich schaue mich um. Kautschuk hat dem ersten Kopf, der ihm vor seine Plattfüße gekommen ist, einen Stoß versetzt: sein Schuh hat sich am Hals verklemmt, und der Kopf hat sich von der Figur gelöst. Bei einem echten Kopf wäre das sicher kein erhebender Anblick gewesen, aber auch bei einem papiernen – ich muß sagen, ich habe schon Komischeres gesehen.

»Da kannst du dich abreagieren«, sage ich, »mit dem ist’s ungefährlich.«

»Ich trainiere nur, daß ich fit bin, wenn ich deinen Schädel einmal vor die Füße kriege«, sagt Kautschuk und löst mühsam seinen Schuh aus dem abgebrochenen Kopf. »Härter wird er wohl sein, aber genau so leer wie der da.«

Er wirft den Kopf fort, und wir betreten ein ziemlich geräumiges Büro. Das erste, was ich sehe, ist eine Blondine.

Ich sage »Blondine«, aber sie ist nicht eigentlich blond. Sie ist schlagrahmfarben, und dieser Haarfarbe nach müßte sie mindestens neunzig sein. Dem Gesicht und der Frisur nach kann sie aber im Höchstfall die Einundzwanzig erreicht haben.

Verdammt noch mal, unter diesen Haaren findet man alles, was auch einem mit chronisch steifen Hals Behafteten den Kopf verdrehen könnte. Von den Schultern abwärts ist die ganze Pracht in eine Art dressing-gown gehüllt, den man aber eher in die Kategorie »großes Abendkleid« einreihen könnte.

Diese jüngste Greisin der Welt gießt aus einem Kupferkännchen eine dampfende Flüssigkeit in eine Tasse. Es könnte Kaffee sein. Als sie mich eintreten sieht, stellt sie das Pfännchen hin und schaut mich an. »Da haben wir ihn«, sagt Kautschuk; ich schlage mit einem Bein nach hinten aus und haue ihm den Schuhabsatz genau auf den Fußknöchel.

»Halt wenigstens deinen Schnabel so lange, bis ich mich von diesem Schlag erholt habe«, sage ich und lasse meine Augen an diesem Prachtstück auf und ab spazieren, während sie sich erst en face, dann im Profil zeigt, sich um sich selbst dreht, dann, die Hände in die Hüften gestützt, stehen bleibt und mir ins Gesicht schaut.

»Fertig?« fragt sie, »oder wollen Sie auch noch die genauen Maße?«

»Für den Moment reicht’s«, sage ich, »ich glaube, es ist alles da und noch dazu in Erster-Klasse-Ausführung.«

»Wir sind nicht hier, um uns von deinem ausgedehnten Repertoire an Komplimenten für schöne Damen anöden zu lassen. Dies ist Signora Peonia Fresco, die Gattin des Kaufhausbesitzers Francisco Fresco.«

»Peo, für meine Freunde«, flötet die jüngste Greisin und lächelt. »Und das da«, fährt Tram fort und zeigt auf mich, »ist der Kerl, der den blöden Witz mit den Puppen im Vorzimmer arrangiert hat. Haben Sie ihn je gesehen?«

»Nie«, sagt wahrheitsgemäß die jüngste Greisin.

»Ein einziges Mal war ich in diesem Kaufhaus«, sage ich, »um mir ein Paar Sockenhalter zu kaufen. Das ist leider schon eine Weile her,...