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Der letzte Elf

Silvana De Mari

 

Verlag cbj Kinder- & Jugendbücher, 2009

ISBN 9783641023126 , 368 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR

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KAPITEL 1
Es regnete schon seit Tagen. Er watete bis zu den Knien durch den Schlamm. Die Welt hatte sich in eine einzige Schlammlache verwandelt, und wenn es nicht aufhörte zu regnen, würden darin zuletzt bestimmt auch noch die Frösche ertrinken.
Er selbst würde mit Sicherheit umkommen, wenn er nicht bald einen trockenen Platz fand, wo er bleiben konnte.
Es war kalt auf der Welt. Bei Großmutter am Herd war es immer warm gewesen. Aber das war lange her. Das Herz des kleinen Elfen krampfte sich zusammen vor Heimweh.
Seine Großmutter sagte, wenn du nur fest genug träumst, dann werden die Dinge wahr. Aber Großmutter konnte nicht mehr träumen. Eines Tages war die Mama dorthin gegangen, von wo niemand wiederkehrt, und Großmutter hatte nicht mehr träumen können. Und er war noch zu klein zum Träumen. Oder vielleicht doch nicht.
Der kleine Elf schloss ein paar Sekunden lang die Augen und träumte, so fest er konnte. Er spürte das Gefühl von Trockenem auf der Haut, von knisterndem Feuer. Er spürte, wie seine Füße warm wurden. Etwas zum Essen.
Der kleine Elf schlug die Augen wieder auf. Die Füße fühlten sich noch eisiger an als vorher und sein Magen noch leerer. Er hatte nicht fest genug geträumt.
Er zog die klitschnasse Kapuze über die klitschnassen Haare. Er trug den gelben Elfenmantel. Der grob gewebte gelbe Jutestoff war schwer, rau und schützte vor nichts. Es lief ihm nur noch mehr Wasser in den Nacken und rann ihm den ganzen Rücken hinunter bis in die Hosen. Alles, was er am Leib trug, war gelb, rau, klitschnass, schmutzig, schäbig und kalt.
Eines Tages würde er Kleider haben, so weich wie Vogelflaum, so warm wie Entendaunen und in Farben wie die Morgenröte und das Meer.
Eines Tages würde er trockene Füße haben.
Eines Tages würde die Finsternis weichen und der Frost ein Ende nehmen.
Die Sonne würde wiederkehren.
Die Sterne würden wieder funkeln.
Eines Tages. Der Traum vom Essen nahm wieder sein ganzes Denken ein.
Er dachte an Großmutters Fladenbrot: Und wieder krampfte sich alles in ihm zusammen vor Trauer.
Großmutter hatte nur ein einziges Mal Fladenbrot gebacken, solange der kleine Elf auf der Welt war. Das war beim letzten Neumondfest gewesen, als auch an die Elfen ein halber Sack Mehl ausgegeben worden war und als der Mond noch leuchtete.
 
 
Der kleine Elf legte eine Hand über die Augen und versuchte, durch den Regen zu spähen.
Das Tageslicht wurde schwächer. Bald würde es dunkel sein. Er musste etwas finden, wo er bleiben konnte, bevor die Nacht hereinbrach. Einen Ort, an dem er schlafen konnte, und etwas zum Essen. Noch eine Nacht im Schlamm und mit leerem Magen würde er nicht überleben.
Vor Anstrengung kniff er die großen Augen zusammen, während sie das Grau der Baumschatten absuchten, das unmerklich in das Grau von Erde und Himmel überging, dann blieben sie bei einem dunkleren Fleck hängen. Sein Herz hüpfte. Die Hoffnung kehrte wieder. Er lief, so schnell er konnte, die müden Beinchen sanken bis zu den Knien ein, die Augen hielt er unablässig auf den dunklen Fleck gerichtet. Als der Regen einen Moment lang dichter wurde, befürchtete er schon, es könne alles nur ein etwas dunklerer Baumschatten sein. Doch dann konnte er ein Dach erkennen und Mauern. Da lag, umstanden von hohen Bäumen und völlig überwuchert von Kletterpflanzen, ein winziges Häuschen aus Holz und Stein.
Es war wohl eine Schäfer- oder Köhlerhütte.
Großmutter hatte recht. Wenn du nur fest und lang genug träumst, wenn der Glaube dich ganz erfüllt, dann wird aus Hoffnung Wirklichkeit.
Noch einmal drehten sich alle Gedanken des Elfen um den Traum von einem wärmenden Feuer. Der Geruch von Rauch, zusammen mit dem Duft vom Harz der Pinienzapfen, durchdrang ihn so sehr, dass ihm ein paar Sekunden lang warm wurde. Kläffendes Hundegebell riss ihn aus seinen Träumen. Er hatte sich getäuscht. Das war kein Traum. Da war tatsächlich frischer Rauch und der Duft von brennenden Pinienzapfen. Das war nicht nur in seinem Kopf. Er war zu einem Feuer bei Menschen gelangt.
Nun war es zu spät.
Träumereien können tödlich sein.
Das Hundegebell dröhnte ihm in den Ohren. Der kleine Elf begann wegzulaufen. Vielleicht schaffte er es ja. Wenn er schnell genug war, würde er ausreichend Abstand zwischen sich und den Hund legen. Sonst würden ihn die Menschen erwischen und von einem friedlichen Tod in Kälte und Hunger konnte keine Rede mehr sein. Er stolperte über eine Wurzel, sein Fuß verfing sich darin. Er schlug hin, das Gesicht im Schlamm. Der Hund war über ihm. Es war aus.
Der Kleine wagte nicht zu atmen.
Die Sekunden verrannen.
Der Hund hechelte ihm seinen Atem auf den Hals und hielt ihn fest, doch zugebissen hatte er nicht.
»Lass los«, sagte eine Stimme.
Es war eine barsche, herrische Stimme. Der Hund ließ los. Der kleine Elf begann wieder zu atmen. Er sah nach oben. Der Mensch war riesig. Auf dem Kopf hatte er gelbliche Haare, die zusammengedreht waren wie eine Vorhangkordel. Er hatte keine Haare im Gesicht. Dabei war Großmutter in diesem Punkt ganz eindeutig gewesen: Menschen haben Haare im Gesicht und die nennt man Bart. Das ist eines von den vielen Dingen, in denen sie sich von den Elfen unterscheiden. Der kleine Elf konzentrierte sich, um sich zu erinnern, dann hellte sich sein Gesicht auf.
»Du sein ein weiblicher Mensch«, schloss er triumphierend.
»Das heißt Frau, Dummkopf«, sagte der Mensch.
»O, Verzeihung bitte, Frau Dummkopf, ich aufpassen besser, jetzt ich sagen richtig: Frau Dummkopf«, versetzte der Kleine eifrig. Die Sprache der Menschen war ein Problem für sich. Er kannte sie kaum und die Menschen waren immer so schrecklich empfindlich, und wenn man ihre Empfindlichkeit verletzte, wurden sie böse. Auch in diesem Punkt war Großmutter ganz sicher gewesen.
»Bürschchen, willst du, dass es ein böses Ende mit dir nimmt?«, drohte der Mensch.
Der kleine Elf war verdutzt.
Großmutter zufolge war es der vollständige Mangel jeder Form des logischen Denkens, kurz auch »Dummheit« genannt, was das Geschlecht der Menschen grundsätzlich von dem der Elfen unterschied, aber auch wenn Großmutter ihn darauf vorbereitet hatte, diese Frage war dermaßen abgrundtief albern, dass sie ihn verwirrte.
»Nein, Frau Dummkopf, das ich wollen nicht«, versicherte der kleine Elf, »ich wollen kein böses Ende nehmen. Das gehören nicht zu meinen Plänen«, betonte er.
»Wenn du noch einmal ›Dummkopf‹ sagst, hetz ich den Hund auf dich! Das ist eine Beleidigung«, erklärte die Frau aufgebracht.
»Aha, jetzt ich verstehen«, log der kleine Elf und versuchte verzweifelt, sich den Sinn dieser Worte zu erklären. Warum wollte der Mensch beleidigt werden?
»Du bist ein Elf, nicht wahr?«
Der Kleine nickte. Besser, er sprach so wenig wie möglich. Besorgt warf er einen Blick auf den Hund, der als Antwort knurrte.
»Ich mag Elfen nicht«, sagte der Mensch.
Der Kleine nickte noch einmal. Die Angst verbrüderte sich mit der Kälte. Er begann zu zittern. Kein Mensch mag Elfen, das hatte Großmutter schon immer gesagt.
»Was willst du? Warum bist du hergekommen?«, fragte die Frau.
»Kalt.« Dem kleinen Elfen versagte die Stimme. Kälte, Müdigkeit, Angst, alles zusammen. Mit zitternder Stimme sagte er: »Die Hütte …« Wieder versagte ihm die Stimme.
»Spiel hier nicht den Leidenden. Du bist doch ein Elf, oder? Du hast deine Zauberkräfte. Elfen leiden weder unter Kälte noch unter Hunger. Wenn sie wollen, fühlen sie weder Kälte noch Hunger.«
Der Elf brauchte sehr lang, um den Sinn dieser Worte zu begreifen, dann strahlte er.
»Wirklich?«, fragte er glücklich. »Ich können so etwas wirklich machen? Und wie ich anstellen das?«
»Das weiß ich doch nicht«, brüllte die Frau, »du bist der Elf. Wir, wir gewöhnlichen Menschen, dumm und zurückgeblieben, wir müssen mit Kälte und Hunger leben.« Die Stimme des Menschen war nun wirklich böse.
Der kleine Elf fühlte, wie die Angst ihn überwältigte, sie trocknete ihm die Kehle aus wie Wüstenhitze, sie stieg ihm ins Gesicht und er fing an zu weinen. Es war ein Weinen ohne Tränen, ein bloßes Wimmern und entsetztes Schluchzen. Die Frau spürte die ganze Verzweiflung und Angst, die darin lagen, und ein eisiger Schauder lief ihr über den Rücken.
»Aber was habe ich denn Böses getan?«, fragte sie sich. Der Kleine weinte noch immer. Es war ein herzzerreißender Ton, in dem der ganze Jammer der Welt lag und der einen im Innersten ergriff. »Du bist ein Junges, nicht wahr?«
»Ein Unlängstgeborener«, bestätigte der Kleine. »Herr Mensch«, setzte er dann hinzu, als er endlich glaubte, einen Ausdruck gefunden zu haben, der nicht beleidigend klingen würde.
»Hast du irgendwelche Zauberkräfte?«, fragte die Frau. »Sag mir die Wahrheit.«
Der Elf sah sie weiterhin unverwandt an. Nichts von dem, was der weibliche Mensch sagte, hatte einen Sinn.
»Zauberkräfte?«
»Alles, was du so machen kannst.«
»Ach so, das. Doch, ich können vieles. Atmen, gehen, schauen, ich können auch laufen, sprechen... essen, wenn es geben was zum Essen...« Der Tonfall des kleinen Elfen wurde sehnsüchtig, mit einer Spur von Hoffnung.
Die Frau setzte sich auf die Schwelle der Hütte. Sie senkte den Kopf und blieb dort. Dann stand sie auf.
»Ich bring es...