dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Der Bauernkrieger - Der Bund der Freiheit. Historischer Roman

Jeremiah Pearson

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2017

ISBN 9783732539451 , 574 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

Derzeit können über den Shop maximal 500 Exemplare bestellt werden. Benötigen Sie mehr Exemplare, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.


 

4.


Lud


Lud trieb sein Pferd an und ließ den Verlauf der Straße nicht aus den Augen. Mit einem Mal jedoch fiel ihm ein Buch ein, das er einst gelesen hatte, damals in Dietrichs Bibliothek. Er hatte sich für dieses Buch entschieden, da es so abgegriffen aussah; er ahnte, dass Dietrich es oft zur Hand genommen hatte. Es handelte sich um eine Übersetzung der Psychomachia des Prudentius. Dietrich hatte einst auf dem Titelblatt den handschriftlichen Vermerk hinterlassen, Psychomachia bedeute »der Kampf der Seelen«. Eine Passage hatte der einstige Herr des Geyer’schen Guts mit Tinte unterstrichen. Lud hatte die Zeilen auswendig gelernt:

Als Erster unter den Kämpfern, die sich dem Feld

und dem Zweifel an dem Schicksal des Kampfes stellten,

trat der Glaube vor, mit wirrem Haar und schmutzig,

gekleidet wie ein Bauernmädchen aus dem weiten Land:

das volle Haar ungeordnet, ohne Kopfzier oder schöne Tracht,

die Schultern frei, um dem Rund der Arme Luft zu geben.

Die Hitze, Ruhm zu erlangen, hatte es überkochen lassen

mit einem Mal, für diese neue Tat.

Weder Krieg noch Waffen noch der Rüstung Schutz – es war

ihm alles gleich.

Auf die Kraft seines Herzens und seiner Hände vertrauend, rasend und waghalsig,

fordert es das Kriegsschicksal heraus,

mit der Absicht, es zu zerschmettern.

Warum ihm ausgerechnet diese Zeilen in den Sinn kamen, während er dem sicheren Tod entgegenritt, vermochte er auch nicht zu sagen. Er wusste nur, dass diese Worte ihm bedeutsam vorkamen, als enthielten sie eine geheime Kraft der Weissagung. Es kam ihm wie ein Traum vor, dessen Bilder und rätselhafte Symbole Licht auf ein früheres Ereignis warfen oder kommende Ereignisse vorwegnahmen.

Als er der Wegbiegung folgte, sah er Florian in einiger Entfernung vor sich. Der Erbe von Schloss Geyer hatte sein Ross auf der Mitte der Straße zum Stehen gebracht, genau auf Höhe des Grenzverlaufs der Geyer’schen Besitztümer. An jener Stelle nämlich gingen die offenen Äcker und Felder über in das Dunkel des großen Waldes.

Breite rosige Streifen bedeckten den östlichen Horizont. Lud konnte erkennen, dass sein Herr nicht die neue glänzende Rüstung angelegt hatte; er trug die alte schwarze Eisenpanzerung, die einst seinem Großvater gehört haben musste.

Lud verlangsamte das Tempo und lenkte sein Pferd zu Florian, gefolgt von Waldo, der wenige Längen hinter ihm geblieben war.

»Ah, so habt ihr mich also doch gefunden«, sagte Florian. »Und wie ich sehe, hast du das Türkenschwert bei dir. Bist du auf Kampf aus, Lud?«

»Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du dich allein dem Feind stellen und den Narren abgeben würdest«, antwortete Lud. »Denn du warst doch immer derjenige, der die Aussprüche der weisen Männer aufsagen konnte.«

»Du meinst, hier probt ein Narr den Aufstand?« Florian suchte Luds Blick, mit undurchdringlicher Miene.

»Stolz allein ist nicht genug, Florian.«

Florian wandte den Blick von Lud und schaute hinauf zum Himmel, an dem allmählich die helleren Töne der Dämmerung die Oberhand gewannen. »Es ist der Morgen des dritten Tages. In Konrads Flugschrift stand geschrieben, dass sie zu dieser Stunde kommen. Und das werden sie. Geh nach Hause, Lud.«

»Glaubst du etwa, dein Tod allein würde sie abhalten, weiter zu morden? Sie kommen hierher, um alle zu holen, alles und jeden.«

Florian wandte sich Lud wieder zu, und Entschlossenheit, aber auch ein Anflug von Starrsinn lagen in seinem Blick. »Das ist nicht dein Kampf, Lud.«

»Natürlich ist es das«, beharrte Lud. »Ich warte hier mit dir. Oder wir reiten beide weiter, um sie abzufangen.«

»Nein, ich bleibe hier.« Florian deutete auf den Waldrand, auf den Feldrain. »An der Grenze meines Besitzes. Dies hier ist mein Grund und Boden.« Seine Miene verhärtete sich. »Geh nach Hause, Lud. Ich befehle es dir.« Doch er sah seinem Vogt nicht in die Augen.

In Florians harten Zügen glaubte Lud die Starrköpfigkeit derer von Giebelstadt zu entdecken. Er spürte, wie sehr er seinem Herrn zugetan war. »Du hast gesagt, wir seien gleich, wie Brüder. Deine Befehle bedeuten nichts, es sei denn, du hast nicht aus wahrem Herzen gesprochen.«

»Kehre zu denjenigen zurück, die du liebst, und geh fort mit ihnen.« Florian versuchte, seinen Worten Nachdruck zu verleihen, doch mit einem Mal wirkte er beinahe jungenhaft und gar nicht wie ein entschlossener Grenzwächter.

Insgeheim bewunderte Lud seinen Herrn für dessen Mut und lächelte. »Ich schlage eine Wette vor, Florian«, sagte er in aufmunterndem Ton. »Du schlägst dich linker Hand in den Wald, ich rechter Hand. Und ich wette, dass ich dreimal so viele Wachen und Magistrate erschlage wie du, ehe sie davonlaufen.«

Florian lachte trocken auf und wandte sich seinem Vogt zu. »Und wie sollen wir die Wette begleichen? Im Jenseits?«

»Der Lohn derer von Geyer wird mir willkommen sein, sogar in der Ewigkeit«, scherzte Lud, und sein Lächeln wurde breiter.

»Dann werde ich dir einen hübschen heißen Stein freihalten.«

Waldo, der sich im Hintergrund gehalten hatte, schnalzte mit der Zunge. Lud horchte und vernahm Hufschlag, von der Straße, die nach Giebelstadt führte.

Sie blickten zurück und gewahrten einen Reiter, hinter dem langsam die Sonne aufging. Noch waren Ross und Reiter wie ein Schatten. Lud umschloss den Griff seines Schwerts mit einer Hand, doch schließlich erkannte er den Reiter.

Es war Witter, außer Atem und mit geröteten Wangen. Er brachte sein Pferd zum Stehen, das heftig schnaubte. Er trug einen Mantel, hatte jedoch weder Rüstung noch Waffen bei sich. Langsam lenkte er sein Pferd zu den anderen. Lud spürte, wie ihm Hitze ins Gesicht schoss. Warum war Witter nicht bei Kristina?

Florian schüttelte fast nachsichtig den Kopf. »Bist du gekommen, um für uns zu beten?«

»Ich … ich weiß es … nicht«, brachte Witter schwer atmend hervor.

»Hau ab, Mann«, fuhr Lud ihn scharf an. »Reite zurück und kümmere dich um Kristina.«

»Ja«, schloss sich Florian dem Rat seines Vogts an. »Wenn deine Gebete deine einzige Waffe sind, dann reite zurück ins Dorf. Aber nimm das hier mit.« Er reichte Witter das kurze Schwert, das in den Reihen der Landsknechte gemeinhin als Mönchsschrecken bezeichnet wurde. Witter nahm die Waffe zögerlich entgegen, als fasse er eine Schlange an. »Aber gib Acht, mit dieser Klinge kannst du dir die Haare vom Arm rasieren.«

»Dann sollte er vielleicht doch besser beten«, fügte Lud halb im Scherz hinzu.

Florian verzog den Mund zu einem Grinsen. So ist es oft gewesen, dachte Lud. Vor einer Schlacht scherzten die Männer für gewöhnlich und zogen sich gegenseitig auf. Derbe Zoten waren dann keine Seltenheit. Doch die Soldaten taten dies, um ihre eigene Furcht zu überspielen. Lud fühlte sich Florian verbunden, im Geiste und im Schwertarm.

»Dein Vater Dietrich hat immer gesagt: ›Vor dem Kampf sollst du beten, nach dem Kampf jubeln!‹«

»Er glaubte an das Leben«, sagte Florian und fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. »Die Priester wollen für uns beten, auch in der Stunde unseres Todes. Aber mein Vater, er glaubte immer an das Leben.«

Florian und Lud tauschten einen wehmütigen Blick.

»Ich wünschte, er wäre jetzt hier«, sagte Florian leise.

»Er ist hier bei uns«, bekräftigte Lud. »Alles, was er hatte, gab er weiter an seinen Sohn und Erben.«

Florian streckte den Arm aus und legte Lud die behandschuhte Hand auf den gepanzerten Unterarm. Aus Luds Sicht bedurfte es keiner Worte; der dankbare Blick, mit dem Florian ihn in diesem Moment bedachte, war Lud mehr als genug. Lud wollte dieses Band der Treue bestärken, sah seinem Herrn entschlossen in die Augen und verzog den Mund zu einem Lächeln, bei dem sich die Pockennarben auf seinen Wangen spannten.

»Alle Menschen sind Brüder«, sagte Florian. »Das war der Traum meines Vaters.«

»Ein schöner Traum«, meinte Lud. »Doch ich wünschte, ich könnte aufwachen.«

Als sie Hundegebell hörten, drehten sich alle in ihren Sätteln um. Die Meute aus dem Dorf hatte sie eingeholt. Keuchend und mit hängenden Zungen liefen sie noch ein Stück weiter, um kehrtzumachen und sich bei den Pferden zu tummeln. Dort schnupperten sie an den Pferden, ehe sie sich innerhalb ihres Rudels beschnupperten. Ihre Schwänze waren immerzu in Bewegung, und so winselten und jaulten sie und blickten mit großen Augen zu den Reitern auf, begierig auf ein lobendes Wort. Die Pferde schnaubten und tänzelten ein wenig vor und zurück, doch sie waren Hunde gewohnt. Als dann einer der kleineren Hunde in seinem Übermut ein Bein hob und Luds Pferd ans Bein pinkelte, vertrieb Ox den Frechdachs mit einem energischen Tritt. Jaulend verzog sich der Hund.

Waldo gab Laute von sich, die wie ein abgehacktes Lachen klangen. Er war zwar stumm, aber er konnte lachen. Mit diesem ungewöhnlichen Lachen schwand etwas von der Anspannung, die in der Luft lag.

Lud ließ sich von dem Lachen anstecken.

»Wir geben einen herzerfrischenden Anblick ab!«, sagte Florian und lachte ebenfalls.

»Ja, die Bastarde werden sich umso mehr vor uns fürchten«, fügte Lud hinzu.

Sie steigerten sich in das Lachen hinein, selbst Witter konnte nicht anders und lachte mit.

»Das ganze Dorf ist auf den Beinen«, erklärte Witter schließlich.

Das Lachen erstarb.

»Was sagst du?« Florian sah ihn ungläubig...