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Gesetze sind wie Spinnennetze

Margaret Millar

 

Verlag Diogenes, 2016

ISBN 9783257607376 , 408 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

{72}Donnelly


In der Schule hatte man Charles Donnelly für den Schüler mit den größten Erfolgsaussichten gehalten. Auch im College war er dann der Mann mit den größten Erfolgsaussichten gewesen. Die Juristische Fakultät verließ er als Zweitbester seines Jahrgangs, und schließlich hatte er seinen Erfolg – er heiratete eine Kupfererbin. Die Computerrevolution antizipierend, verwandelte er einen großen Teil des Kupfers in Gold, war mit dreißig Jahren bereits Millionär und entdeckte sodann, daß Geld ihn langweilte. Deshalb wandte er sich wieder der Rechtspraxis zu und spezialisierte sich auf Strafsachen.

Er hatte stets Spaß an der Herausforderung, sich am System zu messen, und seine glücklichsten Stunden verbrachte er entweder in der Bibliothek des Gerichts, wo er frühere Prozesse einsehen konnte, oder allein in seinem Büro bei der Aus- oder Überarbeitung eines Schriftsatzes.

Er arbeitete sehr häufig nachts, manchmal zusammen mit Bill Gunther, mit dem er dann über anstehende Fälle diskutierte oder der ihm von den Ergebnissen seiner Nachforschungen berichtete, die er gerade für ihn anstellte.

Es war auch Gunther gewesen, der ihn auf Cully King aufmerksam gemacht hatte.

»Heute abend wurde ein Schwarzer wegen Mordes geschnappt«, sagte Gunther. »Haben Sie davon gehört?«

{73}»Nein. Interessant?«

»Na ja, jedenfalls nicht die übliche Abstecherei bei Raufereien in Bars oder Kneipen. Da wurde jemand auf See ertränkt.«

»Wer wurde ertränkt?«

»Die Frau eines Ölmanagers aus Bakersfield.«

Gunther hatte eine ruhige Stimme, die ihn im Verein mit seiner zarten, blassen Haut und seiner metallgefaßten Brille eher wie einen Gelehrten erscheinen ließ – ein Bild, das so gar nicht zu dem eines Ex-Polizisten aus Las Vegas paßte. Er war nach Santa Felicia gegangen, um dem Glücksspiel zu entkommen, das in Las Vegas so untrennbar zum Leben dazugehörte. Hier in Santa Felicia beschränkte sich alles auf die Wetten bei Pferderennen, Boxkämpfen, Football- oder Basketballspielen und auf ein gelegentliches Lotteriespiel. Er verlor noch immer viel, aber nicht mehr ganz so viel und ganz so oft wie früher.

Donnelly sagte: »Haben Sie den Mann gesehen?«

»Ja.«

»Irgendeinen Eindruck?«

»Nicht eigentlich. Eher so ’ne Art Neugier. Ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern, bei dem ein Schwarzer festgenommen wurde, weil er eine Frau auf See ertränkt hatte.«

»War die Frau weiß?«

»Ja.«

Donnelly machte eine Pause und sagte dann: »Finden Sie ein wenig mehr darüber raus und berichten Sie mir.«

»Wann?«

»Heute abend.«

{74}»Aber es ist schon fast elf.«

»Sie haben doch Ihre Verbindungen. Nutzen Sie sie.«

»Ich hatte eher an ein Mittagessen gedacht.«

»Billy, mein Junge, dann sind halt gerade Ihre Prioritäten neu festgelegt worden. Erst die Arbeit, dann das Essen.«

 

Donnellys Frau hatte ihren Namen Alexandra in Zandra umgewandelt, ihr braunes Haar in blondes und ihren fülligen Leib in einen dürren. Sie machte jedoch keinerlei Versuch, sich von jener Angewohnheit zu trennen, die ihren Mann am meisten irritierte. Wie so vielen wohlhabenden Leuten war ihr eine gewisse Knauserigkeit eigen, die Donnelly anfangs noch amüsant gefunden hatte. Sie handelte stets mit allen Geschäftsinhabern und wenn sie ein 800 Dollar teures Kleid für 750 Dollar bekam, dann meinte sie, ein Schnäppchen gemacht zu haben und gab überall damit an. Sie schnitt Coupons aus Zeitungen und Zeitschriften aus, die Einführungsangebote, doppelte Mengen zum einfachen Preis und Sonderangebote verhießen, und schickte dann die Köchin in der ganzen Stadt herum, damit sie diese preisgünstigen Angebote nutze.

Donnelly wies sie immer wieder darauf hin, daß ihre Schnäppchen keine echten Schnäppchen waren. »Du sparst ein paar Dollar beim Kauf von Lebensmitteln, gibst dafür aber drei- oder viermal so viel für Benzin aus.«

Ihre Antwort kam triumphierend: »Wir haben doch Ölaktien. Verstehst du nicht? … Ich investiere. Benzin wird aus Öl gewonnen, und wenn ich tanke, dann investiere ich einfach. Siehst du das nicht?«

»Ich sehe in deinem Argument bloß den Anschein von {75}Logik. Traurigerweise basiert er auf einer falschen Prämisse.«

»Was soll das heißen?«

»Wir haben gar keine Ölaktien.«

»Aber natürlich haben wir welche. Wir müssen einfach. Jeder hat welche.«

Er zuckte die Achseln, drehte sich um und wollte gehen. Sie streckte eine Hand aus, um ihn aufzuhalten. Sie trug einen jener fließenden Seidenkaftane, die sie für gewöhnlich zu Hause trug. Als sie die Hand ausstreckte, um ihn am Gehen zu hindern, glitt der Ärmel des Kaftans zurück und ihr Arm wurde sichtbar. Er war so abgemagert, daß Donnelly den Oberarm mit Daumen und Mittelfinger hätte umspannen können. Was ihn umhüllte, sah nicht wie Fleisch aus, sondern wie Papier, das um einen Knochen gewickelt war, den man dem Hund mitbringen wollte.

Sie saßen im Wohnzimmer im Obergeschoß, das kleiner und freundlicher war als das förmlichere unten. Drei unabgelagerte Eukalyptusscheite brannten im Kamin und zischten und knisterten und verströmten ihren Lebenssaft an ihren jeweiligen Enden. Funken flogen gegen das Schutzgitter wie eingesperrte Vögel.

Er stand am Fenster und kehrte dem Raum, ihr und ihrem ganzen gemeinsamen Leben den Rücken zu.

»Du nimmst wieder diese Diätpillen«, sagte er.

»Das ist der erste Abend seit Wochen, den du mal wieder zu Hause bist, und den willst du dadurch verderben, daß …«

»Wie viele?«

»Ich nehme hier und da mal eine. Nicht regelmäßig.«

{76}»Zeig mir das Fläschchen.«

»Das werde ich ganz bestimmt nicht tun. Wenn ein Mann seiner Frau nicht genug vertrauen kann, um ihrem Wort zu …«

»Wie viele nimmst du, Zan?«

»Eine am Tag. Vielleicht auch zwei.«

»Warum?«

»Du weißt sehr gut, wie leicht ich zunehme. Ich brauche doch bloß an einem Schokoladenplätzchen vorbeizugehen und habe schon wieder ein Pfund drauf. Die Pillen helfen mir. Sie lassen mich mich wohlfühlen.«

»Sie lassen dich aber gar nicht gut aussehen.«

»Wie willst du das denn wissen? Du schaust mich ja doch nie an.«

»Jetzt sehe ich dich an, und du siehst krank aus.«

Sie fing an zu zittern, dann zu schwanken. Um das Gleichgewicht zu halten, stützte sie sich auf die Lehne des Sofas. Dann bewegte sie sich tastend daran entlang wie eine Blinde, bis sie an seinem Ende angelangt war und in die Kissen sank.

»Du gemeiner Hund. Du mochtest mich nicht, als ich fett war, jetzt magst du mich nicht, weil ich dünn bin.«

»Ich mag nicht, wenn du von Amphetaminen abhängig bist.«

»Ich bin nicht süchtig.«

»Warum nimmst du sie dann?«

»Das sagte ich doch schon. Ich fühle mich dann wohl. Der Himmel weiß, daß ich was brauche, um mich wohlzufühlen. Ich hab keine Kinder, keinen Mann …«

»Such dir ein Hobby.«

{77}»Ein Hobby statt ’nem Mann. Wie schlau.« Sie imitierte seinen ebenmäßigen, ruhigen Ton. »Such dir ein Hobby. Mein Gott, kein Wunder, daß ich krank aussehe. Du machst mich krank, nicht die Pillen.«

Er zog das Schutzgitter beiseite und schob mit dem Fuß eines der Holzscheite zurecht. Funken stoben auf. Einer landete auf dem Kaminvorleger, und er stand da und sah ihn glühen und fragte sich mit einem eigentümlichen Gefühl der Erregung, ob sich die Glut wohl ausbreiten und den ganzen Teppich, den Couchtisch, das Sofa, die Vorhänge, das Zimmer, das ganze Haus entzünden würde. Dann erinnerte er sich an die Feuerwarnanlage, die Zan in fast allen Räumen hatte installieren lassen, und setzte den Fuß auf das Stückchen Glutasche. Es hinterließ nur eine kleine Wunde, die allenfalls von einem der namenlosen Mädchen bemerkt werden würde, wenn es das nächste Mal hier staubsaugte.

Er sagte: »Wie viele Ärzte trickst du aus?«

»Ich trickse überhaupt niemanden aus. Ich habe meinen Hausarzt, und das ist Dr. Stoddard. Er hält viel davon, das Gewicht unter Kontrolle zu halten.«

»Stoddard verschreibt keine Amphetamine. Woher kriegst du sie also?«

»Das geht dich gar nichts an.«

»Ich kann’s natürlich rauskriegen.«

»Na klar, setz Gunther auf mich an.«

»Gunther hat Wichtigeres zu tun.«

Aber noch während er sprach, fragte er sich, ob das stimmte. Gunther war ihm dabei behilflich, das Leben eines Menschen zu retten, aber Zans Leben mochte ja ebenso in Gefahr sein wie das Cully Kings. Von den beiden hatte {78}Cully die besseren Chancen. Er wollte leben – Zan dagegen schien das Interesse am Leben völlig verloren zu haben.

»Zan, bitte hör mir mal zu.«

»Nein, geh. Laß mich in Ruhe. Geh ins Büro oder sonstwohin.«

Sie hatte sich in die Kissen vergraben, den Kaftan eng um sich geschlungen, als wenn sich die Seide in ihren Urzustand, in einen Kokon, zurückverwandelt hätte. Nur ihr Gesicht war zu sehen, dessen Blässe und eingefallene Wangen ihre Augen riesengroß aussehen ließen. Sie waren so grau wie Sturmwolken.

Der einzige Laut im Zimmer kam von den Eukalyptusscheiten, die noch immer gegen das Feuer ankämpften.

Dann fing Zan an zu sprechen, mit sanfter, trauriger Stimme, wie er sie schon lange nicht mehr hatte sprechen hören. »Warum können wir uns nicht wie zwei nette, ganz normale Menschen miteinander unterhalten?«

»Vielleicht weil wir keine netten, ganz normalen Menschen sind.«

»Wir könnten’s doch mal...