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Die Küste der Barbaren

Ross Macdonald

 

Verlag Diogenes, 2016

ISBN 9783257607659 , 256 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

2


Ich ließ meinen Wagen auf dem asphaltierten Parkplatz vor dem Hauptgebäude stehen. Ein rotlackierter Weihnachtsbaum hing verkehrt herum über dem Eingang. Das Clubhaus war eine Art Fachwerkhaus aus Natursteinen und Holz und hatte ein flaches Dach. Seine langgestreckten Linien und die schlichte Form täuschten – erst als ich hineinkam, merkte ich, wie groß es war. Durch die rückwärtige Glastür der Vorhalle konnte ich das fünfzig Meter lange Schwimmbecken sehen, das zwischen den U-förmigen Flügeln des Gebäudes lag. Zur See hin war der Blick frei – nichts als blauleuchtende Helle bis zum Horizont.

Die Tür war abgeschlossen. Niemand war zu sehen außer einem jungen Schwarzen, den eine knappe weiße Badehose in zwei Teile teilte. Er säuberte den Boden des Schwimmbeckens mit einem langstieligen Unterwasser-Reinigungsgerät. Mit einem Geldstück klopfte ich an die Glasscheibe.

Es dauerte eine Weile, bis er mich hörte und herangetrabt kam. Mit dunklen, gescheiten Augen sah er mich von oben bis unten an; er schien alle Welt in zwei Gruppen einzuteilen: in die Reichen und die nicht ganz so Reichen. Anscheinend zählte er mich zur zweiten Gruppe. Als er die Tür aufschloß, sagte er:

»Wenn Sie Vertreter sind, haben Sie sich eine schlechte Zeit ausgesucht. Wir haben jetzt sowieso tote Saison, und Mr. Bassett hat eine Stinklaune. Eben hat er mich schon {10}angepfiffen. Ich kann doch nichts dafür, daß sie die Tropenfische in das Schwimmbecken geschmissen haben.«

»Wer macht denn so was?«

»Die Leute gestern abend. Das gechlorte Wasser hat ihnen den Rest gegeben, den armen Viechern. Und jetzt muß ich sie rausholen. Die Leute veranstalten ’ne Party und besaufen sich, und dann ist ihnen alles egal. Und jetzt soll ich es ausbaden, denkt sich Mr. Basset.«

»Ach, machen Sie sich nichts draus. Meine Kunden haben immer schlechte Laune, wenn sie mich bestellen.«

»Sind Sie von ’ner Beerdigungsfirma oder so was Ähnliches?«

»Ja, so was Ähnliches. Gehört Bassett der Laden hier?«

»Das könnte man meinen, wenn man ihn so reden hört; aber der Club gehört den Mitgliedern, er ist nur der Manager.«

Der jugendliche Bademeister ging voran, und ich folgte ihm nach. Schließlich gelangten wir an eine Tür mit der Aufschrift ›Manager‹. Er klopfte. Eine schrille Stimme antwortete. Als ob Kreide auf einer feuchten Schiefertafel entlangquietschte … Ich bekam richtig eine Gänsehaut.

»Wer ist da?«

»Archer«, sagte ich zu dem Bademeister.

»Mr. Archer möchte Sie sprechen.«

»Gut. Augenblick.«

Der Bademeister blinzelte mir zu und trabte davon, seine Füße klatschten auf den Fliesen. Ein Schlüssel bewegte sich im Türschloß, und die Tür ging einen Spalt weit auf. In dem Spalt tauchte ein Gesicht auf, ein bißchen unterhalb meines eigenen. Die Augen waren hell und standen zu weit auseinander; sie traten etwas hervor, wie Fischaugen. Dem dünnen, altjüngferlichen Mund entfuhr ein Seufzer.

»Gott sei Dank, daß Sie da sind. Bitte, kommen Sie rein.«

Er schloß hinter mir die Tür wieder ab und bot mir mit nervös-übertriebener Geste einen Stuhl vor dem Schreibtisch {11}an. Er selber setzte sich hinter den Schreibtisch, griff nach einem schweinsledernen Tabakbeutel und fing an, eine große Bruyère-Pfeife mit dunklem, englischem Tabak zu stopfen. Pfeife und Tabak paßten zu seinem Jackett aus Harris Tweed, den Oxford-Hosen, den plumpen, dicksohligen Schuhen und zu seinem New England-Akzent.

Obwohl sein braunes Haar prima gefärbt war und er eine lebhafte Gesichtsfarbe hatte, schätzte ich ihn auf beinahe sechzig. Ich sah mich in seinem Büro um. Es war fensterlos und wurde durch eine Klimaanlage belüftet. Das Licht kam aus irgendwelchen unsichtbaren Leuchtröhren. Die Möbel waren dunkel und wuchtig. An den Wänden hingen Fotos von Segeljachten mit voller Takelung und von Tennisspielern, die einander mit gezwungenem Lächeln gratulierten. Auf dem Schreibtisch standen, gestützt von zwei schwarzen Marmorelefanten, ein paar Bücher.

Bassett steckte seine Pfeife mit einem Gasfeuerzeug an und atmete eine blaue Rauchwolke aus: »Ich habe gehört, daß Sie, Mr. Archer, ein sehr tüchtiger Leibwächter sind.«

»Kann schon sein. Solche Aufträge übernehme ich nur selten.«

»Aber man hat mir gesagt … Warum nur selten?«

»Weil man dann so einen ekelhaften Kerl zu dicht auf der Pelle hat. Meistens wollen sie einen Leibwächter, weil sie einfach niemand haben, der mit ihnen redet. Oder sie bilden sich sonst was ein.«

Er grinste gezwungen. »Das kann ich nicht gerade als Kompliment auffassen. Oder vielleicht sollte ich es nicht so verstehen?«

»Sie haben also Bedarf an einem Leibwächter?«

»Ich weiß es noch nicht recht.« Er überlegte seine Worte genau: »Ehe sich die Dinge nicht entwickelt haben, kann ich noch gar nicht sagen, was ich brauche. Oder warum.«

»Wer hat mich Ihnen denn empfohlen?«

»Ein Clubmitglied hat vor längerer Zeit einmal mir {12}gegenüber Ihren Namen erwähnt. Es war übrigens Joshua Severn, der Fernsehproduzent. Er hält große Stücke auf Sie.«

»Ach du liebe Zeit.« Wenn die Leute einem Schmeicheleien sagen, heißt das immer, daß sie selber auch welche hören wollen. »Und warum brauchen Sie einen Detektiv, Mr. Bassett?«

»Weil ich mich bedroht fühle. Ein junger Mann hat mich gestern angerufen … Sie hätten nur mal hören sollen, was er alles gesagt hat.«

»Sie haben also schon mit ihm gesprochen?«

»Nur knapp eine Minute, gestern abend. Hier war eine Party im Gange – unsere Nach-Weihnachts-Party, wie jedes Jahr –, und er hat von Los Angeles angerufen. Er hat mir gedroht, er kommt hierher und schlägt mich zusammen, wenn ich ihm nicht etwas Bestimmtes … wenn ich ihm nicht sage, was er wissen will. Es hat mich schrecklich aufgeregt.«

»Hm. Was will er denn von Ihnen wissen?«

»Etwas, wovon ich überhaupt nichts weiß. Ich fürchte, er ist jetzt draußen vorm Haus und lauert mir auf. Die Party ging bis heute früh, da bin ich gar nicht erst nach Hause gegangen. Heute morgen hat mich der Pförtner angerufen. Da wäre ein junger Mann, sagte er, der mich sprechen will. Ich hab ihm gesagt, er soll ihn nicht reinlassen. Und dann, als ich meine fünf Sinne wieder beieinander hatte, habe ich Sie angerufen.«

»Und was erwarten Sie nun konkret von mir?«

»Schaffen Sie ihn mir vom Hals. Sie wissen doch, wie man so etwas macht. Keine Gewalt, das möchte ich natürlich nicht – außer, wenn es gar nicht anders geht.« Seine Augen glühten schwach durch neue Rauchwolken. »Es könnte allerdings notwendig werden. Haben Sie eine Waffe bei sich?«

»Im Wagen habe ich eine. Ich verleihe Sie aber nicht.«

»Das meine ich ja nicht. Sie mißverstehen mich, alter Freund. Na ja, vielleicht habe ich mich auch nicht ganz klar ausgedrückt. Niemand hat eine so große Abscheu vor {13}Gewaltanwendung wie ich. Ich meinte nur, daß eine Waffe … daß Sie eine Waffe brauchen könnten, um sanften Druck auszuüben. Bringen Sie ihn doch zum Bahnhof, oder besser noch zum Flughafen und setzen Sie ihn in ein Flugzeug.«

»Bedaure, das geht nicht.« Ich stand auf.

Er folgte mir zur Tür und faßte mich am Arm. Seine Anbiederei war mir ekelhaft, und ich schüttelte ihn ab.

»Hören Sie zu, Archer. Ich bin nicht reich, aber ich habe ein bißchen was auf der hohen Kante. Ich bin bereit, Ihnen dreihundert Dollar zu zahlen, wenn Sie mir den Kerl beseitigen.«

»Beseitigen, haben Sie gesagt?«

»Ohne Gewaltanwendung, versteht sich.«

»Tut mir leid. Nichts zu machen.«

»Fünfhundert Dollar.«

»Ausgeschlossen. Was Sie von mir verlangen, ist nach kalifornischem Gesetz Kidnapping.«

»Großer Gott, das habe ich doch nicht gemeint.« Er war wirklich erschrocken.

»Überlegen Sie sich das genau, Mr. Bassett. Für einen Mann in Ihrer Position sind Sie ziemlich schwach in Rechtskunde. Zeigen Sie ihn doch an – warum soll sich eigentlich die Polizei nicht darum kümmern? Sie sagen doch, er bedroht Sie.«

»Ja, schon. Er hat sogar gedroht, mich mit der Reitpeitsche … Aber mit so etwas kann man doch nicht gut zur Polizei gehen.«

»Natürlich kann man das.«

»Nein, auf gar keinen Fall. Ich mache mich ja zum Gespött in ganz Kalifornien. Ich bin Manager und Schriftführer von einem sehr, sehr exklusiven Club. Die besten Familien hier an der Küste vertrauen mir ihre Kinder, ihre Töchter an. Ich muß über jeden Verdacht erhaben sein – wie Cäsars Weib, Sie wissen doch.«

»Und in welchen Verdacht könnten Sie geraten?«

Calpurnia nahm die Pfeife aus dem Mund und blies einen zittrigen Rauchring von sich.

{14}»Kann ich mich auf Sie verlassen – wirklich verlassen?«

»Solange alles im Rahmen der Gesetze bleibt …«

»Ach, Himmel noch mal, es bleibt ja im Rahmen der Gesetze! Ich bin eben ein bißchen in der Klemme, aber es ist nicht meine Schuld. Es geht nicht darum, daß ich irgend etwas getan habe, sondern darum, daß die Leute glauben könnten, ich hätte was getan. Es handelt sich nämlich um eine Frau …«

»Etwa die Frau von George Wall?«

Sein Gesicht ging aus dem Leim. Er klemmte die Pfeife zwischen die Zähne, aber das Zucken der Gesichtsmuskeln konnte er nicht unterdrücken.

»O Gott, Sie kennen sie? Weiß denn alle Welt schon …?«

»Alle Welt wird es bald wissen, wenn George Wall noch länger draußen herumlungert. Er ist mir übern Weg gelaufen, als ich...