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Der blaue Hammer

Ross Macdonald

 

Verlag Diogenes, 2016

ISBN 9783257607697 , 432 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

2


Ruth Biemeyer lehnte im Türrahmen und bot mir ihren Körper im Profil dar. Jung war er nicht mehr, aber das Tennis und vielleicht auch der Groll hielten ihn in Form.

»Ist Ihr Mann immer so drauf?«

»Nicht immer. Aber im Moment macht er sich Sorgen.«

»Um das verschwundene Bild?«

»Das ist auch ein Grund.«

»Was denn noch?«

»Vielleicht hat auch das mit dem Bild zu tun.« Sie zögerte. »Unsere Tochter Doris studiert an der Universität und verkehrt dort mit Leuten, die unserer Ansicht nach kein Umgang für sie sind. Sie wissen ja, wie das ist.«

{12}»Wie alt ist Doris?«

»Zwanzig. Sie ist im dritten Semester.«

»Und lebt bei Ihnen?«

»Leider nein. Doris ist vor einem Monat ausgezogen, zum Beginn des Herbstsemesters. Wir haben ihr eine Wohnung im Studentendorf besorgt, unweit des Campus. Ich hätte sie natürlich lieber hierbehalten, aber sie meinte, sie hätte ein Recht auf ihren eigenen Lebensstil, genau wie Jack und ich. Sie hat sich an Jacks Trinkgewohnheiten gestört. An meinen auch, wenn Sie’s genau wissen wollen.«

»Nimmt Doris Drogen?«

»Das kann ich mir nicht vorstellen. Jedenfalls nicht regelmäßig.« Sie wurde für einen Moment still, während sie sich das Leben ihrer Tochter auszumalen versuchte, das ihr offenbar nicht geheuer war. »Ich bin nicht gerade begeistert über einige der Leute, mit denen sie sich abgibt.«

»Haben Sie jemand Bestimmtes im Auge?«

»Es gibt da einen Jungen namens Fred Johnson, den sie schon mal mit nach Hause gebracht hat. Ein ziemlich in die Jahre gekommener Junge, er muss mindestens dreißig sein. Einer von diesen ewigen Studenten, die an der Uni hängenbleiben, weil ihnen die Atmosphäre gefällt – und die Möglichkeit, junge Mädchen abzuschleppen.«

»Haben Sie ihn in Verdacht, Ihr Bild gestohlen zu haben?«

»So weit würde ich nicht gehen wollen. Aber er interessiert sich für Kunst. Er macht Führungen im {13}Kunstmuseum und besucht Kunstseminare am College. Mit Richard Chantrys Namen war er vertraut, ja er schien sogar recht gut über ihn Bescheid zu wissen.«

»Müsste man nicht annehmen, dass das für alle hiesigen Kunststudenten gilt?«

»Zugegeben. Doch Fred Johnsons Interesse an diesem Bild war außerordentlich groß.«

»Können Sie mir diesen Fred Johnson näher beschreiben?«

»Ich will’s versuchen.«

Ich schlug erneut mein Notizbuch auf und stützte mich auf den Rollschreibtisch. Sie saß im Drehstuhl, mir zugewandt.

»Haarfarbe?«

»Rötlich blond. Er trägt die Haare ziemlich lang. Oben am Scheitel sind sie schon ein bisschen ausgedünnt. Aber das macht er durch seinen Schnurrbart wett, so eine richtig breite Bürste. Seine Zähne sind nicht besonders gut. Seine Nase ist zu lang.«

»Welche Augenfarbe? Blau?«

»Eher grünlich. Seine Augen sind das, was mich wirklich stört. Er sieht einen nie direkt an, jedenfalls mich nicht.«

»Groß oder klein?«

»Mittel. Einsfünfundsiebzig, würde ich schätzen. Recht schlank. Im Großen und Ganzen sieht er nicht schlecht aus, wenn man den Typ mag.«

»Und Doris mag den Typ?«

»Ich fürchte, ja. Ihr gefällt dieser Fred Johnson mehr, als mir lieb ist.«

{14}»Und Fred gefiel das verschwundene Bild?«

»Es hat ihm mehr als nur gefallen. Es schlug ihn völlig in den Bann. Er hat dem Bild viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt als meiner Tochter. Ich hatte fast den Eindruck, dass er wegen des Bildes gekommen war, nicht wegen Doris.«

»Hat er sich irgendwie darüber geäußert?«

Sie zögerte. »Er meinte, es sähe so aus wie eins von Richard Chantrys Erinnerungsbildern. Ich habe ihn natürlich gefragt, was das heißen soll. Er sagte, es sei wahrscheinlich eins von mehreren Chantrys, die nicht nach einem Modell gemalt wurden, sondern nach der Erinnerung. Er schien der Ansicht zu sein, dass es dadurch an Exklusivität und Wert gewinnt.«

»Hat er über den Wert gesprochen?«

»Er hat mich gefragt, wie viel ich dafür bezahlt hätte. Ich hab’s ihm nicht verraten – das ist mein eigenes kleines Geheimnis.«

»Geheimnisse sind bei mir gut aufgehoben.«

»Und bei mir erst.« Sie zog die oberste Schublade des Rollschreibtisches auf und entnahm ihr ein örtliches Telefonbuch. »Sie wollten Paul Grimes anrufen, nicht wahr? Sie können sich aber jeden Versuch sparen, ihm den Preis zu entlocken. Ich habe ihn zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet.«

Ich notierte mir die Telefonnummer des Händlers und seine Adresse in der Unterstadt. Dann wählte ich die Nummer. Eine Frauenstimme meldete sich, sie klang kehlig, exotisch. Sie sagte, Grimes sei momentan mit einem Kunden beschäftigt, hätte aber in Kürze Zeit für {15}mich. Ich nannte ihr meinen Namen und sagte, ich würde später vorbeischauen.

Ruth Biemeyer flüsterte mir eindringlich ins freie Ohr: »Sagen Sie ihr nichts von mir.«

Ich legte auf. »Wer ist denn das?«

»Ich glaube, sie heißt Paola. Sie bezeichnet sich als seine Sekretärin. Es würde mich aber nicht wundern, wenn ihre Beziehung intimerer Natur wäre.«

»Ihr Akzent, wo kommt der her?«

»Arizona. Ich glaube, sie hat einiges indianisches Blut in den Adern.«

Ich warf einen Blick auf das Foto von dem Loch, das Jack Biemeyer in die Landschaft von Arizona gebohrt hatte. »Dieser Fall entwickelt einen auffälligen Lokalbezug. Sagten Sie nicht, dass auch Richard Chantry von dort stammt?«

»Ja, das ist richtig. Wir alle kommen von dort. Sind aber alle hier in Kalifornien gelandet.«

Sie sagte das ganz nüchtern, ohne Wehmut für den Staat, den sie verlassen hatte, und ohne Begeisterung für den Staat, in dem sie jetzt lebte. Sie klang wie eine enttäuschte, desillusionierte Frau.

»Warum sind Sie nach Kalifornien gekommen, Mrs. Biemeyer?«

»Sie wollen mit dieser Frage wahrscheinlich auf etwas hinaus, was mein Mann vorhin gesagt hat: dass dies Richards Stadt sei, oder gewesen sei, und ich mich nur aus diesem Grund hier niederlassen wollte.«

»Ist es wahr?«

»Wahrscheinlich ist ein bisschen was dran. Richard {16}war der einzige gute Maler, mit dem ich jemals näher bekannt war. Er hat mir buchstäblich die Augen geöffnet. Mir gefiel die Vorstellung, dort zu leben, wo er seine besten Werke schuf. Er schuf sie alle binnen sieben Jahren, und dann verschwand er.«

»Wann war das?«

»Wenn Sie das genaue Datum wissen wollen: Es war der 4. Juli 1950

»Sind Sie sicher, dass er aus eigenem Antrieb verschwunden ist? Er wurde nicht womöglich ermordet oder entführt?«

»Das kann nicht sein. Er hat doch seiner Frau einen Brief hinterlassen.«

»Lebt sie noch in der Stadt?«

»Und ob. Sie können sogar ihr Haus von diesem Grundstück aus sehen. Es liegt gegenüber auf der anderen Seite der Barranca.«

»Kennen Sie sie?«

»Früher, in unserer Jugend, war ich ganz gut mit Francine bekannt. Wir haben uns aber nie besonders nahegestanden. Seit wir hierhergezogen sind, habe ich sie kaum noch gesehen. Warum fragen Sie?«

»Ich würde mir den Brief, den ihr Mann hinterlassen hat, gern mal ansehen.«

»Ich habe ein Faksimile. Das kann man im Kunstmuseum kaufen.«

Sie ging aus dem Zimmer und kehrte mit dem Brief zurück. Er war in Silber gerahmt. Sie stand vor mir, ihre Lippen bewegten sich, als betete sie ihn sich noch einmal vor.

{17}Dann trennte sie sich davon. Bis auf die Unterschrift war der Brief mit Maschine geschrieben und auf den 4. Juli 1950 in Santa Teresa datiert.

Liebe Francine!

Dies ist ein Abschiedsbrief. Es bricht mir das Herz, Dich zu verlassen, doch mir bleibt keine Wahl. Oft schon haben wir darüber gesprochen, dass ich zu neuen Horizonten aufbrechen muss, um jenes Licht zu finden, das mir bislang weder an Land noch auf See beschieden war. Diese liebliche Küste hat mir, wie einst auch Arizona, alles offenbart, was sie zu offenbaren hatte.

Genau wie Arizona ist auch diese Gegend hier zu jung, hat zu wenig Geschichte, um das große Werk zu befördern, für das ich geschaffen bin. So muss ich denn anderswo nach tieferen Wurzeln suchen, nach einer abgründigeren Dunkelheit, einem durchdringenderen Licht. Und wie Gauguin habe ich beschlossen, dass ich allein auf die Suche gehen muss. Denn nicht nur die physische Welt gilt es zu erforschen, sondern ebenso die verborgenen Kammern und Stollen meiner Seele.

Ich nehme nichts mit auf meinen Weg als die Kleider, die ich am Leibe trage, mein Talent und meine Erinnerungen. Ich bitte Dich, meine liebe Frau, und Euch, teure Freunde, behaltet mich in liebevoller Erinnerung. Ich folge nur meiner Bestimmung.

Richard Chantry

{18}Ich gab Ruth Biemeyer den gerahmten Brief zurück. Sie drückte ihn an sich. »Ein wunderschöner Brief, nicht wahr?«

»Ich weiß nicht recht. Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Für Chantrys Frau muss es ein gehöriger Schock gewesen sein.«

»Sie scheint ihn sehr gut verwunden zu haben.«

»Haben Sie je mit ihr darüber gesprochen?«

»Nein.« Dem scharfen, kurz angebundenen Ton entnahm ich, dass sie und Mrs. Chantry wirklich keine Freundinnen waren. »Aber sie scheint den ererbten Ruhm durchaus zu genießen. Ganz zu schweigen von dem Geld, das er ihr hinterlassen hat.«

»War Chantry womöglich lebensmüde? Hat er je von Selbstmord gesprochen?«

»Nein, wo denken Sie hin.« Nach kurzem Schweigen fügte sie jedoch hinzu: »Sie müssen bedenken, dass ich Richard gekannt habe, als er noch sehr jung war. Ich selber war sogar noch jünger. Seit über dreißig...