dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Mein Mann, seine Frauen und ich - Roman nach einer wahren Geschichte

Hera Lind

 

Verlag Diana Verlag, 2017

ISBN 9783641203092 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

2

Nürnberg, Oktober 1995

»Auf Gleis drei fährt ein: der ICE aus Amsterdam. Bitte Vorsicht bei der Einfahrt!«

Der silbergraue Eisenbandwurm schob sich lärmend heran, und ich musste bestürzt feststellen, dass mein Herz schon wieder wummerte wie ein Presslufthammer. Was machte ich überhaupt hier? Was für eine aberwitzige Situation! Da ließ ich mich von einem wildfremden Menschen, der keineswegs akzentfreies Englisch mit mir gesprochen hatte, zum Bahnhof bestellen, um ihn abzuholen? Noch konnte ich einfach gehen. Der Zug hielt quietschend, und Schatten drängten zu den Ausgängen.

Die Türen öffneten sich zischend, und sofort quollen überall Leute mitsamt ihren Gepäckstücken heraus, um sich zu einem Strom gehetzt wirkender Reisender zu vereinen, der rasch dem Ausgang entgegenstrebte. Ich fühlte mich regelrecht davon überrollt, wich den lärmenden Menschentrauben aus und verharrte im Schutz einer mächtigen Säule.

Ach was, ich verzieh mich jetzt auch auf die Rolltreppe, dachte ich kurz entschlossen, und lass mich aus der Gefahrenzone tragen. Ich spinn doch nicht! Wenn der Typ irgendwo schlafen muss, kann er sich ein Hotel nehmen. Andererseits – die viel gepriesene Gastfreundschaft … Ich wollte nicht unhöflich sein. Und dann war da noch dieses aufgeregte Kribbeln im Bauch.

Zögernd überflog ich die nun schon spärlicher fließende Menge. Überall Menschen, die grüßten, begrüßt wurden, auf Schultern klopften, umarmt wurden, riefen, winkten oder zu Anschlusszügen hetzten. Türen schlossen sich. Nur noch ein paar vereinzelte Gestalten liefen in Richtung Ausgang.

Oh. Da! Da war einer, der sich wie ich suchend umsah. Langsam kam er auf mich zu. Groß, muskulös, korrekt gekleidet, Typ Geschäftsmann mit Aktenkoffer: hellblaues Hemd, Krawatte, Tweedsakko, Bügelfaltenhose und blank geputzte Schuhe. Mein Blick glitt wohlwollend an ihm hinunter. Und wieder hinauf.

Ein dichter, gepflegter Vollbart, schwarz-grau meliert.

Beim Barte des Propheten! Er war ein gläubiger Moslem. Natürlich. Was hatte ich auch anderes erwartet? Sein Gesicht war von orientalisch geprägter Intensität, und mir wurde ganz anders. Reiß dich zusammen, ermahnte ich mich und trippelte nervös auf ihn zu.

Der Mund in der Mitte des Bartes lächelte gewinnend, und schöne ebenmäßige Zähne kamen zum Vorschein.

»Nadia?« Seine samtene Stimme zog mich sofort wieder in ihren Bann.

»Ja?« Jetzt gab es kein Entkommen mehr.

Als sich unsere Blicke trafen, machte es klick! Sofort wusste ich, dass dieser ungewöhnliche Mann noch eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen sollte. Eine Hauptrolle.

»I’m Karim. Thanks for picking me up.« Ein fester Händedruck, warme weiche Hände.

Das war derselbe melodiöse Bariton wie gestern am Telefon.

Warum zitterten meine Beine nur so? Wie sollte ich jetzt von hier wegkommen?

»You are welcome«, hörte ich mich artig sagen. »How was your trip?«

Oje, jetzt würde ich die ganze Zeit Englisch mit ihm reden müssen. Nicht dass das ein Problem für mich war, aber mein Schulenglisch war durchaus ein wenig verstaubt.

Ich schenkte ihm einen freundlichen, aber auf keinen Fall allzu vertraulichen Blick. Eher so wie eine Reiseleiterin: neutral, aber stets zu Diensten.

Seine braunen Augen wiesen karamellfarbene Sprenkel auf, und ich drohte förmlich dahinzuschmelzen. Ich wandte den Blick ab und schritt tapfer voran.

Der geheimnisvolle Fremde stand hinter mir auf der Rolltreppe, und ich spürte seinen warmen Blick im Nacken. Hastig strich ich mir über den Hinterkopf. Nichts ist peinlicher, als wenn die Haare dort platt gedrückt sind oder der Haaransatz dunkel hervorblitzt.

Natürlich hatte ich mich vorhin zu Hause mit Rundbürste und Seidenglanzhaarspray noch ein bisschen zurechtgemacht: Wie du kommst gegangen, so wirst du auch empfangen, pflegte meine Mutter stets zu sagen.

Ach. Umgekehrt. Ich empfing ja ihn! Warum eigentlich? Weil er einfach umwerfend war?

»My car is parking in the garage.« Angestrengt wies ich ihm den Weg durch die Menge. Hoffentlich merkte er nicht, wie zittrig mir zumute war. Ich wollte seine Gesellschaft. Aber ich wollte mich nicht überrumpeln lassen. Gleichzeitig wollte ich nichts falsch machen.

Es war kurz nach vier, Berufsverkehr hatte eingesetzt. Grau und bleiern hing die regenschwere Luft über der Innenstadt.

Der geheimnisvolle Fremde stieg bei mir ein. Während ich den Wagen aus der Parklücke manövrierte, riskierte ich einen Blick auf seine Hände. Sie gefielen mir. Kräftige gepflegte Männerhände, die kurzen Nägel waren rund und glatt wie orientalische Halbmonde. Mein Blick fiel bei Männern immer sofort auf die Hände. Nägelkauer hatten bei mir keine Chance. Auch die Ohren wurden gleich kontrolliert. Wären Haarbüschel daraus hervorgequollen, hätte ich ihn schon an der nächsten Ampel rausgesetzt. Aber er sah tadellos aus. Und er roch gut. Dezent, aber sehr orientalisch. Männlich süß. Eine seltsame Mischung, die ich noch nie zuvor gerochen hatte. Anziehend. Ich spürte, dass ich mich mit ihm in meiner kleinen Schüssel sehr wohlfühlte. Kein bisschen bedrängt oder so.

Es war eine Vertrautheit, die mich ruhiger werden ließ. Ich nahm die Autobahn und fuhr nach Fürth. Wir machten etwas Small Talk, und er ließ mehrmals sein warmes Lachen hören. Er platzte nur so vor Lebensfreude. Oder war er auch ein bisschen nervös?

Nach zwanzig Minuten hielt ich schwungvoll in unserer Einfahrt. Mit einem unauffälligen Seitenblick stellte ich fest, dass Jans Auto tatsächlich nicht da war. Sturmfreie Bude!

»Hier wohne ich.«

Wir stiegen aus. Karim holte seinen Aktenkoffer aus dem Kofferraum. Da passt unmöglich Kleidung für mehrere Tage hinein, beruhigte ich mich. Der wird sich schon nicht bei dir einquartieren! Hoffentlich stand keine Nachbarin am Fenster und beobachtete uns.

Der glutäugige Araber betrachtete mit freundlichem Interesse das weiße Mietshaus mit den blumenbewachsenen Balkonen und dem gepflegten Vorgarten. Ein Dreirad und ein Kinderwagen standen im Treppenhaus. Deutsche Spießigkeit.

»Erster Stock links, bitte.«

»Nach dir.« Höflich bedeutete er mir vorzugehen. Wie immer roch es sauber und frisch. Wir hielten alle unsere Kehrwoche ein. Wir waren ein ehrenwertes Haus. Schon wieder musste ich vor ihm hergehen, diesmal hatte er sicher ausreichend Gelegenheit, mir auf den Hintern zu schauen.

Es war nichts geschehen, dennoch fühlte ich mich jetzt schon unter Druck. Ich wollte doch meine Freiheit! Aber er war so männlich, anziehend und charmant! Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken, während meine Hand zitternd den Schlüssel ins Schloss steckte. Gott!

»So bitte. Hier geht’s lang.«

Ich machte Licht im Flur. Als ich mich zu ihm umdrehte, sah ich so etwas wie Entsetzen in seinem Blick. Die Sprenkel in seinen Augen schienen zu explodieren.

»Ist alles in Ordnung?«

»Wohnst du nicht allein, Nadia?«

»Wie? Ach so, du glaubst … Nein, ich wohne mit einem Freund zusammen.«

Seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Jetzt, nachdem die Wohnungstür hinter uns geschlossen war, setzte Unbehagen bei mir ein.

»Jan ist nur ein guter Freund, eigentlich der Freund meines Bruders, es hat sich so ergeben. Er ist Holländer und kommt zufällig auch aus Amsterdam! Wir sind kein Paar, wir sind nur eine Art Zweck-WG. Vorübergehend«, schob ich hinterher. Als wenn ich ihm eine Erklärung über meine Wohnverhältnisse schuldig wäre! Er zog die buschigen Augenbrauen hoch und runzelte die Stirn. Ich merkte, dass er mir kein Wort glaubte. Sein Blick glitt unwillig über Jans Klamotten an der Garderobe, seine Turnschuhe, den Hockeyschläger und die Sporttasche, auf der ein Männerdeodorant lag.

Warum legte ich hier überhaupt Rechenschaft ab? Ich konnte doch wohnen, mit wem ich wollte! Ich konnte auch schlafen, mit wem ich wollte, das ging den doch gar nichts an! Schwungvoll öffnete ich die Tür zu Jans Zimmer.

»Hier kannst du schlafen, Karim. Fühl dich bitte wie zu Hause.«

Zögernd trat er ein. Sein Blick glitt über die Fotos auf Jans Nachttisch: Jan mit seiner Freundin, Jan beim Bergsteigen, Jan beim Skifahren, Jan beim Fallschirmspringen, Jan beim Saufen mit seinen Kumpels.

»Und wo schläfst du?«

»Am anderen Ende des Flurs. Und in der Mitte ist das Wohnzimmer.« Ich bemühte mich um ein Lächeln.

»Hm, das riecht aber gut.«

Endlich glätteten sich die Züge meines Besuchers wieder. Ich öffnete die Küchentür. »Möchtest du eine Tasse Tee?«

Er nahm meine Hand. »Gern«, sagte er, und ich spürte seine Wärme, spürte, wie mein Körper ihm fast sehnsüchtig entgegenstrebte. Spinnst du, schlug eine innere Stimme Alarm. Hastig entzog ich ihm meine Hand und hielt sie in der Küchenspüle unter kaltes Wasser.

»Du kannst gerne hier auf der Küchenbank sitzen. Ich bereite nur noch schnell den Salat vor.«

Das ließ sich mein faszinierender Besucher nicht zweimal sagen. Nach einem kurzen Abstecher ins Bad zum Händewaschen ließ er sich wohlig seufzend auf der Eckbank nieder. Sein Blick glitt interessiert durch mein akkurates Hausfrauenreich.

Ich hatte Arabisch gekocht, so, wie ich es mir bei unseren gemeinsamen Bekannten in Holland abgeschaut hatte.

»Magst du Bamia?« Stolz nahm ich den Deckel von der Pfanne, in der Okraschoten mit Lamm und Knoblauch in Olivenöl brutzelten. Ein betörender Duft breitete...