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Spur des Feuers - Mercy Thompson 9 - Roman

Patricia Briggs

 

Verlag Heyne, 2017

ISBN 9783641200794 , 448 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

2

Adam hatte sich noch nicht ganz verwandelt, als der Verkehr auf dem Highway in die Stadt bereits ins Stocken geriet. Ein Stau auf dieser Straße war ungewöhnlich – aber dasselbe galt wohl auch für ein Monster, das Autos zerstörte. Ich vermutete da eine Verbindung. Manchmal bin ich eben echt clever.

Der Verkehr wurde immer langsamer, bis die Autos sich schließlich gar nicht mehr bewegten. Dann schaltete ich auf Allrad um und fuhr von der Straße auf den Gehweg, um so noch dem riesigen Parkplatz zu entkommen, in den der Highway sich inzwischen verwandelt hatte.

Beim Altmetall-Recyclinghof fuhr ich auf einen der leeren Stellplätze und hielt an. Von hier aus wären wir zu Fuß schneller. Sobald ich die Tür öffnete, hörte ich auch schon die Sirenen.

Joel sprang vom Rücksitz hinter dem Fahrer aus dem Wagen, der dabei schwankte, weil Joel in seiner Tibicena-Form kompakter gebaut war als jedes natürliche Tier. Er wartete, bis alle vier Pfoten auf dem Boden standen, bevor er das Feuer in sich entzündete. Seine Haut brach auf und bildete Risse, die den Blick auf ein heftiges Glühen freigaben, das sogar im Tageslicht zu bemerken war. Adam, inzwischen ganz verwandelt, sprang hinter Joel heraus. Er schüttelte sich einmal, dann rannte er Richtung Brücke. Joel und ich folgten ihm.

Selbst auf zwei Beinen war ich schnell, auch wenn der Kojote noch schneller gewesen wäre. Doch ich sollte Kleidung tragen, wenn ich mit der Polizei sprach – aus irgendeinem Grund ging ich davon aus, dass die Polizisten mich nackt nicht besonders ernst nehmen würden. Also blieb ich in menschlicher Form und rannte … mit dem silberschwarzen Wolf, der Adam war, auf einer Seite und Joel, den man nicht länger mit einem Hund verwechseln konnte, auf meiner anderen.

Wir erregten so natürlich Aufmerksamkeit. Die Rudelmagie übt einen passiven Einfluss aus, der es normalen Menschen schwer macht, Werwölfe zu erkennen. Adam hätte mitten am Tag über die Interstate laufen können, und nur ein oder zwei Leute hätten etwas anderes gesehen als einen streunenden Hund. Wir hatten allerdings entdeckt, dass für Joel nicht dasselbe galt, auch wenn er zum Rudel gehörte. Es war, als drängte etwas in seiner Magie darauf, bemerkt zu werden.

Joels Augen glühten wie die eines Höllendämons in einem Comic. Er war größer als Adam und hinterließ bei jedem Kontakt seiner Pfoten ölige Spuren auf dem Boden. Die Leute bemerkten ihn so natürlich sofort. Und sobald sie ihn bemerkt hatten, bemerkten sie auch Adam.

Adam war eine Person des öffentlichen Lebens. Selbst wenn er nicht oft in Wolfsform in den überregionalen Nachrichten erschien, war er im örtlichen Fernsehen selbst in seiner Wolfsgestalt eine echte Celebrity. Ein Kleinstadtheld, und sei es nur, weil er irgendwie berühmt war.

»Hey, Mercy«, hörte ich einen Ruf aus der Reihe der stehenden Autos. »Was ist los? Wann öffnet deine Werkstatt wieder? Sheba hat ein Elektronikproblem, das ich einfach nicht in den Griff kriege.«

»Du erreichst mich immer noch über das Werkstatttelefon, Nick«, rief ich und winkte unbestimmt, ohne mich umzudrehen. Ich musste den Sprecher nicht sehen, um ihn zu identifizieren. Nicks Sheba war ein VW-Käfer, der mit fast übernatürlicher Regelmäßigkeit zusammenbrach. »Im Moment muss ich der Polizei mit einem autofressenden Monster auf der Brücke helfen.«

»Was ist auf der Brücke?«, rief er, aber ich winkte nur noch mal, weil ich bereits zu weit entfernt war, als dass er mich selbst schreiend noch hätte hören können.

Doch eine Frau steckte den Kopf aus dem Fenster, als ich vorbeikam, und rief: »Gibt es Werwolf-Ärger, Mercy?«

Ich erkannte die Stimme nicht, aber Adams Bekanntheit brachte es zwangsläufig mit sich, dass auch ich nicht mehr anonym war.

»Nein«, erklärte ich ihr. »Fae-Monster, denke ich.«

Ich war mir nicht sicher, ob Tony mit meinem Verhalten einverstanden wäre: Schließlich informierte ich gerade die Öffentlichkeit, ohne mich vorher mit ihm abgestimmt zu haben. Aber ich ging davon aus, dass in einer Ära der Handykameras das Wesen auf der Brücke wahrscheinlich sowieso schnell zum YouTube-Star werden würde.

Die Brücke war auf beiden Seiten vom Fluss aus gut einzusehen. Etwas, das groß genug war, um »Autos zu fressen« würde sicherlich Leute mit Kameras und Handys anziehen. Das hier ließ sich nicht vertuschen.

Vor uns kam das Lampson-Gebäude in Sicht, genauso wie die rot-blau leuchtenden Lichter Dutzender Polizeiwagen. Lampson International baute die größten Kräne der Welt, und ihr Hauptquartier lag am Fuß der Kabelbrücke. Das vierstöckige Gebäude aus Glas und Stahl sah sehr seltsam aus. Es wirkte irgendwie, als hätte ein Riese eine Pyramide hochgehoben, auf den Kopf gestellt und wieder in den Boden gerammt.

Die Polizei hatte inzwischen zwei Barrikaden errichtet. Die erste lag an der letzten Kreuzung vor der Brücke, um die Autos zurückzuhalten. Die zweite Barrikade befand sich näher an der Brücke, direkt hinter dem Eingang zum Vietnam-Memorial, das am Rand der Straße und auf einem Hügel neben dem Lampson-Gebäude lag.

Wir passierten die erste Barrikade, ohne dass ein Polizist versuchte, uns aufzuhalten, auch wenn wir einige kritische Blicke auf uns zogen. Wahrscheinlich waren sie zu sehr mit dem Verkehr beschäftigt. Aber zusätzlich brauchte es wirklich Mumm, um jemanden anzuhalten, der mit einem Werwolf und einer Tibicena vorbeilief. Vielleicht erkannten sie allerdings auch Adam.

Kurz vor der Hängebrücke stieg das Gelände langsam an. Ich wandte den Blick von der Polizei und dem Stau ab, um zur Brücke zu spähen.

Sie spannte sich in einem eleganten Bogen über den Fluss, ungefähr eineinhalb Kilometer lang, die schönste der drei Brücken über den Columbia in den Tri-Cities und die einzige, die keine Highway- oder Interstate-Brücke war. Weiße Stahlseile erstreckten sich von den zwei Pfeilern der Brücke in eleganten Linien nach unten.

Vom Kennewick-Ufer aus konnte ich nur den höchsten Punkt der Brücke sehen – die Mitte, vielleicht siebenhundert Meter entfernt. Ein paar Autos, deren Motorhauben (überwiegend) in unsere Richtung zeigten, standen auf der Fahrspur Richtung Kennewick, unbeweglich und scheinbar leer. Das nächststehende Auto, ein roter Buick, lag auf dem Dach. Eines seiner Hinterräder fehlte. Für mein erfahrenes Auge sah es aus, als hätte jemand das Rad gepackt und einfach abgerissen.

Die nach Pasco führende Spur auf der rechten Seite der Brücke war bis ungefähr zur Mitte des Bauwerks leer. Der Rest sah aus, als hätte ein Fünfjähriger seine Wut an Spielzeugautos ausgelassen. Dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass die Autos aus der Entfernung viel kleiner aussahen, ganz winzig und leer. Doch das scheinbar harmlose Bild täuschte: In diesen Autos hatten einmal Leute gesessen. Ich hatte genug Unfälle gesehen, um zu wissen, dass in einigen dieser Wagen wahrscheinlich Leichen in endloser Geduld darauf warteten, dass wir uns um das Wesen kümmerten, das dieses Chaos angerichtet hatte. Erst dann konnten wir uns um die Toten kümmern.

Ich prallte gegen Adam, der sich gerade vor mir quer gestellt hatte. In seiner Wolfsform war er groß genug, dass ich nicht über ihn fiel, als ich ihn rammte, er aber von meinem Gewicht auch nicht umgeworfen wurde. Er wartete, bis ich mich erholt hatte, dann sah er nach links, Richtung Polizei. Die Beamten hatten uns schon gesehen. Doch bis auf Tony, der bereits in unsere Richtung lief, kam niemand näher. Ein paar der Beamten wirkten ziemlich angeschlagen, und ich konnte sogar von meiner Position aus Blut riechen. Ob es ihres oder das der Opfer war, konnte ich nicht identifizieren. Aber es roch frisch.

»Okay«, erklärte ich Tony. »Zwei andere Werwölfe sollten bereits hier sein. Adam hat den Rest des Rudels gerufen, aber es könnte eine halbe Stunde oder mehr dauern, bis die Verstärkung ankommt. Was brauchst du?«

»Könnt ihr dieses Ding einfach umbringen? Wenn ihr das nicht schafft, sollten wir es auf der Brücke halten, bis die Nationalgarde auftaucht – laut der letzten Meldung ist das in ungefähr zwei Stunden«, meinte Tony grimmig.

Tony warf einen Blick zu Joel hinüber. Das war Joels erster öffentlicher Auftritt als Mitglied des Rudels. Zu Tonys Ehre muss ich gestehen, dass ein schwarzer Hund, der aussah, als bestände er zum Teil aus glühender Kohle, seine Aufmerksamkeit nicht sehr lange fesselte. Er zögerte nur kurz, bevor er weitersprach.

»Das Ding scheint glücklicherweise kein besonderes Interesse daran zu haben, die Brücke zu verlassen. Hier ist das Risiko zumindest eingeschränkt. Aber es hat uns ganz deutlich gezeigt, dass es nur deswegen auf der Brücke bleibt, weil es das will. Bisher haben wir nicht viel mehr geschafft, als es zu nerven.«

Adam warf mir einen scharfen Blick zu.

»Ich komme hier schon klar«, stimmte ich zu. »Du und Joel könnt losziehen und herausfinden, wer da auf der Brücke mit Matchbox-Autos spielt.«

Adam setzte sich in Bewegung, zögerte und drehte sich wieder um, Joel immer an seiner Seite. Mein Gefährte suchte meinen Blick. Seine Augen leuchteten golden und klar.

»Ich weiß«, sagte ich, weil ich seine Gefühle durch unsere Gefährtenverbindung in mir vibrieren spürte. Er sollte meine ebenfalls spüren, doch manchmal war es wichtig, gewisse Dinge laut auszusprechen. »Ich liebe dich auch.«

Er drehte sich um und lief davon, eher in den weiten Sprüngen einer beginnenden Jagd als im Sprint. Joel hielt mit ihm Schritt.

Tony schob eine Hand unter meinen Ellbogen und zog...