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Deichmord - Ein Rügen-Krimi

Katharina Peters

 

Verlag Aufbau Verlag, 2017

ISBN 9783841213013 , 320 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1


Kommissarin Ramona Beccare, genannt Romy, legte den Hörer auf und sah einen Moment schweigend zum Fenster hinaus. Sie konnte nach all der Hektik und Anspannung immer noch nicht glauben, dass es vorbei sein sollte – erst von null auf hundert, und nun umgekehrt.

Vor zwei Wochen hatte eine anonyme Mail eine interne Terrorwarnung ausgelöst und die Kommissariate in Bergen und Stralsund mitten in der Feriensaison in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Ein Terroranschlag auf Rügen? Das klang immer noch absurd – wie ein sehr schlechter, geschmackloser Scherz. Aber vielleicht lag genau darin der grundsätzliche Denkfehler. Wo Menschen lebten, konnte heutzutage ein derartiges Geschehen nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen werden – so ähnlich hatte sich der Leiter der Antiterroreinheit ausgedrückt, die nach erster Sichtung der Lage kurzfristig die Ermittlungen auf der Insel übernommen hatte. Und warum nicht auf Rügen, zum Beispiel während der Störtebeker Festspiele? Seit über zwanzig Jahren besuchten jährlich Zigtausende das Spektakel auf der Naturbühne Ralswiek. Menschen, die sich in der Idylle sicher und beschützt glaubten, zumindest vor dieser Art Gefahr – zu Unrecht, wie der Mailschreiber zum Ausdruck gebracht hatte.

Der hatte behauptet, dass er in einem Propaganda-Video einer Terrorgruppe, das Folterszenen von Geiseln zeige, einen Schulfreund wiedererkannt habe. Der Mann lebe in Ralswiek und arbeite in der Hotel- und Gaststättenbranche. Die Planung eines Anschlags auf die Störtebeker Festspiele, die alljährlich zwischen Ende Juni und Anfang September stattfinden, sei nicht auszuschließen.

Doch die fieberhaften Ermittlungen waren bisher erfolglos geblieben. Analysen von Propaganda-Videos und Recherchen zu Hotelbetreibern der Umgebung hatten keinen Treffer gebracht, nicht einmal einen brauchbaren Hinweis oder einen flüchtigen Verdacht. So ziemlich jeder Rüganer und alle Gäste zwischen Bergen und Neuenkirchen waren inzwischen durchgecheckt, einschließlich aller Mitarbeiter des Störtebeker-Events. Ebenso erfolglos war die Suche nach dem anonymen Mailschreiber verlaufen.

Der Leiter der Sondereinheit war schon nach kurzer Zeit davon überzeugt gewesen, dass die Behörden genarrt worden seien, wie es in Zeiten regelmäßiger Terrorwarnungen nicht außergewöhnlich sei, hatte aber dennoch eine gründliche Überprüfung vornehmen lassen – man konnte ja nie wissen. Nun werde man weiterhin die Augen offenhalten, aber für weitergehende Ermittlungen gebe es keinen hinreichenden Grund mehr.

Romy atmete tief durch. Sie war immer noch verstört, auch wenn der Spuk nun vorbei war und die Festspiele für dieses Jahr beendet waren. Sie war heilfroh, dass die Öffentlichkeit nichts davon erfahren hatte, und ging nach nebenan, um das Team zu informieren. Kollege Kasper Schneider, alteingesessener Rüganer und mit deutlich über sechzig der Älteste unter ihnen, reagierte erleichtert. Fine Rohlbart, Urgestein des Kommissariats und Mädchen für alles, nickte mit grimmiger Miene.

»Sag ich doch – da hat sich irgendein kranker Vollidiot einen Spaß erlaubt, und wir sind dem auch noch auf den Leim gegangen. Sollte der mir zufällig über den Weg laufen, werde ich ihm sehr nachdrücklich meine Vorstellungen von Humor klarmachen. Na, ihr wisst schon, was ich meine.«

Und ob. Keine gute Idee, sich mit Fine anzulegen, dachte Romy. Sie hielt jede Wette, dass deren Vorfahren von den Wikingern abstammten, behielt diese Einschätzung aber auch nach mittlerweile gut drei Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit für sich. Fine nickte in die Runde und entschwand eilig nach nebenan, um dem hektischen Telefonklingeln ein Ende zu bereiten.

Romy sah Max an, der ihren Blick erwiderte und die Stirn runzelte, was sie nicht weiter verwunderte. Datenexperte Maximilian Breder dürfte der Einzige gewesen sein, der sich in der letzten Zeit trotz aller Sorge und Anspannung durchaus in seinem Element gefühlt hatte. Der Schwerpunkt der Arbeit hatte neben verschärften Sicherheitsmaßnahmen und Standortanalysen in detaillierten Recherchen und Überprüfungen bestanden, die er mit wahrer Hingabe unterstützt hatte und die sein Datenbank-Herz natürlich höherschlagen ließen.

»Wirklich alles umsonst?«, fragte er verblüfft. »Es gibt wirklich keinen einzigen Verdacht, dem es sich nachzugehen lohnte? Keine Auffälligkeit, die überprüft werden sollte?«

Romy zuckte mit den Achseln. »Der ganz große Alarm ist jedenfalls abgeblasen. Nirgendwo haben sich auch nur vage Indizien gefunden, die im Zusammenhang mit einem geplanten Anschlag auf Rügen, in Ralswiek oder sonst wo stehen könnten.«

»Oder sagen die uns nicht alles?«

»Tja …« Sie hob die Hände. »Das können wir natürlich nicht einfach so ausschließen, aber vorerst sind wir raus aus den Nachforschungen, und ich hoffe ehrlich gesagt, dass es auch dabei bleibt.«

Max kaute einen Moment nachdenklich auf seiner Unterlippe, dann schob er seinen Bürostuhl zurück. »Der Typ, der die Mail geschrieben und verschickt hat, ist nicht blöd. Er hat seine IP-Adresse recht pfiffig verschleiert und kein Video verschickt, sondern nur einen Link, der auf eine entsprechende Seite führt.«

Max setzte eine vielsagende Miene auf, und Romy beeilte sich, Verständnis zu signalisieren – auf eine ausgedehnte Erläuterung, wie man beim Mailverschicken seine Identität verstecken kann, würde sie nur allzu gerne verzichten. »Klingt schlau«, meinte sie.

»Das ist es. Dazu teilt er uns sehr genau mit, dass der Mann in Ralswiek, von dem die angebliche Gefahr ausgeht  oder seiner Ansicht nach ausgehen könnte –, in der Hotel-Gaststätten-Branche beschäftigt und außerdem ein ehemaliger Schulfreund sei. Er kennt ihn demnach so gut, dass er ihn wiedererkannt hat.«

»Davon zumindest sollten wir aufgrund seiner Behauptung ausgehen.«

Romy goss sich eine Tasse frischen Kaffee ein und warf Max einen ernsten Blick zu. Sie hatten die Diskussion um die Hintergründe der Mail gefühlt hundertmal durchgekaut, ohne dass das Profil des Hinweisgebers schärfer hervorgetreten war. Aber irgendwie hatte Max natürlich recht. Auf der einen Seite gab es verblüffend konkrete Hinweise, die mit professionell verdeckter Vorgehensweise gepaart waren, andererseits brachten die Nachforschungen keinen einzigen Treffer, und alles verlief nun im Sande. Was also sollte das Ganze? Verbarg sich dahinter tatsächlich nichts als ein schlechter Scherz? Wollte jemand ausprobieren, wie die Behörden reagieren würden und wie lange man sie an der Nase herumführen konnte?

»Wir finden – nichts«, fuhr er fort. »Ist der Hinweis so versteckt, dass nicht einmal die Terrorspezialisten etwas entdecken? Schwer zu glauben, oder? Warum nennt er nicht einfach den Namen oder gibt uns wenigstens einen weiteren Tipp, als er mitkriegt, dass die Behörden keinen Treffer landen?«

»Vielleicht hat er Angst, als Verräter identifiziert zu werden, wenn er konkreter wird«, überlegte Romy, »von Leuten, mit denen man sich besser nicht anlegt, und darum macht er es den Ermittlern sehr schwer. Unter Umständen ist die Aktion aber auch ganz einfach ein Ablenkungsmanöver gewesen. Jan hält das für eine wahrscheinliche Variante. Während hier der Sicherheitsapparat auf Hochtouren läuft und Kapazitäten bindet, lachen die sich ins Fäustchen, und womöglich passiert demnächst an einem anderen Ort, mit dem im Moment niemand rechnet, etwas Furchtbares.« Romy atmete laut aus. »Ich hoffe, dass ich falschliege.«

»Ich auch. Oder er gehört dazu und will aussteigen.«

»Eine komplizierte Vorgehensweise, oder?«

»Nun, wir können die Hintergründe nicht einschätzen.«

»Nein, das macht das Ganze ja so schwierig. Wenigstens ist nichts passiert.« Zumindest bis jetzt nicht.

Romy behielt den Nachsatz für sich und stellte ihre Tasse ab. »Wir können übrigens nicht grundsätzlich ausschließen, dass die Ermittlungen und die verstärkten Sicherheitskontrollen im Rahmen der Festspiele dazu beigetragen haben, dass ein eventuell geplanter Anschlag abgeblasen wurde.«

Max schüttelte sofort energisch den Kopf. »Glaub mir, dann hätten wir etwas gefunden. Die Insel ist gründlich durchleuchtet worden, Stralsund auch – und diese Spezialisten von der Sondereinheit dürften noch deutlich tiefer gewühlt haben, als es für uns nachvollziehbar war. In den letzten Wochen ist jeder, der in Rügen unterwegs war, irgendwie erfasst worden.«

»Na schön. Die Geschichte ist ziemlich besorgniserregend, aber inzwischen mehrfach durchgekaut. Worauf willst du hinaus, Max?«

»Nun, wir freuen uns, dass nichts geschehen ist, und hoffen, dass weiterhin nichts passieren wird, aber das Ergebnis der Ermittlungen ist alles andere als zufriedenstellend. Es lässt uns vielmehr ratlos zurück. Und ich will wissen, was da los war oder los ist, du etwa nicht?«

Romy nickte. »Jan hätte auch große Lust, den Mailschreiber zur Rechenschaft zu ziehen, wie er mir gerade sagte. Zur schönsten Sommerzeit durchleuchten wir Rüganer und Gäste, befürchten das Schlimmste und zucken bei jedem lauten Geräusch zusammen. Allein dafür müsste der Typ in den Knast wandern …«

Sie spitzte die Lippen und tauschte einen langen Blick mit Max. »Ich denke, wir sollten die Sache, solange nichts anderes anliegt, einfach...