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Auge um Auge - Thriller

Ben Coes

 

Verlag Festa Verlag, 2017

ISBN 9783865525215 , 460 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

Prolog

UPPER PHILLIMORE GARDENS

KENSINGTON

LONDON, UK

VOR EINER WOCHE

»Das weiß ich nicht.«

Diese vier Worte wiederholte Amit Bhutta, iranischer Botschafter bei den Vereinten Nationen, seit mittlerweile anderthalb Tagen. Dewey nahm sie mit ausdruckslosem Gesicht zur Kenntnis. Nach seiner groben Schätzung hatte Bhutta den Satz bestimmt schon tausendmal gesagt.

Tacoma und er hatten sich mit der Befragung Bhuttas abgewechselt. Zwei Stunden Verhör, zwei Stunden Pause. Ihr Stil unterschied sich deutlich. Als ehemaliger SEAL war Tacoma weniger geduldig. Bhuttas blutiges Gesicht zeigte die praktischen Auswirkungen dieser Ungeduld. Dewey nahm an, dass Tacoma aufgrund seiner Jugend so hart mit dem Iraner ins Gericht ging. Nicht dass er etwas dagegen hätte, aber es entsprach nicht seiner Art. So wie Dewey Bhutta einschätzte, gelangten sie eher an die Informationen, die sie brauchten, wenn er ihn verwirrte und psychisch destabilisierte. Oder ihm Essen und Trinken verweigerte.

Das Verhörzimmer befand sich im Kellergeschoss von Rolf Borchardts Villa in Kensington. Der Raum war schalldicht und fensterlos. In der Mitte des Zimmers war ein Stahltisch am Holzboden festgeschraubt. Dahinter stand ein Stuhl, ebenfalls aus Stahl und mit Schrauben fixiert. Am Tisch klebte frisches Blut, nicht zum ersten Mal.

Eine Lampe in der Ecke stellte die einzige Lichtquelle dar.

Bhutta hockte gekrümmt auf dem Stuhl, nach vorn gelehnt, die Wange gegen die metallische Tischplatte gepresst. Sein linkes Auge war zugeschwollen, blau und lila verfärbt.

Die Heizung im Raum hatten sie bis zum Anschlag aufgedreht. Beide Männer schwitzten, aber Bhutta, dessen Hände hinter dem Rücken gefesselt waren – und auf dessen Kopf Deweys Colt M1911 zielte –, schwitzte noch ein bisschen stärker.

Vor einer Woche hatte Dewey den Iran infiltriert und die erste Nuklearwaffe des Landes geklaut. Seine Tarnung, einen wuchernden Vollbart samt Schnauzer, hatte er sich inzwischen abrasiert und trug die Haare deutlich kürzer als zuletzt.

Als er um eine Schere gebeten hatte, um sich selbst einen neuen Schnitt zu verpassen, hatte Borchardt darauf bestanden, ihn zu einem Friseur in der Belgrave Road mitzunehmen. Nun sah Dewey wie ein Model auf den Werbeseiten der Vanity Fair aus – mit dem Unterschied, dass das Wilde und Unzivilisierte, das die Fotografen so gern aus ihren aalglatten Models herauskitzelten, in Deweys Fall echt war. Sein unbändiges braunes Haar trug er nach hinten gekämmt, die Augen musterten hellwach, kalt und blau ihre Umgebung, die markante Nase glich der eines Adlers, obwohl man sie ihm schon zweimal zertrümmert hatte. Dewey machte sich keine großen Gedanken darüber, ob er gut aussah. In Wahrheit gefiel ihm sein aktueller Look überhaupt nicht, denn er lenkte ungern Aufmerksamkeit auf sich. Dewey zog es vor, unerkannt und anonym zu bleiben. Aber heute, mit glattem Kinn, gebräunter Haut und einem Haarschnitt, der 450 Dollar gekostet hatte, ließ sich gut nachvollziehen, warum der 39-jährige Amerikaner nach wie vor viele Blicke auf sich zog.

Bhutta hatte im Verlauf des mehr als 36 Stunden dauernden Verhörs festgestellt, dass hinter der attraktiven Fassade des Jungen aus Castine, Maine, noch etwas anderes lauerte. Härte und Kälte, eine tief sitzende Wut. Die meisten Leute, die Dewey Andreas kannten, nahmen an, dass sich diese Wut in den langen, bitterkalten Wintern seiner Jugend an der Küste von Maine entwickelt hatte, oder auf den unversöhnlichen Football-Feldern des Boston College. Möglicherweise auch erst später, während der Ausbildung zum Ranger. Im Laufe extremer Strapazen und Prüfungen, in denen man Krieger von bloßen Männern separierte und er Teil des First Special Forces Operational Detachment und damit ein Delta wurde. Neben den Navy SEALs stellen die Deltas als Elitetruppe Amerikas gefürchtetste Soldaten.

Dewey wusste als Einziger, dass es nichts von alldem war, was ihm seine Härte verliehen hatte – sondern jener Morgen vor vielen Jahren, an dem er mit ansehen musste, wie sein sechsjähriger Sohn an Leukämie starb. Diese Erfahrung ließ ihn, wenn es nötig wurde, rabiat und schonungslos agieren. Sie sorgte aber gleichzeitig dafür, dass Dewey, tief im Innern, gerecht, fair, unvollkommen und verletzlich blieb – menschlich.

Bhutta registrierte lediglich die Härte, als er den Amerikaner musterte. Dieselbe Gemeinheit und Distanz, welche auch durch die Adern jener Männer geflossen sein mussten, die vor langer Zeit die Briten davongejagt hatten. Eine Entschlossenheit, die dem Iraner zwingender schien als alles, was er sonst kannte.

»Wie heißt er?«, fragte Dewey.

»Das weiß ich nicht. Hab ich doch schon gesagt. Er ist ein Agent der Chinesen.«

Dewey saß in einem verschlissenen Ledersessel. Die rechte Hand hatte er unter das Bein geschoben.

»Wie lautet sein Name?«

»Leck mich.«

»Wie heißt er?«

»Ich weiß es nicht.«

»Botschafter Bhutta, wir können die ganze Nacht so weitermachen.«

»Ich weiß es nicht, Arschloch.«

Dewey lächelte.

»Wortwahl!«, ermahnte ihn Dewey.

»Leck mich.«

»Wenn deine Mutter dir beim Fluchen zuhört, ist sie sicher verdammt angepisst, oder?«

Bhuttas Mund verzog sich ganz leicht. Fast ein Lächeln.

»Du hast gelacht.«

»Leck mich«, flüsterte Bhutta. »Du bist kein bisschen witzig.«

»Wieso hast du dann gelacht?«

»Ich hab nicht gelacht.«

»Okay, ich hab einen Witz für dich«, erwiderte Dewey. »Was machst du, wenn ein Iraner einen Nagel nach dir wirft?«

Bhutta blieb zunächst stumm, ließ sich aber schließlich darauf ein.

»Was?«

»Du rennst um dein Leben.«

»Warum?«

»Weil er eine Granate zwischen den Zähnen hat.«

Bhutta lachte.

»Du bist noch schlimmer als der andere Kerl«, flüsterte er dann und schüttelte den Kopf. »Das ist bescheuert. Schlag mich halt einfach zusammen!«

Dewey grinste, dann drückte er ab. Die Kugel traf Bhuttas rechte Kniescheibe und zerfetzte sie. Blut spritzte bis an die Wand. Bhutta brüllte, taumelte auf dem Stuhl nach hinten, zerrte an den Fesseln.

»Herrgott, ich hätte nicht gedacht, dass das so wehtut«, kommentierte Dewey.

Bhutta wand sich und sah zu Dewey auf, das Gesicht zu einer schrecklichen Grimasse verzerrt. Sein Knie blutete heftig.

»Ich kenn seinen Namen nicht! Woher soll ich denn wissen, welchen Maulwurf China im Mossad eingeschleust hat?«

Dewey fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.

»Ich sag dir was«, fuhr Dewey fort, während er die Mündung der Waffe an der Jeans abwischte. »Entweder nennst du mir jetzt den Namen des Maulwurfs oder du sagst ihn später Menachem Dayan und den netten Typen im Irrenhaus. Irgendwie glaube ich, dass deren Witze deutlich weniger komisch sind als meine. Außerdem werden die dich umbringen. Aber erst nachdem sie deinen Kopf ein paar Hundert Mal unter Wasser getaucht haben.«

Bhutta schrie erneut.

»Wenn du mir den Namen verrätst, wird der Maulwurf der Einzige sein, für den es böse endet«, versprach Dewey. »Du kannst gehen. Wir arrangieren ein neues Leben für dich, innerhalb der Vereinigten Staaten. Irgendwo, wo es schön sonnig ist.«

Bhuttas Gesicht war blass und schweißgebadet.

»Was ist mit meiner Tochter?«, fragte er, während ihm die Tränen übers Gesicht liefen.

»Die darf mit.«

»Was ist mit meinem Knie?«, wollte Bhutta mit schmerzverzerrter Stimme wissen.

»Das darf auch mit.«

»Du Arschloch!« Bhutta heulte fast. »Du weißt genau, was ich meine.«

Dewey setzte sich auf und zielte mit der Waffe.

»Nein, nicht noch mal. Ich will das schriftlich. Eine eidesstattliche Erklärung von der CIA oder dem Justizministerium.«

»Das kannst du dir abschminken. Wenn du mich vor die Wahl stellst, ob ich dir die zweite Kniescheibe auch noch zertrümmere oder einen Anwalt in Langley anrufe und ihm erkläre, wieso ich dich nicht längst wie ausgemacht an die Israelis ausgeliefert habe, kann ich dir versichern, dass ich mich für die erste Möglichkeit entscheide.«

»Du bist ein Mistkerl.«

»Ja, bin ich. Aber wenn ich ankündige oder verspreche, etwas zu tun, tu ich es auch. Gib mir den Namen des chinesischen Spions beim Mossad.«

»Leck mich.«

Dewey stand auf, lud die Waffe durch und richtete den Colt auf Bhuttas linkes Knie.

»Nein!«, brüllte Bhutta. Er starrte Dewey an. »Dillman. Sein Name ist Dillman. Mehr weiß ich nicht. Bitte sag mir, dass du mich nicht verarscht hast.«

Dewey schob den Colt M1911 ins Schulterholster zurück und ging zur Tür.

»Ich halte meine Versprechen immer.«

Er ging den Flur entlang und zog sein Handy aus der Tasche.

»Geben Sie mir Menachem Dayan«, sagte er in den Hörer, während er die Treppe hinaufstieg.

Einen Augenblick darauf hörte er den kratzigen Husten des höchsten israelischen Militärkommandanten, General Menachem Dayan.

»Hallo Dewey.«

»Ich bin mit Bhuttas Verhör fertig«, erklärte Dewey. »Ich kenne den Namen des chinesischen Maulwurfs im Mossad.«

»Wer ist es?«, wollte Dayan wissen.

»Ich will Ihr Wort, General«, verlangte Dewey. »Kohl Meir darf ihn erschießen. Dann wird er begraben.«

...