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Diamanten-Dynastie - Roman

Sidney Sheldon

 

Verlag Blanvalet, 2017

ISBN 9783641213862 , 576 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1

»Das ist, weiß Gott, ein richtiger donderstorm!«, sagte Jamie McGregor. Er war mit den wilden Stürmen des schottischen Hochlands aufgewachsen, aber so etwas Gewaltiges wie diesen hatte er noch nie erlebt. Am Nachmittagshimmel waren plötzlich riesige Sandwolken aufgezogen und hatten den Tag in Sekundenschnelle zur Nacht gemacht. Der staubige Himmel wurde von zuckenden Blitzen erhellt – weerling nannten die Afrikaner das –, die die Luft versengten, gefolgt vom donderslag, vom Donner. Dann kam die Sintflut: Regenmassen, die gegen das Heer aus Zelten und Blechhütten klatschten und die Staubstraßen von Klipdrift in wirbelnde Schlammströme verwandelten.

Der Himmel hallte wider von rollenden Donnerschlägen, die aufeinanderfolgten wie Artilleriefeuer in einem himmlischen Krieg.

Jamie McGregor trat schnell beiseite, als sich ein Haus aus ungebrannten Ziegeln in Schlamm auflöste, und er fragte sich, ob Klipdrift dieses Unwetter überstehen würde.

Klipdrift war keine richtige Stadt. Es war ein wucherndes Zeltdorf, eine brodelnde Masse aus Planen und Hütten und Wagen, die sich am Ufer des Vaal drängten, bewohnt von wild dreinschauenden Träumern, die aus aller Welt nach Südafrika gekommen waren, alle vom gleichen Gedanken besessen: Diamanten zu finden.

Auch Jamie McGregor gehörte zu den Träumern. Er war gerade achtzehn Jahre alt, ein hübscher Bursche, groß und blond, mit verblüffend hellen grauen Augen. Er war von einnehmender Arglosigkeit und bemühte sich, allen zu gefallen, was ihm auch gelang.

Von der Farm seines Vaters im schottischen Hochland aus war er beinahe achttausend Meilen weit gereist, über Edinburgh, London und Kapstadt bis nach Klipdrift. Er hatte auf seinen Anteil an dem Land, das er, seine Brüder und sein Vater gemeinsam bestellt hatten, verzichtet, aber er bereute es nicht. Jamie McGregor wusste, dass er dafür tausendfach entschädigt würde. Er hatte die Sicherheit seines gewohnten Lebens hinter sich gelassen und war an diesen entlegenen, gottverlassenen Ort gekommen, weil er davon träumte, reich zu werden. Einmal war er auf einem Jahrmarkt in Edinburgh gewesen und hatte gesehen, was für Herrlichkeiten man für Geld kaufen konnte. Geld war dazu da, das Leben zu erleichtern, solange man gesund war, und die nötigen Bedürfnisse zu erfüllen, wenn man krank wurde. Jamie hatte zu viele Freunde und Nachbarn in Armut leben und sterben sehen.

Er entsann sich seiner Aufregung, als er zum ersten Mal von einem Diamantenlager in Südafrika gehört hatte.

Dort war der größte Diamant der Welt gefunden worden, einfach so im Sand, und es ging das Gerücht, die ganze Gegend dort sei eine Schatzkammer, die nur darauf warte, geöffnet zu werden.

An einem Samstagabend nach dem Essen hatte er seiner Familie von seinen Plänen berichtet.

Fünf Augenpaare hatten ihn angestarrt, als sei er nicht ganz bei Trost.

»Auf Diamantenjagd willst du?«, fragte sein Vater. »Du bist ja wohl verrückt, Junge. Das ist doch nur ein Märchen … eine Versuchung des Teufels, der Männer von ihrem ehrlichen Tagwerk abhalten will.«

»Verrätst du uns auch, wo du das Geld dazu hernehmen willst?«, fragte sein Bruder Ian. »Das ist die halbe Strecke um die Welt. Du hast kein Geld.«

»Wenn ich Geld hätte«, gab Jamie zurück, »dann hätte ich es auch nicht nötig, nach Diamanten zu suchen, oder? Dort hat sowieso niemand Geld. Mir geht’s also nicht anders als den anderen auch. Aber ich hab Köpfchen und ein breites Kreuz. Ich werd’s schon schaffen.«

Seine Mutter nahm wortlos die Platte mit den Resten des dampfenden Haggis vom Tisch und trug sie zum Ausguss.

Spät in dieser Nacht trat sie an Jamies Bett. Behutsam fasste sie ihn an der Schulter, und ihre Kraft übertrug sich auf ihn. »Tu, was du tun musst, mein Sohn. Ich weiß nicht, ob’s dort Diamanten gibt, aber wenn, dann wirst du sie auch finden.« Sie förderte eine abgegriffene Lederbörse zutage. »Ich hab ein paar Pfund auf die Seite gelegt. Sag den anderen aber nichts davon. Gott segne dich, Jamie.«

Als er nach Edinburgh aufbrach, hatte er fünfzig Pfund.

Die Reise nach Südafrika war mühselig, und Jamie McGregor brauchte fast ein ganzes Jahr dazu. In Edinburgh fand er eine Stelle als Kellner in einem Arbeiterlokal, wo er blieb, bis er weitere fünfzig Pfund zu den ersten legen konnte. Dann ging es weiter nach London. Die Größe der Stadt, die riesigen Menschenmengen, der Lärm und die großen Pferdebahnen schüchterten Jamie ein. Staunend sah er zu, wie Damen aus Kutschen stiegen, um einen Einkaufsbummel in der Burlington Arcade zu machen, einem verwirrenden Füllhorn voll Silber, Porzellan, Kleidern und Pelzen sowie Töpfereien und Apotheken mit geheimnisvollen Fläschchen und Tiegeln.

In der Fitzroy Street 32 fand Jamie Unterkunft. Sie kostete ihn zehn Shilling die Woche, war aber weit und breit die billigste. Die Tage verbrachte er an den Docks, wo er ein Schiff suchte, das ihn nach Südafrika bringen sollte; an den Abenden bestaunte er die Wunderdinge in London Town. Doch trotz all der Schönheiten befand sich England in jenem Winter inmitten einer sich stetig verschlimmernden Wirtschaftskrise. Die Straßen waren voll von Arbeitslosen und Hungernden, und es gab Massendemonstrationen und Straßenkämpfe. Ich muss hier unbedingt weg, dachte Jamie. Ich bin schließlich gekommen, um der Armut zu entrinnen. Am nächsten Tag heuerte er als Steward auf der Walmer Castle mit Zielhafen Kapstadt in Südafrika an.

Die Seereise dauerte drei Wochen, einschließlich der Aufenthalte in Madeira und St. Helena, wo Kohlen für die Maschinen geladen wurden. Es war eine raue, stürmische Reise im tiefsten Winter, und Jamie wurde seekrank, sobald das Schiff abgelegt hatte. Doch nie verlor er seine gute Laune, denn jeder Tag brachte ihn seiner Schatzkammer näher, und je näher das Schiff dem Äquator kam, desto wärmer wurde es. Wie durch Zauberhand wurde der Winter zum Sommer, und die Tage und Nächte wurden heiß und schwül.

Die Walmer Castle erreichte Kapstadt in der ersten Morgendämmerung, schob sich vorsichtig durch den engen Kanal, der die große Aussätzigensiedlung auf Robben Island vom Festland trennte, und ging in der Table Bay vor Anker.

Jamie war schon vor Sonnenaufgang an Deck. Fasziniert sah er, wie sich der frühe Morgennebel hob und den Blick auf den grandiosen Tafelberg freigab, der über der Stadt aufragte. Jamie war angekommen.

Sobald das Schiff am Kai anlegte, wurden die Decks überflutet von einer Horde der seltsamsten Menschen, die Jamie je gesehen hatte. Aus allen Hotels waren Werber gekommen: Schwarze, Gelbe und Braune boten ungestüm ihre Dienste als Gepäckträger an, kleine Jungen rannten hin und her und wollten Zeitungen, Süßigkeiten und Früchte verkaufen. Die Luft war voller riesiger schwarzer Fliegen. Seeleute und Gepäckträger bahnten sich stoßend und schreiend ihren Weg durch die Menge, während die Passagiere vergeblich versuchten, ihre Habseligkeiten beisammen und in Sichtweite zu halten. Die Leute redeten miteinander in einer Sprache, die Jamie noch nie gehört hatte. Er verstand kein Wort.

Kapstadt war gänzlich anders als alle Städte, die Jamie kannte. Es gab keine zwei Häuser, die einander ähnelten.

Jamie war fasziniert von den Männern, Frauen und Kindern, die sich in den Straßen drängten. Er sah einen Kaffer, der eine alte 78er Hochländerhose trug und einen Sack, den er mit Schlitzen für Kopf und Arme zum Mantel gemacht hatte. Vor dem Kaffer gingen Hand in Hand zwei Chinesen in blauen Arbeitskitteln und mit sorgfältig geflochtenen Zöpfen unter ihren spitzen Strohhüten. Da gab es dicke, rotgesichtige Buren mit sonnengebleichtem Haar, deren Karren mit Kartoffeln, Mais und Blattgemüse beladen waren. Männer in braunen Manchesterhosen und -mänteln mit breitkrempigen, weichen Filzhüten auf dem Kopf und langen Tonpfeifen im Mund schritten ihren ganz in Schwarz gekleideten vraws mit ihren dicken Tüchern und schwarzseidenen Schuten voran. Parsi-Waschfrauen, die riesige Bündel schmutziger Wäsche auf dem Kopf balancierten, schoben sich an Soldaten in roten Mänteln und Helmen vorbei. Es war ein hinreißendes Schauspiel.

Jamie suchte sich als Erstes ein preiswertes Logierhaus, das ihm von einem der Seeleute auf dem Schiff empfohlen worden war. Die Wirtin war eine dralle, vollbusige Witwe mittleren Alters. Sie sah sich Jamie von oben bis unten an und lächelte. »Zoek yulle goud?«

Er errötete. »Entschuldigung – ich verstehe Sie nicht.«

»Engländer, ja? Sind Sie wegen Gold hier? Oder Diamanten?«

»Wegen Diamanten, Ma’am.«

Sie zog ihn ins Haus. »Es wird Ihnen hier gefallen. Bei mir gibt’s alles, was ein junger Mann wie Sie braucht.«

Jamie fragte sich, ob sie zu einer gewissen Sorte gehörte. Hoffentlich nicht.

»Ich bin Mrs. Venster«, sagte sie kokett, »aber meine Freunde nennen mich Dee-Dee.« Sie lächelte, wobei ein Goldzahn sichtbar wurde. »Ich habe das Gefühl, dass wir schon bald sehr gute Freunde sein werden. Sie können mit allem zu mir kommen.«

»Das ist sehr nett von Ihnen«, sagte Jamie. »Können Sie mir sagen, wo ich einen Stadtplan kaufen kann?«

Mit dem Plan in der Hand erforschte Jamie die Stadt. Er spazierte durch das Wohngebiet der Reichen, durch die Strand Street und die Bree Street, und bewunderte die großen zweistöckigen Gebäude mit ihren flachen Dächern, ihren stuckverzierten Fronten und steilen Terrassen, die zur Straße hin abfielen. Er lief herum, bis ihn schließlich die Fliegen...