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Schampus, Küsschen, Räuberjagd - Ein rabenschwarzer Pauline-Miller-Krimi

Tatjana Kruse

 

Verlag Haymon, 2017

ISBN 9783709938003 , 264 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Bayreuth, ahnungslos


Champagner in Strömen – aber kein Glück ist ungetrübt


In den Adern echter Operndivas fließt kein Blut, sondern Champagner.

„Herr Ober …“ Ich winke mit der leeren Champagnerflöte dem jungen Kellner zu, der auf einem übergroßen Tablett Nachschubflöten balanciert.

„Du hast schon genug getrunken!“

Eine kleine Hand krallt sich in Höhe meines Hinterns in den Tüll meines Ballkleides und zerrt energisch daran.

Die Hand gehört Marie-Luise ‚Bröcki‘ Bröckinger, meiner kleinwüchsigen Agentin-Schrägstrich-Freundin. Was ihr an Körpergröße fehlt, macht sie durch Willenskraft wett. Ich bin die kapriziöse Künstlerin, sie ist die pragmatische Vernunftsperson. Als Team sind wir nach außen hin unschlagbar, aber innen gibt es jede Menge Reibungsfläche.

Aus Hüfthöhe zischelt sie mir zu: „Du weißt, der erste Eindruck zählt! Willst du dich hier als Schnapsnase einführen? Ausgerechnet hier?“

„Champagnernase, wenn schon. Und ich brauche das jetzt!“

Hier – das ist der grüne Hügel von Bayreuth. Genauer gesagt, das Steigenberger Festspielrestaurant.

Weil die Sommernacht lau ist, stehen wir beim Schampusnippen, Häppchenmümmeln und Plaudern alle auf der Terrasse: Sänger und Sängerinnen, Festspielleitung, Mitglieder des Freundeskreises, handverlesene Gäste.

Ich kann durchaus ein paar Minuten dauerlächeln und mich von meiner besten Seite zeigen, aber nicht für mehrere Stunden. Irgendwann schwächelt meine Gesichtsmuskulatur. Nur prickelnder Alkohol kann sie dann wieder in Lächelstellung festzurren.

„Danke, Frau Miller möchte nur ihr Glas abgeben“, sagt Bröcki zum Kellner und zerrt erneut am Tüll.

„Lass das!“, schimpfe ich.

Das Kleid hat mir Karl Lagerfeld auf den Leib geschneidert. Und zwar buchstäblich! Ein Leib, der – als Karli seine professionelle Hand anlegte – noch etwas schmaler war als jetzt, weswegen die Nähte Schwerstarbeit leisten müssen, um nicht zu platzen. Es besteht die ganz konkrete Möglichkeit, dass ich aus dem Kleid herausplatze. Das wäre doch mal ein unvergesslicher erster Eindruck! Aber den möchte ich, wenn’s geht, vermeiden …

Der Kellner nimmt mir das Glas ab und geht weiter.

Ich schmolle.

An meinem linken Ohr schnarcht es.

Radames, mein heißgeliebter Boston Terrier, liegt wie ein Hermelinkragen über meiner Schulter.

Wer ihn kennt, weiß, Radames ist Narkoleptiker, was bedeutet, dass er jedes Mal, wenn er sich sehr freut – oder aufgeregt ist oder sich erschrickt – abrupt einschläft. Allerdings liegt er gerade nicht in narkoleptischem Koma-Schlaf auf meiner Schulter, sondern ruht seinen kleinen Terrierkörper in ganz normalem Erschöpfungsschlaf aus. Während ich heute Nachmittag in einem der Probenräume des Festspielhauses die erste Sitzprobe absolvierte, preschte er an der Leine – an deren anderem Ende mein Chauffeur-Schrägstrich-Freund Yves hing – wild begeistert durch den Hofgarten, wie man mir zugetragen hat. Radames muss sich jetzt einfach regenerieren.

Und um beide Hände frei zu haben, drapierte ich ihn wie ein Accessoire über meine Schulter. Es hat durchaus Vorteile, wenn man einen handtaschenkompatiblen Schoßhund hat und keinen Bernhardiner oder irischen Wolfshund sein Eigen nennt.

„Ach, Frau Miller, darf ich sagen, welche Freude es mir und meiner Frau ist, dass Sie uns dieses Jahr bei den Wagner-Festspielen die Ehre geben?“

Ein Wagnerianer.

Man erkennt den echten Wagnerianer am fortgeschrittenen Lebensalter, den – für so alte Männer – einen Tick zu langen Haaren, den Bequemschuhen in Dunkelbraun zum teuren, aber nicht maßgeschneiderten schwarzen Anzug. Manche der Herren tragen auch ein Beret oder statt einer Fliege ein lässig gebundenes Seidentuch wie Lord Byron.

Da es auf Mitternacht zugeht und wir hier schon seit über fünf Stunden feiern, zolle ich dem Durchhaltevermögen des greisen Opernliebhabers Respekt. Und der Tatsache, dass ich ohne sein Interesse – und das der anderen Hardcore-Wagnerliebhaber – nicht hier sein könnte.

Ich knipse folglich mein Lächeln an, während ich ihm die Hand reiche, die er nicht schüttelt, sondern zum Mund führt. Er haucht einen Kuss in die Luft über der Hand. Das ist noch gute alte Schule! Mein Lächeln wird einen Tick echter.

„Das dürfen Sie mir gern sagen, vielen Dank. Wenn Sie wüssten, wie sehr ich mich freue, hier singen zu dürfen!“ Das ist nicht gelogen, sondern kommt ganz tief aus meinem Herzen. Den Sopranistinnen von meiner Statur hat Richard Wagner seine Frauenrollen ja quasi auf den Leib komponiert.

„Schlemmermacher“, sagt der Wagnerianer mit leichter Verbeugung. „Darf ich Ihnen meine liebe Gattin vorstellen?“

Seine liebe Gattin ist mindestens so alt wie er, möglicherweise sogar etwas älter, was mich irgendwie freut. Wagnerianer behalten signifikant oft das Originalmodell und tauschen es nicht midlifecrisisbedingt durch halb so alte Zweitfrauen aus.

„Sehr angenehm.“ Ich lächele ihr zu.

Ihre Lippen bleiben allerdings zu einem Strich zusammengepresst. Hager, kinnlange, graue Haare, beiges Sackkleid, mehrreihige Perlenkette. In ihrer Ehe ist eindeutig er die Frohnatur.

Bestimmt gehören die beiden zum Freundeskreis und sind somit Mäzene des Festivals. Wie ich hörte, gibt es über fünftausend dieser wackeren Förderer. Ich habe das Gefühl, an diesem Abend jeden Einzelnen kennen gelernt zu haben. Was natürlich Quatsch ist, so viele Menschen sind gar nicht da. Nicht Tausende, aber gefühlt Hunderte ergehen sich in und um das Steigenberger.

„Sie haben ja gar nichts mehr zu trinken“, merkt der Wagnerianer fast schon entsetzt an. „Darf ich so frei sein, Ihnen ein Glas Champagner zu holen?“

Ich mag diesen Mann!

Mein Blick wandert nach unten zu meiner Hüfte, aber Bröcki ist offenbar schon weitergewandert. Gute Agentin, die sie ist, nützt sie solche Veranstaltungen immer, um Kontakte zu knüpfen beziehungsweise zu zementieren. Diese Chance muss wiederum ich nützen.

„Sehr, sehr gern, vielen Dank.“ Ich schenke Herrn Schlemmermacher mein bezauberndstes Lächeln.

Wird er ein wenig rot? Ja, er wird ein wenig rot.

Das bekommt allerdings auch seine liebe Gattin, die Schlemmermacherin, mit.

Während wir beide seinem entschwindenden Rücken nachschauen, kann ich förmlich spüren, wie es neben mir zunehmend kälter wird. Fast schon arktisch.

Eigentlich ja süß, dass eine Seniorin denkt, ich wolle mir ihren geriatrischen Ehemann angeln. Das zeigt doch, dass man auch mit geschätzt über achtzig noch ein schlagendes Herz in der Brust hat, dass man liebt und fühlt und fürchtet.

Andererseits ist es auch eine Frechheit. Ich und ein Greis, der locker mein Großvater sein könnte? Pö!

Ich streichele das Hinterteil meines Radames, weil mich das erdet. Er schnorchelt im Schlaf und zuckt mit den Hinterläufen.

Gerade will ich der Seniorin erklären, dass ich nicht auf Beutejagd bin, Betonung auf: nicht!, sondern vielmehr seit kurzem die glückliche Gefährtin eines unglaublich gut aussehenden isländischen Dirigenten bin, aber sie kommt mir zuvor.

„Was ich mich in letzter Zeit oft frage …“ Sie schaut mich aus wässrig-blauen Augen eisig an. „Wie kann man Musik machen, wenn die Welt gerade so im Argen liegt? Wenn Millionen Menschen in Angst leben – Angst vor politischer Instabilität und sogar vor Krieg?“

Das kommt wie ein Vorwurf rüber und ist definitiv auch so gemeint.

Weil ich mein ganzes Leben der Oper gewidmet habe, überkommt mich jetzt das Gefühl, als hätte mir die Alte den Boden unter den Füßen weggerissen. Musik ist für mich wie Atmen – ohne geht es nicht. Aber macht mich das eventuell zur französischen Königin Marie Antoinette, die – als man sie darauf hinwies, dass viele ihrer Untertanen nicht genug Geld hätten, um Brot zu kaufen – der Legende nach rief: Dann sollen sie eben Kuchen essen!? Bin ich ein elitäres Geschöpf, das unter der Guillotine landen sollte?

Da tönt eine Stimme: „Oder muss man vielleicht gerade deshalb Musik machen? Um die Menschlichkeit gegen den Wahnsinn der Welt zu behaupten? Sind Sänger und Musiker nicht womöglich die Sachwalter des Guten und Schönen?“

Wenn Bröcki unverhofft wie aus dem Nichts auftaucht und losbellt, reicht das, um eine ahnungslose Greisin zusammenzucken zu lassen. Die Alte fasst sich an den Hals mit der dreireihigen Perlenkette – Süßwasserperlen, wie ich hinzufügen möchte – und presst pikiert die Lippen zusammen. Sie gehört noch zu der Generation, die Kleinwüchsige für bemitleidenswerte, benachteiligte Geschöpfe hält, denen man als wohlerzogener Mensch nicht Kontra geben darf. Folglich verkneift sie sich eine Retourkutsche.

Ich schaue dankbar zu Bröcki hinunter, die mir – wieder einmal – das Leben gerettet hat. Sie ist und bleibt die beste Agentin der Welt.

Schlemmermacher kommt mit einer halbvollen Champagnerflöte zurück. Entweder leidet er an Greisenzittern oder er wurde im Getümmel der Wogen mehrmals angerempelt und hat deshalb die Hälfte verschüttet. Egal, ich bin für jeden Schluck dankbar. Meine Rechte fährt gierig aus. Begierig, aber nicht schnell genug.

„Danke, sehr freundlich.“ Bröcki nimmt ihm das Glas ab. „Wenn Sie uns jetzt entschuldigen würden?“

Mit ihrer freien Hand packt sie mich am...