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Club der Heldinnen 2. Hochverrat im Internat

Nina Weger

 

Verlag Verlag Friedrich Oetinger, 2017

ISBN 9783960520184 , 240 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Kapitel Eins


Eine heftige Windböe fuhr durch den Kreuzgang und pustete Flo die rote Samtkapuze vom Kopf. Besorgt schaute sie in den grauen, von Wolken zerrissenen Himmel über dem Matilda Imperatrix. »Das sieht nicht gut aus!«

Pina nickte, fasste die flatternden Enden ihres Umhangs und zog sie fröstelnd um ihr Lederhemd. »Es ist kein einziger Vogel in der Luft! Ich fürchte, das wird mehr als ein normaler Herbststurm.«

»Zum einbeinigen Klabautermann!« Blanca zeigte auf eine Windhose, die kreuz und quer durch den Innenhof des Internats schoss. Blitzschnell wechselte der Wirbel die Richtung, und jedes Mal riss er mehr Staub und Herbstblätter in die Höhe. »Auf See würde ich jetzt den nächsten Hafen ansteuern!«

Flo spürte ein merkwürdiges Grummeln im Bauch. Wenn selbst Blanca nervös wurde, die sich sonst vor nichts fürchtete – dann bedeutete das Alarm!

»Ich geh zu Ringstrøm«, verkündete sie entschlossen. »Wir müssen sofort einen Notfallplan erstellen.«

Kaum hatte sie ausgesprochen, begannen die Glocken der Internatskapelle wild zu läuten. Das war der Ruf zu einer Sonderversammlung aller Schülerinnen!

»Auf die Idee sind wohl schon andere gekommen«, rief Blanca gegen den Wind.

»Kommt, Blutsschwestern!« Pina stopfte ihre wehenden Haare unter die Kapuze. Dann rannten sie los.

Aus allen Gängen, Treppenhäusern und Türen strömten nun Mädchen in roten Samtumhängen und eilten den Säulengang hinunter zum Kapitelsaal.

»Habt ihr Charly irgendwo gesehen?«, rief Flo und versuchte, im Meer der roten Kapuzen ihre kleine Schwester ausfindig zu machen. Sie musste irgendwo bei den Drittklässlern sein … Da entdeckte sie ein hünenhaftes Mädchen mit Schultern so breit wie ein Türrahmen. »Mette!« Dann konnte Charly ja nicht weit sein! Flo drängelte sich durch einen Pulk aufgeregt schnatternder Drittklässler. »Hey, Mette, hast du Charly –«

»Hui, da ist ja meine große Schwester-Luftverpester!« Charly sprang hinter ihrer riesigen Freundin hervor und hüpfte vor Flo auf und ab.

»Sehr lustig! Alles in Ordnung bei dir?«

Charly rollte mit den Augen. »Maaann. Ich bin nicht mehr klein wie ein Ferkel-Schwein!«

»Ich weiß, aber ich glaube, das wird ein ziemlich schlimmer Sturm und –!«

»Wenn es zu sehr weht, dann kette ich mich an Mette!« Charly grinste von einem Ohr zum anderen. »Da flieg ich schon nicht weg – wie Sand und Dreck!«

Flo stöhnte. »Kannst du mal einen Satz normal sagen?!«

Charly schüttelte den Kopf.

»Auch egal. Hauptsache, ihr bleibt zusammen, okay?« In dem Moment bekam Flo von hinten einen Schubs und wurde durch die Eichenpforte in den großen Versammlungssaal des Matilda Imperatrix gespült.

Der lang gestreckte Raum war an den Längsseiten von alten, verschnörkelten Holzbänken umgeben. In den hellen Sandsteinboden waren die Namen ihrer berühmten Vorgängerinnen eingemeißelt, und die Decke bestand aus einem hohen dunkelblauen Gewölbe, das von unzähligen goldenen Sternen übersät war. Flo rannte schnurstracks zu den Reihen der Fünftklässler und rutschte in die Bank zu Pina, Blanca und ihren anderen Klassenkameradinnen.

»Ruhe bitte! Ruhe!« Eine kleine, runde Frau wedelte aufgeregt mit den Armen und stieg auf die Bühne am anderen Ende des Saals. Es war Madame Maseleige, die Hausmutter. »Liebe Schülerinnen des Matilda Imperatrix … Ruhe bitte!«

»Wo ist Direktorin Petronova?!«, flüsterte Flo. Pina zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich ist die Lage so dramatisch, dass sie Wichtigeres zu tun hat …«

Vorn auf der Bühne wurschtelte Madame umständlich in ihren Zetteln. »… also … Folgendes lässt mich unsere Direktorin ausrichten: Der Sturm, vor dem unser Wetter-Team gewarnt hatte, ist mittlerweile zu einem Orkan angewachsen und wird voraussichtlich in einer Stunde unser Internat erreichen. Im Laufe der Nacht erwarten wir heftige Regenfälle, die die Bergbäche anschwellen lassen werden. Niemand weiß, ob die Staudämme den Wassermassen standhalten. Darum …« Wieder blätterte Madame in ihren Papieren. »… darum werden wir unsere Häuser jetzt so gut wie möglich sichern und die Nacht in den Notfallkellern verbringen. Es tritt Plan N2 ein!«

Ein Raunen ging durch den Saal.

»Die zweite Notstufe?! Wann gab es die zuletzt?«, wisperte Minerva, Expertin für Heil- und Giftpflanzen.

Pina zog mit besorgtem Blick die Schultern hoch. »Solange ich aufs Matilda gehe, jedenfalls noch nie.«

»Das muss mindestens zwölf Jahre her sein«, flüsterte Olga aus der Reihe vor ihnen. Sie gehörte zum Team der Raumfahrt-Spezialisten und trieb sich oft in der Sternwarte, direkt neben der Wetter-Beobachtungsstation, herum. Flo machte sich ganz andere Gedanken. Sie riss einen Arm hoch und rief: »Madame Maseleige, was passiert mit den Pferden und den anderen Tieren?«

»Stallmeister Aaron bringt die Pferde gerade ins Dorf hinunter. Signora Agricola kümmert sich um die restlichen Tiere. So, meine Damen, jede weiß, was sie jetzt zu tun hat. An die Arbeit, husch-husch!«

Flo kletterte aus der Bank und winkte Pina und Blanca zu. »Wir sehen uns später!«

Denn nun musste jede von ihnen ihrer speziellen Aufgabe nachgehen – und die richtete sich ganz nach der jeweiligen besonderen Begabung. Genau deshalb waren sie ja auf dieser Schule für außergewöhnliche Mädchen: weil jede von ihnen ein besonderes Talent besaß, mit dem sie eines Tages die Welt verbessern konnte.

Blanca segelte weltklassegut und war Spezialistin für Internet-Fragen. Deshalb war sie für die Sicherung der Computerräume zuständig. Pina, sensationelle Naturbeobachterin und Bogenschützin, musste bei Notfallstufe zwei das Wetter-Team unterstützen. Flo zählte zu den besten Reiterinnen und war eine der scharfsinnigsten Planerinnen des Internats. Darum gehörte sie zum Strategie-Team von Herrn Ringstrøm. Sie war übrigens die jüngste Schülerin in der tausendjährigen Geschichte des Matilda, der diese Ehre zuteilgeworden war. Und schon aus diesem Grund wollte sie jetzt auf gar keinen Fall zu spät kommen.

Mit Vollgas sauste sie den Kreuzgang hinunter und riss die Pforte zum hinteren Internatsteil auf, da stieß eine heftige Böe sie mit voller Wucht zurück in den Gang. Mit zusammengekniffenen Augen blickte Flo in den düsteren Himmel. Die einzeln dahinjagenden Wolken waren verschwunden – stattdessen verdunkelte eine monströse schwarze Riesenwolke das Firmament. Mit ungeheurem Tempo walzte das Ungetüm direkt auf das Matilda zu. Flo schluckte – dann stemmte sie sich mit gesenktem Kopf gegen den Sturm.

 

Herr Ringstrøm erwartete sie im großen Laborraum des Exploratoriums. Trotz der Orkanböen war sein weißes Haar ordentlich zurückgekämmt, und die Kette seiner goldenen Taschenuhr baumelte in einem hübschen Bogen aus der Nadelstreifenweste. Herr Ringstrøm sah immer so aus, als sei er gerade aus einem Stummfilm geplumpst, und selbst im größten Chaos blieb er so ruhig, als plane er bloß ein gemütliches Sonntagspicknick. Das lag natürlich auch daran, dass sein Experten-Team bestens für alle Notfälle vorbereitet war und er sich immer auf seine Schülerinnen verlassen konnte.

»Ich verteile Kerzen und Zündhölzer in den Notfallkellern«, meldete sich Nour aus der zwölften Klasse.

»Wir versorgen alle mit Decken«, erklärte Rasheda für ihre Dreiergruppe. Die Nächsten kümmerten sich um Trinkwasser, andere um Lebensmittel oder Brennholz für die Öfen. Ein paar Große übernahmen das Satellitentelefon und die Medizinkoffer. Flo musste die Notstrom-Generatoren mit Benzin befüllen, damit sie sich bei einem Stromausfall selbst mit Elektrizität versorgen konnten. »Wir sollten die Apparate gleich an strategisch günstige Orte bringen«, schlug sie vor. »A) wissen wir nicht genau, wo und wie der Orkan auf das Internat treffen wird, und B) ist das Durchkommen später vielleicht schwierig.«

»Sehr gut«, lobte Herr Ringstrøm. »Legen wir los.«

In dem Moment zuckte ein greller Blitz über den Himmel und tauchte den Laborraum in ein gespenstisches Licht. Dann wurde es dunkel.

»Das geht ja schneller als befürchtet«, murmelte Flo und band sich ihre Stirnlampe um den Kopf. Zusammen mit zwei Helferinnen aus der Technik-Gruppe marschierte sie hinaus in den Sturm.

Nachdem sie das erste schwere Notstrom-Aggregat zur Küche geschoben hatten, brauste ihnen der Wind noch ungestümer um die Ohren. Die alten Bäume beugten ächzend ihre Kronen, der Wetterhahn über dem Speisesaal wirbelte hysterisch von rechts nach links, und es toste so laut, dass Flo nicht mehr verstand, was ihre Helferinnen ihr zuriefen. Mit Handzeichen gab sie knappe Anweisungen. Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit. Die Abstände zwischen Blitz und Donner wurden immer kürzer – und das bedeutete, dass der Orkan in rasender Geschwindigkeit näher kam.

Flo und ihr Team gelang es noch, eines der Stromgeräte in die Bibliothek zu schleppen, dann begannen die Glocken der Kapelle wild zu läuten. Höchste Alarmstufe! Jetzt mussten sie auf der Stelle in ihre Notquartiere abtauchen. Flo gab ihren Helferinnen ein Zeichen, dann rasten sie los.

Die Quartiere der fünften Klassen befanden sich in den mittelalterlichen Vorratskellern unter dem Innenhof. Die Einstiegsluken lagen verdeckt zwischen Rosenbeeten, und Flo musste nur über die halbhohe Mauer des Kreuzgangs springen, dann waren es keine zwanzig Meter mehr. Doch die hatten es in sich: Kaum war sie im Hof gelandet, peitschte ihr der Regen ins Gesicht. Innerhalb von Sekunden war sie nass bis auf die Haut. Abgerissene Äste und Ziegel...