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Der Präsident - Thriller

Sam Bourne

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2017

ISBN 9783732550999 , 479 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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Zweites Kapitel


Das Weiße Haus, Montag, 08.45 Uhr

»Was zum Teufel ist das?«

Maggie Costello stand in dem Vorzimmer, in dem die Privatsekretärin ihres Chefs mit zwei anderen Beamten saß. Sie hatte soeben etwas entdeckt: An der Wand hinter der Sekretärin hing ein Kalender, gleich neben den Porträts der Männer, die früher das ehrwürdige Amt des Rechtsberaters im Weißen Haus bekleidet hatten. Typische Kalender in Washingtoner Regierungsgebäuden zeigten spektakuläre Aufnahmen von amerikanischen Landschaften. Dieser hier hingegen gehörte zu der Sorte, die man eher in einer Autowerkstatt erwarten würde. Das Bild des aktuellen Monats Mai zeigte eine Frau auf allen vieren, die mit nichts am Leib als einem knappen Bikinihöschen in die Kamera blickte. Sie hatte den Mund geöffnet, sodass man die Spitze ihrer Zunge sehen konnte.

Die Privatsekretärin, eine Schwarze in den Fünfzigern, zuckte resigniert mit den Schultern.

»Im Ernst, Eleanor, wer hat den da aufgehängt?«

Die Privatsekretärin blickte Maggie mit einem vielsagenden Ausdruck an: Bring mich nicht in Schwierigkeiten.

Maggie beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Ich verrat’s keinem.«

Eleanor schaute kurz über die Schulter und sagte dann: »Anweisung von Mr McNamara. Er hat sie im ganzen Westflügel aufhängen lassen. Er meinte, es sei längst überfällig, dass man in diesem Gebäude auf Tuchfühlung mit der arbeitenden Bevölkerung unseres Landes geht. Es sei höchste Zeit, dass es hier wie an einem normalen amerikanischen Arbeitsplatz aussieht.«

»Das ist nicht mal ein Witz, oder?«

Die Frau schüttelte den Kopf.

Maggie beugte sich weiter vor, langte über Eleanors Schulter und riss den Kalender mit einem Ruck von der Wand. Dann zerriss sie das dicke, beschichtete Papier zweimal und ging zu den Abfalleimern. Aus Gewohnheit hielt sie Ausschau nach dem grünen, der für Papier vorgesehen war.

»Kein Recycling mehr, Maggie. Das hat er auch abgeschafft. ›Wir sind hier nicht im Grünen Schwuchtelhaus. Wir sind im Weißen Haus.‹«

»Das hat er gesagt?«

»Uh-hm.«

Maggie warf die Überreste des Bikinimodel-Kalenders in den einzigen Papierkorb im Raum, ging in ihr Büro und knallte die Tür hinter sich zu.

Sie hätte sich gern bei ihrem direkten Vorgesetzten beschwert, bei dem Mann, der den Titel Rechtsberater trug. Doch bekleidete er das Amt in ständiger Abwesenheit; ein Kumpan des Präsidenten, der ihm früher als persönlicher Anwalt in Konkursangelegenheiten gedient hatte und dafür mit einem Posten im Weißen Haus belohnt worden war. Maggie war ihm nur einmal begegnet, auf der Cocktailparty anlässlich seiner Ernennung; seither hatte er sich nicht mehr im Weißen Haus blicken lassen.

Sie nahm ihr Smartphone zur Hand und schrieb Richard eine Nachricht: Was zum Teufel machen wir hier?

Früher hatten hier viele Frauen auf allen möglichen Ebenen gearbeitet, die den Kalender ebenfalls weggeworfen oder Maggie zumindest dabei unterstützt hätten. Jetzt gab es nur noch zwei Frauen in ihrer Abteilung: sie selbst und Eleanor. Die übrigen Mitarbeiter waren ausnahmslos Männer, die meisten davon Weiße. Und dieses Schema zog sich durchs gesamte Weiße Haus.

Richard antwortete wenige Sekunden später: Sitze gerade mit Wirtschaftsleuten zusammen. Heute Abend reden?

Sie ließ das Telefon über den Schreibtisch schlittern, wo es gegen das Bild prallte, das sie zusammen mit dem vorherigen Präsidenten zeigte; ein solches Foto auf dem Tisch zu haben war in der laufenden Amtsperiode ein verhaltenes Zeichen der Rebellion. Im Moment hätte sie ihren ehemaligen Chef am liebsten verflucht. Zum Teil war es seine Schuld, dass sie noch immer hier war.

»Hören Sie, Maggie«, hatte er gesagt. »Ich weiß, was Sie von meinem Nachfolger halten …«

Sie hatte ihn nicht ausreden lassen. »Sehen Sie – selbst das kann ich einfach nicht fassen. Meinen Nachfolger. Wie können Sie das sagen, als wäre es normal? Das ist nicht normal. Er ist ein Lügner und Betrüger und Fanatiker. Er dürfte nicht einmal in die Nähe dieses Hauses kommen!«

Der aus dem Amt scheidende Präsident hatte ihr die Bemerkung nachgesehen, so wie immer. »Maggie, Sie sind eine sehr leidenschaftliche Frau. Deshalb haben Sie unserer Regierung – und mir – so gute Dienste geleistet. Doch das Volk hat gesprochen. Er wird mein Präsident sein – und er sollte auch Ihrer sein.«

»Von Ihnen verlangt aber niemand, hier weiterhin zu arbeiten.«

»Ich denke, dazu gehöre ich wohl zur falschen demografischen Gruppe«, sagte er lächelnd.

»Genau. Das ist noch so ein Knackpunkt. Es werden ausschließlich weiße Männer eingestellt. Hunderte. Das gilt für jeden Posten, den er besetzt. Als ob Millionen und Abermillionen von Menschen unsichtbar sind für ihn.«

»Wenn Sie also hierbleiben, können Sie das Verhältnis ein wenig ausgleichen. Eine Frau, gebürtig aus Dublin. Damit können Sie gleich zwei Kästchen ankreuzen.«

»Aber …«

»Es geht dabei nicht nur um ihn, Maggie. So wie es auch nie um mich ging. Es geht um unser Land. Sie müssen dafür sorgen, dass der Zug auf den Schienen bleibt.«

»Klar, damit er ihn mit voller Wucht gegen den Prellbock fahren kann. Davon abgesehen, was sollte ich schon für ihn tun können? Als ehemalige UN-Entwicklungshelferin, ehemalige Friedensbotschafterin, als Frau – ich passe nicht so ganz in sein Schema, oder?«

»Sie könnten für ihn dasselbe sein wie für mich. Die leitende Krisenmanagerin. Die Frau, die weiß, wie man jede Krise analysiert und löst.«

»Aber dafür muss ich ihm vertrauen können.«

»Ich weiß, Maggie.«

»Sie haben mir vertraut und ich Ihnen. Uneingeschränkt.«

»Das ist wahr, und ich weiß das zu schätzen. Aber Sie werden schon einen Weg finden. Den finden Sie immer.«

Maggie betrachtete das Foto und staunte darüber, wie naiv sie damals gewesen war. Noch vor einem Jahr hätte sie die gegenwärtige Lage nicht für möglich gehalten. Das ging allen so. Und dann überkam es sie, das vertraute, geradezu Übelkeit erregende Schuldgefühl. Es schien aus ihrem Innersten zu kommen, befeuert von tiefster Abscheu. Hätte sie doch nicht …

Sie versuchte, den grässlichen Gedanken zu verdrängen, und tippte noch eine Nachricht an Richard in ihr Handy: Wann kannst du heute frühestens los? Lass uns bei mir zu Abend essen. Ich brauche jetzt wirklich …

Ehe sie die Nachricht vollendet hatte, stieß jemand ihre Bürotür auf. Sie hörte seine Stimme, ehe sie ihn sah. »Haben Sie etwas an?«

Crawford »Mac« McNamara, der Chefberater des Präsidenten. Wenn Maggie und alle anderen Parteiunabhängigen, die noch hier arbeiteten, den Zug auf den Schienen halten sollten, war McNamara der Mann, der den Zielbahnhof bestimmte. Selbst Bob Kassian, der eigentliche Stabschef, war im Vergleich zu ihm nur ein Bürokrat. Im Sonnensystem des Weißen Hauses leuchtete nur ein Stern heller als dieser Mann.

Natürlich kreiste Maggie mehrere Mondumlaufbahnen unter ihm – selbst unter dem früheren Präsidenten hatte ihre offizielle Positionsbezeichnung nie ihren tatsächlichen Status ausgedrückt. Nach den althergebrachten Regeln Washingtons bedeutete das, ein Mann von McNamaras Rang würde sich nicht einmal dazu herablassen, mit ihr ein Wort zu wechseln, ganz zu schweigen davon, sie in ihrem Büro aufzusuchen. Doch er war ein Gesetzloser von eigenen Gnaden, der Zauberer, der das Washingtoner Regelbuch zerfetzt hatte, damit sein Kandidat zum Präsidenten gewählt werden würde. Zum Teufel mit Gewohnheiten. Memos waren für Trottel, protokollierte Sitzungen für Arschlöcher. Stattdessen patrouillierte er täglich durch den Westflügel und schlenderte in jedes beliebige Büro, wann immer es ihm gefiel. Und das Oval Office bildete diesbezüglich keine Ausnahme. McNamara begann und beendete jeden Tag mit einem persönlichen Besuch beim Präsidenten; er war die allmächtige Stimme in seinem Ohr.

Und es war nicht das erste Mal, dass er Maggie in ihrem Büro besuchte. »Es ist doch offensichtlich«, hatte Richard gesagt, als sie eines Abends über chinesischem Take-away-Essen darüber gesprochen hatten. »Du bist die attraktivste Frau im Büro, und er ist von dir … angetan. Ich würde mich geschmeichelt fühlen.«

Maggies Antwort war knapp ausgefallen: Igitt. Und nun stand der Kerl wieder vor ihr, der trotz seines mittleren Alters noch eine Cargohose mit großen Taschen trug, dazu ein Linkin-Park-T-Shirt und an den Füßen Socken, aber keine Schuhe. Sein Kopf war fast völlig kahl.

»Haben Sie heute Zeitung gelesen, Costello?« Er warf ihr eine Ausgabe der Washington Post auf den Schreibtisch. Er hatte einen Artikel über eine neue Umfrage aufgeschlagen, derzufolge das Land »seit dem Bürgerkrieg nicht mehr so stark entzweit« gewesen sei.

»Warum zeigen Sie mir das, Mr McNamara?«

»Oh, hat jemand meinen Vater hereingelassen? Mister McNamara? Wer ist das? Ich bin Mac, Maggie. Mac. Ich dachte, ihr Liberalen lasst die Förmlichkeiten am Arbeitsplatz gern weg?« Er vollführte eine affektierte Geste und hob die Stimme. »Oh, wir sind alle gleich. Behandelt mich einfach wie die anderen

Sie besann sich auf das, was sie mit Richard erörtert hatte. Dass sie vielleicht die Auswirkungen der Präsidentschaft lindern könnten – und sei es nur im Kleinen –, indem sie beide auf ihren Posten blieben, als Insider. Sie hatten die...