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Die Kamelien-Insel - Roman. Wohlfühl-Saga um eine Gärtnerei in der Bretagne

Tabea Bach

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2018

ISBN 9783732549979 , 319 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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1
Die Erbschaft


Der Himmel glühte in feurigen Farben und spiegelte sich tausendfach im Lack der Fahrzeuge, die sich in einer endlosen Kolonne auf der Schnellstraße Zentimeter für Zentimeter voranschoben. Sylvia, die mitten darin in einem Taxi festsaß, konnte das Schauspiel der fedrigen Wolkenformationen, die jeden Augenblick in einem anderen Gelborangeton aufleuchteten, allerdings nicht genießen. Zum hundertsten Mal sah sie auf ihre Armbanduhr, sich darüber bewusst, dass die Zeit unerbittlich weiterlief. Und dass sie es mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr rechtzeitig nach Hause schaffen würde.

Sylvia seufzte. Es war jener Freitag, an den ihr Mann Holger sie immer wieder erinnert hatte. Und wie außerordentlich wichtig der Termin dort draußen am Starnberger See für ihn sei. Und dass sie sich unter keinen Umständen verspäten dürfe. Sie hatte extra einen Flug früher genommen, hatte den Termin mit ihrem Auftraggeber fast schon unhöflich kurz gehalten, war zum Flughafen geeilt, hatte eingecheckt und war an Bord gegangen, nur um dort gemeinsam mit den übrigen Passagieren startbereit und angeschnallt mehr als eine Stunde warten zu müssen. In regelmäßigen Abständen hatte sie der Flugkapitän darüber informiert, dass sie die Genehmigung zum Starten noch immer nicht erhalten hatten. Und jetzt standen sie im Stau auf dem Weg in die Münchener Innenstadt.

In diesem Moment hörte man ein Martinshorn, dann ein zweites, ein drittes. Die zweispurige Autokolonne schob sich scheinbar widerstrebend auseinander, um Platz für Polizei und Rettungswagen zu machen.

»Was meinen Sie?«, fragte Sylvia, »könnten Sie sich an den dranhängen?« Der Fahrer riss das Steuer herum, trat aufs Gaspedal, sodass Sylvia unsanft gegen ihre Rückenlehne gedrückt wurde, und folgte den Rettungswagen, als gehörte er zu einer Spezialeinheit. Auf einmal ging alles ganz schnell. Unbehelligt passierten sie auf dem Seitenstreifen die Unfallstelle, und zehn Minuten später hielt das Taxi in der Königinstraße. »Das haben Sie großartig gemacht«, sagte Sylvia, bezahlte die Rechnung, gab ein großzügiges Trinkgeld und bestellte den Fahrer für den nächsten Morgen um Viertel nach sieben.

»Wo soll die Fahrt hingehen?«

»Wieder zum Flughafen«, antwortete Sylvia und lachte, als sie das verdutzte Gesicht des Taxifahrers sah.

Am überquellenden Briefkasten erkannte sie erleichtert, dass ihr Mann noch nicht nach Hause gekommen war. Im Fahrstuhl sah sie den Poststapel kurz durch. Unter dem weißgrauen Einerlei der Geschäftspost stach eine Postkarte aus Venedig mit einer Ansicht der Seufzerbrücke hervor. Sylvia drehte sie um und musste lachen.

Liebste Sylvia, stand da in einer ausdrucksvollen Frauenhandschrift, bereu es ruhig, dass du nicht mitgekommen bist. Ich trinke einen Spritz für dich mit. Baci, Veronika.

Mit einem leisen Klingelton kam der Fahrstuhl zum Stehen. Veronika hatte gut spotten – als Übersetzerin technischer Texte konnte sich ihre Studienfreundin die Arbeit einteilen. Immer wieder quälte sie Sylvia mit den verrücktesten Ideen: Lass uns doch mal nach Venedig fahren und Spaß haben! Bitte, bitte! Nur ein einziges verlängertes Wochenende!

Dass auch Sylvia in der Lage wäre, ihre Arbeitszeiten selbst zu bestimmen, wie Veronika immer wieder völlig richtig bemerkte, war nur in der Theorie der Fall. Tatsächlich schaffte sie es schon seit zwei Jahren nicht mehr, sich auch nur eine einzige Woche freizunehmen.

Während sie die Tür zu ihrer Wohnung, einem großzügigen Penthouse direkt am Englischen Garten, aufschloss, fiel ihr zum Glück noch ein, dass sie Sandra herbestellt hatte. Sie waren einst im selben Mietshaus groß geworden und sozusagen Freundinnen aus Kindertagen. Sandra war Visagistin geworden, und nun half sie Sylvia gelegentlich, sich für die Partys und Empfänge zu stylen, die diese mit ihrem Mann, der ein erfolgreicher Immobilienmakler war, immer wieder zu besuchen hatte. Sandra hatte einen Wohnungsschlüssel und kam ihr schon entgegen.

»Da bist du ja endlich«, rief sie und strahlte Sylvia an. »Lass mich raten: Der Flug hatte Verspätung? Du Ärmste!«

»Es war zudem noch die Hölle auf der Straße …« Sylvia seufzte und verfrachtete ihren Aktenkoffer ins Arbeitszimmer, hängte ihren Mantel an die Garderobe und streifte die hochhackigen Pumps ab. »Freitagabend eben.«

»Na, da wird dir eine schöne Wohlfühlmassage guttun«, bemerkte Sandra. »Ich hab schon alles vorbereitet. Welches Öl magst du lieber: Rose oder Limette?«

Das nun fast violett schimmernde Abendlicht fiel durch die große Fensterfront in Sylvias Schlafzimmer, wo Sandra bereits die Massageliege aufgebaut und ihren Make-up-Koffer bereitgestellt hatte. Über den Dächern von Schwabing stand noch die Sonne, während in den Baumwipfeln des Englischen Gartens bereits die Schatten hingen. Doch Sylvia hatte keinen Blick für die Schönheiten der Umgebung.

»Für eine Massage hab ich keine Zeit, Sandra. In einer halben Stunde muss ich gestiefelt und gespornt sein, das hab ich Holger versprochen. Hilfst du mir?«

Zwanzig Minuten später war Sylvia geduscht, Sandra hatte ihr halblanges dunkelblondes Haar zu einer eleganten Frisur hochgesteckt und sie perfekt geschminkt.

»Was ziehst du an?«, fragte Sandra.

Sylvia ging zu ihrem Schrank, griff vorsichtig nach einem rauchblauen Seidenkleid und hielt es vor sich. »Wie findest du das?«

Sandra nahm das Kleid, öffnete den Reißverschluss und half Sylvia hinein. »Das ist vielleicht mal ein raffinierter Schnitt«, sagte sie anerkennend und zog den Rückenverschluss vorsichtig zu. »Was für eine tolle Figur du hast, Sylvia! Und die Farbe bringt deine Augen richtig zum Leuchten! Das Kleid ist wie für dich gemacht.«

»Schau mal, dazu passen die doch gut, oder?«

Sylvia holte eine Schmuckschatulle aus der Schublade ihrer Kommode und öffnete sie. Zum Vorschein kamen zwei prächtige Diamantohrgehänge.

»Wahnsinn! Sind das die, die dir Holger zum zehnten Hochzeitstag geschenkt hat?«, fragte Sandra. »Sylvia, du … du bist die glücklichste Frau, die ich kenne.«

Sylvia schwieg verlegen, während Sandra ihr half, die Ohrringe anzulegen. Sie wusste, dass ihre Freundin, die seit einem halben Jahr geschieden war, sie beneidete. Zwischen ihr und ihrem Ex Martin tobte ein erbitterter Kampf um das Reihenhaus draußen in Ismaning, das sie gemeinsam bewohnt hatten, und um jeden weiteren Cent. Während Martin mit seiner viel jüngeren neuen Partnerin eine Weltreise machte, musste Sandra sehen, wie sie über die Runden kam. Sie war selbstständig, und das Geschäft lief nicht sonderlich gut.

Auch das war ein Grund, warum Sylvia Sandra so oft wie möglich buchte, selbst wenn sie am Ende nie die Zeit hatte, das volle Wohlfühlprogramm in Anspruch zu nehmen. Sylvia wusste aus eigener Erfahrung, wie es war, jeden Cent zweimal umdrehen zu müssen, ehe man ihn ausgab. Der Wohlstand, in dem sie mit Holger heute lebte, war ihr keineswegs in die Wiege gelegt worden. Auch sie hatte schon andere Zeiten durchgemacht und erlebte Tag für Tag während der Arbeit, wie sich durch ein paar wenige unglückliche Entscheidungen ein Leben vollständig wenden konnte. Und eines wollte Sylvia nie wieder werden: arm. Deshalb half sie Sandra gern aus und bezahlte sie großzügig.

»Allein diese Partys«, schwärmte Sandra weiter. »Wie sehr ich dich darum beneide. All die Promis, die du dort triffst. Und alle engagieren sie Holger, wenn sie eine Villa suchen …«

Wie aufs Stichwort stürmte Sylvias Mann zur Tür herein.

»Bist du fertig, Sylvia?«, rief er, während er sich seine Krawatte band. Wie immer sah er ausgesprochen gut aus, seine schlanke, durchtrainierte Golferfigur steckte in einem schwarzen Maßanzug.

»Das kann man sagen«, antwortete Sylvia. »Aber wie wär’s zuerst mit einer Begrüßung?«

Holger warf über Sylvias Schulter hinweg einen prüfenden Blick auf sein Spiegelbild. Dann nickte er Sandra kurz zu und sah Sylvia zum ersten Mal richtig an.

»Entschuldige, mein Schatz«, sagte er und gab ihr von hinten einen Kuss auf die Wange. »Du siehst toll aus. Können wir los?«

Fünf Minuten später saß Sylvia neben ihrem Mann in dessen Porsche Spyder. Holger steuerte den schnittigen Wagen aus der Stadt und über die E533 in Richtung Starnberg. Ein paar Kilometer weiter, in der Nähe von Bernried, hatte der Schauspieler Sebastian Schnell zur Housewarming Party in seine frisch über Holgers Immobilienfirma erworbene Traumvilla geladen, und zwar die Schönsten und Reichsten der Republik samt der Prominenz aus Film und Fernsehen. Keiner außer dem Gastgeber, Holger und ihr wusste, dass sich der Schauspieler vertraglich zu dieser Party verpflichtet hatte, um der Immobilienfirma potenziell kaufkräftige Kunden zuzuführen. Dafür hatte Holger ihm einen Teil des Kaufpreises erlassen. Die Gäste ahnten natürlich auch nicht, dass keineswegs Sebastian Schnell selbst, sondern Holger die Party finanzierte.

»Dafür muss dieser Abend aber mindestens drei Neukunden bringen«, hatte Sylvia ihrem Mann bei einem Sonntagmorgenfrühstück, einer der seltenen gemeinsamen Mahlzeiten, vorgerechnet, »sonst zahlst du drauf.« Nicht umsonst war sie Unternehmensberaterin. Sie fand es bedauerlich, dass ihr eigener Mann ihre Kompetenzen nie in Anspruch nahm, aber vielleicht war es besser so. Ein Mann, der auf den professionellen Rat der eigenen Frau hörte, musste wohl erst noch geboren werden. Und schließlich hatten sie von Anfang an eine klare Abmachung getroffen: Keiner mischte sich in die Geschäfte des anderen ein, es sei denn, der andere fragte ihn um seinen Rat. Oder um »Beistand«, so wie Holger, wenn er Sylvia bat, ihn zu den mondänen...