dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Immerschuld - Thriller

Roman Klementovic

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2017

ISBN 9783839254301 , 347 Seiten

4. Auflage

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

2


Ich blickte zwischen den Baumwipfeln hindurch in den wolkenlosen Himmel empor. Obwohl es noch früh am Morgen war, strahlte die Sonne schon so kräftig, dass ich meine müden Augen mit der Hand abschirmen musste. Fünf, nein sechs Kondensstreifen, die einander wild kreuzten und sich langsam auflösten. Von irgendwo weit entfernt war das Brummen eines weiteren Flugzeugs zu hören, doch ich konnte es nicht entdecken. Schnell wurde es von dem Grillengezirpe übertönt, das immer lauter und aufgeregter zu werden schien. Es mussten sich Hunderte, wenn nicht Tausende von den Insekten um uns herum verschanzt haben.

Und dann war da noch das hektische Summen der Mücken und Fliegen.

Ich senkte meinen Blick, ließ ihn durch den Wald und all das regungslose, staubtrockene Gestrüpp streifen. Suchte nach einem Schatten, der da nicht hingehörte, einem Farbklecks, einer Bewegung. Nach irgendetwas. Denn je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich mir, dass wir nicht alleine da draußen waren. Ich glaubte, einen stechenden Blick auf meiner verschwitzten Haut zu spüren. Doch ich konnte niemanden ausfindig machen.

Die kratzige Stimme des alten Horvat drang allmählich wieder zu mir durch und riss mich aus meinen Gedanken: »Patrick?«

Der örtliche Förster hatte meinen Namen in die Länge gezogen und fuchtelte mit seinen Händen vor meinem Gesicht herum, um mich aus meiner Lethargie zu reißen. Doch er wurde von einer lästigen Fliege abgelenkt, die er nun zu verscheuchen versuchte. Ein hoffnungsloses Unterfangen.

Ich begann gedanklich wieder abzuschweifen.

Doch da klatschte der alte Horvat sich auf den nackten Unterarm und fluchte: »Verfluchtes Biest.« Eine Mücke hatte ihn gestochen und das zermatschte Tier klebte nun blutverschmiert auf seiner Haut. Er versuchte es am Stoff seiner kurzen Hose abzuputzen, murmelte dabei weitere Flüche in sich hinein. Währenddessen schwirrte die Fliege weiter vor seinem Gesicht herum.

Sein Sohn Valentin, der etwa in meinem Alter war, also Anfang 30, stand einen Schritt hinter ihm. Er war in so ziemlich jedem äußerlichen Aspekt das genaue Gegenteil seines Vaters – also schlank, fast schon dürr, groß gewachsen, hatte dichtes blondes Haar und ein kantiges Gesicht mit leicht eingefallenen Wangen. Doch trotz der vielen Unterschiede konnte man auf den ersten Blick sehen, dass man Vater und Sohn vor sich hatte. Vermutlich lag das an ihren dunklen, tief sitzenden und eng zusammenliegenden Augen.

Valentin stand das Grauen ins Gesicht geschrieben.

»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte mich der alte Horvat.

Ich nickte kaum merklich, war geistig aber immer noch nicht ganz bei ihnen. Mir brummte der Kopf, meine Augen brannten und mein Verstand arbeitete nur sehr schwerfällig. Ich war hundemüde.

Die letzte Nacht war, wie so viele in den vergangenen Monaten, trotz der Schlaftabletten und des Alkohols ein einziger Albtraum gewesen. Immer wieder war ich aus meinem hauchdünnen Schlaf erwacht, weil ich geglaubt hatte, Geräusche zu hören und von Dämonen und sich bewegenden Schatten umzingelt zu sein. Dabei hatte es sich nicht wie richtiges Wachsein angefühlt, sondern viel mehr wie ein albtraumverklebtes Wandeln zwischen zwei Welten. Die Grenze zwischen Traum und Realität war schwammig und nicht eindeutig auszumachen gewesen. Bis auf einmal zumindest. Denn unter allen Geräuschen war da eines gewesen, von dem ich am ehesten dachte, dass es tatsächlich da gewesen war: Das Quietschen der Hintertür. Keine Ahnung, ob es durch das Öffnen oder Schließen ausgelöst worden war, aber ich war vor Schreck im Bett hochgefahren und hatte in die Dunkelheit gestarrt.

»Hallo?«, hatte ich gerufen, aber aus dem Haus war keine Antwort gekommen. »Ist da wer?«

Wieder nichts.

Ich hatte mich überwunden, war aus dem Bett gekrochen und barfuß durchs Haus geschlichen. Hatte die Hintertür inspiziert. Doch die war verschlossen gewesen. Danach hatte ich alle Räume abgesucht. Hatte die ganze Zeit über befürchtet, Konturen im Halbdunkel auszumachen, die da nicht hingehörten. Doch zum Glück hatte ich niemanden gefunden und zehn Minuten später war ich zur Überzeugung gelangt, dass ich mich wohl getäuscht und mir das Quietschen eingebildet haben musste. Ich war zurück ins Bett gekrochen, hatte jedoch lange Zeit nicht wieder einschlafen können. Eine seltsame Unruhe hatte sich in mir ausgebreitet und es hatte eine Stunde oder länger gedauert, bis sie sich so weit gelegt hatte, dass ich in einen weiteren verschwitzten Albtraum abgedriftet war.

Sehr wahrscheinlich hätte ich heute keinen Gedanken mehr an das Quietschen in der Nacht verschwendet, hätte ich kurz zuvor nicht feststellen müssen, dass mein Wagen verschwunden war. Ich konnte es mir beim besten Willen nicht anders erklären, als dass er gestohlen worden war. Ich versuchte mich zu erinnern, wann ich ihn zuletzt hinterm Haus gesehen hatte. Doch sosehr ich mich auch anstrengte, ich kam einfach nicht darauf. Es musste schon einige Wochen her gewesen sein.

»Patrick!« Der alte Horvat packte mich am Oberarm, rüttelte mich und erst jetzt war ich zurück im Hier und Jetzt. Zurück am Rande dieses kleinen Waldstücks nahe Grundendorfs. Augenblicklich stieg mir wieder der süßliche Fäulnisgeruch in die Nase und ich musste gegen die aufkommende Übelkeit ankämpfen.

»Geht’s dir gut?« Er schnaufte und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Sein Kopf war knallrot, eine dicke Ader, die wie ein fetter Wurm aussah, trat an seiner linken Schläfe hervor. Die Hitze machte dem schwer übergewichtigen 60-Jährigen ganz offensichtlich zu schaffen.

»Ja«, antwortete ich und hoffte, mit einer lässigen Handbewegung seine Sorgen wegwischen zu können.

Doch er wartete auf eine Fortsetzung.

»Ich … alles in Ordnung.« Ich seufzte und rieb mir mit beiden Händen das Gesicht.

»Du siehst nicht gut aus, wenn ich dir das sagen darf.«

Er wandte sich zu seinem Sohn um, der bestätigend mit dem Kopf nickte. Valentin sprach nicht, niemals. Weshalb, wusste ich nicht. Ich glaube, niemand in Grundendorf wusste es. Es war einfach so.

»Ich … ich hab nur wenig geschlafen letzte Nacht«, antwortete ich.

Der alte Horvat nickte, als ob er verstand.

Ich machte mir nichts vor, wusste ganz genau, dass sowohl in Grundendorf als auch im Nachbarort Obermarch getratscht wurde. Und mit Sicherheit auch in allen umliegenden Dörfern. Immerhin waren mein Name und mein Gesicht in ganz Österreich in den Fernsehnachrichten zu sehen gewesen. Die furchtbaren Ereignisse des letzten Winters hatten es sogar in Deutschland bis in die größten Tageszeitungen geschafft. Ganz bestimmt glaubten alle, über mich Bescheid zu wissen. Mich zu kennen. Zu wissen, wie es mir ging.

Doch sie hatten keine Ahnung!

»Wer zum Teufel tut so etwas?«, murmelte der alte Horvat und blickte kopfschüttelnd zu Boden.

Auf den Kadaver, den sein Sohn und er zuvor gefunden hatten, und der, obwohl er nur etwa einen Meter vom Wegrand entfernt lag, aufgrund des hohen Grases und des Gestrüpps leicht zu übersehen gewesen wäre. Unzählige Fliegen tummelten sich um ihn herum und ihr Summen wurde immer lauter – fast so, als wollten sie uns sagen: Verschwindet, wir haben ihn zuerst gefunden!

Der pechschwarze Hund – ich schätzte, dass es ein Labrador war – konnte noch nicht lange hier draußen liegen. Die Augen waren zwar von Parasiten befallen, allerdings noch nicht zu einem matschigen Brei geworden. Das Fell war schmutzig, verfilzt und blutverschmiert. Ungeziefer labte sich daran und immer mehr Tiere krochen über den ausgedörrten Waldweg, dessen Erde rissig war, heran. Am gesamten Körper des Tiers klafften weit offene Wunden, aus denen das verfaulte Innere quoll. Auf den ersten Blick sah es so aus, als wäre es mit einem Messer massakriert worden, vielleicht auch mit einer Axt oder etwas Ähnlichem. Ein paar Bissspuren von anderen Tieren, die sich an dem Kadaver genährt hatten. Ein Bein stand in einem unnatürlichen Winkel ab, mit Sicherheit war es gebrochen.

Doch da war noch etwas, das mir erst jetzt auffiel.

»Was ist?«, fragte der alte Horvat.

Ich konnte spüren, wie Valentin und er sich in meinem Rücken neugierig nach vorne streckten.

Ich antwortete nicht. Die Schnauze des Tiers hatte meine volle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ich ging näher ran und in die Hocke. Meine Knie knacksten dabei.

»Was hast du, Patrick?«

»Wartet«, antwortete ich und brach einen Zweig von dem Busch gleich neben dem Hund.

Die Insekten drehten völlig durch, als ich dem toten Tier damit in der Schnauze herumstocherte. Hektisch hetzten sie in alle Richtungen, unzählige Viecher flogen mir um die Ohren. Ich versuchte sie mit der freien linken Hand zu verscheuchen, doch ich war machtlos, es waren einfach zu viele. Eine Mücke stach mich in den Nacken.

»Was zum Teufel machst du da, Patrick?«, fragte der Alte mit einer Mischung aus Neugierde und Ekel in seiner Stimme.

»Siehst du das nicht?«, antwortete ich und stocherte weiter.

»Nein, was …?« Er kam näher ran. »Um Gottes willen!«

Jetzt hatte auch er es gesehen und er gab einen Laut von sich, der vermuten ließ, dass er kurz davor war, sich zu übergeben. Er presste sich die flache Hand auf den Mund und wich ein paar Schritte zurück.

Dem armen Hund waren alle Zähne gerissen worden.

Ich warf den Zweig, so weit ich konnte, in den Wald hinein und hoffte, damit auch das grauenvolle Bild loszuwerden. Ich ahnte jedoch,...