dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Die Herberge von Ivy Hill

Julie Klassen

 

Verlag SCM Hänssler im SCM-Verlag, 2017

ISBN 9783775173872 , 496 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

7,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

Derzeit können über den Shop maximal 500 Exemplare bestellt werden. Benötigen Sie mehr Exemplare, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.


 

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Kapitel 2


Cadi drückte mit einem Wäschekorb in den Händen die Tür des Pförtnerhäuschens auf. »Bevor ich es vergesse«, sagte sie, »Mr Bell hat mich gebeten, Sie daran zu erinnern, dass er heute Morgen einen Termin in Wishford hat.«

Jane nickte. Sie erinnerte sich nicht, dass ihr Schwager eine solche Verabredung erwähnt hatte, doch sie war dankbar, dass er die geschäftlichen Dinge übernommen hatte.

»Und Mrs Snyder sagt, es tut ihr leid, aber sie bekommt den Fleck nicht aus dem schwarzen Krepp heraus.«

Jane stöhnte. »Wirklich? O nein!«

»Vielleicht ist es ein Zeichen, Ma’am. Wissen Sie, ich kenne Sie nur in Schwarz. Ich bin ja erst gekommen, nachdem …« Das Lächeln des Mädchens erlosch. Sie ließ den Satz unvollendet und legte die sauberen Nachthemden, Unterwäsche und Strümpfe in die Schubladen der Kommode.

Dann trat sie zu Jane. »Mrs Shabner findet, dass Sie ein neues Kleid brauchen. Schwarz steht Ihnen nicht, sagt sie.«

Jane verdrehte die Augen. »Mrs Shabner sagt alles, wenn sie daran verdienen kann.«

»Bitte, probieren Sie es doch an, Ma’am. Mir zuliebe.«

Jane warf einen Blick auf die Kleiderschachtel und seufzte. »Na gut. Heute gehe ich nirgendwo hin. Aber nur ausnahmsweise!«

Cadi quietschte vor Vergnügen und half Jane, das lavendelfarbene Kleid überzustreifen.

Der steife Seidentwill glitt mit einem leisen Rascheln über ihr Korsett und ihre Unterröcke. Cadi stand hinter ihr, schloss die Knöpfe und Jane betrachtete sich in dem hohen Spiegel. Der helle Lavendelton verlieh ihrer etwas blassen Haut ein zartes Schimmern und hob das Grün in ihren changierenden haselnussbraunen Augen hervor. Das hübsche Band unter der Brust betonte ihre Figur. Das Kleid machte sie jünger. Weiblicher. Obwohl ihr braunes Haar dringend hätte frisiert werden müssen und ihre Nase ein wenig Puder vertragen konnte, sah sie doch entschieden besser aus.

»Es steht Ihnen sehr gut, Ma’am.«

»Ein schönes Kleid habe ich da, das muss ich zugeben.«

»Es gehört Ihnen noch nicht, aber das sollte es eigentlich«, neckte Cadi sie. »Es steht Ihnen einfach zu gut.«

Draußen ertönte ein Hornstoß. Jane trat ans Fenster und beobachtete, wie die gelbe Kutsche in die Einfahrt einbog und durch das Tor rumpelte. Sie sah den Kutscher in seinem mehrlagigen Capemantel, die Wache auf dem Rücksitz und mehrere Außenpassagiere. An die Scheibe des Kutschenfensters drückte sich ein Gesicht − ein Gesicht, das Jane mit Schrecken erkannte. Thora Bell − die Augen starr auf Jane gerichtet.

Panik ergriff sie. »Ich muss das sofort ausziehen!«

»Was? Warum denn?«

Jane trat mit klopfendem Herzen vom Fenster zurück; sie betete, dass Thora sie nicht gesehen hatte. Oder dass sie wenigstens das Kleid nicht gesehen hatte. »Ich möchte nicht, dass meine Schwiegermutter mich darin sieht.«

Cadi folgte ihr ins Schlafzimmer; sie war blass geworden. »Es tut mir leid, Ma’am. Hätte ich gewusst, dass sie heute kommt, hätte ich Sie nie gedrängt, es anzuziehen. Sie hätten es mir sagen sollen.«

Die junge Frau trat rasch hinter Jane und begann, die winzigen Perlenknöpfe mit zitternden Fingern zu öffnen.

Janes Hände zitterten ebenfalls. »Ich hatte doch auch keine Ahnung, dass sie kommt. Ich bin genauso überrascht wie du.«

Jane sagte sich, dass Thora sicherlich zuerst in die Herberge gehen und mit Mrs Rooke sprechen würde. Dann würde sie sich in ihrem alten Zimmer frisch machen, bevor sie herüberkam − jedenfalls hoffte sie das.

Der lavendelfarbene Stoff glitt von ihren Hüften auf den Boden. Jane trat über das ausgebreitete Rund des Rockes. Cadi brachte das Kleid ins Wohnzimmer und versuchte, es wieder in der Schachtel zu verstauen.

»Mach den Deckel drauf«, zischte Jane.

Cadi gehorchte. Dann lief sie zurück ins Schlafzimmer und wollte Jane helfen, den schwarzen Bombasin wieder anzulegen. Doch da klopfte es auch schon laut an der Tür. Die beiden Frauen keuchten erschrocken auf. Cadi hielt das Kleid in ihren zitternden Händen.

»Zu spät.« Jane schlüpfte in ihren Morgenmantel.

»Soll ich aufmachen?«, bot Cadi an.

»Nein, bleib hier«, sagte Jane. Sie wusste, dass ihre Schwiegermutter es nicht billigen würde, wenn eine der Herbergsangestellten die Tür öffnete, und wollte auch nicht, dass Cadi Probleme mit Mrs Rooke bekam.

Sie strich sich glättend über das Haar und hoffte, dass sie nicht zu aufgeregt wirkte. Dann ging sie zur Tür und öffnete sie. Vor ihr stand Johns und Patricks Mutter, Mrs Thora Bell. Die Frau trug ein schlichtes Kleid aus tiefschwarzer Wolle. Es musste sehr unbequem sein an diesem warmen Frühlingstag.

Thoras Haube war so finster wie ihr Blick, auch wenn weiße Spitze darunter hervorblitzte. In ihrem schwarzen Haar war noch keine Spur von Grau zu entdecken. Sie war nur durchschnittlich groß, doch ihre selbstsichere Haltung ließ sie größer wirken. Ihre Gesichtszüge waren kräftig wie ihre Gestalt. Um den Mund waren tiefe Falten eingegraben, ebenso um die Augen − so strahlend blaue Augen, dass die Leute in der Regel zweimal hinsahen.

Diese Augen musterten Jane misstrauisch von Kopf bis Fuß. »Du siehst furchtbar aus.«

»Danke, Thora.« Janes zwang sich zu einem Lächeln. »Ich freue mich auch, dich zu sehen. Wir haben dich gar nicht erwartet.«

»Das sehe ich.« Thora schaute an ihr vorbei ins Wohnzimmer; dabei fiel ihr Blick auf die Kleiderschachtel. »Ich dachte, ich besuche dich mal und sehe, wie es dir geht.«

»Mir geht es gut. Danke.«

»Wirklich?« Thora betrachtete mit hochgezogenen Brauen ihren nachlässig geschlossenen Morgenmantel.

»Ja. Willst du nicht hereinkommen und dich kurz hinsetzen?«

»Nein, danke. Ich bleibe nicht lange.«

Ihre Schwiegermutter hatte nie mehr Zeit als unbedingt nötig im Pförtnerhäuschen verbracht und seit Johns Tod kaum noch den Fuß über die Schwelle gesetzt.

»Wo ist Talbot?«, fragte sie. »Ich habe mich gewundert, dass er nicht an die Kutsche kam.«

»Talbot ist gegangen.«

»Gegangen?« Thora presste eine Hand an die Brust.

»Nicht tot«, präzisierte Jane rasch. »Er arbeitet nicht mehr für uns, seit vier Monaten.«

Thora runzelte die Stirn. »Warum hat er nach so langer Zeit aufgehört?«

»Er hat den Hof seiner Familie übernommen.«

»Walter Talbot − auf einem Bauernhof? Das kann ich nicht glauben.«

»Sein Bruder ist gestorben, jetzt gehört er ihm. Seine Schwägerin ist sehr krank, soviel ich weiß.«

Thoras Brauen zogen sich noch stärker zusammen. »Bill ist tot? Das wusste ich gar nicht. Arme Nan …« Einen Augenblick wirkte sie gedankenverloren, dann riss sie sich zusammen. »Wer führt jetzt an seiner Stelle die Herberge?«

»Ich habe vor Kurzem Colin McFarland eingestellt, aber …«

»McFarland?« Thora verzog ungläubig das Gesicht. »Was in aller Welt hast du dir denn dabei gedacht?«

Jane zuckte mit den Achseln. »Mercy hat gesagt, dass er Arbeit braucht. Sie hat mich gebeten, ihm eine Chance zu geben, sich beweisen zu dürfen.«

Thora machte eine verächtliche Handbewegung. »Er wird ganz sicher etwas beweisen − dass es ein Fehler war, ihn einzustellen. Außerdem kann er kaum älter als neunzehn sein, oder?«

»Vierundzwanzig, glaube ich. Er wird sich hoffentlich weiterentwickeln. Außerdem ist Patrick noch da und hilft, wo er kann.«

Thora blinzelte. »Patrick ist hier?«

»Ja. … Tut mir leid, ich dachte, er hätte es dir geschrieben.«

»Wie optimistisch von dir. Er hatte es noch nie mit dem Briefeschreiben. Das habt ihr beide offenbar gemein.«

Jane zog den Kopf ein. »Es tut mir leid. Ich hätte dir schreiben sollen, ich weiß.«

Thora runzelte immer noch die Stirn. »Ich dachte, Patrick segelt auf einem Handelsschiff um die Welt.«

»Das hat er auch getan. Aber seit etwa einem Monat ist er zurück.«

»Warum?«

»Er hat von Johns Tod gehört und wollte nach dem Rechten sehen. Und ich muss sagen, er war uns mehr als willkommen.«

Jane sah, dass ihre Schwiegermutter irgendetwas fixierte, und drehte sich um, damit sie sehen konnte, was ihre Aufmerksamkeit so fesselte. Eine lavendelfarbene Manschette blitzte unter dem Deckel der Schachtel hervor. O nein!

Doch dann sah sie, dass nicht die Manschette ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Sie starrte vielmehr auf ein kleines Porträt von John, das er als Hochzeitsgeschenk für Jane in Auftrag gegeben hatte.

Jane nahm es und reichte es ihr.

Thora warf einen flüchtigen Blick darauf und streckte es ihr wieder hin. »Wie jung er aussieht.«

Jane betrachtete das Bild. Sie hatte fast vergessen, wie jung und gut John ausgesehen hatte, als sie geheiratet hatten. Damals hatte er Patrick ähnlicher gesehen, als sie wahrgenommen hatte.

Sie stellte das Bild wieder hin und fragte: »Wie geht es deiner Schwester?«

»Gut, vielen Dank. Sie ist ein bisschen beschränkt, aber gesundheitlich geht es ihr gut.« Thora straffte die Schultern. »Nun gut. Ich gehe jetzt. Das mit Talbots Bruder tut mir leid. Ich werde ihm noch kondolieren. Ich darf doch ein Weilchen bleiben?«

»Natürlich, Thora. So lange du willst.« Jane hoffte, dass sie ihr Angebot nicht noch bereuen würde, und fügte hinzu: »Dein altes Zimmer ist noch genau so, wie du es verlassen hast.«

»Wirklich?«, fragte Thora ungläubig. »Was für eine unnötige Raumverschwendung.«

Thora ließ ihre Schwiegertochter stehen und überquerte den Hof. In ihrem Magen...