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Seit du da bist

Fabio Volo

 

Verlag Diogenes, 2017

ISBN 9783257608212 , 320 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

{16}Zwei


An einem Nachmittag fünf Jahre zuvor war ein furchtbares Desaster passiert.

Schon seit einer Ewigkeit wartete ich darauf, dass Mauro mir endlich ein paar alte Boxen vorbeibrachte, die er nicht mehr brauchte. Mauro ist mein bester Freund, zusammen mit Sergio. Die beiden wissen Dinge über mich, die sich Sof‌ia nicht einmal in ihren kühnsten Träumen vorstellen kann.

Erst kürzlich hatte ich mir einen gebrauchten Plattenspieler mit Verstärker gekauft, was mir noch fehlte, waren die Boxen. Aber bei Mauro kam immer wieder etwas dazwischen, so dass ich schließlich beschloss, die Boxen selbst bei ihm abzuholen: »Heute Abend komme ich bei dir vorbei.«

»Nein, heute kann ich nicht, hol sie morgen.«

»Aber ich brauche sie unbedingt, heute kommt eine Frau zu mir, der will ich ein paar Platten vorspielen.«

»Wer denn?«

{17}»Eine aus dem Fitnessstudio, die ist noch nicht ganz überzeugt, da brauche ich ein bisschen Hilfe.«

»Was denn für eine Hilfe?«

»Coltrane, Chet Baker, Massive Attack. Ich habe da eine Platte von Sonny Rollins, die ist echt der Hammer!«

»Aber heute Abend geht es wirklich nicht. Ich bin mit Michela zum Sushi-Essen verabredet, gleich nach der Arbeit. Aber wenn es so dringend ist, wie wär’s dann in einer Stunde? Du könntest mich im Büro abholen, wir fahren schnell bei mir vorbei, und danach setzt du mich wieder hier ab.«

»Okay, super, um drei bin ich bei dir.«

»Du bist eine echte Nervensäge.«

»Ich weiß.«

Um drei stand ich vor Mauros Büro, um zwanzig nach drei parkten wir vor seinem Haus.

Auf der Treppe redeten wir über die Frau, mit der ich mich abends treffen wollte.

Aus der Wohnung dröhnte laute Musik: »Michela hat bestimmt die Stereoanlage angelassen.«

»Eine Lampe anlassen, das würde ich ja noch verstehen, aber die Stereoanlage …«

Ich sah ihn erstaunt an.

»Michela ist eben schusselig, vielleicht hat sie gerade telefoniert. Weißt du, wie oft ich schon nach {18}Hause gekommen bin und der Schlüssel steckte von außen? Aber sich dann beschweren, wenn ich die Klobrille nicht runterklappe.«

Drinnen ging ich direkt in die Abstellkammer, um die Boxen zu holen. Mauro zog derweil die Jacke aus, hängte sie an die Garderobe und ging ins Wohnzimmer, um die Musik auszumachen.

Als ich aus der Kammer trat, war in der Stille ein eigenartiges Stöhnen zu hören.

Ich blieb stehen, Mauro kam aus dem Wohnzimmer und sah mich fragend an.

Dann steuerte er auf das Schlafzimmer zu. Ich hoff‌te inständig, dass es nicht das war, wonach es sich anhörte.

Mit einer Box in der Hand lief ich hinter Mauro her. Das Stöhnen hatte aufgehört, Michela stieß einen Schrei aus.

Als ich die Tür erreichte, zog sie gerade ein Bettlaken über sich, als würde Mauro sie zum ersten Mal nackt sehen, neben ihr lag ein Mann, mehr oder weniger in unserem Alter.

Weil die Musik spielte und das Fenster auf war, hatten sie uns nicht kommen hören.

Mauros Reaktion hat mich ziemlich verblüff‌t. Man meint immer zu wissen, dass man selbst in so einer Situation den Mann verprügeln oder die Frau ohrfeigen oder alles kurz und klein schlagen {19}würde, aber wie man tatsächlich reagiert, weiß man erst, wenn man es selbst erlebt hat.

Nie werde ich sein Gesicht vergessen, jedes Mal wenn ich daran denke, bricht es mir fast das Herz, genau wie damals. Er sah Michela an und sagte nur ein einziges Wort: »Warum?« Dann flüsterte er mir zu: »Lass uns gehen.«

Der arme Mauro, ausgerechnet er, der festen Beziehungen immer misstraut hatte und vor Michela ein eingefleischter Beziehungsmuffel war, war nun aufs Gemeinste hintergangen worden.

Wie vom Donner gerührt saßen wir mindestens eine halbe Stunde schweigend im Auto. Ich sagte kein Wort, wusste, dass Reden jetzt völlig sinnlos war, ich wollte nur bei ihm bleiben. An diesem Nachmittag gingen wir beide nicht mehr zur Arbeit zurück. Ich war kurz davor, Sergio anzurufen, doch Mauro wollte das nicht, er wollte lieber mit mir allein sein. Vermutlich hätte Sergio ohnehin nicht gekonnt, denn seit er eine Tochter hatte, war er so gut wie abgetaucht.

An diesem Nachmittag nahm die Beziehung zwischen Mauro und Michela ein abruptes Ende. Ich rief die Frau aus dem Fitnessstudio an und verschob unser Abendessen.

»Meinetwegen musst du deine Verabredung nicht absagen, im Gegenteil, ruf sie noch mal an und {20}sag ihr, sie soll kommen, und dann vögelst du sie durch, bis ihr Hören und Sehen vergeht. Sind doch eh alles Nutten, die wollen es gar nicht anders.«

Dann gingen wir zu mir und blieben den ganzen Abend zusammen, bis drei Uhr morgens, Mauro schlief auf dem Sofa. Wir redeten viel, redeten und tranken.

»Ich habe echt abgefahrene Musik, die würde ich dir jetzt vorspielen, aber leider habe ich ja keine Boxen«, sagte ich, um ihm ein Lächeln abzuringen.

»Du meinst, wegen dieser Nutte.«

»Genau.«

Er hob kurz die Augenbrauen, dann seufzte er tief. »Vielleicht ist es ja nicht allein ihre Schuld, bekanntlich gehören immer zwei dazu.«

»Respekt, du bist ja wahnsinnig abgeklärt«, sagte ich, »aber spar dir deine Weisheit für morgen auf, heute ist es dafür wirklich noch zu früh.«

Am nächsten Morgen ging ich zur Arbeit, Mauro nahm sich frei. Offenbar gefiel es ihm auf meinem Sofa, denn er richtete sich dort häuslich ein, ohne mich zu fragen.

Die ersten drei Tage war ich sogar froh darüber, ich wollte ihn nicht alleinlassen. Eines Abends, als er gerade das Nudelwasser salzte, fragte er mich: »Soll ich eine Sauce machen, oder gibst du dich mit Olivenöl und Parmesan zufrieden?«

{21}In Erwartung meiner Antwort fügte er noch hinzu: »Wäre es nicht schön, wenn ich hier einzöge, was meinst du?«

»Ich meine, Öl und Parmesan sind wunderbar.«

Nach dem Essen kam Sergio.

Irgendwann platzte ich in die Stille hinein: »Warum machen wir nicht mal wieder einen schönen Wochenendtrip?«

Sprachlos sahen sie mich an.

»Wir nehmen das Auto und fahren irgendwohin. Das haben wir schon ewig nicht mehr gemacht«, legte ich nach.

»Ich glaube, ich kann nicht, im Augenblick jedenfalls nicht«, erwiderte Sergio.

»Verdammt, man könnte meinen, du hättest das Kind alleine. Wir wären doch nur zwei Tage weg, nicht vier Wochen.« Mauro war genervt.

Sergio sah ihn schief an: »Und wer bringt das der Königin bei? Du vielleicht?«

»Ich rede mit Lucia, mir wird sie das bestimmt nicht abschlagen«, sagte ich.

»Und wo fahren wir hin?«

»Ich wüsste da schon was.«

»Was denn?«

»Das Rolling-Stones-Konzert am Freitag in Rom.«

»Die treten immer noch auf?«, fragte Sergio.

{22}»Na klar.«

»Wie alt sind die denn inzwischen?«

»Alle schon über sechzig, aber immer noch ziemlich gut in Form, bei einem Wettrennen um den Block würden die uns glatt abhängen.«

»Schon erstaunlich, wenn man bedenkt, was die sich alles reingezogen haben.«

»Es heißt, sie fahren regelmäßig in die Schweiz, zum Blutaustausch.«

»Guck doch mal im Netz, ob es noch Karten gibt.«

»Sollen wir nicht lieber ans Meer fahren?«, fragte Mauro, der bis dahin geschwiegen hatte.

»Genau«, sagte Sergio.

»Ans Meer können wir doch jederzeit, aber das Konzert ist was Besonderes, es könnte das letzte sein, in ihrem Alter. Kommt schon.«

»Na gut.«

»Okay.«

Ich sah Mauro an. »Ich kümmere mich um alles, Hotel, Eintrittskarten, das ganze Drum und Dran. Das schenke ich dir zum Geburtstag.«

»Aber jetzt haben wir Juli, mein Geburtstag ist doch erst am 2. Oktober.«

»Ich weiß. Aber deinetwegen werden die ja kaum den Konzerttermin verschieben. Das ist das Wochenende ›Scheiß auf Michela, und lass mit den {23}Stones die Sau raus‹. Gib mir mal das Telefon, dann rufe ich gleich deine Frau an«, sagte ich zu Sergio.

»Lass mal lieber. Wenn du sie fragst, regt sie sich nur wieder auf. Sie glaubt sowieso, ich würde sie immer als Drachen hinstellen, der mich nur herumkommandiert.«

»Stimmt ja auch«, sagte Mauro.

»Klar, aber das braucht ja keiner zu wissen. Ich mach das schon, ich sage einfach, wir müssten dir jetzt beistehen und über die schwere Zeit hinweghelfen. Sie kann ja ihre Mutter anrufen, damit die ihr mit dem Kind hilft.«

Am Freitag, dem 6. Juli, um 9 Uhr morgens fuhren wir los.

Extra für die Fahrt hatte ich ein paar Playlists zusammengestellt, darunter auch eine mit den Hits der Rolling Stones, um bei Sergio und Mauro die Erinnerung aufzufrischen. Bei mir war das überflüssig, ich war der Einzige, der ernsthaft daran interessiert war, sie live zu sehen.

Unsere letzte gemeinsame Fahrt hatten wir mit fünfundzwanzig gemacht, damals waren wir mit Sergios Micra nach Cadaqués an der Costa Brava gefahren. Eine unvergessliche Reise.

In einer Anwandlung von Schwachsinn war Mauro damals nämlich auf die Idee verfallen, uns eine Regel vorzuschlagen: Während der gesamten {24}Fahrt sollten wir nichts wegwerfen, kein Papier, keine Plastiktüten, keine Flaschen, keine Dosen. Alles sollte im Auto bleiben. Schwachsinniger ging’s nicht, aber wir stimmten zu. Ich werde nie vergessen, wie zugemüllt das Auto war, als wir wieder in Mailand ankamen. Um es wieder richtig sauber zu kriegen, hätte man es eigentlich abfackeln müssen.

Es war schön, wieder einmal zusammen zu verreisen. Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, Michela mit keinem Wort zu erwähnen, aber das war unmöglich. Sie war allgegenwärtig, ganz...