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Die Hofmalerin

Judith Merkle Riley

 

Verlag beHEARTBEAT, 2017

ISBN 9783732537235 , 568 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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Kapitel I


An dem Nachmittag, an dem sich mein ganzes Leben änderte, regnete es, daher war ich auch auf nichts gefasst. Eigentlich sollte ich Regen mögen, weil ich nämlich um der Gerechtigkeit willen immer die Dinge lieber mag, auf die andere schimpfen. Damit will ich sagen, man sollte stets für einen Ausgleich sorgen. Wenn also jemand sagt: »Ist ihre Nase nicht hässlich«, dann antworte man: »Aber dafür hat sie schöne Augen«, und wenn jemand sagt: »Master Timmons ist ein Betrüger und ein Spitzbube«, dann sage man: »Er soll jedoch sehr gut zu seiner alten Mutter sein.« Gleichwohl kann ich Regen nicht viel abgewinnen. Er nimmt einem das Licht und macht, dass alles grau, ja sogar schimmlig wird, und nicht einmal in die Kirche kann man gehen, und so bekommt man auch nicht mit, wer neue Schuhe hat und wer sein Mieder nach der letzten französischen Mode umgeschneidert hat, da wegen des Wetters ohnedies niemand seine neuen Sachen anziehen würde. Und so vermiest einem der Regen alles, und mir vermiest er auch die Laune, und dabei sollte eine Frau immer heiter sein und ihrem Mann damit die schwere Bürde seines Tagewerks erleichtern. Zumindest steht das so im Rathgeber für das treffliche Eheweib, dem ich nacheifere, denn meine Mutter, die mir weisen Rat geben könnte, ist tot, und guter Rat ist teuer, vor allem da es Frauen den Priestern zufolge an Verstand mangelt. Aber sie sorgt über das Grab hinaus für mich, und das Buch, das sie mir vermacht hat, ist der Beweis dafür; es enthält viele kluge Gedanken und Beispiele, wie man ein Gott wohlgefälliges und bescheidenes Leben führt, und obendrein noch ein paar gute Rezepte für Seife.

An dem Tag jedoch, als die Fremden kamen, es war ein Tag gegen Ende März im Jahre des Herrn 1514, da hatte es seit fünf Tagen ohne Unterlass geregnet, fast konnte man es eine Sintflut nennen, und von diesen fünf Tagen war mein Mann schon drei in Geschäften unterwegs, und mich verlangte sehnlichst danach, an die frische Luft zu gehen.

»Ich kann Regen nicht ausstehen, Nan, ich kann ihn einfach nicht ausstehen. Das soll der Frühling sein? Es ist ja fast genauso kalt und dunkel wie im Winter, und nirgendwo ist auch nur eine Spur Grün zu entdecken, und außerdem halte ich es einfach nicht mehr in diesem beengten, kleinen Zimmer aus.«

»Vergiss nicht, dass es ohne Regen keine Blumen gibt«, sagte Nan auf ihrer Bank am Feuer und blickte von ihrem Strickzeug auf. Sie machte eine ernste Miene, doch die macht sie dauernd. Sie ist nämlich viel älter als ich, und Leute, die mager und alt sind und immer viel beten, die sind nun einmal ernst, weil sie die Sorgen des Lebens kennen und daher die Eitelkeiten dieser Welt durchschauen. Ich für mein Teil liebe die Eitelkeiten dieser Welt, aber Nan liebe ich auch, denn sie war, als ich klein war, meine Kinderfrau, und seit ich verheiratet bin, hilft sie mir im Haus oder, besser gesagt, mit den Zimmern. Es wäre unrecht, sie als Dienerin zu bezeichnen, auch wenn ich sie bezahle, das heißt, ich würde sie ja bezahlen, Ehrenwort, aber mein Mann gibt mir nicht genug Haushaltsgeld.

»Aber es ist dunkel, Nan. Alles ist so grau. Und dann das Pladder, Pladder, Pladder – das macht mich ganz verrückt! Ich muss wieder Vögel hören und mich mit jemandem unterhalten. Frühling! Ich will Frühling haben!« Ich beugte mich über die große mit Messing beschlagene alte Truhe meiner Mutter, in der einmal meine Aussteuer gelegen hat, und stieß die Fensterläden mit lautem Krach auf. Der Wind pfiff herein, und der Regen sprühte mir mitten ins Gesicht. Unter unserem Vorderfenster klapperte und schwankte das Schild mit der »Stehenden Katze« im peitschenden Regen. Der Rinnstein in der Mitte der Fleet Street war zum reißenden Bach geworden. Die leuchtend bemalten Häuserfronten wirkten grau und trübselig in dem Regen, der nur so vom Himmel herabrauschte. Keine Menschenseele draußen. Nur eine einsame Graugans stakste durch den Morast vor Master Wests Brauhaus, das »Zur Ziege und zum Krug« heißt, und selbst seine Läden waren geschlossen, obwohl nur der Himmel wusste, was im Inneren vorging. Ich beugte mich also aus dem Fenster, schüttelte die geballte Faust und schrie zum überfließenden Himmel hinauf: »Regen, hör sofort auf! Ich brauche Sonne! Ich will Licht haben!«

»Bist du wohl still!«, rief Nan und zog mich an den Röcken ins Zimmer zurück. »Sollen die Leute etwa denken, dass du nicht mehr bei Trost bist? Du wirst mir noch nass und krank! Du erwartest ein Kind, wie kannst du da so verantwortungslos sein. Komm sofort herein und hör mit dem Geschrei auf!« Sie schlug die Fensterläden mit einem Knall zu. »Sieh dich doch an«, schalt sie, »völlig durchnässt. Was soll nur aus dir werden? Ich habe es deiner Mutter versprochen. Du weißt, ich habe es versprochen. Jetzt setz dich hin, und sei einmal im Leben vernünftig. Ohne Regen würdest du den Sonnenschein gar nicht richtig zu würdigen wissen.«

»Aber ja doch«, murrte ich. »Ich mag alles, was schön ist. Und das mag ich auch ohne hässliche Dinge.«

»Dein Herz hängt mehr an Äußerlichkeiten, als dir guttut«, brummte Nan, die sich das Recht, mich zu kritisieren, nicht nur durch lange Dienstjahre, sondern auch durch große Nachsicht hinsichtlich etwas so Unwichtigem wie ihrem Lohn verdient hatte.

»Master Dallet sagt, dass das äußere Erscheinungsbild sehr wichtig ist, deshalb muss er auch so große Sorgfalt auf seine Kleidung verwenden. Und außerdem darf ich ihm keine Last sein, wenn er Fürsten und Gönnern geziemend gekleidet seine Aufwartung machen muss.« Mein Kopf und meine Schultern waren noch feucht, ich wischte mir also das Gesicht mit dem Ärmel ab und setzte mich auf die Bank am Feuer, doch das klamme, dunkle Zimmer ärgerte mich immer noch. Aus dem Korb zu meinen Füßen sah mich die Flickarbeit an. Ich bedachte sie mit einem bösen Blick.

»Vermutlich ist das für ihn Grund genug, deine Mitgift beim Schneider auszugeben und den Trauring deiner Mutter zu versetzen.«

»Das ist ein Opfer, das jede Frau bringen muss, damit ihr Mann großen Erfolg hat und sein Glück macht. Eine tugendhafte Frau wird für ihre klaglose Geduld auf hunderterlei Weise belohnt, sagt mein Buch. Bedenke doch, in wie viele bedeutende Häuser er schon eingeladen worden ist, und dann der viele Landadel, den er noch malen soll! Er kommt von Tag zu Tag mehr in Mode. Und wenn er dann einen Beutel Gold mit nach Haus bringt und mir ein Seidenkleid kauft, tut es dir noch leid, dass du dich einmal über ihn beschwert hast.« Ich streckte die Füße mit den dicken Strümpfen und den schlichten alten Holzpantinen gerade vor mir aus, ohne den Fußboden zu berühren, um mir meinen alten Rock besser anzusehen, den wir, weil ich in Trauer war, schwarz gefärbt hatten und der überall mit Gips bespritzt war, da ich immer über meine Schürze hinausspritze, und dabei stellte ich mir vor, dass er sich in strahlend saphirblaue Seide, mit einer kleinen Stickerei hier und da, verwandelte.

»Hmpf. Ich glaube, ich habe gebührend gewartet, aber bislang hat er nur Schulden, Duellforderungen von gekränkten Ehemännern und eine hässliche alte Büste mit nach Haus gebracht, die er ohnedies auseinandergenommen hat. Was soll ich nur noch tun, damit du aus deinen Träumen erwachst?«, plapperte Nan weiter, doch ich hörte schon nicht mehr zu.

Ich habe reichlich Vorstellungskraft. Zuweilen stelle ich mir vor, wie Nan wohl aussehen würde, wenn sie wieder jung wäre, oder mein Haar, wenn es schön und glatt und zu adretten blonden Zöpfen geflochten wäre – stattdessen ist es ungebärdig und hat einen rötlichen Stich –, oder wie es wäre, wenn ich eines Morgens aufwachte, aus dem Fenster blickte und alle Straßen über Nacht aus purem Gold wären und alle Tiere auf den Hinterbeinen gingen und die ihrem Stand geziemende Kleidung trügen. Derlei Dinge hätte ich gern gezeichnet, doch mein Vater sagte immer, für Phantastereien wird kein Papier verschwendet, und Master Dallet redet dieser Tage schon genauso, nur nicht so nett. Und so koche ich Leim für ihn und grundiere seine Tafeln mit Gesso, mache Pinsel und zerstoße Farben für ihn, wie ich es im Haus meines Vaters gelernt habe, doch eigene Sachen male ich nie mehr, denn das ziemt sich nicht für eine verheiratete Frau. Sie muss lernen, nur an das Wohl anderer zu denken und in ihrem Haus für Behaglichkeit und Ruhe zu sorgen, damit ihr Ehemann und ihre Kinder sie preisen und segnen.

»Lieber Gott, dass ich diesen Tag noch erleben muss«, sagte Nan, blickte auf ihr Strickzeug und ließ die Nadeln immer schneller klappern, klick, klick, klick. »Drei Tage ist er nun schon bei der gottlosen Mistress Pickering, der Himmel steh mir bei!« Dergleichen sagt Nan immer und ruft vornehmlich den Himmel an, nur dass der Himmel nie zu antworten scheint, zumindest nicht unmittelbar und verständlich. Aber so ist Nan nun einmal, immerzu bildet sie sich Verhängnisse ein, und das macht sie glücklich oder zumindest glücklicher als alltägliche Dinge, und sie hält auch...