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Die Farbe Rot - Ursprünge und Geschichte des Kommunismus

Gerd Koenen

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2017

ISBN 9783406714276 , 1150 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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28,99 EUR

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1. Die Spur der roten Fahne


Rouge et Bleu

«Im Sozialismus ist alles rot, die Fahnen, die Banderolen, die Draperien, die Leichentücher und Sargbedeckungen, die Blumengebinde, Kränze … und Strohblumen, die Krawatten, Halstücher, Armbinden usw.» Rote Ritualobjekte wurden obligater Teil eines jeden feierlichen Zeremoniells, dessen Suggestivität gerade in seiner ständigen Wiederholung lag. Das waren Manifestationen in betont getragenem Duktus und Schritt, unterbrochen nicht selten von Attacken der Polizei, die das Zeigen verbotener Embleme zu verhindern suchte. Die rote Fahne bildete darin das zentrale Symbol: als Fahne «der revolutionären Einheit», «des internationalen Sozialismus», «der künftigen Universalrepublik», als «Symbol der Brüderlichkeit der Völker» und «der vom Blut der Arbeiter gefärbte Fetzen». Immer wieder waren es diese aus einem langen historischen Gedächtnis, das immer «länger» wurde, geschöpften Assoziationen, die die begleitenden Invokationen durchzogen.[1]

So wurde etwa im Lied des ehemaligen Kommunarden Paul Brousse «Le Drapeau Rouge» (Die rote Fahne) eine imaginäre Tradition entrollt, welche von den Barrikaden der Commune 1871 über die Revolutionsjahre 1848, 1830 und 1789 zurück bis zu den «Aufständischen des Mittelalters» reichen sollte, die einst «die rote Fahne auf alle Türme pflanzten» und die «Könige erbleichen ließen»[2]. In den rituellen Formeln einer sozialistischen Festtagsrhetorik hieß es schließlich sogar: «Zu allen Zeiten wurde die rote Farbe von den Leidenden und Unterdrückten gewählt. War das so, weil sie dem immer erneut vergossenen Blut des Volkes glich?»

Aber wie zuverlässig war diese Genealogie? Der französische Syndikalist und Privatgelehrte Maurice Dommanget, der sich in den 1960er Jahren daran machte, alle legendären Aufstände und Rebellionen, die zur Vorgeschichte des modernen Sozialismus gezählt wurden, auf ihre Farbwahl hin zu untersuchen, sah sich jedenfalls eins um andere Mal in seinen Erwartungen enttäuscht.[3] Stattdessen geriet er in ein verwirrendes Wechselspiel der Bedeutungen, das selbst höchst bezeichnend ist. Seine Suche nach der revolutionären Symbolfarbe Rot beginnt mit einer Szene, in welcher der (vielleicht adelige) thrakische Kriegsgefangene und versklavte Gladiator Spartacus sich nach dem Sieg über eine römische Armee ein purpurnes Tuch umlegte, das paludamentum. Das war das Rangabzeichen eines römischen Kommandeurs im Felde, eines Praetors oder Konsuls, als welchen die aufständische Sklavenarmee ihren Führer somit proklamierte. Für die Kommunisten des 20. Jahrhunderts hat Spartacus bekanntlich eine emblematische Rolle gespielt, von den «Spartakisten» in Deutschland bis zu den «Spartakiaden», den sozialistischen Sport- und Jugendfesten. Tatsächlich war das Rot für Spartacus und seine Heerhaufen entlaufener Sklaven aber kein spezifisches Symbol sozialer Auflehnung, sondern das einer unbedingten militärischen Autorität. Das war eine Bedeutung, die die Farbe Rot die längste Zeit behielt.

Flammend rot (und golden bestickt) war das große Reichs- und Kriegsbanner, die «Oriflamme», unter der die Aufgebote des Königs von Frankreich im späten Mittelalter kämpften. Die eigentliche Königsfarbe war indessen das Weiß – neben einem lichten Blau, in welches Ludwig der Heilige (1214–1270) zum Zeichen seiner Treue zur Jungfrau Maria, die man seit dem 12. Jahrhundert im Rahmen eines neuen Marienkultes in einen blauen Mantel der Unschuld zu hüllen begonnen hatte, sich nun selbst zu kleiden begann. Erst damit trat das Blau in den Kanon der europäischen Grundfarben ein.[4]

Die aufständischen Bauern der Jacquerie von 1358 sollen sich dagegen noch mit weißen Königslilien geschmückt haben, zum Zeichen, dass sie gegen die feudale Adelswillkür an die Gerechtigkeit des Herrschers appellierten. Nach derselben Logik trugen die aufständischen Handwerker und Bauern in England in der Revolte von Wat Tyler und John Ball 1381 weiße Mützen und königliche Insignien, um ihr Recht beim König zu finden (der sie heimtückisch hinterging). Auch die Fahne des süddeutschen «Bundschuh» war weiß, mit einem aufgemalten Schuh als Zeichen des «gemeinen Mannes». Die aufrührerischen Bauern und Städter, die Thomas Müntzer in seinem chiliastischen Gottesreich um Mühlhausen versammelte, trugen auf ihrer Fahne einen farbigen Regenbogen zum Zeichen des «Ewigen Bundes» mit Gott, ebenfalls auf weißem Grund. In Purpur und Scharlachrot gehüllt prunkte dagegen in der Bildsprache aller Reformatoren, aufständischen Bauern, Handwerker und Ritter die «große Hure Babylon» – das römische Papsttum. Dieses Rot war die Farbe der Hölle, der Verderbnis, der Unzucht.

Das Zeitalter der Reformationen und Religionskriege eröffnete überhaupt eine erhebliche erste Verschiebung der symbolischen und sozialen Farbgebungen – die uns hier nur deshalb und insoweit interessieren, als Farben «kulturelle Gebilde» sind, die sich bei aller Ambivalenz deuten und entziffern lassen. So stand zum Beispiel das puritanische oder geschäftsmäßige Schwarz, in das die städtischen Bürger und vor allem die Protestanten sich jetzt zunehmend kleideten, in einem betonten Gegensatz zum Kunterbunt der Höfe, des Adels und des hohen Klerus. Unterhalb von alledem lag die Sphäre der physischen Arbeit, in der seit dem Mittelalter ein verwaschenes Bleu aus Weid (als dem billigsten Färbemittel) dominierte, während das vornehmere und seltenere Azurblau aus dem teuren, importierten Lapislazuli gewonnen wurde, also dem Adel und Patriziat vorbehalten blieb.[5] Ab dem 17. Jahrhundert eroberte dann jedoch Indigo, ein koloniales Plantagenprodukt, die Märkte und machte das Blau zur Uniformfarbe von Soldaten und Matrosen wie zur textilen Massenfarbe des beginnenden Manufaktur- und Industriezeitalters.

Parallel zu all diesen Alltagsverwendungen war das Blau seit der frühen Neuzeit in der europäischen Malerei entdeckt worden. Waren es im Hochmittelalter nur die Abbildungen der Maria sowie einige berühmte Kirchenfenster (wie in der Kathedrale von Chartres), in denen ein sakrales Blau dominierte, so wurden auf den Gemälden der Renaissance-Zeit auch die irdischen Himmel immer blauer (statt grünlich, rötlich oder sogar golden), und mit ihnen die Meere. Das ging mit der Entdeckung von Licht und Schatten, von Perspektive und räumlicher Tiefe einher. Das Blau als die Farbe der Tiefe und Innerlichkeit wurde schließlich auch zur Farbe der Melancholie. Dies war der Humus, aus dem die «blaue Blume» der Romantik wuchs und noch ein Jahrhundert später der «Blaue Reiter» seine Spiritualität schöpfte oder auch der «Blues» der schwarzen Musik seine Trauer bezog.[6]

Hätte eine Geschichte der Farben irgendeine Triftigkeit für die Fragen, um die es uns in diesem Buch geht? Einige Verbindungslinien sind unschwer zu erkennen, gerade in der Entgegensetzung der Urfarbe Rot zur Spätfarbe Blau, die wir vage mit der Lebenswelt eines westlichen (atlantischen) Stadtbürgertums und von da aus sogar mit dem «Geist des Kapitalismus» in Verbindung bringen könnten – in einem ambivalenten Bedeutungsspektrum, das von Methodik, Arbeitsdisziplin und neutraler Sachlichkeit über maritime Weltläufigkeit bis zur Romantik, der Melancholie, dem Blues oder dem «Cool» reichte. Die Farbe Rot würde sich dagegen in einem deutlich unterschiedenen Bedeutungsspektrum bewegen, das historisch tiefer reicht, sich als kämpferische, politische Gegenfarbe zum modernen Blau aber erst mit diesem parallel und also recht spät entwickelt hat. Klar ist andererseits, dass dort, wo politisch und emblematisch wirklich «alles rot» wurde, nämlich in der Welt der östlichen Sozialismen des 20. Jahrhunderts, noch ganz eigene Bedeutungen ins Spiel gekommen sein müssen, die in dieser abendländischen Farbenlehre nicht aufgehen.

Russisch Rot

Als die Partei der Bolschewiki, der radikale Flügel der russischen Sozialdemokratie, sich im März 1918, kurz nach ihrem erfolgreichen,...