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G. F. Unger Sonder-Edition 119 - Mesa King

G. F. Unger

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2017

ISBN 9783732553662 , 80 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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1

Als der Sonnenuntergang den Himmel mit einem flammenden Rot überzieht und im Osten aus den Hügeln schon die blauen Schatten der nahenden Nacht kriechen, da kommt Ben McClellan in die Stadt und in das Land zurück, aus denen er einmal davongejagt worden war. Er kommt langsam und auf einem mausgrauen Wallach, einem narbigen Tier, das sich selbst jetzt noch nach einem langen Tagesritt katzenhaft leicht über die Straße bewegt und sehr viel weniger Staub aufwirbelt als all die anderen Pferde der Rinderleute, die in diese Stadt geritten kommen.

Und mit Rinderleuten sind auch die Viehdiebe des Landes gemeint, denn sie haben ja auch mit Rindern zu tun und leben davon.

Die Stadt heißt Mesa City, und sie ist für die Menschen auf hundert Meilen in der Runde die wichtigste Stadt der Welt, nämlich der Versorgungspunkt, ohne den hier im Lande niemand auskommen kann.

Mesa City ist Kreuzungspunkt der Post- und Frachtlinien, und es gibt hier Stores, Saloons, Hotels, einen Arzt, allerlei andere Geschäfte und kleine Handwerksbetriebe und – auch einen Sheriff.

Ben McClellan erkennt diesen Sheriff sofort wieder, denn er sieht ihn dort an der Ecke des Hotels stehen und auf seine alte Nickeluhr sehen.

Sheriff Mac Scoggins hat sich in den vergangenen zehn Jahren nicht verändert. Er wirkte damals schon so grau und verwittert und rau wie diese Stadt.

Und so ist es auch jetzt noch. Die Stadt hat sich nicht viel verändert und der Sheriff auch nicht. Es ist, als wäre Ben nur zwei oder drei Jahre fort gewesen.

Doch es waren zehn Jahre. Er ist jetzt ein fertiger Mann von sechsundzwanzig Jahren.

Damals war er sechzehn – ein dünner, rotköpfiger, wilder und leichtsinniger Junge.

Er fragt sich, ob der Sheriff ihn wiedererkennen wird. Und so reitet er langsam an der Ecke vorbei und stößt sogar den staubigen Hut aus der Stirn, damit der Sheriff sein Gesicht richtig betrachten kann.

Dies tut Mac Scoggins mit zurückhaltender Wachsamkeit, doch mustert er jeden fremden Reiter auf diese aufmerksame und wachsame Art, die ein Bestandteil seines schweigsamen Wesens ist.

Der Mietstall befindet sich gleich neben dem Hotel, zu dem auch der Wagenhof der Ostwest-Overland-Post gehört. Als Ben McClellan in die Einfahrt einbiegt, denkt er irgendwie amüsiert und belustigt: Er hat mich nicht erkannt, dieser alte Wüstenlöwe. Er hat mich nicht erkannt, obwohl mein Haar immer noch so feuerrot und meine Augen immer noch so grau wie Pulverrauch sind. Und dabei hat er einmal gesagt, dass er mich wiedererkennen würde, wenn ich jemals wieder in dieses Land käme.

Er steigt dann ab und wechselt mit dem Stallmann einige Worte, die sich nur auf sein Pferd und dessen Unterbringung beziehen.

Als er dann wenig später mit seinem Bündel aus dem Stall kommt, da erkennt er, dass er sich in dem grauen und bärtigen Sheriff getäuscht hat.

Denn Mac Scoggins steht vor dem Tor und sieht ihn fest an.

»Ben, mein wilder Junge«, sagt er sanft, »ich sagte dir doch damals vor zehn Jahren, dass du nicht wieder in dieses Land kommen sollst. Hast du das vergessen?«

Die Sanftheit, mit der er spricht, ist trügerisch. Dies erkennt man in seinen Augen, denn diese blicken hart und kühl, ja sogar eiskalt und unversöhnlich.

Er war immer ein harter Mann, dieser Mac Scoggins, und die vergangenen Jahre haben ihn sicherlich nicht weicher gemacht, eher noch einsamer und härter. Und seine Verachtung gegen die Menschen und die Welt, die zuvor verborgen in ihm lauerte, ist jetzt offensichtlich.

»Ich habe nichts vergessen, gar nichts«, erwidert Ben McClellan ruhig. »Doch das, was war, liegt lange zurück. Ich ritt damals zum Gouverneur und wurde begnadigt. Ich erhielt die Chance zur Bewährung. Nun, ich habe mich bewährt. Doch das ist schon lange her. Sheriff, die Dummheit meiner Jugend ist vergeben und verjährt. Ich habe mich als rechtschaffenes Mitglied der menschlichen Gemeinschaft erwiesen. Und somit habe ich das Recht, in unserem Lande hinzugehen, wohin ich will, zu bleiben, wo ich will, und weiterzureiten, wann ich will. Ja, ich bin zurückgekommen. Ich bin hier in dieses Land gekommen, um …«

»Hol dein Pferd, und reite wieder fort«, unterbricht ihn der Sheriff knapp, und in seinen Augen wird das kühle und harte Leuchten deutlicher. »Ich wies dich damals aus dem Lande«, sagt er. »Ich hätte dich damals auch einsperren können, ja sogar müssen! Doch ich richte mich nicht immer ganz genau nach dem Buchstaben des Gesetzes. Und weil das so ist, kümmert mich es nicht, ob du inzwischen ein nützliches und ehrenwertes Mitglied der menschlichen Gemeinschaft wurdest oder nicht. Ich wies dich damals aus dem Lande und sagte dir, dass du nicht wiederkommen sollst. Und das gilt noch immer.«

Er macht eine kurze Pause. Doch dann sagt er unabänderlich: »Also, verschwinde! Vorwärts!«

»Nein«, erwidert Ben McClellan ruhig und gelassen. Der Sheriff nickt. »Nun gut, dann komm mit! Du bist festgenommen!«

»Mit welcher Begründung, Sheriff?«

»Wegen Widerstandes gegen die Anordnungen des Sheriffs! Der Territoriumsrichter kommt in etwa zweieinhalb Monaten hier durch, um die übliche Arbeit in ein oder zwei Tagen zu erledigen. Dein Fall wird zu dieser Routinearbeit gehören. Er wird dich sicherlich freilassen und mir einen Verweis erteilen. Aber er wird einsehen, dass sich ein Sheriff in diesem Lande auf seine Art behaupten muss. Wo kämen wir hin, wenn alle Burschen, die ich schon mal zum Teufel jagte, zurückkommen könnten? Dann hätten wir bald eine ganze Bande von Strolchen und Banditen im Lande. Also, ich will deinen Revolver, Ben McClellan!«

Er streckt bei diesen Worten die Linke aus und hat seine Rechte griffbereit hinter dem Revolverkolben hängen.

In seinen Augen ist ein lauerndes Funkeln. Er ist ein Revolversheriff, also ein Gesetzesmann, der sich auf seine Revolverschnelligkeit verlässt. Er ist ein Revolvermann, der einen Stern trägt und damit all seine furchtbaren Fähigkeiten dem Gesetz zur Verfügung stellt.

Ben McClellan blickt ihn an. »Was haben Sie gegen mich, Mac Scoggins? Sagen Sie es! Was haben Sie gegen mich?«

Mac Scoggins’ dunkles, hageres und hartes Gesicht ist völlig ausdruckslos und starr, als er sagt: »Gegen dich persönlich nichts. Es geht nur ums Prinzip. Ich verbot dir zurückzukommen. Und du bist hier und willst bleiben. – Deinen Revolver, Junge!«

»Das ist Freiheitsberaubung, Sheriff! Sie regieren hier wie ein Halbgott und legen alle Gesetze auf eigene Art aus. Sie sind ein sturer, unversöhnlicher und selbstherrlicher Narr. Und …«

»Wegen Beleidigung bestrafe ich dich mit zwanzig Dollar Buße, mein Junge«, sagt Mac Scoggins kühl.

Ben McClellan verstummt. Er zieht seinen Revolver und reicht ihn dem Sheriff.

Und dann geht er wortlos vor ihm her. Sie schlagen die Richtung zum Stadthaus ein, in dem sich auch das Office des Sheriffs und das Gefängnis befinden.

Es ist inzwischen dunkel geworden. Einige Zuschauer, die diese Szene aus einiger Entfernung beobachteten, sind nur als Silhouetten und dunkle Gestalten zu erkennen. Denn sie alle halten sich den Lichtbahnen fern, die aus dem Hotel, aus Geschäften und Häusern fallen.

Ben McClellan geht vor dem Sheriff auf dem Brettergehsteig daher. Sie durchqueren nun die Lichtbahnen, und diese gelben Lichtstreifen, die doch eigentlich so wärmend und freundlich wirken und sogar den grauen Staub der Fahrbahn wie Goldpuder erscheinen lassen, wirken mit einem Male unfreundlich auf Ben McClellan.

Aber diese Stadt und ihre Bürger können ja nichts dafür, dass ihr Sheriff so unversöhnlich und stur ist, denkt er.

Sie kommen nun an einem Geschäft vorbei, in dem es »Wäsche und Kleidung für Damen« gibt, wie auf einem Schild über dem Schaufenster zu lesen ist.

Eine junge Frau will im selben Moment aus diesem Laden treten. Sie hält eine Kurbel in der Hand, um damit die Rollläden vor dem Schaufenster herunterdrehen zu können. Sie bleibt einen halben Schritt vor dem Eingang stehen, um die beiden Männer an sich vorbei zu lassen.

Dabei blickt sie die Männer ruhig an. Doch da sie das Licht hinter sich hat, ist ihr Gesicht im Schatten. Wahrscheinlich aber würde Ben McClellan sie auch nicht bei bester Beleuchtung erkannt haben; denn in zehn langen Jahren kann aus einem kleinen und dünnbeinigen Mädchen eine voll erblühte Frau werden, die vom eigenen Bruder nicht erkannt werden würde, wenn dieser zehn Jahre lang fort war.

Aber bei einem Jungen, der ein Mann wurde, ist dies wohl anders. Jedenfalls ist Ben McClellan erst zwei Schritte an dieser jungen Frau vorbei, als ihn ihre fragende Stimme einholt. Er hört die Worte: »Ben McClellan?«

Er hält inne, wendet sich halb um und blickt zurück. Er betrachtet sie, und sein Verstand müht sich um eine Erinnerung. Er eilt in seinen Gedanken zurück in jene Zeit, da er ein Knabe war und dieses Mädchen vielleicht gekannt hatte.

Plötzlich glaubt er es zu wissen. Er fragt: »Cat Britt? Catherine Britt?«

»Richtig, Rotkopf, richtig! Ich freue mich, dass du noch meinen Namen weißt. Und ich erkannte dich sofort. Bist du heimgekommen? Hat man dich heimgerufen, wo es doch Thor Cleveland so schlecht geht? Ich freue mich sehr, dass er dich nicht vergessen hat, Ben. Ich hatte es immer gehofft.«

Sie kam die zwei Schritte bis zu Ben, steht nun dicht vor ihm und blickt zu ihm empor. In ihrer Stimme schwingt eine warme und herzliche Freude. Sie ist etwas mehr als mittelgroß, schlank, dunkelhaarig und großäugig.

Ja, an diesen großen Augen erkennt Ben sie...